L 4 P 914/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 P 3298/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 914/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 20. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Pflegesachleistungen durch einen Pflegedienst nach Pflegestufe I.

Der 1922 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er leidet an einer Oberarmverletzung mit Auskugelung des Schultergelenks und Nervenschädigung, an einer Periarthritis humerus scapularis rechts mit Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk, an einer schweren Skoliose und Coxarthrose bei kleinschrittigem, unsicherem Gang am Stock, an einer koronaren Herzkrankheit mit Zustand nach Myokardinfarkt, einer grenzkompensierten Herzinsuffizienz, beidseitig ausgeprägten perimalleolären Ödemen, einem Tabletten-behandelten Diabetes mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit sowie einer hochgradigen Sehbehinderung.

Am 15. Mai 2008 beantragte der Kläger bei der beklagten Pflegekasse die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Sachleistung durch Pflegedienste. Die Beklagte beauftragte Dr. R. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung des BEV (MDK) mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser berichtete aufgrund einer Untersuchung des Klägers in häuslicher Umgebung am 29. Mai 2008 in häuslicher Umgebung in seinem Gutachten vom 19. Juni 2008 von einem oral eingestellten Diabetes mellitus mit peripherer Polyneuropathie, einer Periarthritis humerus scapularis rechts und Verletzungsfolgen im Schultergürtel mit eingeschränkter Beweglichkeit im Schultergürtel, Skoliose und Coxarthrose mit schiefer und kleinschrittiger Gehhaltung am Stock und Fallgefährdung, schweren Beinödemen bei grenzkompensierter Herzinsuffizienz, venöser Insuffizienz und Folgen einer Sprunggelenksfraktur rechts. Insgesamt betrage der Pflegebedarf in der Grundpflege tagesdurchschnittlich 13 Minuten. Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege bestehe tagesdurchschnittlich im Umfang von drei Minuten, da der Kläger zweimal wöchentlich Hilfe beim Duschen benötige. Im Übrigen könne der Kläger seine Körperpflege selbst verrichten. Bei der Ernährung bestehe ein tagesdurchschnittlicher Zeitaufwand von vier Minuten, da der Kläger zweimal am Tag Unterstützung bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung bedürfe. Bei der Mobilität sei ein Zeitaufwand von sechs Minuten pro Tag gegeben, wobei der Kläger einmal am Tag Unterstützung beim Ankleiden sowie einmal am Tag Unterstützung beim Entkleiden benötige. Regelmäßiger nächtlicher Grundpflegebedarf sei zu verneinen. Die angegebenen Grundpflegewerte bezögen sich auf wünschenswerte Unterstützung bei eingeschränkter Beweglichkeit, Belastbarkeit und Fallgefährdung in der Dusche sowie bei eingeschränkter feinmotorischer Fertigkeit bei der Zubereitung der Speisen und feinmotorischen Verrichtungen beim Ankleiden infolge der diabetischen Polyneuropathie. Hilfen in diesem Umfang würden aktuell nicht erbracht; der Kläger versuche geduldig und mit erhöhtem Zeitaufwand, die entsprechenden Defizite durch eigenen Einsatz zu kompensieren. Er gerate hier an die Grenzen seines Leistungsvermögens, weise jedoch noch keine pflegerischen Defizite auf. Der als wünschenswert notwendig angegebene Hilfebedarf reiche jedoch nicht aus, um eine Pflegestufe zu begründen. Mit Bescheid vom 27. Juni 2008 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers ab.

