L 6 U 225/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 40/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 225/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 4. September 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten auch des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 233.242,43 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind wechselseitig geltend gemachte Erstattungsansprüche aufgrund von Leistungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall streitig. Der Versicherte EG., der bei der Beklagten krankenversichert und bei der Klägerin unfallversichert war, verunfallte am 2. Oktober 2004 mit seinem PKW auf dem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause. Der Versicherte erlitt schwerste Verletzungen, an deren Folgen er am 22. August 2005 verstarb.

Der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft X. (xxx) ist folgender Geschehensablauf zu entnehmen: Der Versicherte befuhr am 2. Oktober 2004 gegen 14:25 Uhr bei trockener Fahrbahn die B 463 von F-Stadt in Richtung "F. Bahnhof". Ca. 100 m vor Ortsende überholte er das Fahrzeug der Zeugin ZI. und ca. 200 m danach ein weiteres Fahrzeug, dessen Fahrer unbekannt geblieben ist. Beim Einscheren kam er im Verlauf einer langgezogenen Linkskurve durch nicht angepasste Geschwindigkeit nach rechts in den Grünstreifen. Anschließend übersteuerte er sein Fahrzeug und kam nach links von der Straße ab. Er fuhr eine Böschung hinauf und prallte mit der Beifahrerseite gegen einen Baum. Hierbei wurde der PKW total beschädigt und der nicht angegurtete Versicherte durch die Heckscheibe geschleudert. Durch einen zufällig hinzugekommenen Arzt sowie den herbeigerufenen Notarzt wurde der Versicherte erfolgreich reanimiert und mit dem Rettungshubschrauber in die Universitätsklinik N. gebracht. Zuvor wurde ihm noch an der Unfallstelle auf Anordnung des Bereitschafts-Staatsanwaltes um 15:10 Uhr eine Blutprobe entnommen (Aufkleber-Nr. YYY), deren spätere Auswertung durch die Universitätsklinik XX. am 8. Oktober 2004 eine Blutalkoholkonzentration von 0,99 ‰ ergab. Zu dem Unfallhergang gab die Zeugin ZI. an, kurz vor dem Unfall sei sie in der Ortschaft F. von dem Versicherten mit einer geschätzten Geschwindigkeit von ca. 70 km/h überholt worden, wobei der Versicherte bereits vorher ständig gedrängt und versucht habe, sie zu überholen. Nach dem Überholvorgang habe er Vollgas gegeben, weshalb sie ihn aus den Augen verloren habe. Der Zeuge AN. gab an, sich zum Unfallzeitpunkt auf einem entlang der Bundesstraße verlaufenden Feldweg gegenüber der Unfallstelle befunden zu haben. Der Pkw des Versicherten sei mit rasender Geschwindigkeit aus Richtung F-Stadt gekommen, habe ein Fahrzeug überholt, sei wieder nach rechts eingeschert und sodann ins Schleudern gekommen. Der Unfall-Pkw sei viel zu schnell gewesen, auf jeden Fall über 100 km/h.

Durch Bescheid vom 28. Dezember 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005 lehnte die Klägerin gegenüber dem Versicherten die Anerkennung des Ereignisses vom 2. Oktober 2004 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, der Versicherte sei zum Unfallzeitpunkt alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen und der Alkoholeinfluss sei rechtlich die allein wesentliche Ursache des Unfalls.

