L 5 AS 437/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AS 2121/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 437/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die der Antragstellerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg, das ihn verpflichtet hat, der Antragstellerin vorläufig höhere Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli bis 30. November 2010 zu gewähren.

Die am 1967 geborene Antragstellerin war Eigentümerin eines 1029 qm großen Grundstücks mit einem vormals als Hotel und Gaststätte genutzten aufstehenden Gebäudes mit einer Wohnfläche von 450 qm in Alsleben. Im Rahmen der Zwangsversteigerung erwarb am 18. Juli 2007 die Schwester der Antragstellerin, Frau R., dieses Anwesen, das einen Verkehrswert von 102.258 EUR hatte, für 11.000 EUR. Am 31. Juli 2007 wurde über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Antragstellerin, die zwischenzeitlich in Halle Grundsicherungsleistungen bezog, stellte am 5. Juni 2008 beim Antragsgegner einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Sie reichte einen Mietvertrag mit der HGL Hauswartservice GmbH über eine 45 qm große Wohnung bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Flur, Bad/WC im Haus Schaperallee 4 in Alsleben ein, für die ab 1. Juni 2008 monatlich 276,75 EUR (Nettokaltmiete: 180 EUR, Betriebskosten: 49,50 EUR, Heizkosten 47,25 EUR) zu zahlen waren.

Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin ab 5. Juni 2008 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU).

Am 19. November 2009 gab der Antragsgegner zur Ermittlung der Wohnverhältnisse der Antragstellerin eine Prüfung in Auftrag. Diese verweigerte die Durchführung eines Hausbesuches. Nach weiteren erfolglosen Versuchen, Feststellungen zu den Wohnverhältnissen zu treffen, hörte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 15. Januar 2010 zur Aufhebung der mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 bewilligten KdU ab 1. Februar 2010 an. Es sei zweifelhaft, ob die separaten Räumlichkeiten, wie im Mietvertrag angegeben, im Haus vorhanden seien. Die ihr bis 25. Januar 2010 gesetzte Frist ließ die Antragstellerin ungenutzt verstreichen. Mit Bescheid vom 28. Januar 2010 hob der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Mai 2010 die Bewilligung der KdU auf. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin keinen Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 1. und 25. März 2010 drohte Frau R. der Antragstellerin wegen Zahlungsrückstandes der Miete ab Februar 2010 die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses an.

Auf den Antrag zur Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 8. Juli 2010 für den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2010 wiederum Leistungen ohne Berücksichtigung der KdU. Auch gegen diesen bescheid legte die Antragstellerin keinen Widerspruch ein. Zwischenzeitlich hatte Frau R. das Mietverhältnis mit Schreiben vom 31. Mai 2010 fristlos gekündigt. Die Mieträume seien bis zum 9. Juni 2010 zu räumen und in ordnungsgemäßem und vertragsgerechtem Zustand zurückzugeben. Sofern bis zum 15. Juni 2010 kein Zahlungseingang der Mieten für Februar bis Juni 2010 zu verzeichnen sei, werde umgehend Räumungsklage erhoben.

Am 8. Juni 2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig ab 1. Februar 2010 die KdU zu gewähren. Im Erörterungstermin vom 26. August 2010 hat sie sich mit einem Hausbesuch einverstanden erklärt. Sie hat zusätzlich angegeben, ihre Schwester habe ihr mitgeteilt, dass sie bis zum 15. September 2010 die Räumungsklage veranlassen möchte. Sie wisse nicht genau, wie ihre Schwester die Betriebskosten abrechnen wolle. Zurzeit seien sie (die Antragstellerin) und ihre Tochter, die auch im Hotel wohne, die einzigen Verbraucher, ihre Schwester stelle das Öl zur Verfügung. Aus ehemals 15 Hotelzimmern seien zwei Wohnungen aus jeweils zwei Hotelzimmern hergestellt worden. Die Nasszelle sei bereits vorhanden gewesen, es sei eine Küche mit eingebaut worden. Die restlichen Zimmer seien ungenutzt. Ihre Schwester wolle das Gebäude nach und nach umbauen. Der frühere Mietvertrag, in dem sie mit ihrer Schwester einen höheren Mietzins vereinbart habe, sei vernichtet worden. Da die ARGE in Halle die Zusicherung zum Umzug verweigert habe, weil die Miete nicht den Angemessenheitskriterien entsprochen hatte, sei der Mietzins entsprechend angepasst worden. Sie zahle monatlich 17,00 EUR zusätzlich an ihre Schwester bzw. diese rechne den Betrag auf mit Gartenarbeiten, die sie für sie erledige.

