L 13 R 2186/11 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3492/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2186/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen den im Verfahren S 11 R 3492/10 ergangenen Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 27. April 2011.

Die Klägerin hat am 20. August 2010 beim SG Klage erhoben mit dem Ziel der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nachdem die Klägerin ihre Klage begründet hat und das SG verschiedene Ärzte als sachverständige Zeugen befragt hatte, hat das SG mit Verfügung vom 17. März 2011 Dr. Heiko M. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt.

Die Klägerin hat den Gutachter mit Schriftsatz vom 15. April 2011 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sie sei ein schwergeschädigtes Kunstfehleropfer eines Zahnarztes, dessen Praxis ca. einen Kilometer von der Praxis des Gutachters entfernt sei. Der Zahnarzt arbeite ganzheitlich und somit fachübergreifend auch mit Orthopäden in der näheren Umgebung zusammen. Ein offenes Geheimnis sei, dass der BGH bei ärztlichen Kunstfehlern Gutachtern bei ortsansässigen Ärzten mangelnde Objektivität vorgeworfen habe. Außerdem sei ihr kein Beschluss über die Bestellung des Gutachters zugegangen. Die Klägerin hat die Bestellung eines anderen Gutachters, außerhalb von Baden-Württemberg, begehrt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das SG diesen Antrag abgelehnt und ausgeführt, alleine die Tatsache, dass sich die Praxis des Gutachters lediglich einen Kilometer von der Praxis des Zahnarztes entfernt befinde, begründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Besorgnis der Befangenheit. Es sei auch nicht Aufgabe des Gutachters darüber zu befinden, ob dem damaligen Zahnarzt ein Fehler unterlaufen sei. Dementsprechend könne auch aus diesem Gesichtspunkt die Unparteilichkeit des Gutachters nicht angezweifelt werden.

Gegen den ihr am 29. April 2011 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 30. Mai 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Beschwerde eingelegt. Neben ausführlichen Schilderungen der schädigenden Ereignisse und des bisherigen Rentenverfahrens hat die Klägerin u.a. mitgeteilt, da Gutachter auch Ärzte seien und alle Ärzte Pflichtmitglieder der Ärztekammer seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ärztekammer "evtl. ein Interesse" daran habe, dass keine weiteren kunstfehlerbedingten Körperschäden mehr festgestellt würden. Der Gutachter befinde sich daher in einer Interessenskollision, weil er es sich mit "mächtigen Ärztefunktionären und entsprechenden Politikern nicht verscherzen" wolle. In den Printmedien und im Fernsehen werde immer wieder berichtet, welche Macht die Ärztekammern hätten. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der frühere Zahnarzt mit dem Gutachter zusammenarbeite. Gerade die Ortsnähe eines Gutachters zu dem sie schädigenden Zahnarzt sei nicht gerade vertrauenserweckend. Es gehe auch nicht um die Feststellung einer normalen Krankheit sondern um einen erheblichen Körper- und Gesundheitsschaden in Folge der Schadensereignisse von 1994. Daher sei die Fragestellung an den Gutachter mangelhaft und verschleiere den tatsächlichen Sachverhalt. Auch habe das SG seinen Beschluss gemacht, als sich die Akten noch beim Gutachter befunden hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG), sie ist jedoch unbegründet.

Nach § 118 Abs. 1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) auch insoweit anzuwenden, als diese die Ablehnung eines Sachverständigen betreffen. Nach §§ 406 Abs. 2 Satz 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Ob der Befangenheitsantrag aus dem am 20. April 2011 beim SG eingegangenen Fax (Datum des Schriftsatzes vom 15. April 2011) gegen den mit Verfügung vom 17. März 2011 beauftragten Gutachter - der Gutachtensauftrag wurde am 18. März 2011 versandt - in diesem Sinne noch rechtzeitig ist, kann letztlich offen bleiben; insoweit kann der Senat schon nicht feststellen, wann die Klägerin erstmals von der Beauftragung des Gutachters erfahren hat.

