L 7 AY 5804/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 1212/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 5804/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufungen der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2010 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 hinsichtlich der Aufrechnung aufgehoben.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten in beiden Rechtzügen zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen eine Aufrechnungsentscheidung der Beklagten und begehren die Auszahlung einer bewilligten Nachzahlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der am 1970 geborene Kläger Ziff. 1 und seine am 1971 geborene Ehefrau, die Klägerin Ziff. 2, sowie deren am 1988, 1994, 1995 und 2001 geborenen Kinder, die Kläger Ziff. 3 bis 6., hielten sich als jugoslawische Staatsangehörige aufgrund einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie bezogen seit dem 25. Februar 1992, bzw. die Kläger Ziff. 4 bis 6 jeweils ab Geburt, Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG, ab dem 1. Dezember 2006 sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG.

In einem an die Kläger Ziff. 1 und 2 adressierten "Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid (Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für Sie und Ihre Familie)" vom 16. Oktober 2003 führte die Beklagte aus, aufgrund einer Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei eine "Neufeststellung des Hilfeanspruchs" erforderlich. Der Kläger Ziff. 1 habe ab dem 1. Juni 2002 Einkommen aus Erwerbstätigkeit sowie Kindergeld erhalten. Dieses Einkommen sei bei der Hilfegewährung zu berücksichtigen. Im Zeitraum vom 1. Juni 2002 bis zum 31. Juli 2003 sei das Einkommen mangels Mitteilung durch den Kläger Ziff. 1 nicht berücksichtigt worden. Nach Heranziehung des Einkommens sei in diesem Zeitraum eine Überzahlung der Hilfe i.H.v. EUR 16.536,94 entstanden. Im nachfolgenden Verfügungssatz hob die Beklagte ihren Bescheid vom 29. Januar 2002 auf; dies gelte auch für mündlich eröffnete Entscheidungen über Art und Umfang in Höhe der Hilfe. Ziffer 2 des Verfügungssatzes traf folgende Regelung: "Die zu Unrecht erhaltenen Leistungen in den o.g. Monaten in Höhe von insgesamt 16.536,96 EUR ist von Ihnen zu erstatten". Weitere Konkretisierungen wurden nicht vorgenommen. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Im Rahmen eines von den Klägern beantragten Zugunstenverfahrens gem. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erließ die Beklagte unter dem 17. Dezember 2009 einen an die Kläger Ziff. 1 und 2 gerichteten Bescheid, der sich nach seiner Betreffzeile auf Leistungen nach dem AsylbLG für alle Kläger bezog. In diesem bewilligte sie diesen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2006 Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und nahm ihre früheren Bescheide für denselben Zeitraum zurück. Der sich ergebende Restanspruch wurde wie folgt dargestellt:

Zeitraum Hilfeanspruch § 2 AsylbLG Gezahlte Hilfe (nach § 3 AsylbLG) Nachzahlung mtl. Nachzahlung insg. 01.01.05 - 31.01.05 1.059,31 EUR 491,37 EUR 567,94 EUR 567,94 EUR 01.02.05 - 31.12.05 1.431.- EUR 863,06 EUR 567,94 EUR 6.247,34 EUR 01.01.06 - 28.02.06 1.452,91 EUR 863,06 EUR 589,85 EUR 1.179,70 EUR 01.03.06 - 31.07.06 1.452,91 EUR 878,12 EUR 574,79 EUR 2.873,95 EUR 01.08.06 - 31.10.06 1.257,92 EUR 878,12 EUR 379,80 EUR 1.139,40 EUR 01.11.06 - 30.11.06 1.257,92 EUR 728,36 EUR 529,56 EUR 529,56 EUR Insg. 12.537,89 EUR./. gewährte einmalige Beihilfen 824,60 EUR Verbleiben 11.713,29 EUR