Der Antragsgegner hat am 14. September 2010 einen Hausbesuch durchgeführt. Hinsichtlich der Einzelheiten der Feststellungen wird auf das Protokoll des Hausbesuchs (Bl. 76 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.

Im Erörterungstermin vom 15. Oktober 2010 hat das Sozialgericht Frau R. als Zeugin vernommen. Der Senat verweist auf den Inhalt des Protokolls (Bl. 93 ff. der Gerichtsakte).

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 23. Oktober 2010 den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung der KdU für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. November 2010 durch Auszahlung in Höhe von 276,75 EUR monatlich an die HGL Hauswartservice GmbH zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid vom 8. Juli 2010 sei mangels Einlegung eines fristgerechten Widerspruchs durch die Antragstellerin zwar bestandskräftig geworden. Im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes habe die Antragstellerin jedoch einen Überprüfungsantrag gem. § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) gestellt. An die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes seien daher besonders hohe Anforderungen zu stellen. Für den im Verfahren geltend gemachten Zeitraum vom 1. Februar bis 30. Juni 2010 sei ein solcher nicht glaubhaft gemacht worden. Nach der Erklärung der Zeugin beabsichtige diese, die Räumungsklage zurückzuziehen, wenn die Mietzahlungen für den Zeitraum ab Juli 2010 erfolgten.

Die Antragstellerin habe jedoch einen Anordnungsgrund für den Zeitraum ab 1. Juli 2010 glaubhaft gemacht. Ihr drohe nach der Kündigung des Mietverhältnisses nunmehr die zwangsweise Durchsetzung der Räumung mittels Räumungsklage. Die Räumungsklage sei am 15. Oktober 2010 - offenbar nach Erörterung und Zeugenvernehmung im Termin der nichtöffentlichen Sitzung beim Sozialgericht - per Fax beim Amtsgericht eingelegt worden.

Im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs sei zu berücksichtigen, dass ein Mietvertrag über Wohnraum grundsätzlich wie alle schuldrechtlichen Verträge wirksam formfrei abgeschlossen werden könne. Entscheidend sei der entsprechende rechtliche Bindungswillen der beteiligten Vertragsparteien. Erschienen die geltend gemachten Kosten für die Unterkunft zu hoch, werde einem Missbrauch dadurch vorgebeugt, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II nur "angemessene" Kosten zu übernehmen seien. Dem Antragsteller sei zwar zuzugeben, dass die Umstände des Zustandekommens des Mietvertrages ebenso wie dessen Durchführung unklar seien. Die Zeugin R. habe zudem Angaben gemacht, die offensichtlich so nicht den Tatsachen entsprächen. Soweit sie einen Mietvertrag mit der Tochter der Antragstellerin verneint habe, habe ein solcher dem Antragsgegner vorgelegen. Dieser habe auch hierauf Leistungen an die Zeugin für KdU gezahlt. Zudem sei fraglich, ob die Zeugin nun selbst Vermieterin der Mietwohnung der Antragstellerin sein wollte. Dafür sprächen die Formulierungen in den Zahlungsaufforderungen und die Räumungsklage. Der Mietvertrag sei jedoch mit der HGL Hauswartservice GmbH, deren Geschäftsführerin die Zeugin sei, geschlossen worden. Das Mietverhältnis mit der Tochter der Antragstellerin habe die Zeugin selbst als Vermieterin vereinbart. Die damit in Zusammenhang stehenden Ungereimtheiten seien im Rahmen des Eilverfahrens jedoch nicht zu klären.