Hiergegen legte der Kläger am 09. Juli 2008 Widerspruch ein. Dr. R. habe seine körperlichen Einschränkungen in Form von Gleichgewichtsstörung, Gehbehinderung, Sehbehinderung, Arthrose und Sensibilitätsstörung nicht hinreichend berücksichtigt. Er bedürfe der Hilfe beim Waschen, Duschen und Baden, beim Kämmen, Rasieren und der Gesichtspflege, bei der Darm- und Blasenentleerung, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, beim Aufstehen und Zubettgehen und beim An- und Auskleiden. Insbesondere die hochgradige Sehminderung sei außer Acht gelassen worden. Er sehe auf einem Auge gar nichts mehr und auf dem anderen Auge noch nur noch mit etwa 25 Prozent und könne sich daher nur noch in bekannter Umgebung orientieren und auch nur noch am Tage außer Haus gehen. Beim Essen verletze er sich mit dem Messer und beim Abwaschen mit dem Besteck. Auch das Reinigen der Wohnung sei ihm schon mit Blick auf diese Seheinschränkung nicht mehr möglich. Er brauche streng genommen für alles eine gewisse Hilfe, und für das, was er außer Haus unternehme, eine Begleitperson. Auch aufgrund der Einschränkungen am Bewegungsapparat könne er keine Hausarbeit mehr verrichten. Er gehe gebückt am Stock, habe permanent geschwollene Knöchel und Beine, könne weder seine Hemden zuknöpfen noch Tabletten einnehmen und auch kleine Dinge nicht mehr greifen. Insgesamt liege daher der Grundpflegebedarf bei über einer Stunde täglich.

Die Beklagte ersuchte erneut den MDK um eine Begutachtung des Klägers. Die Gutachterin M. berichtete in ihrem Gutachten vom 13. August 2008 aufgrund einer Untersuchung des Klägers in häuslicher Umgebung am selben Tage von einem Diabetes mellitus mit peripherer Polyneuropathie, Coxarthrose und Schultergürtelarthrose, einem grünen/grauen Star, Herzinsuffizienz mit ausgeprägten Beinödemen, Gangunsicherheit mit Gleichgewichtsstörungen als pflegebegründende Diagnosen und gelangte zu der Auffassung, dass der Grundpflegebedarf des Klägers mit täglich 33 Minuten anzugeben sei. Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege im Umfang von tagesdurchschnittlich 21 Minuten. Der Kläger benötige eine Teilübernahme der Körperwäsche mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von 18 Minuten sowie eine Teilübernahme des Duschens einmal wöchentlich mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von drei Minuten. Im Übrigen könne der Kläger seine Körperpflege selbst verrichten. Bei der Ernährung bedürfe der Kläger keinerlei Hilfe. Bei der Mobilität bestehe ein tagesdurchschnittlicher Zeitaufwand von zwölf Minuten. Der Kläger benötige Hilfe in Form von Teilübernahme und im Übrigen Unterstützung beim Ankleiden mit einem Hilfebedarf von tagesdurchschnittlich acht Minuten sowie in Form von Unterstützung beim Entkleiden mit einem Zeitaufwand pro Tag von vier Minuten. Nächtlicher Grundpflegebedarf bestehe nicht. Zwischenzeitlich habe sich der Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert, und nun erscheine auch der Einsatz eines Sozialdienstes dringend. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe I seien jedoch noch nicht erfüllt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2008 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege benötige, müsse wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mehr als 45 Minuten betragen. Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege sei lediglich auf durchschnittlich 33 Minuten täglich festgestellt worden. Ein für die Pflegestufe I erforderlicher Zeitaufwand sei nicht nachvollziehbar.

Am 13. November 2008 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Die erforderliche Pflege sei in 33 Minuten täglich nicht mehr zu leisten; man benötige dazu sicherlich über 45 Minuten. Zur Begründung nahm der Kläger auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren Bezug. Er legte zudem den Bescheid des Landratsamts Konstanz vom 17. Juni 2009 vor, ausweislich dessen bei ihm der Grad der Behinderung (GdB) 90 beträgt und die Merkzeichen B und G festgestellt sind.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG beauftragte die Pflegefachkraft und Pflegedienstleitung B. F. mit der Erstattung eines Gutachtens. Die Sachverständige untersuchte den Kläger am 18. Februar 2009 in häuslicher Umgebung und erstattete am 11. Mai 2009 ihr Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien der Diabetes mellitus mit peripherer Polyneuropathie sowie die Schultergürtelarthrose. Als weitere Diagnosen lägen ein grüner und grauer Star, Herzinsuffizienz mit ausgeprägten Beinödemen, Gangunsicherheit mit Gleichgewichtsstörungen, Coxarthrose, Skoliose, Polyarthrose mit Gehbehinderung und ein chronisches Wirbelsäulen-Syndrom vor. Während der Begutachtung sei jedoch deutlich geworden, dass der Kläger gleichwohl, wenn auch teilweise beschwerlich, durchaus in einem zumutbarem Rahmen einen großen Teil der Grundpflege noch selbstständig durchführen könne, er aber aufgrund der Bewegungseinschränkungen und der Sehbehinderung im Bereich der Körperpflege und der Mobilität teilweise auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die Sachverständige schätzte in ihrem Gutachten den Gesamtpflegebedarf des Klägers in der Grundpflege mit 18 Minuten pro Tag ein. Der Kläger bedürfe der Teilübernahme der Ganzkörperpflege mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von zehn Minuten (wodurch das Duschen mitumfasst sei) und beim Rasieren einer Teilübernahme mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von zwei Minuten. Im Übrigen benötige der Kläger im Bereich der Körperpflege keine Unterstützung. Auch im Bereich der Nahrungsaufnahme seien dem Kläger sämtliche erforderlichen Verrichtungen selbstständig möglich. Im Bereich der Mobilität bedürfe er jedoch der Teilübernahme beim An- und Auskleiden mit einem Zeitaufwand von vier Minuten täglich. Beim Entkleiden sei eine Teilübernahme mit einer Dauer von zwei Minuten täglich zu berücksichtigen. Ein nächtlicher Pflegebedarf entfalle. Der vom Kläger gewünschte Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf sei insgesamt noch nicht pflege- oder einstufungsrelevant. Der tatsächlich notwendige Hilfebedarf habe deutlich unter demjenigen der Pflegestufe I gelegen.

Auch auf die vom Kläger erhobenen Einwendungen, dass das Gutachten in seinen Aussagen völlig an den Tatsachen und an der Wirklichkeit vorbeigehe, er insbesondere so viele Erkrankungen und Gebrechen habe, dass diese in ihrer Gesamtheit unbedingt die Pflegestufe I rechtfertigten, blieb die Sachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2009 bei ihrer Einschätzung. Ihr persönlicher Eindruck von der Gesamtsituation bezüglich der Versorgung des Klägers sei in Teilbereichen durchaus kongruent mit dessen Aussagen. Der Kläger bekomme derzeit keine Pflege, obwohl er diese tagtäglich für 18 Minuten dringend benötige. Zwar sei dieser Bedarf schon mindestens seit der Antragstellung bekannt; gleichwohl werde dem Kläger nur minimalste Hilfe zuteil. Die Einstufung in Pflegestufe I erfordere jedoch einen erheblichen Pflegebedarf, der beim Kläger noch nicht vorliege.

Mit Urteil vom 20. Januar 2010 wies das SG die Klage ab. Hierbei stützte es sich auf den Inhalt der Gutachten im Verwaltungsverfahren sowie des gerichtlichen Gutachtens von Frau F ... Die Gutachter hätten den Kläger jeweils zuhause aufgesucht. Frau F. habe zudem die umfangreichen Akten detailliert ausgewertet und ihre Einschätzung nachvollziehbar begründet. Zwar leide der Kläger vor allem unter Diabetes mellitus mit peripherer Polyneuropathie, Schultergürtelarthrose, grünem und grauem Star, Herzinsuffizienz mit ausgeprägten Beinödemen und Gangunsicherheit mit Gleichgewichtsstörungen. Jedoch sei die Schwelle zur erheblichen Pflegebedürftigkeit bei weitem noch nicht überschritten. Nach dem gerichtlichen Gutachten von Frau F. liege beim Kläger nur ein geringer Hilfebedarf in der Grundpflege, vor allem beim An- und Entkleiden vor. Der Kläger sei noch in der Lage, einen wesentlichen Teil der Körperpflege selbstständig durchzuführen. Dass der Kläger möglicherweise aufgrund seiner Sehschwäche weder in seiner Wohnung noch an seiner Kleidung Schmutz sehe, sich beim Abwaschen verletzen könne und eine Begleitperson für das Gehen außer Haus brauche, sei nicht unmittelbar pflegestufenrelevant.