Die Kosten der Unterkunft und die freiwilligen Krankenkassenbeiträge seien, da bereits in der Vergangenheit in voller Höhe übernommen, außer Acht gelassen worden. Einmalige Beihilfen seien bereits mit dem monatlichen Hilfeanspruch nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII abgegolten. Eine Auszahlung könne nicht erfolgen, da der Nachzahlungsanspruch mit der Rückforderung aus dem Bescheid vom 16. Oktober 2003 in noch offener Höhe von EUR 13.402,77 aufgerechnet werde. Dem Bescheid beigelegt wurden Berechnungsbögen, in denen die einzelnen Regelsätze der Kläger aufgeführt sind, denen unter der Rubrik "Kosten der Unterkunft" ein Gesamtbetrag für Warmwasser und Strom sowie im Januar 2005 ein Einkommen i.H.v. EUR 371,69 gegenübergestellt wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Band VI Bl. 449/459 der Verwaltungsakten Bezug genommen.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigen vom 22. Dezember 2009 legten die Kläger Widerspruch ein, der sich nicht gegen die Verrechnung der Beihilfen i.H.v. EUR 824,60 richte, sondern gegen die erklärte Aufrechnung über den weitergehenden Betrag "von EUR 10.888,69". Eine Aufrechnung gegenüber Erstattungsansprüchen nach dem AsylbLG sei nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Aachen vom 29. November 2001 (1 K 2736/97) mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig. Eine analoge Anwendung der Aufrechnungsregelungen des § 26 Abs. 2 SGB XII oder des § 43 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) scheide aus. Das AsylbLG regele als eigenständiges Gesetz abschließend die materiellen Leistungen an Asylbewerber und berücksichtige dabei einen geringeren Bedarf, was zu einer Absenkung des soziokulturellen Existenzminimums gegenüber dem SGB XII führe. Eine weitere Absenkung durch eine Aufrechnung komme nicht in Betracht. Dies gelte auch für Nachzahlungen.

Mit einem an die Kläger Ziff. 1 und 2 gerichteten Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010, der sich nach seiner Betreffzeile auf Leistungen nach dem AsylbLG für alle Kläger bezog, wies die Beklagte "den Widerspruch" als unbegründet zurück. Ermächtigungsgrundlage für die Aufrechnung sei § 26 Abs. 2 SGB XII, da die bewilligten Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend den Bestimmungen des SGB XII gewährt würden. Die erforderliche Aufrechnungslage liege vor, da sich zwei Geldansprüche wechselseitig gegenüberstünden: der Erstattungsanspruch der Beklagten aus dem Bescheid vom 16. Oktober 2003 i.H.v. EUR 16.536,94 und der Nachzahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 17. Dezember 2009 i.H.v. EUR 11.713,29. Die Kläger hätten es pflichtwidrig unterlassen, das erzielte Einkommen mitzuteilen. Die Aufrechnung sei auch ermessensgerecht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Hiergegen haben die Kläger am 31. März 2010 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit dem Begehren, die Beklagte "unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 zu verurteilen, den Klägern die mit Bescheid vom 17. Dezember 2009 gewährte Nachzahlung von Leistungen nach § 2 AsylbLG von EUR 11.713,29 in voller Höhe auszuzahlen". Zur Begründung ihres Begehrens haben die Kläger ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Gegenüber Nachzahlungen von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG bestehe daher ein absolutes Aufrechnungsverbot, was durch die Rechtsprechung des VG Aachen und des VG Frankfurt am Main bestätigt werde.

Unter dem 27. Juli 2010 hat die Beklagte die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 17. Dezember 2009 angeordnet.