Maßgeblich sei, dass die Zeugin den Eindruck vermittelt habe, ihre Schwester nicht kostenlos im Objekt wohnen lassen zu wollen. Dies sei plausibel, da sie neben den Nebenkosten den Kredit für die Ersteigerung des Objekts in Höhe von 300 EUR monatlich zu bedienen habe. Insofern seien die Angaben der Zeugin glaubhaft. Das Gericht glaube zudem der Aussage, dass sie kein Öl mehr bereit gestellt habe und daher die Versorgung der Antragstellerin mit Warmwasser und Heizung nicht mehr sichergestellt sei. Das Gericht sehe, dass der Mietvertrag offensichtlich nicht so durchgeführt werde, wie er schriftlich niedergelegt worden sei. Es sei unklar, welche Zimmer die Antragstellerin tatsächlich nutze. Einer Nutzung auch der weiteren Hotelzimmer stehe nichts entgegen, da die Zeugin selbst keine Nutzung der Räumlichkeiten plane. Wie es sich mit der Tochter der Antragstellerin verhalte, bleibe unklar. Es sei unverständlich weshalb nicht alle Räumlichkeiten vollständig hätten begangen werden können. Sofern die Antragstellerin ihre Waschmaschine in einem weiteren Bereich des Objekts aufgestellt habe, müssten diese Räumlichkeiten für sie auch zugänglich sein. Weshalb im Rahmen des Hausbesuchs Schlüssel der Vermieterin für den Zugang erforderlich gewesen sein sollten, sei unschlüssig. Dennoch würden die derzeit drohende Wohnungslosigkeit der Antragstellerin und ihr Interesse an der Sicherung der Unterkunft die Interessen der Allgemeinheit an der Verwendung der steuerlichen Mittel überwiegen. Gegebenenfalls sei die Leistung nach dem Ergebnis der Hauptsache von der Antragstellerin an den Antragsgegner zurückzuzahlen.

Gegen den ihm am 28. Oktober 2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 11. November 2010 Beschwerde eingelegt, nachdem er mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 den Beschluss ausgeführt hatte. Zur Beschwerdebegründung verweist Antragsgegner auf die Bestandskraft des den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Bewilligungsbescheids. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Das Kündigungsverlangen der Schwester der Antragstellerin stelle sich als nicht ernsthaft dar. Bereits in der Vergangenheit habe sie die Antragstellerin finanziell unterstützt. Schließlich habe sie das Hotel auch im Wege der Zwangsvollstreckung für die Antragstellerin erworben, offensichtlich um es für diese zu erhalten. Auch auf die Kündigung und die Räumungsfrist zum 9. Juni 2010 sei kein ernsthaftes Vollstreckungsverlangen gefolgt. Noch im Erörterungstermin am 26. August 2010 habe die Antragstellerin angegeben, bis zum 15. September 2010 Aufschub bezüglich der Räumung erhalten zu haben. Im Erörterungstermin vom 15. Oktober 2010 habe die Vermieterin sodann angegeben, "letzte Woche" sei von ihrem Rechtsanwalt Räumungsklage beim Amtsgericht eingereicht worden. Tatsächlich sei diese jedoch erst nach dem Erörterungstermin per Fax dort eingegangen. Ein Kostenvorschuss sei bisher nicht eingezahlt worden. Soweit der Anordnungsgrund darauf gestützt werde, dass derzeit kein Heizöl vorhanden sei, könne die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Beschaffung einmaligen Heizmaterials stellen. Er bestreite insoweit nicht, dass die Antragstellerin das Objekt bewohne und habe zumindest im Erörterungstermin am 15. Oktober 2010 mehrfach angeboten, die anteiligen Hausnebenkosten zu übernehmen. Nachweise hierzu seien jedoch bislang nicht eingereicht worden. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der zum 1. Juni 2008 abgeschlossene Mietvertrag sei unstreitig so wie er schriftlich verfasst worden sei, nicht durchgeführt worden. So entspreche die vereinbarte Wohnfläche von 45 qm nicht den tatsächlichen Umständen. Die genutzte Fläche sei 53,92 qm groß. Des Weiteren habe die Antragstellerin nicht Zugang zu allen von ihr genutzten bzw. gemieteten Räumlichkeiten. Auch eine Abrechnung der Nebenkosten sei bislang nicht erfolgt. Die Vermieterin habe als Grund angegeben, ihre Schwester lebe allein im Objekt und habe "die Kosten ja eh nicht" zahlen können. In der Zeit vom 1. September 2007 bis 14. September 2010 haben jedoch auch die Tochter der Antragstellerin, sowie in der Zeit vom 8. Februar 2007 bis 5. November 2009 Herr St. W. im Objekt gewohnt. Eine Betriebskostenabrechnung sei daher nicht lediglich von der Liquidität der Antragstellerin abhängig gewesen. Zudem widerspreche der Forderungsverzicht dem angeblichen ernsthaften Mietverlangen der Schwester. Die Zeugin sei insgesamt unglaubwürdig, da sie auch von dem Mietvertrag mit der Tochter der Antragstellerin nichts gewusst haben wollte, obwohl die Unterkunftskosten für diese in Höhe von monatlich 276,75 EUR bis einschließlich November 2009 auf Ihr Konto bei der Kreissparkasse Anhalt-Bitterfeld überwiesen worden seien. Sie habe schließlich erklärt, das Verhältnis zur Antragstellerin sei "nicht zu eng", andererseits habe sie sie jedoch mehrfach finanziell unterstützt.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2010 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abzulehnen.