Im anschließenden Klageverfahren holte das Sozialgericht Reutlingen (S 4 U 1048/05) ein rechtsmedizinisches Gutachten bei Prof. Dr. IR., Universität YL. vom 16. September 2005 ein und wies sodann durch Urteil vom 26. März 2007 die Klage des Versicherten - nach seinem Versterben am 22. August 2005 fortgeführt durch die Ehefrau als Sonderrechtsnachfolgerin - ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Fahrt des Versicherten von seiner Arbeitsstelle nach Hause habe zwar unter Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, es fehle jedoch an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung. Insofern sei der Beklagten zu folgen, dass die alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen sei. Diese Einschätzung stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, wonach die auf Alkoholgenuss zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließe, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund dränge, dass sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen sei (Hinweis auf das Urteil vom 17. Februar 1998, B 2 U 2/97 R). Vorliegend könne zwar nicht von einer absoluten Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden, weil der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insofern maßgebliche Grenzwert von 1,1 ‰ nicht erreicht gewesen sei. Der Versicherte sei jedoch mit 0,99 ‰ relativ fahruntüchtig gewesen und aus den konkreten Umständen des Unfalles bzw. den dokumentierten Fahrfehlern ergebe sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass der Alkoholkonsum zu einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Versicherten geführt habe. Die Trunkenheit müsse deshalb als die rechtlich allein wesentliche Ursache für das Unfallgeschehen angesehen werden. Gegen das Urteil hat die Ehefrau des Versicherten kein Rechtsmittel eingelegt, so dass es rechtskräftig geworden ist.

Gestützt auf das Urteil forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 15. Juni 2007 - wie bereits mit den vorangegangenen Schreiben vom 10. Januar 2005 und 14. Oktober 2005 - zur Zahlung eines Erstattungsbetrages in Höhe von 75.800,79 EUR auf. Mit Schreiben vom 31. Januar 2008 bezifferte die Klägerin den Erstattungsanspruch aufgrund weiterer von ihr gezahlter Rechnungen nunmehr mit 109.916,72 EUR. Die Beklagte lehnte stets eine Erstattung ab, zuletzt mit Schreiben vom 5. März 2008.

Die Klägerin erhob am 19. Mai 2008 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden mit dem Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des genannten Erstattungsbetrages, während die Beklagte im Wege der Widerklage ihrerseits einen Erstattungsanspruch in Höhe von 123.325,71 EUR geltend machte. Durch Urteil vom 4. September 2009 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 109.916,72 EUR abzüglich der zu berücksichtigenden Eigenanteile entsprechend dem Leistungsrecht der Beklagten zu zahlen. Zugleich hat das Sozialgericht die Widerklage der Beklagten abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Leistungsklage der Klägerin sei begründet, diese habe einen Anspruch auf Erstattung der im Zusammenhang mit der Heilbehandlung des Versicherten gewährten Leistungen gemäß § 105 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Zeit bis zum Erlass des ablehnenden Bescheides vom 28. Dezember 2004 und gemäß § 102 SGB X für die Zeit danach. Die Beklagte sei im Sinne beider Vorschriften der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger. Insofern habe die Klägerin die Anerkennung des Ereignisses vom 2. Oktober 2004 als Arbeitsunfall zu Recht abgelehnt, weil der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung zu verneinen sei. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf das Urteil vom 30. Januar 2007, B 2 U 23/05 R) sei bei Alkoholgenuss zunächst zu prüfen, ob dieser zu einem Vollrausch geführt habe, der die Ausübung einer dem Unternehmen dienenden Verrichtung ausschließe, so dass eine Lösung vom Betrieb vorliege, die schon den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ausschließe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend zwar nicht gegeben, denn nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. IR. könne eine Blutalkoholkonzentration von 0,99 ‰ als erwiesen sowie eine Blutalkoholkonzentration von 1,10 ‰ als wahrscheinlich angesehen werden. Für die weitere Prüfung sei deshalb der erstgenannte Wert zugrunde zu legen mit der Folge, dass eine den Versicherungsschutz ausschließende absolute Fahruntüchtigkeit zum Unfallzeitpunkt nicht vorgelegen habe. Hier sei jedoch der Alkoholgenuss als wesentliche Ursache für den Unfall anzusehen, dem Alkoholgenuss komme insoweit für das Eintreten des Unfallereignisses überragende Bedeutung zu. Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sei zu prüfen, ob neben der Blutalkoholkonzentration aus weiteren Beweisanzeichen im Sinne von alkoholtypischen Ausfallerscheinungen darauf geschlossen werden könne, dass der Versicherte wegen der Folgen des Alkoholgenusses fahruntüchtig und damit der Alkoholgenuss die überragende Ursache für das Ereignis gewesen sei. Als Beweisanzeichen für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit habe das Bundessozialgericht die Fahrweise des Versicherten, z.B. überhöhte Geschwindigkeit, Fahren in Schlangenlinien, plötzliches Bremsen, aber auch sein Verhalten vor, bei und nach dem Unfall angesehen. Weitere Beweisanzeichen seien z.B. das Missachten von Vorfahrtzeichen oder einer roten Ampel, das Überqueren einer großen Kreuzung ohne Reduzierung der Geschwindigkeit. Ein Fehlverhalten beweise dann eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, wenn es nicht ebenso gut andere Ursachen haben könne, wie z.B. Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Übermüdung usw. Dabei seien nicht die Beweisanzeichen einzeln, sondern alle zusammen zu betrachten. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze komme vorliegend dem Alkoholgenuss deshalb eine überragende Bedeutung für die Verursachung des Unfalles vom 2. Oktober 2004 zu, weil nach den Beweisanzeichen der Versicherte unmittelbar vor dem Unfallereignis alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen sei. Die Fahrweise des Versicherten sei durch wiederholte Verkehrsverstöße wie insbesondere unangemessene Geschwindigkeit und Drängeln des voranfahrenden Fahrzeugs sowie riskante Überholmanöver geprägt gewesen, was die Zeugenaussagen belegten. Die Blutalkoholkonzentration habe zum Unfallzeitpunkt sicher 0,99 ‰ und wahrscheinlich 1,10 ‰ betragen und damit zumindest nahe der absoluten Fahruntüchtigkeit gelegen. Weiter seien andere Umstände, die den Unfall hätten erklären können, wie z.B. erschwerte Witterungsverhältnisse, technische Defekte, bestehende Krankheiten des Verunfallten, nicht ersichtlich. Auch der Sachverständige Prof. Dr. IR. sei zu der Einschätzung gelangt, dass die Alkoholisierung ausschlaggebend für das Zustandekommen des Unfalles gewesen sei. Aufgrund dieser Umstände könne die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass nach Auskunft von Arbeitskollegen des Versicherten am Arbeitsplatz und zum Zeitpunkt des Fahrtantritts alkoholtypische Ausfallerscheinungen nicht zu beobachten gewesen seien und im Betrieb Alkoholgenuss strikt untersagt und bei dem Versicherten am Unfalltag auch nicht beobachtet worden sei. Vielmehr ergebe die Würdigung der Gesamtumstände, dass dem Alkoholgenuss des Versicherten für den Eintritt des Unfallereignisses überragende Bedeutung beizumessen sei. Dementsprechend sei die Klage der Klägerin begründet und die Widerklage der Beklagten unbegründet.

Gegen dieses der Beklagten am 16. September 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 1. Oktober 2009 vor dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Sie trägt vor, die aufgrund der Blutentnahme bei dem Versicherten festgestellte Blutalkoholkonzentration könne nicht nachvollzogen werden, weil dieser während der Arbeitszeit und tagsüber üblicherweise keinen Alkohol zu sich genommen habe, was insbesondere die Arbeitskollegen bestätigen könnten. Aufgrund dessen sei zu bestreiten, dass die bei dem Verunfallten gezogene Blutprobe und deren Ergebnis tatsächlich aus einer Alkoholaufnahme des Verunfallten herrührten. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung eine Blutprobe ohne richterlichen Beschluss nicht verwertbar, so dass hier die von der Staatsanwaltschaft beauftragte Blutprobe in ihrem Ergebnis nicht berücksichtigt werden könne. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass mit einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,1 ‰ lediglich relative Fahruntüchtigkeit in Betracht komme und Beweisanzeichen in Form von alkoholtypischen Ausfallerscheinungen zu prüfen seien. Insofern obliege der Klägerin die Beweislast. Das Sozialgericht habe sich bei seiner Einschätzung, der Versicherte sei alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen, zu Unrecht allein auf das rechtsmedizinische Gutachten gestützt. Vielmehr hätte es zwingend ein verkehrstechnisches Unfallgutachten einholen müssen. Das entsprechende Unterlassen stelle einen Verfahrensmangel dar. Alkoholtypische Ausfallerscheinungen des Versicherten zum Unfallzeitpunkt ließen sich auch nicht aus den beiden Zeugenaussagen ableiten, weil das von den Zeugen geschilderte Verhalten des Versicherten - Überholen innerorts mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 km/h, zügiges Fahren mit 100 km/h außerorts - im heutigen Straßenverkehr gang und gäbe und nicht typischerweise auf eine alkoholische Beeinflussung zurückzuführen sei. Vielmehr könne es jedem Fahrer passieren, dass er mit den beiden rechten Rädern seines Fahrzeugs auf den Randstreifen und durch das erforderliche Gegenlenken ins Schleudern gerate.

Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Wiesbaden vom 4. September 2009 die Klage abzuweisen und die Klägerin auf die Widerklage zu verurteilen, an sie 123.325,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, sofern die Beklagte nunmehr bestreite, die festgestellte Blutalkoholkonzentration von 0,99 ‰ rühre nicht aus einer Alkoholaufnahme des Verunfallten, sei dies spekulativ und nicht bewiesen. Daran ändere auch nichts, dass auf der Arbeitsstelle ein Alkoholverbot herrsche und auch nie aufgefallen sei, dass der Versicherte während der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen habe. In der Gesamtschau und unter Berücksichtigung der Beweisgrundsätze in der gesetzlichen Unfallversicherung spreche mehr dafür, dass alkoholbedingte Umstände für die Entstehung des Unfalls ursächlich gewesen sein. Da alle entscheidungserheblichen Tatsachen, aufgrund derer schlüssig eine rechtliche Bewertung vorzunehmen sei, vorliegen würden, bedürfe es nicht der Einholung eines verkehrstechnischen Unfallgutachtens. Der Beklagten sei auch nicht zu folgen, wonach das Ergebnis der Blutprobe nicht verwertbar sei. Insofern gebe es keine Rechtsnorm, die der Verwertung in der vorliegenden Fallkonstellation entgegenstehe.

Der Senat hat zunächst Beweis erhoben durch Beiziehung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft L. (ooo) sowie der Akte des Sozialgerichts Reutlingen (S 4 U 1048/05).

Sodann hat der Senat weiter Beweis erhoben durch Befragung von Rechtsanwalt UH., R-Stadt zu der von ihm im Auftrag der Witwe des Versicherten und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft veranlassten Identitätsuntersuchung im Universitätsklinikum XX ... Rechtsanwalt UH. hat mit Schreiben vom 3. Mai 2010 das Gutachten des Prof. Dr. AN. vom 18. Juli 2005 vorgelegt. In dem Gutachten wurde der Frage nachgegangen, ob die DNA-Merkmale der im Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin der Universität XX. mit dem Aufkleber Nr. YYY verwahrten Blutprobe und in einem entnommenen Wangenschleimhautabstrich des EG. identisch sind. Nach dem Untersuchungsergebnis stimmte das Blut vom 2. Oktober 2004 in allen untersuchten Merkmalen mit dem Wangenschleimhautabstrich überein, so dass Prof. Dr. AN. zu dem Ergebnis gelangte, es könne kein ernstlicher Zweifel daran bestehen, dass es sich bei der am 2. Oktober 2004 entnommenen und mit "EG. " beschrifteten Blutprobe tatsächlich um diejenige des Herrn EG. gehandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit seinem Urteil vom 4. September 2009 zu Recht entschieden, dass die Klage der Klägerin gemäß § 54 Abs. 5 SGG auf Zahlung von 109.916,72 EUR begründet und die Widerklage der Beklagten auf Zahlung von 123.325,71 EUR unbegründet ist.

Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren der Klägerin ist entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts ausschließlich § 102 SGB X und nicht auch § 105 SGB X. Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist, sofern ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig. Die Vorschrift ist mithin auf die Fallgestaltungen zugeschnitten, dass aufgrund gesetzlicher Vorschriften rechtmäßig vorläufige Sozialleistungen erbracht worden sind. Dies ist hier bis zur Erteilung des Bescheides vom 28. Dezember 2004 der Fall, denn die davor erfolgte vorläufige Leistungserbringung durch die Klägerin war rechtmäßig auf der Grundlage des § 43 Abs. 1 S. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Mit der Erteilung des ablehnenden Bescheides an den Versicherten hatte die Klägerin jedoch geregelt, dass kein Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 2. Oktober 2004 als Arbeitsunfall und auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht, so dass eine Leistungsgewährung danach nicht mehr rechtmäßig erfolgt wäre. Gleichwohl kommt § 105 SGB X für die Zeit nach der Bescheiderteilung aus zwei Gründen nicht zur Anwendung. Zum einen setzt die Vorschrift eine Leistungserbringung des unzuständigen Leistungsträgers - ohne als vorläufig leistender Träger zu handeln - bspw. aufgrund rechtswidriger Bewilligungsentscheidung voraus, an der es hier mangelt. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ohnehin ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn der unzuständige Leistungsträger in Kenntnis seiner Unzuständigkeit geleistet hat (vgl. von Wulffen, SGB X, Kommentar, 7. Auflage, § 105 Rn. 10 m.w.N.). Zum anderen und entscheidend kommt § 105 SGB X bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil sich die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 109.916,72 EUR ausschließlich auf die Erbringung von Leistungen vor Erteilung des ablehnenden Bescheides vom 28. Dezember 2004 bezieht. Die vorliegenden Rechnungen des Universitätsklinikums N., der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik N., der R-GmbH und Co. KG Orthopädie-Technik N. (Abrechnungszentrum A.), der Deutschen Rettungsflugwacht e.V. und des Deutschen Roten Kreuzes weisen insoweit Leistungen ausschließlich in den Monaten Oktober bis Dezember 2004 aus, wobei als letzter Tag der Leistungserbringung der 9. Dezember 2004 dokumentiert ist (Tag der Entlassung des Versicherten aus der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik N. in eine Reha-Einrichtung). Es kommt im Übrigen zur Frage der Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung auch auf den jeweiligen Zeitpunkt der erfolgten Leistungen durch die beteiligten Leistungserbringer an und nicht auf den Zeitpunkt des Ausgleichs der entsprechenden Rechnungen durch die Klägerin als Kostenträger, denn Leistungen der Heilbehandlung werden grundsätzlich als Dienst- und Sachleistung erbracht (§ 26 Abs. 4 S. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII). Mithin sind die zu erstattenden Sozialleistungen in dem Zeitpunkt durch die Klägerin erbracht, in dem die beteiligten Leistungserbringer im Auftrag der Klägerin tatsächlich geleistet haben.