Mit Urteil vom 9. November 2010 hat das SG "die Klage" abgewiesen. Soweit sich die Kläger gegen die Aufrechnung wendeten, sei die Klage als Anfechtungsklage statthaft und zulässig. Unzulässig sei jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses der gestellte Leistungsantrag, da sich der Zahlungsanspruch bei erfolgreicher Anfechtung unmittelbar aus dem Bescheid vom 17. Dezember 2009 ergebe. Die Anfechtungsklage sei in der Sache nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten beinhalte § 2 Abs. 1 AsylbLG keine umfassende Verweisung auf das Recht der Sozialhilfe nach dem SGB XII und damit auch nicht auf § 26 SGB XII. Die Aufrechnung könne jedoch auf § 51 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützt werden. Zwar werde das AsylbLG in § 68 SGB I nicht den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches gleichgestellt. Das AsylbLG enthalte jedoch für den Kreis der Asylbewerber und der sonstigen anspruchsberechtigten Ausländer ein bei materieller Betrachtung der Sozialhilfe bzw. der öffentlichen Fürsorge gleichgestelltes Leistungssystem, so dass es zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen gerechtfertigt sei, auch auf diese Leistungen die Vorschriften des SGB I anzuwenden. Die Einschränkung der Aufrechnungsbefugnis bzgl. laufender Sozialleistungsansprüche gelte nicht für Nachzahlungsansprüche.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 23. November 2010 zugestellte Urteil haben die Kläger am 21. Dezember 2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft haben. § 51 SGB I sei nicht anwendbar, da die Vorschriften des AsylbLG im ersten und zweiten Abschnitt des SGB I nicht genannt seien.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Aufrechnungsbescheides vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 zu verurteilen, ihnen die mit Bescheid vom 17. Dezember 2009 bewilligte Nachzahlung in Höhe von EUR 11.713,29 auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig, insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Richtiger Klagegegner ist entgegen der Ansicht des SG nicht das Land Baden-Württemberg, sondern die Stadt Heidelberg (Stadtkreis; § 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) i.V.m. § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 3, Abs. 4 FlüAG sowie § 13 Abs. 1 Nr. 2, ab 14. Oktober 2008 § 15 Abs. 1 Nr. 2 Landesverwaltungsgesetz Baden-Württemberg; vgl. Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R - (juris)). Entsprechend hatten die Kläger ihre Klagen zunächst auch ausdrücklich gegen die Stadt gerichtet. Die vom SG vorgenommene Änderung des Rubrums (als Beklagter das Land Baden-Württemberg) steht dem nicht entgegen. Auch wenn dies mit ausdrücklichem Einverständnis der Kläger erfolgte, ergibt die Auslegung, dass sich die Klagen von Beginn an unverändert gegen den für die Leistungen nach dem AsylbLG zuständigen Träger richteten, mithin die Gemeinde als Stadtkreis, die diese Aufgaben als untere Aufnahmebehörde wahrnimmt.

Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist der Bescheid vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010, jedoch nur soweit darin die Aufrechnung erklärt wird. Die weitere darin getroffene Regelung über den Antrag der Kläger nach § 44 SGB X wurde von diesen ausdrücklich bereits nicht mit Widerspruch angefochten und ist somit in Bestandskraft erwachsen. Diese Entscheidung ist daher der gerichtlichen Überprüfung oder Korrektur entzogen. Der Antrag auf Korrektur früherer Bewilligungsentscheidungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens ist durch die bestandskräftige Bescheidung erledigt und keiner gerichtlichen Entscheidung zugänglich. Die Aufrechnung steht hingegen in voller Höhe von EUR 11.713,29 zur gerichtlichen Überprüfung. Zwar wird im Widerspruchsschreiben nur ein Betrag in Höhe von EUR 10.888,69 genannt. Dies beruht jedoch ersichtlich auf einem Rechenfehler. Die weiteren Ausführungen lassen vielmehr erkennen, dass die Kläger die Auszahlung des bewilligten Nachzahlungsbetrages begehren, gleichzeitig aber klarstellen wollten, dass dessen Höhe nicht beanstandet wird. Insbesondere wollten sie deutlich machen, dass sie die Anrechnung erhaltener einmaliger Beihilfen in Höhe der angesetzten EUR 824,60 akzeptieren. Diesen Betrag haben sie daher von der Nachzahlungssumme abgerechnet, ohne zu beachten, dass in dieser der Abzug einmaliger Beihilfen bereits berücksichtigt war. Die Auslegung des Widerspruches anhand des darin zu Tage tretenden Willens ergibt daher, dass die Kläger sich in vollem Umfange gegen die Aufrechnung wenden wollten. Dies wurde durch die in der Klage und Berufung gestellten Anträge auch klargestellt.