Jedenfalls ist der Antrag aber unbegründet.

Nach §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Antragstellers scheiden aus (Thomas Putzo, ZPO, 32. Auflage, § 42 Rdnr. 9).

Die von der Klägerin vorgebrachten Umstände begründen eine solche Besorgnis nicht.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass schon die Bestellung des Gutachters nicht deswegen an einem Mangel leidet, weil das SG keinen förmlichen Beweisbeschluss gefertigt hat. Denn im Rahmen der Beweiserhebung nach § 106 Abs. 2 SGG, wozu er nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG auch die Begutachtung durch Sachverständige anordnen darf, ist der Erlass eines förmlichen Beweisbeschlusses nicht gesetzlich vorgesehen und daher nicht erforderlich (BSG, Beschluss vom 27. März 2003 - B 11 AL 259/02 B - juris; Keller in: Meyer-Ladweig/ Keller / Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 118 Rdnr. 8c).

Auch soweit das SG zu einem Zeitpunkt entschieden hat, als sich die Akten noch beim Gutachter befanden, begründet dies weder einen Verfahrensfehler noch einen Umstand, der bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Gutachter begründen könnte. Denn die Klägerin hat dem SG ausführlich die Gründe mitgeteilt, weshalb sie - subjektiv - meint, der Gutachter sei befangen. Dies genügt als Basis für die Entscheidung des SG.

Soweit das SG im Gutachtensauftrag nicht ausdrücklich auf die zahnärztlichen Schädigungen der Klägerin hingewiesen hat, begründet auch dies weder einen Verfahrensfehler noch einen Umstand, der bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Gutachter begründen könnte. Denn der Gutachter wird sich die medizinisch relevanten Umstände des gesamten Falles aus der Aktenlage - worin die zahnärztliche Problematik dokumentiert ist - und der Untersuchung der Klägerin erheben. Eines gesonderten Hinweises des SG auf Schädigungen bzw. Unfallfolgen der Klägerin bedurfte es daher nicht.

Die von der Klägerin angesprochene Ortsnähe von Gutachter und schädigendem Zahnarzt oder die gemeinsame Mitgliedschaft in berufsständischen Vereinigungen - wobei hier zu beachten ist, dass der Gutachter wohl Pflichtmitglied der Ärztekammer der Zahnarzt aber Pflichtmitglied der Zahnärztekammer sein dürfte - begründen für einen objektiven und vernünftigen Betrachter kein Misstrauen gegen den vorliegend vom SG ermessensfehlerfei ausgewählten Gutachter. Auch soweit der BGH, wie von der Klägerin angegeben, Misstrauen gegen Gutachter in ärztlichen Schadensersatzprozessen nicht auszuschließen gemeint hat, so kann dieser Gedankengang nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen werden, denn es geht vorliegend nicht um die Begutachtung im Zusammenhang mit einem Schadensersatzprozess wegen eines ärztlichen Kunstfehlers sondern um eine Begutachtung im Zusammenhang mit der Feststellung der Voraussetzungen von Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI. Weshalb hier der Gutachter zugunsten eines fachfremden Kollegen nicht unparteiisch sein sollte, hat die Klägerin auch nicht einmal im Ansatz darzulegen vermocht.

Soweit sie auf die "Macht der Ärztekammern" und von Politikern abstellt, liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der vom SG ausgewählte Arzt solchen Mechanismen bzw. Zwängen ausgesetzt ist bzw. diesen unterliegen sollte.

Dass der Gutachter mit dem früheren, die Klägerin schädigenden Zahnarzt zusammenarbeitet, hat die Klägerin ebenso wenig glaubhaft gemacht (§ 406 Abs. 3 ZPO), wie auch vernünftige Umstände, weshalb der Gutachter das vom SG in Auftrag gegebene Gutachten nicht unparteiisch erstellen sollte.

Abschließend sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem vom SG ausgewählten Sachverständigen rechtfertigen könnten. Das SG hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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