Dies vorausgeschickt sind hier die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X erfüllt. Die Klägerin hat vorläufig Sozialleistungen erbracht, zur Leistung verpflichteter Leistungsträger war jedoch die Beklagte. Diese Verpflichtung ergibt sich nicht bereits - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - aus dem rechtskräftigen Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. März 2007. Vielmehr hat bei der Prüfung des vorliegend geltend gemachten Erstattungsanspruchs eine eigenständige materiellrechtliche Beurteilung, insbesondere hier des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung, zu erfolgen, wie sie von dem Sozialgericht auch vorgenommen worden ist. Das Sozialgericht hat insoweit mit dem angefochtenen Urteil vom 4. September 2009 unter vollständiger Darlegung der Sach- und Rechtslage und mit zutreffenden, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berücksichtigenden Gründen entschieden, dass es sich bei dem Ereignis vom 2. Oktober 2004 nicht um einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehandelt hat und es deshalb an den Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung fehlt. Der Senat schließt sich den umfassenden und zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung an, so dass insoweit auf eine weitere ausführliche Darstellung der Entscheidungsgründe verzichtet wird (§ 153 Abs. 2 SGG). Zusammenfassend folgt der Senat dem Sozialgericht insbesondere, dass in Anwendung der Kriterien, wie sie sich aus dem Urteil des Bundssozialgerichts vom 30. Januar 2007 (B 2 U 23/05 R) ergeben, aus den feststellbaren Beweisanzeichen auf alkoholtypische Ausfallerscheinungen des Versicherten und Fahruntüchtigkeit geschlossen werden kann. Die Gesamtschau des Ereignisses zeigt, dass der Versicherte wiederholte Verkehrsverstöße begangen hat, indem er u.a. innerhalb geschlossener Ortschaft die Zeugin ZI. bedrängte und mit erhöhter Geschwindigkeit überholte, und dass er sein Fahrzeug mit erheblicher Risikobereitschaft und Enthemmung führte, wie es für eine Alkoholisierung ganz typisch ist. Das riskante und missglückte Überholmanöver mit hoher unangemessener Geschwindigkeit, das letztlich zum Unfall geführt hat, rundet das Bild einer Alkoholfahrt im Zustand der Fahruntüchtigkeit ab, zumal andere Umstände, die den Unfall hätten erklären können, wie sie das Sozialgericht im einzelnen referiert hat, nicht ersichtlich sind. Dementsprechend ist auch die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. IR. schlüssig und nachvollziehbar, dass die Alkoholisierung mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,99 Promille bzw. die dadurch bedingte Enthemmung und eingeschränkte Situationsverarbeitung ausschlaggebend für das Zustandekommen des Unfalles gewesen sind. Die Verwertung dieses Gutachtens im vorliegenden sozialgerichtlichen Verfahren begegnet keinen prozessualen Bedenken. Insofern sind (Gerichts-) Akten anderer Verfahren und darin enthaltene Gutachten im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage, § 128 Rn. 7ff. u. 8c). Nach allem hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass dem Alkoholgenuss des Versicherten für den Eintritt des Unfallereignisses die überragende Bedeutung beizumessen ist.

Demgegenüber gebietet das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren keine andere Sicht der Dinge. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, es sei zu bestreiten, dass die bei dem Verunfallten gezogene Blutprobe und deren Ergebnis tatsächlich aus einer Alkoholaufnahme des Verunfallten herrührten, stellt sie in den Raum, dass die untersuchte Blutprobe nicht dem Versicherten zuzuordnen sei. Entsprechende Zweifel haben sich jedoch durch die weiteren Ermittlungen des Senats nicht bestätigt. Aus der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft L. (xxx) ergibt sich, dass dem Versicherten am 2. Oktober 2004 um 15:10 Uhr eine Blutprobe zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration entnommen und das Röhrchen mit dem Klebezettel Nr. YYY versehen worden ist (Bl. 13 der Ermittlungsakte). Eine Blutprobe mit diesem Klebezettel wurde im Universitätsklinikum XX. (Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin, Prof. Dr. AN.) untersucht mit dem Ergebnis einer Blutalkoholkonzentration im Mittelwert von 0,99 ‰ (Bl. 14 der Ermittlungsakte). Auf Veranlassung der Witwe des Versicherten beantragte Rechtsanwalt UH., R-Stadt im Mai 2005 aufgrund von Zweifeln an der Zuordnung der Blutprobe die Durchführung einer