Die Berufungen sind unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Leistungsanträge durch das angefochtene Urteil richten. Das SG hat die Leistungsklage (richtig: -klagen) zu Recht mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig angesehen. Der Senat nimmt nach eigener Prüfung auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im übrigen sind die Berufungen der Kläger jedoch begründet. Das SG hat deren Anfechtungsklagen zu Unrecht abgewiesen. Zutreffend hat das SG jedoch insoweit die Anfechtungsklage als statthaft erachtet. Denn die Aufrechnung stellt einen - belastenden - Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X dar. Danach ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Zwar ist umstritten, ob es sich bei der Aufrechnung um einen Verwaltungsakt (so bereits Senatsurteil vom 16. Dezember 2010 - L 7 AS 4103/09 -; ebenso z.B. BSG, Urteil vom 21. Juli 1988 - 7 RAr 51/86 - BSGE 64, 17, 22; Urteil vom 27. März 1996 - 14 REg 10/95 - BSGE 78, 132 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Juli 2009 - L 10 R 2467/08 - Breithaupt 2010, 93 ff.; Sächsisches LSG, Urteil vom 16. Juli 2009 - L 3 AL 23/07 - (juris); Seewald in KassKomm, SGB I, § 51 Rdnr. 21 ff. m.w.N.) oder um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts im Wege öffentlich-rechtlicher Willenserklärung handelt (so z.B. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr. 1; dem folgend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2006 – L 13 AS 3108/06 ER-B - info also 2007, 119 ff.; Urteil vom 31. März 2006 - L 3 AL 1515/05 - (juris); Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., Anhang § 54 Rdnr. 4c; vgl. zur Aufrechnung im allgemeinen Verwaltungsrecht Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), BVerwGE 66, 218). Der 13. Senat des BSG hat mit Beschluss vom 25. Februar 2010 (- B 13 R 76/09 R - (juris)) dem Großen Senat die Rechtsfrage vorgelegt, ob eine Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erklären ist und dabei ausführlich die bisher uneinheitliche Rechtsprechung zur Auf- oder Verrechnung dargestellt (a.a.O. Rdnr. 26 ff.). Der Senat schließt sich insoweit der in dem Vorlagebeschluss des 13. Senates des BSG überzeugend begründeten Auffassung an, dass es sich bei der Aufrechnung - wie auch bei der Verrechnung - jedenfalls im Bereich des Sozialverwaltungsrechts um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X handelt. Denn die Aufrechnung ist - anders als im Zivilrecht - nicht nur davon abhängig, dass sich der Aufrechnungsberechtigte (die Behörde) hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist die Erklärung an das pflichtgemäße Ermessen (vgl. z.B. § 51 Abs. 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Halbsatz 1 SGB I) und an die Pfändbarkeit der Geldleistungen (Abs. 1 Halbsatz 2) bzw. (nach § 51 Abs. 2 SGB I) an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte) sowie an die fehlende Hilfebedürftigkeit des Berechtigten nach der Aufrechnung gebunden. Der Gesetzgeber ist in der Entwurfsbegründung zu § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X (BT-Drucks. 12/5187 S. 35) davon ausgegangen, dass materielle Einwände gegen die Aufrechnung bzw. Verrechnung im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden können (BSG, 13. Senat, a.a.O. Rdnr. 18 f.). Auch die Beteiligten sind ersichtlich von einem Verwaltungsakt ausgegangen. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 17. Dezember 2009, in dem die Aufrechnung erklärt wurde, eindeutig in der Rechtsform des Verwaltungsaktes gehandelt und die dagegen gerichteten Widersprüche der Kläger im Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 nicht als unzulässig verworfen, sondern in der Sache als unbegründet zurückgewiesen. Des Weiteren hat sie unter dem 27. Juli 2010 die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 17. Dezember 2009 gerade im Hinblick auf die Aufrechnung angeordnet, was nur bei Verwaltungsakten möglich ist. Die Kläger selbst haben in der Klageschrift ausdrücklich die "entsprechende Aufhebung" des Bescheides vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 beantragt, was ersehen lässt, dass auch sie die Aufrechnung als Regelung angesehen haben.

