L 6 SF 23/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 U 99/09
Datum
-
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 SF 23/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts Halle, Richterin B., wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Verfahrensgegenstand ist die Ablehnung der Vorsitzenden der 15. Kammer des Sozialgerichts (SG) Halle, Richterin B., wegen der Besorgnis der Befangenheit.

Die Beteiligten streiten im Klageverfahren über die Feststellung von Unfallfolgen und die Zahlung einer Verletztenrente. Mit ihrer am 17. Juli 2009 vor dem SG Halle erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2009. Mit diesem erkannte die Beklagte den Unfall der Klägerin vom 9. Januar 1997 mit einer folgenlos ausgeheilten Zerrung der Halswirbelsäule als Arbeitsunfall an und lehnte neben der Feststellung zusätzlicher Unfallfolgen die Erbringung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 7. März 1997 hinaus ab.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2010 hat die Kammervorsitzende die Klägerin darauf hingewiesen, dass das SG nicht an die Feststellungen eines von der Klägerin vorgelegten Urteils des Landgerichts Halle vom 1. Juni 2005 (7 O 510/01) gebunden sei und die Klage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand wohl keine ausreichende Erfolgsaussicht biete. Abzustellen sei anstatt auf jetzige Feststellungen eher auf ältere (unfallnahe) Befunde. Zudem enthielten von der Klägerin herangezogene Gutachten teilweise keine Aussagen zu Ursachenzusammenhängen bzw. seien nicht nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung erstellt worden. Insoweit werde die Klägerin um weiteren Sachvortrag gebeten, warum das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten des Sachverständigen M.-C. unzutreffend sei.

Nachdem die Klägerin hierzu mit Schreiben vom 23. April 2010 Stellung genommen und die Kammervorsitzende mit Verfügung vom 23. August 2010 auf die Antragsmöglichkeit nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufmerksam gemacht hatte, hat die Klägerin unter ausführlicher Darlegung ihrer Ansicht unter dem 21. Oktober 2010 vorsorglich beantragt, drei bestimmte Mediziner nach § 109 SGG gutachtlich zu hören.

Mit richterlichem Hinweisschreiben vom 23. März 2011 hat die Kammervorsitzende an ihrer Einschätzung festgehalten und unter näherer Auseinandersetzung mit den von der Klägerin angeführten Gutachten der Dres. H., Z. und Prof. H. dargelegt, warum von Amts wegen weiterhin keine Ermittlungen für erforderlich gehalten würden. Im Übrigen hat sie die Klägerin u.a. um Mitteilung gebeten, ob hinsichtlich des Antrags nach § 109 SGG Stellungnahmen nach Aktenlage oder (ambulanter) Untersuchung begehrt würden sowie eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen gesetzt.

Am 21. April 2011 hat die Klägerin die Kammervorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Auseinandersetzung mit den vorgelegten Gutachten im Hinweis vom 23. März 2011 stelle eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin aufkommen lasse. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die unter Bezugnahme auf den Gutachter M. getroffene Feststellung, dass sie (die Klägerin) beim Unfall keine knöchernen Verletzungen erlitten habe. Bei ihr sei der Eindruck entstanden, sie solle kein faires rechtsstaatliches Verfahren bekommen.

Die Klägerin beantragt,

die Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts Halle, Richterin B., wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Am 28. April 2011 hat sich die Kammervorsitzende dienstlich zum Ablehnungsgesuch geäußert und dieses – einschließlich der Verfahrensakte S 15 U 89/09 – dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Sie halte das Gesuch für unbegründet. Anknüpfend an die Hinweise vom 5. Februar und 23. August 2010 habe das Schreiben vom 23. März 2011 zur Verdeutlichung gedient, warum derzeit keine Ermittlungen von Amts wegen erfolgten. Eine endgültige Entscheidung, die sie allein ohnehin nicht treffen könne, sei damit nicht verbunden gewesen.