Identitätsuntersuchung. Diese ist erfolgt und Prof. Dr. AN. hat in seinem entsprechenden Gutachten vom 18. Juli 2005, das Rechtsanwalt UH. zur Gerichtsakte gereicht hat, ausgeführt, dass nach Untersuchung der DNA-Merkmale der im Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin mit dem Aufkleber Nummer YYY verwahrten Blutprobe und eines bei dem Versicherten entnommenen Wangenschleimhautabstrichs keine ernstlichen Zweifel daran bestehen könnten, dass es sich bei der am 2. Oktober 2004 entnommenen und mit "EG. " beschrifteten Blutprobe tatsächlich um diejenige des Herrn EG. gehandelt habe. Insofern stimme das Blut vom 2. Oktober 2004 in allen untersuchten Merkmalen mit dem Wangenschleimhautabstrich überein. Aufgrund dieser Ausführungen besteht auch für den Senat keinerlei Zweifel daran, dass die am 2. Oktober 2004 entnommene Blutprobe dem Versicherten zuzuordnen ist. Der Senat vermag der Beklagten auch nicht zu folgen, soweit diese die Auffassung vertritt, das Ergebnis der Blutprobe sei aus Rechtsgründen nicht verwertbar, weil die Blutprobe im Auftrag der Staatsanwaltschaft und damit ohne richterlichen Beschluss entnommen worden sei. Zunächst bedürfte es des weiteren substantiierten Vortrags der Beklagten, aus welchen Gründen die Blutprobe unter Verstoß gegen den in § 81a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) geregelten Richtervorbehalt entnommen worden sein soll. An einem solchen Vortrag mangelt es jedoch. Die Beklagte hat lediglich pauschal geltend gemacht, die ohne richterlichen Beschluss entnommene Blutprobe sei nicht verwertbar. § 81a Abs. 2 StPO regelt den Richtervorbehalt jedoch nur im Grundsatz, wobei bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung die Anordnung der Blutentnahme auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zusteht. Der 2. Oktober 2004 war ein Samstag, die Blutentnahme erfolgte um 15:10 Uhr. Damit ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der zuständige Ermittlungsrichter nicht erreichbar war und deshalb die Anordnung der Blutentnahme durch den Bereitschafts-Staatsanwalt - Amtsanwalt ER. - um 15:03 Uhr erfolgte. Darüber hinaus ist die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier Rechtsprechung davon ausgehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ziehe ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Das Bundesverfassungsgericht hat hieraus abgeleitet, dass ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme darstellt, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug i.S.d. § 81a Abs. 2 StPO oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. zu allem: Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 2. Senates des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 2011, 2 BvR 1596/10 u. 2 BvR 2346/10). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht erkennbar, dass hier die Anordnung der Blutentnahme bei dem Versicherten unter willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug erfolgt ist bzw. einen besonders schwerwiegenden Fehler darstellt. Insoweit ist der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft L. zu entnehmen, dass der den Unfall aufnehmende Polizeibeamte, Polizeihauptmeister OY., in der Annahme akuter Lebensgefahr für den Versicherten zunächst Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft L. genommen hat. Eine willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug lässt sich hieraus nicht ableiten. Zwar bleibt offen, ob der Bereitschafts-Staatsanwalt den Versuch unternommen hat, den zuständigen Ermittlungsrichter zu erreichen. Wird jedoch berücksichtigt, dass der Versicherte am Unfallort reanimiert werden musste und insofern tatsächlich akute Lebensgefahr bestand, bedurfte es für die Blutentnahme noch am Unfallort einer unverzüglichen Anordnung, die hier durch den Bereitschafts-Staatsanwalt erfolgt ist. Es ist gut denkbar, dass eine spätere Blutentnahme aufgrund der intensivmedizinischen Betreuung des Versicherten nicht mehr oder nur erheblich zeitverzögert möglich gewesen wäre. Einer weiteren Vertiefung bedarf es jedoch insoweit nicht. In der Gesamtschau aller Einzelfallumstände ist jedenfalls weder willkürliches Handeln noch ein schwerwiegender Fehler begründet anzunehmen. Damit kann die weitere Frage, ob ein strafverfahrensrechtliches Beweisverwertungsverbot überhaupt Auswirkungen auch auf das sozialgerichtliche Verfahren haben kann, dahingestellt bleiben. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die ausgeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich auf die Frage des Verbots einer Beweisverwertung im Strafprozess bezieht. Weiter besteht auch nicht das Erfordernis - wie aber die Beklagte meint -, zur weiteren Aufklärung ein verkehrstechnisches Unfallgutachten einzuholen, da das entsprechende Unterlassen verfahrensfehlerhaft sei. Die hier zu beantwortende Frage bzw. zu treffende Feststellung, ob der Weg des Versicherten von seiner Arbeitsstelle nach Hause gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand, unterliegt der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 SGG). Das Sozialgericht ist zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass der Alkoholisierung des Versicherten die überragende Bedeutung für das Unfallereignis vom 2. Oktober 2004 beizumessen ist, und hat sich hierbei auf die in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft L. wiedergegebenen Aussagen der Zeugen ZI. und AN., die Angaben zu der Fahrweise des Versicherten unmittelbar vor dem Unfall gemacht haben, auf die im Universitätsklinikum XX. festgestellte Blutalkoholkonzentration von 0,99 ‰ sowie auf das im Verfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen eingeholte rechtsmedizinische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. IR. vom 16. September 2005 gestützt. Die Verwertung der Zeugenaussagen ZI. und AN. im Rahmen des Urkundenbeweises ist auch verfahrensfehlerfrei, weil weder die Klägerin noch die Beklagte die nochmalige Vernehmung der beiden Zeugen vor dem Sozialgericht bzw. dem Senat beantragt haben. Ohne einen solchen Antrag ist das Gericht nicht gehindert, die in einem anderen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren gemachten Aussagen als Urkundenbeweis zu verwerten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 117 Rn. 5). Aufgrund aller vorliegenden Beweismittel war und ist die Beweissituation derart verdichtet, dass sich weder das Sozialgericht noch der Senat gedrängt sehen musste, das von der Beklagten beantragte verkehrstechnische Unfallgutachten einzuholen.

Nach alledem hat es dabei zu verbleiben, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII für einen versicherten Wegeunfall nicht erfüllt sind mit der Folge, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung ihrer Leistungen gemäß § 102 Abs. 1 SGB X hat. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht um zu berücksichtigende Eigenanteile entsprechend dem Leistungsrecht der Beklagten vermindert. Wie § 102 Abs. 2 SGB X zu entnehmen ist, richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die Vorschrift hat damit Sanktionscharakter und berücksichtigt vorrangig die Interessen des vorleistenden Trägers (vgl. von Wulffen a.a.O., § 102 Rn. 3). Dies ist auch sachgerecht, denn der aufgrund gesetzlicher Bestimmungen vorleistende Träger soll durch seine Vorleistung, die verhindert, dass Zuständigkeitsfragen und Kompetenzkonflikte der Leistungsträger untereinander zu Lasten des Versicherten gehen, keinen finanziellen Schaden erleiden. Anders stellt sich die Rechtslage für die übrigen Erstattungstatbestände dar. So richtet sich beispielsweise gemäß § 105 Abs. 2 SGB X der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Diese Vorschrift kommt jedoch - wie ausgeführt - hier nicht zur Anwendung. Hat damit die Beklagte den Erstattungsbetrag von 109.916,72 EUR unvermindert der Klägerin zu erstatten, war der Senat gleichwohl gehindert, den Tenor des angefochtenen Urteils entsprechend zu ändern. Insofern ist das Verbot der reformatio in peius zu beachten, wonach ein Rechtsmittelführer gegenüber dem angefochtenen Urteil nicht schlechter gestellt werden darf (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 1994, 6 RKa 12/92; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., vor § 143 Rn. 17). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn ein selbstständiges Rechtsmittel oder Anschlussrechtsmittel eingelegt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall, eine selbständige Berufung oder Anschlussberufung hat die Klägerin nicht eingelegt. Alleiniger Rechtsmittelführer ist vielmehr die Beklagte.

Aus allem ergibt sich zugleich, dass der von der Beklagten im Wege der Widerklage (§ 100 SGG) geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen die Klägerin unbegründet ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Streitwertfestsetzung auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 3, 45 Abs. 1 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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