L 1 U 365/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 7083/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 365/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Beschwerden im Bereich der Unterarme als Berufskrankheit (BK).

Mit Schreiben vom 22. Juli 2003 meldete die AOK gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch an. Der 1964 geborene Kläger, der von Februar 1987 bis Juli 2002 als Druckerhelfer, ab August 2002 als Arbeiter in der Farbmischerei einer Druckerei (Herstellung von Faltschachteln und Kartonagen) im Wesentlichen mit dem Anmischen von Farbe beschäftigt war, habe am 12. November 2002 einen Unfall erlitten. Beim Farbe anrühren für die Druckmaschine habe er starke Schmerzen im Arm verspürt. Als Diagnosen wurden eine sonstige Enthesopathie, Läsion und somatoforme Schmerzstörung mitgeteilt. Aktenkundig ist des Weiteren u.a. der Arztbrief der Dr. Z.-W. vom 11. August 2003 (der Kläger hatte am 12. November 2002 über Nacht plötzlich aufgetretene Schmerzen im rechten Ellenbogen; keine Berufskrankheit, auch wenn Kläger Beschwerden auf Tätigkeit als Farbmischer zurückführe). Am 10. Januar 2003 wurde der Nervus ulnaris freigelegt und eine Neurolyse durchgeführt, ohne dass sich der subjektive Befund verbesserte. Die Beklagte teilte daraufhin der Krankenkasse mit, dass eine unfallbedingte Erkrankung nicht vorliege und stellte das Verfahren ein.

Am 1. Oktober 2007 erreichte die Beklagte der Durchgangsarztbericht des Dr. H.vom 24. September 2007 (chronisches Schmerzsyndrom beider Unterarme; darüber hinaus somatoforme Schmerzstörung, depressive Verstimmung). Der Kläger fordere die berufsgenossenschaftliche Behandlung seines Falles und sei der festen Überzeugung, dass seine gesundheitlichen Probleme mit der Arbeit in der Farbmischerei zu tun hätten. Aktenkundig ist des Weiteren der Bericht der Fachklinik Enzensberg vom 12. Juli 2007 (Schmerzen im Unterarm beidseits ungeklärter Ätiologie; differentialdiagnostisch: Berufskrankheit bei Zustand nach Sulcus ulnaris OP 1/03; Lumboischialgie; zervikocranielles Syndrom; arterieller Hypertonus; anhaltende somatoforme Schmerzstörung; sonstiger chronischer Schmerz; mittelgradige depressive Episode). Die Beklagte nahm sodann Ermittlungen auf, befragte den Kläger nach seinen Tätigkeiten und den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen und zog u.a. Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bei (seit 3/05 Pflegestufe I empfohlen), der Agentur für Arbeit (Gutachten des Ärztlichen Dienstes vom 19. Mai 2004) sowie Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung (u.a. Gutachten vom 13. Mai 2004, Fachkliniken H. im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart [Az: R 7 RJ 767/04] - somatoforme Schmerzstörung bei psychischen Krankheitsfaktoren, keine Hinweise auf eine Läsion oder Erkrankung im Bereich des peripheren oder zentralen Nervensystems als Ursache der geklagten Beschwerden; Reha-Entlassungsbericht vom 5. Februar 2005 - u.a. schwere somatoforme Schmerzstörung; mittelgradige depressive Episode; chronisch degeneratives HWS- und LWS-Syndrom; Rentengutachten vom 31. Oktober 2007 Dr. H., Neurologe und Psychiater) sowie des Regierungspräsidiums/Versorgungsamt über die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei.

