L 3 AL 1230/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1230/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Zulassung einer Maßnahme nach § 85 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) streitig.

Die Klägerin, die als Trägerin von Weiterbildungsmaßnahmen gemäß § 84 SGB III zugelassen ist, beantragte bei der Beklagten, der als fachkundiger Stelle die Befugnis zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen nach §§ 84, 85 SGB III übertragen ist, die Zulassung von Maßnahmen nach § 85 SGB III. Mit Schreiben vom 03.06.2009 lehnte die Beklagte die Zulassung ab. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 03.08.2009 "Widerspruch" ein. Mit undatiertem Schreiben, bei der Klägerin am 17.08.2009 eingegangen, teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, aus den bereits im Schreiben vom 03.06.2009 mitgeteilten Gründen sei eine Maßnahmezulassung nicht möglich. Am 22.09.2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit den Anträgen

"1. Den Bescheid der Beklagten vom 03.06.2009 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufzuheben und diese zu verpflichten, den Antrag auf Zulassung der Referenzmaßnahme"Bilanzanalyse für Juristen" als Weiterbildungsmaßnahme unter Beachtung der Rechtsauf-fassung des Gerichts erneut zu bescheiden sowie

2. Die Beklagte zu verpflichten, über sämtliche weiteren Anträge auf Zulassung der Referenz maßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Gerichts zu entscheiden."

Mit Verfügung vom 22.09.2009 hat das SG die Klageschrift an die Beklagte übersandt und ihr eine Frist zur Klageerwiderung von 4 Wochen gesetzt. Mit Beschluss gleichfalls vom 22.09.2009 hat es die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.

In der am 22.10.2009 beim SG eingegangenen Klageerwiderung hat die Beklagte vorgetragen, die Klage sei bereits unzulässig. Es bestünden erhebliche Zweifel hinsichtlich der Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten.

Mit Urteil vom 09.02.2010 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 03.06.2009 in Gestalt des der Klägerin am 17.08.2009 zugegangenen Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beigeladene verpflichtet, unverzüglich über den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Referenzmaßnahme "Bilanzanalyse für Juristen" ohne Anwendung der Verordnung über das Verfahren zur Anerkennung von fachkundigen Stellen sowie zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch vom 16.06.2004 sowie über sämtliche weiteren Anträge gemäß Liste der Beklagten vom 27.04.2009 auf Zulassung der Referenzmaßnahmen neu zu entscheiden. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4 SGG eröffnet, da es sich in der Hauptsache - Zulassung einer Maßnahme nach § 85 SGB III - um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Arbeitsförderung handele. Die Beklagte nehme die ihr nach §§ 84, 85 SGB III übertragenen Aufgaben als Beliehene wahr. Rechtsgrundlage für die Beleihung seien §§ 1 bis 3 der Verordnung über das Verfahren zur Anerkennung von fachkundigen Stellen sowie zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (AZWV), die ihrerseits auf der Verordnungsermächtigung des § 87 SGB III beruhe. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Zulassungsentscheidung, die als Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu qualifizieren sei, ergebe sich aus Wortlaut, Aufbau und Inhalt der Regelungen zur beruflichen Weiterbildung im SGB III.

Gegen das am 16.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.03.2010 Berufung eingelegt und gleichzeitig die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten gerügt.

Sie trägt vor, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als Verordnungsgeber sei bei Erlass der AZWV davon ausgegangen, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren für Bildungsträger und Maßnahmen nach der AZWV um ein privatrechtlich ausgestaltetes Sachverständigenverfahren handele. Dies ergebe sich aus der Begründung zur AZWV vom 23.02.2004. Das BMAS habe diese Sichtweise noch jüngst in der "Vorab-Information zur 19. Sitzung des Anerkennungsrates am 14. Mai 2009 in Berlin" bestätigt.

Darüber hinaus werde der Begriff der "fachkundigen Stellen" nicht nur in den §§ 84 und 85 SGB III, sondern auch anderenorts, z.B. in § 57 Abs. 2 SGB III verwendet. Aus dieser Vorschrift ergebe sich ganz eindeutig, dass diese fachkundigen Stellen nicht hoheitlich tätig würden.

Die gesetzliche Konzeption sei der im Bereich der Akkreditierung und Zertifizierung seit langem üblichen und anerkannten Konzeption nachempfunden. Danach sei die Anerkennung als Zertifizierungsstelle, die sog. Akkreditierung, durch öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakt auszusprechen, während die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen selbst dem Privatrecht unterliege. In dieser Weise sei der gesamte Bereich des Technischen Sicherheitsrechts aufgebaut. Die Beurteilung von Sicherheitsbelangen für Produkte erfolge im Rahmen von privatrechtlichen Zertifizierungsverträgen durch Prüforganisationen und andere anerkannte Stellen, deren Handeln dem Privatrecht unterfalle. Diese Regelungssystematik liege auch den gesamten EU-Richtlinien zugrunde, die dem sog. neuen Konzept zur technischen Normung folgten. Entscheidend für die Abgrenzung öffentlich-rechtlicher von privatrechtlicher Tätigkeit müsse sein, ob die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen als ausgelagerte und durch bestimmte Qualitätsmerkmale gekennzeichnete Stellen im Verantwortungsbereich des Herstellers zu verstehen seien, für den sie eine in erster Linie fachliche Beurteilung zu treffen hätten, oder ob die Erteilung von Bescheinigungen der Überwachungsfunktion einer Behörde vergleichbar sei, die der Staat an private Stellen delegiert habe. Ausgehend hiervon hätten die fachkundigen Stellen bei der Beurteilung, ob die Anforderungen an Maßnahmeträger oder an Maßnahmen im Sinne der §§ 84, 85 SGB III erfüllt seien, in erster Linie fachliche Beurteilungen anzustellen.

II.

Eine den Senat bindende Entscheidung über den Rechtsweg ist bisher nicht ergangen.

Nach § 17 a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, zwar nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

Auch hat das SG die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bejaht. Es hat dies aber in der Entscheidung über die Hauptsache getan, obwohl die Beklagte die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hatte. Diese hatte bereits in der Klageerwiderung, die innerhalb der vom SG gesetzten Frist dort eingegangen ist, die Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend gemacht. Das SG wäre deshalb gehalten gewesen, nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu entscheiden. Dies ist nicht erfolgt. In einem derartigen Fall hindert § 17 a Abs. 5 GVG das Rechtsmittelgericht nicht an der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs (BSG Urteil vom 29.11.1995 - 3 RK 32/94 - SozR 3-2500 § 133 Nr. 1; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2008 Rn. 49). Das Berufungsgericht hat vielmehr vorab durch Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden (Kissel/Mayer, GVG, § 17 Rn. 28 m.w.N.).

III.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben.

Die Entscheidung der Zertifizierungsstelle über die Zulassung einer Maßnahme nach § 85 SGB III stellt jedenfalls eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der sonstigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit dar, für die nach § 51 Abs. 1 Nr. 4 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist. Zum Arbeitsförderungsrecht zählt eine Streitigkeit, wenn die Möglichkeit gegeben ist, dass die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im SGB III findet (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 51 Rn. 29).

Die Entscheidung der Zertifizierungsstelle stellt einen Verwaltungsakt dar. Dies folgt insbesondere aus dem Wortlaut der Verordnung. So bestimmt z.B. § 10 AZWV, dass die Zertifizierungsstelle über den Antrag auf Zulassung entscheidet. Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 AZWV hat sie bei Vorlage der Voraussetzungen der §§ 8 und 9 die Zulassung zu erteilen. Sie ist gemäß § 11 AZWV verpflichtet, die Zulassung unter bestimmten Voraussetzungen "zu entziehen". All diese Formulierungen lassen nur den Schluss zu, dass die Zertifizierungsstellen als sog. "beliehene Unternehmer" Verwaltungsakte erlassen (Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, 87. Lieferung Februar 2009, vor §§ 84 bis 87 Rn. 15).

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht unter Zugrundelegung der Motive des Verordnungsgebers. Im Übrigen ist in der Begründung zur AZWV im allgemeinen Teil (Seite 1 Zweiter Absatz) selbst ausgeführt, dass die den Agenturen für Arbeit obliegenden Prüfungsaufgaben von externen Zertifizierungsagenturen zu übernehmen sind und diese über die Zulassung (Zertifizierung) von Bildungsträgern und Maßnahmen zur Weiterbildungsförderung zu entscheiden haben.

Für die rechtliche Qualifizierung der Anerkennung einer Maßnahme als Verwaltungsakt spricht auch § 2 Nr. 7 AZWV. Danach ist eine Zertifizierungsstelle als fachkundige Stelle im Sinne der § 84 und 85 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch anzuerkennen, wenn sie ein Verfahren zur Prüfung von Beschwerden eingerichtet und die Möglichkeit hat, bei erheblichen Verstößen gegen die Rechtsverordnung eine Zulassung wieder zu entziehen. Die Entziehung als actus contrarius der Bewilligung ist danach als Verwaltungsakt zu qualifizieren, was dafür spricht, auch die Bewilligung als solchen zu beurteilen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass z.B. in § 57 SGB III die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Denn dort dient die Stellungnahme der fachkundigen Stelle lediglich der Vorbereitung der Entscheidung durch die Bundesagentur für Arbeit. Bei den Entscheidungen nach den §§ 84, 85 SGB III hat die fachkundige Stelle hingegen die Zulassungsentscheidung selbst zu treffen.

Zu einer anderen Beurteilung führt schließlich auch nicht der Umstand, dass Zertifizierungen in anderen Bereichen privatrechtlich ausgestaltet sind, da hierfür andere Voraussetzungen gelten.

Die Beschwerde wird zugelassen (§§ 177 SGG, 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).
Rechtskraft
Aus
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