Die Antragstellerin hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Der Senat hat einen Registerauszug von der HGL Hauswartservice GmbH eingeholt. Danach ist Gegenstand des Unternehmens die Gestaltung von Außenanlagen, Komplettbetreuung von Wohnanlagen, Baufeldberäumung, Entrümpelung, Baugrob- und Feinreinigung.

Hinsichtlich der Einzelheiten des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Protokolle sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingereichte Beschwerde ist statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Der Antragsgegner ist vom Sozialgericht verpflichtet worden, der Antragstellerin vorläufig in den Monaten von Juli bis November 2010 KdU in Höhe von 276,75 EUR/Monat zu zahlen. Der Beschwerdewert beträgt 1.383,75 EUR und liegt mithin über dem maßgeblichen Berufungswert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, die KdU der Antragstellerin für die Monate Juli bis November 2010 vorläufig zu übernehmen.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b

Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrundes (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 86b Rn. 16b).

In Fällen, in denen - wie hier - ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestellt wird, sind allerdings besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrunds zu stellen. Ansprüche in so genannten Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X betreffen nämlich bestandskräftige Bescheide, die bis zu ihrer Aufhebung in einem solchen Verfahren für alle Beteiligten bindend sind. Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren abgeändert werden, ist es einem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- und ggf. in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2008, L 2 B 96/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Februar 2006, L 7 AS 384/05 ER, jeweils recherchiert über Juris). Wegen der besonders strengen Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist es erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden (LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Leistungsbescheid vom 8. Juli 2010 ist zwar bestandskräftig geworden. Der Antragstellerin droht jedoch Wohnungslosigkeit, wenn keine vorläufige Regelung über die ihr zu gewährenden KdU getroffen wird. Das Räumungsverlangen sieht der Senat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als ernsthaft an.

Dem Sozialgericht ist zuzustimmen, wenn es davon ausgeht, dass die Schwester der Antragstellerin, Frau R., nicht bereit ist, der Antragstellerin den Wohnraum kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dem Antragsgegner ist zuzugeben, dass die Aussagen der Antragstellerin und ihrer Schwester teilweise in sich widersprüchlich und somit wenig glaubhaft sind. Letztlich betreffen diese Ungereimtheiten aber die Höhe eines Anspruches, nicht den Anordnungsgrund. Frau R. unterstützt die Antragstellerin finanziell. Das stellt sie auch gar nicht in Abrede. Es kann daraus allerdings nicht geschlossen werden, dass diese Unterstützung so weit geht, dass sie zum einen das Hotelgebäude ersteigert, um es in Familienbesitz zu erhalten und der Antragstellerin die Möglichkeit zu geben, dort weiterhin zu wohnen, zum anderen sie ihr ein kostenloses "Wohnrecht" einräumt. Ihre Aussage im Erörterungstermin vom 15. Oktober 2010, sie habe sich in den letzten Monaten bereits nach einem Käufer umgeschaut, zeigt, dass sie sich ohne Erhalt von Mieteinnahmen nicht in der Lage sieht, das Gebäude länger als Wohnraum für die Antragstellerin bereit zu halten. Im Hauptsacheverfahren wird dieser Teil ihrer Aussage ggf. durch Aufforderung zur Vorlage entsprechender Inserate und Nennung der Interessenten noch näher zu prüfen sein. Ihre zögerliche Haltung bei der Vollstreckung des Räumungsverlangens ist hier nach summarischer Prüfung wohl der familiären Bindung zur Schwester zuzuordnen als der Begründung von Zweifeln an der Ernsthaftigkeit der Forderung der Räumung. Letztlich hatte sie das Objekt erworben, damit ihre Schwester weiterhin dort wohnen konnte.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 1 SGB II hat der Antragsgegner die tatsächlich anfallenden KdU der Antragstellerin zu übernehmen, soweit sie angemessen sind. Der Senat geht mit dem Sozialgericht davon aus, dass die Antragstellerin zivilrechtlich verpflichtet ist, an ihre Schwester einen Mietzins zu zahlen. So hat es zu Recht darauf verwiesen, dass Mietverträge keiner Formvorschrift unterliegen, mithin für die Annahme einer vertraglichen Verpflichtung zur Entrichtung eines monatlichen Mietzinses der übereinstimmende Wille zweier Parteien ausreichend ist (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 7. Mai 2009, B 14 AS 31/07 R, Rn. 16, Juris). Ein Mietvertrag liegt vor, wenn eine Gebrauchsüberlassung gegen Entgelt gewährt wird (vgl. Palandt, 70. Auflage 2011, Einf v § 535 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Rn. 1). Frau R. stellt der Antragstellerin zur Gebrauchsüberlassung Wohnraum zur Verfügung. Bereits aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass sie dies nicht unentgeltlich tun wollte. Dabei kann es dahinstehen, ob Frau R. privat oder die HGL Hauswartservice GmbH als Vermieterin auftritt. Frau R. ist zumindest Geschäftsführerin der GmbH, ob sie auch Gesellschafterin ist, bleibt der Prüfung im Hauptsachverfahren vorbehalten. In jedem Fall ist die Antragstellerin einer Mietzinsforderung ausgesetzt.