Die Beklagte sieht im Schreiben der Kammervorsitzenden vom 23. März 2011 keine vorweggenommene Beweiswürdigung.

Die Klägerin hat zur dienstlichen Äußerung keine Stellung genommen.

II.

Das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der 15. Kammer des SG Halle, Richterin B., ist unbegründet.

Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG die §§ 41 bis 44, 45 Abs. 2 Satz 2, 47 bis 49 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die Besorgnis der Befangenheit des Richters ist anzunehmen, wenn objektive Umstände gegeben sind, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, sind nur solche objektiven Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei verständiger Betrachtung die Befürchtung aufkommen lassen können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber und werde damit nicht unparteiisch entscheiden. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 42 Rn. 10; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 42 Rn. 8 f. m.w.N.). Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist oder ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung eines ruhig und vernünftig denkenden Beteiligten Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 9).

Nach Würdigung des Vorbringens der Klägerin, der dienstlichen Äußerung der betroffenen Richterin sowie Durchsicht der Verfahrensakten lassen sich bei Anlegung dieses Maßstabs aus dem richterlichen Hinweis vom 23. März 2011 keine durchgreifenden Anhaltspunkte für die Parteilichkeit oder Voreingenommenheit der abgelehnten Richterin entnehmen. Die bisherige Art der Verfahrensführung lässt keine Besonderheiten erkennen, die darauf schließen lassen könnten, sie sei gerade der Klägerin gegenüber aus unsachlichen Gründen als voreingenommen anzusehen.

Der Richter ist bei der Handhabung des Verfahrens und Entscheidung über den Rechtsstreit an Gesetz und Recht gebunden. Die sich daraus ergebenden Vorgaben hat er ohne Ansehen der Person des Rechtssuchenden nach bestem Wissen und Gewissen zu beachten. Dabei kann es vorkommen, dass er zu einer anderen (vorläufigen) Rechtsauffassung gelangt, als der Rechtssuchende. Daraus allein folgt jedoch noch keine Besorgnis der Befangenheit. Im Rahmen der richterlichen Fürsorgepflicht und im Hinblick auf das Verbot von Überraschungsentscheidungen liegt es vielmehr gerade auch im Interesse der Beteiligten, möglichst frühzeitig die Einstellung des Richters zu den für den Prozessausgang maßgeblichen rechtlichen Problemen zu erfahren. Damit wird ihnen zugleich Gelegenheit gegeben, ihre möglicherweise gegenteilige Ansicht nochmals zu erläutern und dabei weitere entscheidungserhebliche Gesichtspunkte stärker hervorzuarbeiten. Andererseits verpflichtet das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs das Gericht jedoch nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen relevanten Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung einzelner Umstände vollständig offenzulegen. Vorliegend hat der richterliche Hinweis vom 23. März 2011 der Klägerin vermittelt, dass die Kammervorsitzende das Gutachten des Sachverständigen M.-C. für schlüssig halte. Somit war für die Klägerin zu erkennen, dass sie gegebenenfalls (weitere) Einwände gegen dieses Gutachten vorzubringen bzw. sich mit diesem (näher) auseinanderzusetzen hat, um seinen Beweiswert zu erschüttern.

Auch die Art und Weise des richterlichen Hinweises begründet keine Voreingenommenheit. Insbesondere folgt aus ihm nicht, dass eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits, zu der die 15. Kammer des SG Halle und nicht Richterin B. als deren Vorsitzende berufen ist, nur noch Formsache wäre. Soweit die Richterin schließlich eine Stellungnahmefrist von vier Wochen gesetzt hat, ist sie unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer der Prozessförderungspflicht nachgekommen.

Weitere auf das konkrete Verfahren bezogene und erhebliche Aspekte für eine etwaige Befangenheit der abgelehnten Richterin hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie für den Senat sonst erkennbar, so dass das Ablehnungsgesuch nach alledem als unbegründet zurückzuweisen war. Das Verfahren ist von der nach der Geschäftsverteilung des SG Halle zuständigen Richterin B. fortzusetzen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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