Gegen das dem Kläger am 29. Januar 2010 zugestellte Urteil hat er am 24. Februar 2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass er der Pflegestufe I zuzuordnen sei. Er halte das Gutachten der Frau F. im Ergebnis für nicht den Tatsachen entsprechend und folglich für inhaltlich falsch und beantrage im Rahmen des Berufungsverfahrens die Einholung eines neutralen Gutachtens. Er benötige dringend Hilfe. Er könne sich nicht mehr allein anzuziehen oder entkleiden. Dies führe dazu, dass er entweder in Tageskleidungen ins Bett gehen müsse oder aber nicht in der Lage sei, sich nach dem Aufstehen wieder anzuziehen. Aufgrund des bestehenden Taubheitsgefühls in den Fingerspitzen könne er kleinere Gegenstände wie auch Tabletten nicht mehr zu greifen, was zu einer medikamentösen Unterversorgung führe. Das Hauptproblem stelle aber die hochgradige Sehschwäche dar, die in den Begutachtungen bislang nicht hinreichend gewürdigt worden sei. Aufgrund dieser Sehschwäche sei er nicht einmal mehr in der Lage, sich ein Essen selbst zuzubereiten. Zudem könne er sich nicht mehr allein duschen oder rasieren. Er sei insgesamt auf umfassende Hilfeleistung angewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Konstanz vom 20. Januar 2010 sowie des Bescheids der Beklagten vom 27. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2008 zu verurteilen, ihm Pflegesachleistungen durch einen Pflegedienst nach der Pflegestufe I für die Zukunft zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der den Kläger behandelnde Hausarzt Dr. K. das pflegerische Gutachten vom 28. Dezember 2010 über den Kläger erstattet. Dr. K. hat ausgeführt, die führende Gesundheitsstörung beim Kläger sei die Amaurosis mit einer Erblindung rechts und nur noch 15 %iger Sehkraft links. Als weitere Gesundheitsstörungen hat er Diabetes mellitus mit peripherer Neuropathie, eine degenerative Polyarthrose insbesondere im Schultergürtel, eine kompensierte Herzinsuffizienz und eine Gangunsicherheit mit Sturzgefahr und Gleichgewichtsstörungen angegeben. Der Kläger wasche sich selbstständig, dusche mithilfe des Sohnes zweimal in der Woche, führe die Zahnpflege, das Kämmen und (mit dem Erfordernis vereinzelten Nachbesserns) das Rasieren selbstständig durch, habe die Darm- und Blasen-Entleerung vollständig unter Kontrolle, ernähre sich selbstständig, gehe selbstständig zu Bett, kleide sich (allerdings sehr erschwert) ebenfalls selbstständig an und aus, gehe in der Wohnung mit Stock bei Unmöglichkeit des Treppensteigens und verlasse die Wohnung nur mit Stütze und fremder Hilfe. Der Kläger werde von Sohn und Schwiegertochter versorgt. Jeweils mittwochs erfolge die intensivere Körperpflege einschließlich des Duschens. Am Wochenende werde der Kläger zum Sohn nach Hause genommen, dort erfolge erneut eine intensivere Körperpflege. Am Wochenende erfolge die Zubereitung der wöchentlichen Mahlzeiten, die der Kläger von dort mitnehme. Den Zeitaufwand für eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson schätze er auf durchschnittlich 30 Minuten täglich. Von den Feststellungen der Vorgutachter werde nicht abgewichen. Der Kläger beziehe sich in seiner jahrelangen Argumentation für seine Pflegebedürftigkeit ausschließlich auf die Schwere seiner Sehschädigung, nicht jedoch auf seine Fähigkeit zur Ausübung der Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung. Ein durchschnittlicher täglicher Zeitaufwand von Grundpflege und Hauswirtschaft von 90 Minuten werde nicht erreicht, insbesondere betrage die Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da der Senat die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft im Sinne von § 144 Abs. 1 SGG, denn der Kläger begehrt wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegesachleistungen durch Pflegedienste nach der Pflegestufe I.