Unabhängig von der Frage einer Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung im Rahmen des AsylbLG ist der Verwaltungsakt bereits wegen fehlender Bestimmtheit rechtswidrig und daher aufzuheben. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies gilt sowohl für den Sachverhalt als auch für die darauf fußende Regelung. Maßgebend ist in erster Linie der Wortlaut des Verwaltungsaktes; es genügt aber, wenn sich der Inhalt im Wege der Auslegung bestimmen lässt. Ein Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt, wenn für den verständigen Beteiligten der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist. Unbestimmt ist ein Verwaltungsakt hingegen, wenn sein Verfügungssatz nach dem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten daran auszurichten (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 6; Krasney in KassKomm, SGB X, § 33 Rdnr. 3 m.w.N.). Eine Aufrechnung erfordert sowohl das Vorliegen einer Aufrechnungslage i.S.v. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches als auch einer wirksamen Aufrechnungserklärung (BSG SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). Erst mit der Aufrechnungserklärung werden die beiden Forderungen getilgt; sie gelten als in dem Zeitpunkt, in dem sie sich zur Aufrechnung geeignet gegenübergestanden haben, als erloschen. Es ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, welchen Inhalt eine wirksame Aufrechnungserklärung haben muss. Da die zur Verrechnung gestellten Forderungen aber nur soweit erlöschen, als sie sich decken, müssen, damit das Erlöschen/Tilgen der jeweiligen Forderungen - auch im Hinblick auf die Rechtskraft (§ 141 Abs. 2 SGG) - festgestellt werden kann, Art und Umfang der Forderungen in der Erklärung eindeutig bezeichnet werden. Ausreichende Bestimmtheit liegt daher nur vor, wenn sich aus dem Bescheid ergibt, mit welchem Anspruch in welcher Höhe gegen wessen Anspruch in welcher Höhe aufgerechnet wird.

Diesen Anforderungen wird der Bescheid vom 17. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 nicht gerecht. Denn für einen objektiven Dritten ist nicht erkennbar, mit welcher Forderung gegenüber dem jeweiligen Kläger die Beklagte in welcher Höhe gegen welchen Anspruch wiederum des jeweiligen Klägers aufrechnen will. Weder der Ausgangsbescheid vom 17. Dezember 2009 noch der Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 nimmt eine konkrete Individualisierung in dem Sinne vor, dass dem jeweiligen Kläger ein bestimmter Betrag zugeordnet wird. Denkbar wäre zwar eine Auslegung der Aufrechnungserklärung dahingehend, dass gegen den Anspruch des jeweiligen Klägers in der Höhe aufgerechnet werden soll, wie sie diesem im Rahmen des Zugunstenverfahrens im selben Bescheid vom 17. Dezember 2009 bewilligt worden war. Auch dies führt jedoch nicht zu einer Bestimmbarkeit konkreter Beträge. Denn auch der Verfügungssatz über die Änderung früherer Leistungsbewilligungen und der Nachgewährung vorenthaltener Leistungen enthält keine konkrete Zuordnung bestimmter Beträge zu den einzelnen Klägern. Die tabellarische Darstellung weist lediglich den Differenzbetrag zwischen den Gesamtsummen der Ansprüche aller Kläger und der diesen bisher erbrachten Leistungen - wiederum als Gesamtsumme - aus. Wie hoch der Differenzbetrag und damit der individuelle Anspruch des einzelnen Kläger ist, kann weder dem Verfügungssatz noch der Begründung des Bescheides entnommen werden. Anderes ergibt sich auch nicht aus den dem Bescheid beigefügten Berechnungsbögen. Diese weisen ebenfalls keine individuellen Leistungsansprüche aus. Zwar sind die einzelnen Regelsätze der Kläger aufgeführt. Denen werden jedoch unter der Rubrik "Kosten der Unterkunft" ein Gesamtbetrag für Warmwasser und Strom gegenübergestellt, ohne dass ersichtlich ist, ob und gegebenenfalls in welchem Verhältnis dieser Abzugsbetrag auf die Kläger verteilt wird (z.B. nach Kopfteilen oder entsprechend des Verhältnisses der Bedarfe zueinander). Gleiches gilt für das im Januar 2005 berücksichtigte Einkommen (Arbeitseinkommen des Klägers Ziff. 1 sowie Kindergeld).