Der Präventionsdienst der Beklagten erstattete unter dem 28. April 2008 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition (BK 2106/ inhalative Schadstoffe) und kam zusammenfassend zum Schluss, dass an den Arbeitsplätzen des Klägers nicht von einer Überschreitung der Grenzwerte, z.B. bezüglich Kohlenwasserstoffgemischen, Isopropanol auszugehen sei. Es lasse sich auch keine außergewöhnliche inhalative Belastung feststellen. Ob es sich bei den mechanischen Belastungen um eine Druckschädigung der Nerven im Sinne der BK 2106 handle, könne nicht abschließend beurteilt werden. Das Mischen der Druckfarben mit Hilfe eines Spachtels benötige zwar einen gewissen Kraftaufwand, es handle sich hierbei jedoch um relativ kurzzeitige Belastungen. Beigefügt waren die Sicherheitsdatenblätter der verwendeten Materialien.

Nach Beteiligung des staatlichen Gewerbearztes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2008 die Anerkennung der Unterarmbeschwerden als BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sowie nach § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine BK ab. Die Erkrankungen des Klägers gehörten nicht zu den von der Berufskrankheitenliste erfassten Erkrankungen. Auch seien die Voraussetzungen für die Anerkennung wie eine BK nicht erfüllt.

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2008 zurückgewiesen.

Am 22. Oktober 2008 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, er sei im letzten Beschäftigungsbetrieb ständig erheblichen chemischen Expositionen ausgesetzt gewesen. Dies sei auch der Fall gewesen, als er noch als Druckerhelfer gearbeitet habe. Es sei auch davon auszugehen, dass die zulässigen Grenzwerte überschritten worden seien. Im Übrigen habe sich sein gesundheitlicher Zustand weiter verschlimmert. Die Beklagte hat sich gegen eine berufliche Verursachung der bestehenden Erkrankungen gewandt und weitere Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung übersandt.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG zunächst (15. Dezember 2009) Dr. Z. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt. Als behandelnder Arzt hat dieser die Erstellung des Gutachtens abgelehnt (Stellungnahme vom 1. Februar 2010). Daraufhin hat der Klägerbevollmächtigte Dr. W. als Gutachter benannt (Schriftsatz vom 17. Februar 2010; Gutachtensauftrag vom 18. Februar 2010). Mit Schreiben vom 23. Februar 2010 hat dieser mittgeteilt, er habe sich dem Bevollmächtigten gegenüber nur bereit erklärt, eine gutachterliche Stellungnahme abzugeben. Er sei nicht in der Lage, sich zu Kausalzusammenhängen zu äußern und sehe sich als Behandler auch als befangen an. Der Klägerbevollmächtigte ist sodann mit gerichtlichem Schreiben vom 26. Februar 2010 aufgefordert worden, einen neuen, übernahmebereiten Gutachter zu benennen. Dem ist der Bevollmächtigte unter dem 9. April 2010 (nach Erinnerung) durch Benennung des Prof. Dr. W. nachgekommen. Unter dem 26. April 2010 hat das SG das Gutachten in Auftrag gegeben unter Fristsetzung bis 27. August 2010. Am 13. Juli 2010 hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, der Untersuchungstermin sei auf die Zeit nach Urlaubsrückkehr des Klägers (24. September 2010) vereinbart worden. Daraufhin ist dem Bevollmächtigten unter Hinweis auf § 109 Abs. 2 SGG mitgeteilt worden, dass davon ausgegangen werde, dass spätestens am 24. September 2010 die Begutachtung durchgeführt werde. Mit Schreiben vom 8. September 2010 hat daraufhin der beauftragte Gutachter dem SG als Untersuchungstermin den 4. Oktober 2010 mitgeteilt, kurz darauf ist als neuer Termin der 5. Oktober 2010 übermittelt worden, nachdem der Kläger am 4. Oktober 2010 nicht zum Termin erschienen sei. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2010 hat das SG den Gutachtensauftrag unter Verweis auf § 109 Abs. 2 SGG aufgehoben.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 30. Dezember 2010 die Klage abgewiesen. Es fehle bereits an einer konkreten Funktionsbeeinträchtigung, die rechtlich wesentlich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückgeführt werden könne. Auch habe keine Veranlassung bestanden, über § 9 Abs. 2 SGB VII eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes vorzunehmen. Zu Recht sei auch der Gutachtensauftrag nach § 109 SGG aufgehoben worden, denn der Kläger habe diesbezüglich Mitwirkungspflichten verletzt; durch die Einholung des Gutachtens wäre die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden.

Gegen den dem Bevollmächtigten am 12. Januar 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser für den Kläger am 25. Januar 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung wird vorgetragen, dass das SG unzureichend ermittelt habe, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII erfüllt seien. Unter dem 1. April 2011 hat der Klägerbevollmächtigte ergänzend mitgeteilt, beim Kläger sei eine Zungenkrebserkrankung festgestellt worden, die auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei, denn mehrere Mitarbeiter des ehemaligen Beschäftigungsbetriebs würden ebenfalls an dieser Krankheit leiden. Der Kläger hat das im Verfahren S 22 R 2106/09 vor dem SG im Rentenrechtsstreit erstellte Gutachten des Dr. P. vom 28. September 2010 übersandt.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Dezember 2010 sowie den Bescheid vom 10. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Unterarmbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung bzw. wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach §§ 143, 144 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Die Anerkennung der Unterarmbeschwerden des Klägers als oder wie eine BK ist zu Recht abgelehnt worden.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [(SGB VII)]. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 2. April 2009 (B 2 U 9/08 R = SGb 2009, 355) ausgeführt hat, lassen sich aus der gesetzlichen Formulierung bei einer BK, die in der BKV aufgeführt ist (sog. Listen-BK) im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7, jeweils RdNr. 15; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 13 ff).

Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs durch den 2. Senat des BSG (vgl. BSG vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16; BSG vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 1) hat das BSG in der genannten Entscheidung betont, dass im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl. nur BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann ggf. zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Nach Maßgabe dieser für das BK-Recht modifizierten Terminologie des BSG fehlt es vorliegend bereits an einer Erkrankung im Bereich der Unterarme, die von § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung als Berufskrankheit anerkannt werden könnte.

Im Bereich der Unterarme war im Januar 2002 zunächst rechts ein Sulcus-ulnaris-Syndrom festgestellt worden, was sodann zu einer Neurolyse führte, die jedoch die subjektive Beschwerdelage des Klägers nicht verbessert hatte. Im weiteren Verlauf wurde eine Schmerzsymptomatik auch im linken Unterarm beklagt. Eine umfassende neurologische Diagnostik, die im März/April 2003 durchgeführt worden war, blieb ebenso ohne Befund wie eine im April 2003 durchgeführte Muskelbiopsie in der Uniklinik Tübingen. Dieser Krankheitsverlauf ist insbesondere im ärztlichen Gutachten der LVA Baden-Württemberg vom 29. März 2003 umfassend dargestellt, ergibt sich im Übrigen auch aus den aktenkundigen Arztbriefen und Berichten.

Diese unspezifische Schmerzsymptomatik, die auf keine objektiven Veränderungen zurückgeführt werden kann, ist unter keine der in der Anlage zur BKV aufgeführten Listenkrankheiten zu fassen, insbesondere nicht unter die Erkrankungen der Listennummer 2 (durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten). Soweit - sinngemäß - vorgetragen wird, der Kläger sei während seiner Tätigkeit Dämpfen und anderen Noxen ausgesetzt gewesen, kann offen bleiben, ob und inwieweit der Kläger solchen Stoffen tatsächlich ausgesetzt war (auf den Bericht des Präventionsdienstes der Beklagten zur letzten Tätigkeit des Klägers in der Farbmischerei wird hingewiesen), denn ein medizinischer Zusammenhang zwischen den vom Kläger im Bereich der Unterarme geschilderten Beschwerden und der behaupteten inhalativen Belastung ist weder erkennbar noch von irgendeinem der zahlreichen, mit dem Gesundheitszustand des Klägers befassten Ärzte oder Gutachter auch nur erwähnt worden.

Auch die Anerkennung der Schmerzerkrankung in den Unterarmen wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII ist ohne Rechtsfehler abgelehnt worden.

Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VII).

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl. BSG vom 30. Januar 1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr. 27) oder jedenfalls geltend gemacht werden, denn die Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel (vgl. BSG vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 17 RdNr 31 mwN). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Berufskrankheitenliste (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77 f). Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen. (2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein. (3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen: Es muss demnach eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein, und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen. (4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein. (5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein (zusammenfassend BSG vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R, juris).

Wie schon zu § 9 Abs. 1 SGB VII ausgeführt, mangelt es auch im Rahmen des § 9 Abs. 2 SGB VII an spezifischen Beschwerden bzw. einer Erkrankung an den Unterarmen, deren Anerkennung begehrt wird. Aber selbst wenn ein - unspezifisches - Schmerzsyndrom als "Krankheit" in diesem Sinne unterstellt würde, fehlen jegliche Hinweise oder Anhaltspunkte dafür, dass es aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gebe, dass die Personengruppe der Druckereihilfsarbeiter/Arbeiter in der Farbenmischerei in höherem Maß als die Gesamtbevölkerung unter einem Schmerzsyndrom leidet, das auf die beruflichen Einwirkungen zurückgeführt werden kann. Weitere Ermittlungen des Senats waren deshalb nicht angezeigt.

Die Einwendungen des Klägerbevollmächtigten im Berufungsverfahren hinsichtlich des erster Instanz gestellten Antrags nach § 109 SGG vermögen eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die unterbliebene Mitwirkung des Klägers an der von ihm selbst beantragten Untersuchung nach § 109 SGG von weiteren Ermittlungen enthebt.

Gemäß § 109 Absatz 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Dieses Antragsrecht, mit dem der Untersuchungsgrundsatz (§§ 103 und 106 SGG) durchbrochen wird, stellt eine Besonderheit des sozialgerichtlichen Verfahrens dar, die der Herstellung von "Waffengleichheit" zwischen den Beteiligten und dem Rechtsfrieden dient (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 109 Rn. 1 m.w.N.). Die Ablehnung des Antrages ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG möglich. Danach kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Für eine Verschleppungsabsicht sind vorliegend Anhaltspunkte nicht ersichtlich, so dass von vornherein lediglich die Tatbestandsalternative einer Verspätung aus grober Nachlässigkeit in Betracht kommt. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, wenn nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 109 Rn. 11, m.w.N.). Die Bejahung einer Verspätung kommt in Betracht, wenn der Beteiligte erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführt, oder wenn ihm das Gericht eine Frist für den Antrag setzt.

Der Klägerbevollmächtigte ist ausdrücklich auf die Folgen des § 109 Abs. 2 SGG hingewiesen worden für den Fall, dass nicht spätestens am 24. September 2010 die Begutachtung stattfindet. Zwar hat der Klägerbevollmächtigte den Antrag nach § 109 SGG bereits Ende 2009 gestellt und der Antrag ist damals auch zugelassen worden. Jedoch greift § 109 Abs. 2 SGG seinem Sinn und Zweck entsprechend auch dann ein, wenn zwar der Antrag bereits zugelassen worden ist, allerdings durch das Verhalten des Klägers die Durchführung der Begutachtung vereitelt wird und dadurch eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt, denn die Ermittlungspflicht des Gerichts ist durch Mitwirkungspflicht-/last des Klägers begrenzt (Meyer-Ladewig u.a. § 103 Rn. 14 ff).

Im Übrigen ist im Berufungsverfahren der Antrag nach § 109 SGG nicht mehr weiter verfolgt oder ein neuer Antrag gestellt worden.

Soweit vom Klägerbevollmächtigten zuletzt noch vorgebracht worden ist, der Kläger sei an einem Zungenkarzinom erkrankt, das beruflich verursacht sei, ist dies nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Vielmehr hat die Beklagte auf Antrag des Klägers hierüber ein gesondertes Feststellungsverfahren durchzuführen (vgl. hierzu auch BSG vom 20. Juli 2010 aaO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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