Der Senat entscheidet über den Antrag des Klägers auf Pflegesachleistungen durch einen Pflegedienst (vgl. insoweit die klaren Angaben des Klägers im Antragsformular). Nachdem ausweislich aller über den Kläger erstatteter Gutachten einschließlich desjenigen des Hausarztes Dr. K., der Kläger derzeit keinen auswärtigen Pflegedienst in Anspruch nimmt, sondern sich selbst versorgt, bzw. Unterstützung durch Familienangehörige erhält, war durch den Senat über einen Antrag auf Kostenerstattung für in der Vergangenheit angefallene Kosten eines auswärtigen Pflegedienstes nicht zu entscheiden. Der Antrag des Klägers war daher sachdienlich in einen solchen auf Pflegesachleistungen für die Zukunft auszulegen. Anderes hat der Kläger auch durch seinen Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren nicht vorgetragen.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Pflegesachleistungen ergeben sich aus § 36 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Nach Satz 3 wird häusliche Pflegehilfe durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. Auch durch Einzelpersonen, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs. 1 SGB XI abgeschlossen hat, kann häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht werden (Satz 4 a.a.O.).

Pflegebedürftig im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den Bedarf an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschn. F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, veröffentlicht in Juris).

Der mithin für einen Anspruch auf Pflegesachleistungen nach Pflegestufe I vorausgesetzte Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von täglich mehr als 45 Minuten ist bisher durch den Kläger zu keinem Zeitpunkt regelmäßig erreicht worden. Dies stützt der Senat insbesondere auf das in erster Instanz eingeholte Gutachten der Pflegefachkraft F. vom 11. Mai 2009, das die Ergebnisse der zuvor durch die Beklagte eingeholten Verwaltungsgutachten im Ergebnis vollumfänglich bestätigt. Im Berufungsverfahren haben sich keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit dieser Gutachten ergeben. Das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte Gutachten seines behandelnden Hausarztes Dr. K. vom 28. Dezember 2010 hat vielmehr die Einschätzungen im vorangegangenen Gutachten der Pflegefachkraft F. ausdrücklich bestätigt.

Pflegerelevant ist beim Kläger zunächst die Schultergürtelarthrose, die zu Einschränkungen in der Beweglichkeit führt. Der Kläger kann sich aufgrund dieser Bewegungseinschränkungen insbesondere nicht selbstständig den Rücken waschen. Daneben leidet er pflegerelevant an einer Diabetes mit peripherer Polyneuropathie. Diese führt zu Gefühlsstörungen in den Fingern beider Hände und in den Füßen und zieht eine eingeschränkte Beweglichkeit der Hände sowie eine Gangunsicherheit nach sich.

Die hieraus resultierenden Einschränkungen bei der Grundpflege sind jedoch insgesamt zutreffend berücksichtigt worden, so insbesondere durch die Sachverständige F ... Der Kläger benötigt Hilfe beim Waschen und Duschen des Rückens. Weiter benötigt er Hilfe beim An- und Ausziehen bestimmter Kleidungsstücke, insbesondere beim Öffnen und Schließen kleiner Knöpfe und dergleichen. Ein Pflegebedarf von mehr 45 Minuten in der Grundpflege wird durch die insoweit erforderlichen Hilfestellungen jedoch noch nicht erreicht. Insoweit folgt der Senat der Einschätzung der Sachverständigen F., die - in wesentlicher Übereinstimmung sowohl mit den Verwaltungsgutachten wie im Übrigen auch mit Dr. K. - den Grundpflegebedarf als deutlich unter 45 Minuten liegend einschätzte. Die Sachverständige F. hat für den Senat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger, wenn auch teilweise beschwerlich, jedoch durchaus in einem zumutbaren Rahmen einen großen Teil der Grundpflege noch selbstständig durchführen kann. Der Kläger hat auf die Bitte der Sachverständigen im Rahmen der häuslichen Untersuchung selbstständig durch Abstützen am Esstisch vom Stuhl aufstehen und mithilfe eines Gehstocks mit gebücktem, leicht schiefem und kleinschrittigem Gang durch die Wohnung gehen können, um die einzelnen pflegerelevanten Räumlichkeiten zu zeigen. Der Kläger hat genau erläutert, wie er sich selbstständig duscht. Weiter hat er gezeigt, dass er sich seine Haare selbstständig wäscht und diese mit der rechten Hand kämmt, indem er sich leicht nach vorne beugt. Auch das Zähneputzen war ihm ohne Probleme selbstständig möglich. Weitere als die von der Sachverständigen berücksichtigte Hilfestellungen bei der Körperpflege waren daher nicht begründbar. Auch hinsichtlich der Mobilität ergaben sich keine weiteren Einschränkungen. Der Kläger konnte sich auf Bitten der Sachverständigen selbstständig ins Schlafzimmer bewegen und ins Bett legen und anschließend wieder selbstständig aufstehen. Auch vermochte er sich seine Socken und mithilfe eines Schuhlöffels auch Schuhe zum Reinschlüpfen selbstständig anzuziehen. Der Kläger konnte sich folglich mithilfe seines Gehstocks insgesamt noch hinreichend sicher und selbständig fortbewegen und zudem den Wechsel der Körperpositionen nach wie vor selbstständig durchführen. Nachdem der Kläger während der Begutachtung zudem ein Getränk aus einer Flasche in ein Glas einzuschenken und anschließend selbstständig zu trinken vermochte, folgt der Senat der Sachverständigen auch darin, dass sich Anhaltspunkte für einen Grundpflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme von vornherein gar nicht ergaben.

Zusätzlicher, bisher nicht berücksichtigter Hilfebedarf folgt auch nicht aus der von dem Kläger in den Vordergrund gerückten Sehstörung. Die zweifelsohne erheblich eingeschränkte Sehfähigkeit des Klägers hindert ihn nicht daran, die erforderlichen Verrichtungen der Grundpflege täglich zu verrichten. Ausweislich des Gutachtens der Frau F. hat der Kläger gezeigt, wie er sich trotz seiner Sehbehinderung selbstständig die Augentropfen verabreichen konnte, und dass es ihm möglich war, die Namen der einzelnen Medikamente auf den Schachteln zu lesen, um sich die Medikamente selbstständig zu richten. Es war ihm auch möglich, den Blutzuckerwert ohne Hilfe vom Blutzuckermessgerät abzulesen. Trotz seiner Sehstörungen kann der Kläger daher, wie von der Sachverständigen F. ausgeführt, einen großen Teil der Grundpflege mit Ausnahme der genannten Einschränkungen noch selbstständig durchführen. Der vom Kläger insoweit ins Feld geführte nicht verrichtungsbezogene Aufsichtsbedarf im Sinne eines allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsbedarfs kann demgegenüber bei der Ermittlung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigt werden (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8). Voraussetzung für die Annahme der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI ist nämlich ein auf Dauer bestehender Pflegebedarf nur für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wie sie in § 14 Abs. 4 SGB XI im Einzelnen für die Bereiche der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung benannt sind. Bereits aus diesem Grund kann die vom Kläger als notwendig empfundene dauerhafte Anwesenheit einer Hilfsperson zum Ausgleich seiner Sehunsicherheit, etwa zum Erkennen von Schmutz und ähnlichen haushaltsrelevanten Erfordernissen, nicht als pflegerelevant berücksichtigt werden.

Ein Zeitbedarf für die Verrichtungen des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung ist nicht zu berücksichtigen, wovon die Sachverständige zutreffend ausgegangen ist. Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 5 und 6 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist u.a. nur dann gegeben, wenn ein mindestens einmal wöchentlicher Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung für Arztbesuche oder das Aufsuchen ärztlich verordneter Behandlungen gegeben ist. Dies ist hier nicht der Fall.

Insgesamt war für den Senat das Gutachten der Sachverständigen F. mit seinem Ergebnis, dass der Kläger den tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten, wie er für die Einstufung in Pflegestufe I erforderlich ist, bei Weitem nicht erreicht, daher schlüssig und überzeugend. Selbst der Hausarzt des Klägers, der auf Antrag desselben das Gutachten vom 28. Dezember 2010 über die Pflegesituation des Klägers erstattet hat, hat die Einschätzungen der Sachverständigen F. vollumfänglich bestätigt und sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Einschränkungen des Klägers zwar beim Sehen, nicht jedoch wesentlich im Zusammenhang mit seiner Fähigkeit zur Ausübung seiner Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung bestehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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