Die Aufrechnungserklärung könnte auch so zu verstehen sein, dass gegen einen allen Klägern gemeinsam zustehenden Gesamtanspruch ("Anspruch auf Nachzahlung") aufgerechnet werden sollte. Dafür könnten insbesondere die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sprechen, wonach sich zwei Geldansprüche wechselseitig gegenüberstünden, nämlich der Erstattungsanspruch der Beklagten aus dem Bescheid vom 16. Oktober 2003 i.H.v. EUR 16.536,94 und der Nachzahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 17. Dezember 2009 i.H.v. 11.713,29. Ein solcher einheitlicher Gesamtanspruch von mehreren Leistungsberechtigten oder "der Familie" ist jedoch gesetzlich weder im AsylbLG noch im SGB XII vorgesehen. Vielmehr normieren beide Leistungsgesetze Individualansprüche des jeweiligen Leistungsberechtigten. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Danach sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Damit wird lediglich das Nachrangprinzip auch für das Asylbewerberleistungsrecht normiert (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG § 7 Rdnr. 2). Der Leistungsberechtigte und seine Familienangehörigen bilden eine Einsatzgemeinschaft (Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl., AsylbLG § 7 Rdnr. 3), wie sie - in nicht ganz deckungsgleicher Zusammensetzung - auch in § 19 SGB XII (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung; vgl. ab dem 1. Januar 2011 §§ 27 Abs. 2, 43 Abs. 1 SGB XII) vorgesehen ist. Anspruchsinhaber bleibt damit immer der einzelne Hilfebedürftige in Höhe seines nicht gedeckten individuellen Bedarfes (vgl. zum Ganzen Schoch in LPK-SGB XII, 3. Aufl., § 19 Rdnr. 11 ff. m.w.N.). Einkommen ist daher zunächst bedarfsdeckend bei dem Hilfesuchenden anzurechnen, dem es zufließt; nur der nach Bedarfsdeckung verbleibende Teil ist auf die übrigen "Mitglieder" der Einsatzgemeinschaft zu verteilen (Schoch, a.a.O., Rdnr. 19; Schmidt in jurisPK-SGB XII, § 7 AsylbLG, Rdnr. 37 ff.). Das AsylbLG sieht nicht einmal eine Bedarfsgemeinschaft i.S.d. SGB II vor (BSG SozR 4-3520 § 2 Nr. 3), die eine engere Verzahnung der Bedarfe und Einkommen ihrer Mitglieder vorsieht; allerdings verbleibt es selbst bei einer solchen bei individuellen Ansprüchen der Mitglieder. Auch bei der Nachgewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG im Rahmen eines Zugunstenverfahrens gem. § 44 SGB X kann daher kein Gesamtanspruch "der Einsatzgemeinschaft" entstehen.

Selbst wenn man davon ausginge, die Beklagte hätte im Bescheid vom 17. Dezember 2009 entgegen der gesetzlichen Vorgabe, aber aufgrund der eingetretenen Bestandskraft rechtlich bindend einen solchen Gesamtanspruch der Kläger geregelt, führt dies nicht zur Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung. Denn in welcher rechtlichen Verbundenheit den Klägern ein solcher Gesamtanspruch zustehen soll (z.B. Gesamtgläubiger oder zur gesamten Hand), ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Damit kann nicht festgestellt werden, ob Forderung und Gegenforderung sich tatsächlich wechselseitig gegenüberstehen, insbesondere ob die Gläubigermehrheit der einen in der gleichen rechtlichen Verbundenheit auch Schuldner der anderen Forderung ist.

In gleicher Weise ist auch die Forderung, mit der aufgerechnet werden soll, nicht hinreichend bestimmt. Die angefochtenen Bescheide bezeichnen die Rückforderung oder Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 16. Oktober 2003. Dieser enthielt selbst zwei Verfügungssätze: die Aufhebung von Leistungsbewilligungen und die Regelung der Erstattung zu Unrecht erhaltener Leistungen. Bereits der erste Verfügungssatz ist nicht eindeutig. Der Wortlaut spricht zwar zunächst dafür, dass alle Leistungsbewilligungen für den genannten Zeitraum in vollem Umfange aufgehoben werden sollten. Andererseits wird von einer "Neufeststellung des Hilfeanspruches" gesprochen, was nahelegt, dass in einem gewissen Umfange eine Bewilligung bestehen bleiben soll, also nur eine teilweise Aufhebung verfügt wird. Gegebenenfalls wäre dann aber eine Konkretisierung des Aufhebungsbetrages jedes Individualanspruches nötig gewesen, die jedoch nicht vorgenommen wurde. Gerade bei der Anrechnung von Einkommen besteht die Möglichkeit, dass einer der Kläger, insbesondere der Arbeitsentgelt beziehende Kläger Ziff. 1, seinen eigenen Leistungsanspruch vollständig verliert, während der der übrigen nur gemindert wird. Auch hinsichtlich möglicherweise von der Aufhebung erfasster einmaliger Beihilfen wäre eine Zuordnung vorzunehmen, da gegebenenfalls nur ein individueller Bedarf eines Klägers gedeckt wurde. Dies ist dem Bescheid nicht zu entnehmen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass eine vollständige Aufhebung aller Leistungsbewilligungen für alle Kläger verfügt worden war, ergäbe sich hieraus noch nicht die konkrete individuelle Höhe eines Rückforderungsanspruches. Diese wäre allenfalls durch eine Zusammenstellung aller zugeflossenen Leistungen anhand der Verwaltungsakten ermittelbar. Dies genügt aber nicht, um den Aufrechnungsverwaltungsakt aus sich heraus verständlich und bestimmt zu machen. Schließlich ist unsicher, wer nach dem Bescheid vom 16. Oktober 2003 Schuldner der Erstattungsforderung sein soll. Der Wortlaut des entsprechenden Verfügungssatzes ("Die zu Unrecht erhaltenen Leistungen in den o.g. Monaten in Höhe von insgesamt 16.536,96 EUR ist von Ihnen zu erstatten") legt nahe, dass die Erstattungspflicht allein den Eltern, also den Klägern Ziff. 1 und 2, auferlegt werden sollte. Denn nur diese werden im Adressfeld des Bescheides bezeichnet und im weiteren Textverlauf direkt angesprochen. Die Betreffzeile ("Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für Sie und Ihre Familie") spricht ebenfalls dafür, dass mit dem "Ihnen" im Verfügungssatz nur die Eltern und nicht deren in der Betreffzeile gesondert bezeichnete Familie gemeint sind. Die Begründung des Bescheides gibt keinen weiteren Aufschluss hierzu. Danach wären aber die Kläger Ziff. 3 bis 6 nicht Schuldner der Erstattungsforderung, so dass mit dieser nicht gegen deren Anspruch aus dem Zugunstenverfahren aufgerechnet werden kann.

Die fehlende Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung stünde im Übrigen einer wirksamen Aufrechnung auch dann entgegen, wenn man diese entgegen der hier vertretenen Auffassung nicht als Verwaltungsakt wertet, so dass im Ergebnis kein Unterschied vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei wurde berücksichtigt, dass dem Unterliegen der Kläger hinsichtlich der Leistungsklagen gegenüber dem Erfolg der Anfechtungsklagen keine besondere wirtschaftliche Bedeutung zukommt.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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