L 1 U 1559/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1559/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens L 1 U 2336/10 wird abgelehnt.

Es wird festgestellt, dass das Verfahren L 1 U 2336/10 wirksam beendet worden ist.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die wirksame Beendigung des Verfahrens L 1 U 2336/10.

Im Verfahren L 1 U 2336/10 vor dem Landessozialgericht stand im Streit, ob nach Maßgabe des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Beklagte verpflichtet war, das Ereignis vom 2. Mai 2002 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Den Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. März 2011 hatte der 1948 geborene Kläger ohne seinen Bevollmächtigten wahrgenommen und nach Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses erklärt, er ziehe die Berufung zurück. Dies wurde ihm ausweislich des Protokolls vorgespielt und von ihm genehmigt.

Mit Schreiben vom 10. April 2011 hat sich der Kläger an das Landessozialgericht gewandt und ausgeführt, er sei bei der Verhandlung am 29. März 2011 total überfordert gewesen und erinnere sich nur noch an wenig. Durch seine Schädelhirnverletzung, die er im Alter von 14 Jahren erlitten habe, leide er an einer Hirnleistungsschwäche. Ohne Nachfrage, warum die Berufung keinen Erfolg haben werde, habe er die Berufung zurückgezogen. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, was er mit dieser Aussage bewirke. Er sei nicht in der Lage, zum Zeitpunkt des Verfahrens wirksame Anträge zu stellen oder prozessbeendende Erklärungen abzugeben. Das Verfahren sei daher mit dem Stand, wie ursprünglich beantragt, wieder in Gang zu setzen.

Der Kläger beantragt,

das Verfahren L 1 U 2336/10 fortzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt aus, sie könne das Vorbringen des Klägers nicht nachvollziehen. Er habe im Termin nicht den Eindruck gemacht, dass er dem Verfahren nicht folgen könne. Auch habe der Kläger bereits in der Vergangenheit unterschiedliche Angaben zum fraglichen Unfallhergang vor Gericht gemacht. Falls sich der Kläger nicht in der Lage sehe, sich wirksam zu vertreten, müsse er für seine Betreuung sorgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere im Verfahren L 1 U 2336/11, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ist abzulehnen. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. März 2011 wirksam die Berufung im Verfahren L 1 U 2366/10 zurückgenommen.

Die Berufung kann bis zur Rechtskraft des Urteils oder des nach §§ 153 Abs. 4 oder § 158 Abs. 2 ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden. Die Zurücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Zurücknahme ist eine Prozesshandlung und setzt Prozessfähigkeit voraus (§ 71 SGG), also die Fähigkeit, den Prozess selbst oder durch einen selbst bestellten Prozessbevollmächtigten zu führen und Verfahrenshandlungen selbst oder durch den Vertreter wirksam vorzunehmen. Nicht geschäftsfähig und damit nicht prozessfähig sind Personen, die sich nicht nur vorübergehend in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden (§ 104 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]).

Es bestehen keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers und damit an der Wirksamkeit seiner vor dem Gericht erklärten Berufungsrücknahme im Termin vom 29. März 2011. Der Kläger hat zwar sinngemäß vorgetragen, sich am 29. März 2011 deshalb nicht wirksam vertreten zu haben, weil er bedingt durch die als Kind erlittene Schädelhirnverletzung in seiner Hirnleistung eingeschränkt gewesen sei. Doch weder ist der Kläger generell geschäfts- und damit prozessunfähig, noch gab es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger der Verhandlung nicht hätte folgen können, er den Sinn dessen, was mit ihm erörtert worden war oder die Auswirkung der von ihm erklärten Berufungsrücknahme nicht verstanden hat. Der Kläger hat sich zwar, bedingt durch seine Grunderkrankung, insgesamt in einem körperlich angegriffenen Zustand präsentiert. Allerdings war er sowohl in der Lage gewesen, die Anreise von seinem Wohnort zum Gerichtssitz in Stuttgart ohne Probleme zu bewältigen, hatte auch auf Nachfrage mehrfach dazu vorgetragen, warum sich aus seiner Sicht der im Verfahren L 1 U 2366/10 streitige Unfall anders als früher von ihm dargestellt ereignet haben sollte und hat auch zum Gutachten des Prof. Dr. Dr. B. vom Februar 2007 auf Nachfrage Stellung genommen. Unabhängig davon, ob dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. B. valide Erkenntnisse zu den angeblich eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten des Klägers entnommen werden können, hat dieser in einer retrospektiven Betrachtung nur Zweifel dahingehend geäußert, dass der Kläger im Mai 2002 in der Lage gewesen sei, die Bedeutung des "richtigen" Unfallverlaufs und einer wahrheitsgemäßen Aussage vor Gericht zu erkennen, nicht aber, dass der Kläger gänzlich außer Stande sei, geordnete Erklärungen abzugeben oder sich wirksam zu vertreten. Auch der im Verfahren L 1 U 2336/10 Bevollmächtigte hatte und hat bis heute keinen Anlass gesehen, von einer derart angegriffenen geistigen Gesundheit des Klägers auszugehen. Vielmehr hat er es dem Kläger freigestellt, den Termin am 29. März 2011 ohne seine Begleitung wahrzunehmen. Dass sich der Kläger möglicherweise in die Frage, ob das Geschehen im Jahr 2002 als versicherter Unfall anzuerkennen ist, verrannt hat und nicht die durch mehrfache Entscheidungen der Behörden und der Sozialgerichte deutlich aufgeführten Umstände akzeptieren will, die einer für ihn positiven Entscheidung entgegen stehen, vermag noch nicht die Annahme fehlender geistiger Klarheit zur Führung von Prozessen zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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