Auch der teilweise Forderungsverzicht spricht nicht gegen eine zivilrechtliche Verpflichtung, den Mietzins zu entrichten. Es ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Schwester der Antragstellerin das Objekt erworben hat, wohl um es für die Antragstellerin zu erhalten. Der Senat geht mit dem Sozialgericht davon aus, dass für die Zeugin im Vordergrund stand, die Bankverbindlichkeiten und sonstigen Kosten des Hotels nicht allein tragen zu wollen/können. Sie hat deutlich gemacht, dass sie, wenn ihre Schwester das Hotel nicht zum Wohnen nutze oder keine Miete zahle, es verkaufen wolle. Sie hat im Erörterungstermin am 15. Oktober 2010 ausgesagt, sie habe das Objekt in den letzten Monaten bereits entsprechend inseriert, und es gebe auch schon Interessenten.

Die zu zahlende Kaltmiete bewegt sich noch im Rahmen der Angemessenheitsgrenze des Antragsgegners. Auch die vereinbarten Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten entsprechen der Höhe der Kosten, die der Antragsgegner (noch) als angemessen ansieht. Höhere Kosten wird die Antragstellerin wohl auch nicht geltend machen können. Insoweit hat sich Frau Röder klar dahingehend geäußert, dass sie die Verbrauchskosten nicht voll auf die Antragstellerin umlegen will, da diese sie nicht begleichen könne. Die tatsächliche Höhe der Betriebskosten und der Heizkosten wird jedoch im Hauptsacheverfahren näher zu prüfen sein. Dazu liegen keine Unterlagen vor. Die Aussage der Frau R., eine Betriebskostenabrechnung habe sie nicht erstellt, da die Antragstellerin die Kosten "eh nicht tragen" könne, könnte eher dafür sprechen, dass die monatlichen Vorauszahlungen nicht kostendeckend sind. Zudem fehlen dem Senat jegliche Anhaltspunkte zur Bestimmung der tatsächlich anfallenden Betriebskosten. Eine vollständige Sachaufklärung war in diesem Verfahren nicht möglich. Es bedarf weiterer Ermittlungen zur Höhe der tatsächlich der Antragstellerin entstehenden KdU. Da die Eilentscheidung nur eine prozessuale Zwischenregelung schafft, war im Rahmen einer hier vorzunehmenden Folgenabwägung die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden.

Die Gerichte müssen in Fällen wie diesem, in dem das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt. Die Gerichte müssen die Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26, Juris).

Zu berücksichtigen ist hier zugunsten der Antragstellerin, dass dieser bei Nichtzahlung der Miete ab Juli 2010 die Wohnungslosigkeit droht. Dagegen hat das wirtschaftliche Interesse des Antragsgegners zurückzustehen. Insoweit folgt der Senat der Argumentation des Sozialgerichts. Hinzu kommt, dass Frau R. auf die Mietzahlung für die Monate Februar bis Juni 2010 zunächst verzichtet hat. Sie war bereit, vom Räumungsverlangen Abstand zu nehmen, wenn die Antragstellerin in die Lage versetzt werde, ab Juli 2010 wieder die Mietzahlungen aufzunehmen. Dieser vorläufige Forderungsverzicht lässt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auch in Anbetracht des Umstandes, dass die Höhe der tatsächlich anfallenden Betriebs- und Heizkosten weder konkret dargelegt noch annähernd geschätzt werden können, gerechtfertigt erscheinen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved