Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 R 1531/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 verurteilt, der Klägerin zusätzlich die Regelaltersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) zu gewähren ist.
Die Klägerin wurde am 00.00.1929 in T/ Kreis Luck/ damals Polen als polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung geboren. Zumindest vom 15.09.1941 bis Februar 1944 war sie durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Freiheit beeinträchtigt bzw. ihrer Freiheit beraubt. Während dieses Zeitraumes war sie jedenfalls von September 1941 bis zumindest dem 31.05.1942 gezwungen, im Ghetto Sofievka, das damals zum Generalbezirk Wolhynien-Podolien des sog. Reichskommissariates Ukraine gehörte, zu wohnen. In dieser Zeit ging sie zumindest vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 einer ihr durch den Judenrat des Ghettos vermittelten Beschäftigung in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka nach; als Entlohnung erhielt sie dafür Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe. Von September 1943 an bis zu ihrer Befreiung im Februar 1944 lebte sie in der Illegalität im Walde S bei Sofievka/ Bezirk Zuman. Nach der Befreiung blieb sie bis 1957 als sowjetische Staatsbürgerin in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik der Sowjetunion. Von 1957 bis 1959 hielt sie sich als polnische Staatsbürgerin in Polen auf. Im Februar 1959 wanderte sie von dort nach Israel ein, wo sie seitdem als israelische Staatsangehörige lebt. Sie hat keine Leistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) und auch keine Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit für die Zeit ihrer Beschäftigung während ihres Ghettoaufenthaltes geltend gemacht.
Am 30.12.2002 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin, unter anderem die Gewährung der Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG. Dazu gab sie in einem von der BfA, Berlin, ausgearbeiteten Fragebogen unter dem 17.02.2003 an, sie sei von November 1941 bis September 1943 in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka damit beschäftigt gewesen, das zugeschnittene Lederteil auf der Maschine zusammenzunähen. Sie habe die Werkstätte gereinigt, aufgeräumt, die genähten Schuhe sortiert und dann an Schuster weitergegeben. Die Arbeitsvermittlung sei durch den Judenrat des Ghettos erfolgt. Als Entlohnung habe sie Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe bekommen.
Die Beklagte zog die die Klägerin betreffende Bundesentschädigungsgesetz(BEG)-Akte der Bezirksregierung Düsseldorf – Abteilung Wiedergutmachung – und die bei der Jewish Claims Conference (JCC), Frankfurt am Main, über die dort von der Klägerin gestellten Anträge verwahrten Unterlagen bei.
Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2004 ab, der Klägerin eine Rente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, die Klägerin erfülle nicht die für eine Rentengewährung erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) im Sinne des § 34 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Im Falle der Klägerin seien keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden. Gegenüber der JCC habe die Klägerin angegeben, sie habe im Ghetto unter menschenunwürdigsten Bedingungen gelebt und ständig an Hunger und Kälte sowie an anderen Entbehrungen gelitten. Ausgehend von diesen Angaben sei es nicht glaubhaft, dass die Klägerin im Ghetto ein Beschäftigungsverhältnis aus freiem Willensentschluss und gegen Entgelt ausgeübt habe. Eine entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto liege vor, wenn hierfür in wesentlichem Umfang Entgelt gewährt worden sei. Die der Klägerin gewährte Nahrung könne nicht als ausreichendes Entgelt im Sinne des ZRBG angesehen werden. Eine Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG könne daher nicht erfolgen. Eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten könne nicht erfolgen, weil die Versicherteneigenschaft nicht vorliege.
Den gegen den Bescheid vom 01.03.2004 am 24.03.2004 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, eine Beschäftigung im Ghetto gegen Entgelt sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Klägerin habe angegeben, durch Lebensmittel entlohnt worden zu sein. Diese Tatsache erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Die Beklagte berief sich in ihrer Begründung auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R -.
Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 erhobene und unter dem Aktenzeichen S 55 (27) R 278/05 Sozialgericht Düsseldorf geführte Klage wies das Sozialgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 26.04.2006 ab. In seiner Begründung führte es unter anderem aus, die Voraussetzungen für eine Regelaltersrente seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt, da keine auf die allgemeine Wartezeit anrechenbaren Pflichtbeitragszeiten gegeben seien, so dass Ersatzzeiten – sofern gegeben – mangels Versicherteneigenschaft ebenfalls nicht anzurechnen seien. Pflichtbeitragszeiten könnten insbesondere nicht nach den §§ 1, 2 ZRBG Berücksichtigung finden oder als gezahlt gelten. Es sei bereits nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin entgeltlich im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) ZRBG beschäftigt gewesen sei. Entgeltlichkeit der Beschäftigung liege nur dann vor, wenn dem Betroffenen für die Tätigkeit eine Gegenleistung gewährt worden sei, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in einem "angemessenen" Verhältnis stehe. Die Klägerin habe im Rentenverfahren angegeben, für ihre Beschäftigung Essen am Arbeitsort erhalten zu haben. Bei dieser Art der Entlohnung handele es sich nach Ansicht der Kammer "nur" um ein "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft", wie es gerade typisch für Zwangsarbeitsverhältnisse sei.
Die gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.04.2006 eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13.05.2008 (- L 18 R 77/06 -) zurück. Die Revision ließ es nicht zu.
Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 15.10.2008 (- B 13 R 333/08 B -) als unzulässig.
Am 24.08.2009 stellte die Klägerin den Antrag, im Hinblick auf die Urteile des 13. und 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 (B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R, B 13 R 139/08 R, B 5 R 26/08 R und B 5 R 66/08 R) den ablehnenden Bescheid vom 01.03.2004 im Verfahren gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen.
Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin durch den Bescheid vom 21.04.2010 ab dem 01.01.2005 die Regelaltersrente. Dieser legte sie gemäß den Vorschriften des ZRBG eine Pflichtbeitragszeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 – dem von ihr angenommenen Zeitpunkt der Schließung des Ghettos Sofievka – und eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vom 10.12.1943 bis zum 31.12.1949 zugrunde. In Bezug auf den Beginn der Rente führte sie unter anderem aus, die höhere Leistung werde längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde oder der Antrag auf Rücknahme des Bescheides gestellt worden sei.
Gegen den Bescheid vom 21.04.2010 erhob die Klägerin am 28.04.2010 Widerspruch. Sie machte sinngemäß unter anderem geltend, die Rente müsse ab dem 01.07.1997 beginnen. § 44 Abs. 4 SGB X könne keine Anwendung finden, da er sie, die Klägerin, in rechtswidriger Weise benachteilige und da ein Rückgriff auf diese Norm rechtsmissbräuchlich wäre. Die dem Ablehnungsbescheid vom 01.03.2004 zugrunde liegende Auffassung, dass sie, die Klägerin, im Ghetto keiner entgeltlichen Beschäftigung aufgrund eines eigenen Willensentschlusses nachgegangen sei, sei offenkundig rechtswidrig gewesen, wie die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 (B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R , B 13 R 139/08 R, B 5 R 26/08 R und B 5 R 66/08 R) in eindrucksvoller Weise bestätigt habe. Sie, die Klägerin, könne sich gegen die nur vierjährige Rückwirkung auf die Grundgedanken der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – berufen. In dieser Entscheidung sei die Deutsche Rentenversicherung unter Nichtanwendung des § 306 SGB VI dazu verpflichtet worden, auch bei sog. Bestandsrenten (Rentenbezug bereits vor dem 01.07.1997) das ZRBG anzuwenden und erhöhte Renten ab dem 01.07.1997 zu zahlen. Das Bundessozialgericht habe sich in dem vorgenannten Urteil durch Rechtsfortbildung im Wesentlichen auf die Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Grundgesetz (GG), durch den eine Anwendung des dort streitigen § 306 Abs. 1 SGB VI ausgeschlossen worden sei, berufen. Nur dadurch, so das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 03.05.2005, könne das mit dem ZRBG angestrebte gesetzgeberische Ziel umgesetzt und eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Personengruppen vermieden werden. Weiter heiße es in dem o. a. Urteil des Bundessozialgerichts: "Bei vollständiger Würdigung von Sinn und Zweck des ZRBG ist diesem Gesetz vielmehr zu entnehmen, das möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt haben, in den Genuss der Rentenzahlung, auch ins Ausland, kommen sollen. Die vom Senat vorgenommene Rechtsfortbildung ist unerlässlich, um nicht einen Personenkreis von der Rechtswohltat des ZRBG auszugrenzen, der sich – abgesehen vom Zeitpunkt der Antragstellung – von den übrigen Anspruchsberechtigten des Gesetzes nicht unterscheidet." Dabei betone das Bundessozialgericht insoweit nochmals die gesetzgeberische Intention für den Erlass des ZRBG, "mit diesem Gesetz für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht haben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung" zu schließen, wobei es auf das Gesetzgebungsverfahren hingewiesen habe. Vor diesem Hintergrund, so habe das Bundessozialgericht im Urteil vom 03.05.2005 weiter ausgeführt, sei es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG schlechterdings nicht vertretbar, den Personenkreis von der Gesetzeswohltat des ZRBG auszuschließen, der die Gewährung von Altersruhegeld bereits vor dem 18.06.1997 beantragt gehabt habe. Wie das Bundessozialgericht für Bestandsrentner von "einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlung von im Wesentlichen vergleichbaren Personengruppen" spreche und diese Gleichbehandlung nach dem dortigen Urteil des Bundessozialgerichts nur erreicht werden könne, wenn das Recht dahingehend fortgebildet werde, dass für den besonderen Personenkreis der Berechtigten nach dem ZRBG die dortige Ausnahmevorschrift des § 306 Abs. 1 SGB VI nicht nachteilig angewendet werden dürfe, um durch diese Nichtanwendung im Rentenversicherungsrecht durch nationalsozialistisches Unrecht eingetretene Schäden wieder auszugleichen, müssten diese Grundsätze auch gegen die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X herangezogen werden. Nur so könne das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten, auch in den Genuss der Rentenzahlung ins Ausland kommen zu lassen, erreicht werden, und zwar in umfassender Weise schon ab dem 01.07.1997. Wenn das Bundessozialgericht weiterhin darauf verweise, dass "eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung bei einem dahinter stehenden vergleichbaren Verfolgungsschicksal ...vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vertretbar" sei, müsse dies auch unabhängig davon gelten, wann ein Anspruch rechtswidrig abgelehnt worden sei und ob dagegen ein Rechtsmittel eingelegt worden sei oder nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei einem fristgerecht gestellten ZRBG-Antrag, der vor den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 abschlägig beschieden worden sei und gegen den aufgrund der einheitlich negativen Entscheidungspraxis sämtlicher Versicherungsträger und der Sozialgerichtsbarkeit kein Widerspruch oder Klageverfahren eingeleitet worden sei, der Antragsteller über § 44 Abs. 4 SGB X nur 4 Jahre zurück die begehrte Rente erhalten solle und dass Antragsteller, die nicht resigniert hätten und das Verfahren über den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Rechtsprechung vom Juni 2009 hinaus fortgesetzt hätten, nunmehr eine Rente ab dem 01.07.1997 erhielten. Dies widerspreche dem Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung und des Willkürverbotes. Beide Personengruppen unterschieden sich in ihrem Verfolgungsschicksal nicht, so dass nur durch eine Gleichbehandlung das gesetzgeberische Ziel, alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten, auch in den Genuss einer frühestmöglichen Rente kommen zu lassen, erreicht werden könne. Im Übrigen hätte die Beklagte im Rahmen der Gleichbehandlung nach Art. 3 GG – wie schon anlässlich des Urteils vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – die Möglichkeit der erneuten rechtswahrenden Antragstellung für ein Jahr nach Verkündung der Entscheidung eröffnen müssen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, nach § 44 Abs. 4 SGB X würden bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde. Erfolge die Rücknahme auf Antrag, trete bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen seien, anstelle der Rücknahme der Antrag. Ausgehend vom Überprüfungsantrag der Klägerin vom 24.08.2009 werde die Rente daher zutreffend ab dem 01.01.2005 geleistet. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stelle eine ausgewogene Gesamtregelung dar, die zwischen dem Interesse des Einzelnen an einer möglichst vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung einerseits und dem Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer möglichst geringen finanziellen Belastung mit Ausgaben für Leistungen für zurückliegende Zeiträume andererseits vermittele. Das Bundessozialgericht habe daher keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Vorschrift verfassungsgemäß sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85 -). Die anspruchsvernichtende Wirkung des § 44 Abs. 4 SGB X trete auch dann ein, wenn der Versicherungsträger bei Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes schuldhaft gehandelt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Vierjahresfrist selbst im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu beachten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2007 – B 13 R 58/06 R -). Auch in den Fällen, in denen ein Ablehnungsbescheid mangels Mitwirkung ergangen sei, sei bei späterer Nachholung der Mitwirkungshandlung der Rechtsgedanke des § 44 Abs. 4 SGB X im Rahmen der vom Versicherungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung heranzuziehen. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSGE 60, 245, 247) entnehme der Vorschrift sogar einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach Sozialleistungen nicht über 4 Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren seien. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme – und Rückforderungsvoraussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht entnehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Diese Anträge seien mit bestandskräftiger Bescheiderteilung verbraucht. Später gestellte Überprüfungsanträge sollten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Dies gelte entsprechend auch für Überprüfungen von Amts wegen. Die Widerspruchsstelle weise darauf hin, dass die ungünstige Sonderregelung des § 100 Abs. 4 SGB VI, die in Fällen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rückwirkende Leistungen ausschließe, nicht angewendet worden sei. Im Unterschied zu § 100 Abs. 4 SGB VI, der erst am 01.05.2007 in Kraft getreten sei, sei dem ZRBG-Gesetzgeber die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Abs. 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. Auch unter Gleichheitsaspekten gebe es im Rahmen des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X keinen Anlass für eine Nichtanwendung dieser Vorschrift in ZRBG-Fällen. Denn § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X unterscheide in seinen Rechtsfolgen nicht danach, ob und wann ein Überprüfungsantrag gestellt worden sei. Ebenso wenig unterscheide § 44 Abs. 4 SGB X danach, auf welchem konkreten Rechtsgrund die zusprechende Entscheidung des Leistungsträgers beruhe. Vielmehr erhielten alle Betroffenen rückwirkend Leistungen für maximal 4 Jahre.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 richtet sich die am 06.07.2010 bei dem Sozialgericht Düsseldorf eingegangene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung der Regelaltersrente auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 weiterverfolgt.
Die Klägerin wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend sinngemäß vor, sie sei in Anbetracht der Verfolgung ihrer Ansprüche bis zu der erfolglosen Revisionsnichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht sicherlich auch eine der "Vorkämpferinnen" (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R -), die zur Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur ZRBG-Problematik mit dessen Urteilen vom 02. und 03.06.2009 beigetragen habe, nur dass sie mit dem "Mangel" behaftet sei, dass ihr Engagement ca. 7 Monate vor dem Juni 2009 zum Abschluss gekommen sei. In ihrem Falle, der dadurch gekennzeichnet sei, dass sie ihr Verfahren intensiv über 4 Jahre betrieben habe, werde dabei der Gleichheitssatz in besonders eklatanter Weise dadurch verletzt, dass sie deshalb schlechter gestellt werde, weil gegen Sie noch vor Juni 2009 entschieden worden sei, während Antragsteller, die ihr Verfahren noch bis Juni 2009 hätten offen halten können, nunmehr die Rente ab dem 01.07.1997 erlangten. Die nicht kontrollierbaren und zufälligen Verfahrensabläufe könnten nicht Grundlage dafür sein, ob jemand seine Rente ab dem 01.07.1997 oder nur für 4 Jahre rückwirkend nach § 44 Abs. 4 SGB X erhalte. Ein solcher Maßstab sei willkürlich und damit grundrechtswidrig. - Darüber hinaus sei darauf zu verweisen, dass das ZRBG entschädigungsrechtlichen Charakter habe, wie durch die Gesetzesmaterialien bestätigt werde. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Bundestags-Drucksache 14/8823, Seite 5) werde ausgeführt, dass die Mitglieder aller Fraktionen darin übereinstimmten, "dass mit der Gesetzesinitiative endlich eine Lücke bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geschlossen wurde". Bei ihrer Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X lasse die Beklagte in ihren Überlegungen die Zielsetzung des ZRBG mit seinem entschädigungsrechtlichen Hintergrund unbeachtet. Schon 1959 habe sich das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 26.06.1959 (BSGE 10, 113, 116 f) ausführlich damit auseinandergesetzt, nach welchen Grundsätzen Entschädigungsrecht in der Sozialversicherung anzuwenden sei und sich dabei auf das dem WGSVG vorangegangene Gesetz, das "Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung" vom 22.08.1949 bezogen und festgestellt, dass das Verfolgtengesetz als eine Entschädigung zu den Sozialversicherungsgesetzen erlassen worden sei und es ideenmäßig und inhaltlich zu jenen Gesetzen gehöre, die der Wiedergutmachung des durch nationalsozialistische Verfolgungen erlittenen Unrechts dienten, und damit als wesentlicher Bestandteil des Entschädigungsrechts betrachtet werden müsse. Weiterhin werde darauf verwiesen, dass das Bundesentschädigungsgesetz bei der Regelung von Schäden, die im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen und in der Alterssicherung eingetreten seien, von eigenen Vorschriften für Schäden in der Sozialversicherung absehe und stattdessen auf das Verfolgtengesetz hinweise (§§ 5, 138 BEG). Daraus folgere das Bundessozialgericht, dass die dem Entschädigungsrecht zugrunde liegenden allgemeinen Gedanken bei der Auslegung des Verfolgtengesetzes zugrunde gelegt werden müssten. Bei diesem Gesetz gebühre dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Bewahrung des sozialversicherungsrechtlichen Systems. Das Entschädigungsrecht wolle – so weiter das BSG – zumindest geldlich eine umfassende Wiedergutmachung gewährleisten. Oberster Grundsatz der Wiedergutmachung sei die Entschädigung des tatsächlich erlittenen Schadens. Sei ein Verfolgter infolge von Verfolgungsmaßnahmen schlechter gestellt als ein nicht Verfolgter, so solle ihm "Rechtswiederherstellung" gewährt werden. Diese Ansicht des Bundessozialgerichts werde nach den dortigen Ausführungen durch die Überlegung gestützt, dass das Verfolgtengesetz selbst zugunsten der Verfolgten Abweichungen vom üblichen Rentensystem billige. Schon vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26.06.1959 habe sich der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 22.11.1954 zu den Zielen des Entschädigungsrechts geäußert und festgestellt: "Ziel und Zweck der RE- und Entschädigungsgesetzgebung ist, das verursachte Unrecht so bald und so weit als irgend möglich wiedergutzumachen. Eine Auslegung des Gesetzes, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, verdient daher den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung, die die Wiedergutmachung erschwert und zunichte macht." Diesen grundlegenden Gedanken sei das Bundessozialgericht auch in seiner weiteren Rechtsprechung zu diesen Fragen gefolgt, und es habe in seiner Entscheidung vom 16.09.1960 (BSGE 13, 67, 69, 71) bestätigt, dass "die Verfolgten des Nationalsozialismus ...in der Rentenversicherung – wie in der gesamten Sozialversicherung und auch in anderen Rechtsgebieten – eine Rechtsstellung eigener Art (einnehmen). Sie haben ihre Sonderstellung in der Sozialversicherung durch das Verfolgtengesetz erhalten, das wiederum ein Bestandteil des BEG ist (vgl. BSG 10 S.113). Das Verfolgtengesetz ist gekennzeichnet durch das Bestreben, die sozialrechtliche Wiedergutmachung zu einer echten Schadensersatzleistung zu machen ..." In seinem Urteil vom 16.09.1960 – 1 RA 38/60 – bestätige das Bundessozialgericht weiterhin "die enge Verbindung zwischen der Stellung der Verfolgten in der Sozialversicherung und ihrer Stellung im allgemeinen Entschädigungsrecht", eine Verbindung, die berücksichtigt werden müsse und auf die der Senat schon in einer früheren Entscheidung (BSGE 10, Seiten 113 ff.) hingewiesen habe. Es fahre fort, im gesamten Entschädigungsrecht gebühre dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es dürfe deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden – und ihr gebühre der Vorzug -, die dazu führe, das verursachte Unrecht so weit wie möglich auszugleichen. - Auch die sozialversicherungsrechtliche Kommentarliteratur habe sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts angeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 zu verurteilen, der Klägerin zusätzlich die Regelaltersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Ansicht der Klägerin, dass der Rückgriff auf § 44 Abs. 4 SGB X eine unangemessene Benachteiligung darstelle und dem Sinn und Zweck des ZRBG zuwiderlaufe, sei zu widersprechen. Eine derartige Begründung lasse sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus den Motiven herleiten. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme- und Rückforderungsvoraussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht entnehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Später gestellte Anträge sollten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – sei nicht zielführend. In dieser Entscheidung habe das Bundessozialgericht erstmalig darüber entschieden, ob in den Fällen, in denen Antragsteller nach dem ZRBG bereits vor dem 01.07.1997 eine Rente bezogen hätten, einer Neufeststellung der Rente nach dem ZRBG § 306 SGB VI entgegenstehe. Da in diesem Verfahren ein fristgerechter Antrag vorgelegen habe, sei die Frage des Leistungsbeginns nicht streitig gewesen, sondern allein die Frage, ob das ZRBG überhaupt auf derartige Fälle Anwendung findet. Das Bundessozialgericht habe sich in dieser Entscheidung auch nicht entscheidungserheblich zum Renten- bzw. Zahlungsbeginn geäußert. Insoweit sei der vorliegende Rechtsstreit mit dem vom Bundessozialgericht am 03.05.2005 entschiedenen Fall nicht vergleichbar. Soweit die Klägerseite auf weitere Ausführungen dieser Entscheidung verweise, dass "eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung bei einem dahinterstehenden vergleichbaren Verfolgungsschicksal ...vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vertretbar" sei, sei dem zu entgegnen, dass sich diese Formulierungen auf die vor Inkrafttreten des ZRBG gestellten Anträge und daraufhin bewilligte Leistungen bezogen hätten. Diese gerichtliche Feststellung könne nicht derart interpretiert werden, dass das Bundessozialgericht die vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmte Antragsfrist generell habe außer Kraft setzen wollen. - Soweit der Gesetzgeber – entgegen den aktuell anzuwendenden Regelungen – für alle ZRBG-Berechtigten eine Leistung zum 01.07.1997 unabhängig von der Antragstellung oder dem Wiederaufgreifen des Verfahrens vorsehen wollte, müsste er in das ZRBG eine entsprechende ausdrückliche Regelung des Renten- und Zahlungsbeginns aufnehmen. Dem ZRBG-Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Seitens der Rechtsprechung bestünden gegenüber der Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch der von der Klägerin in anderem Zusammenhang angesprochenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – lasse sich indirekt entnehmen, dass § 44 Abs. 4 SGB X grundsätzlich gelte, wenn die Spezialregelung des § 3 ZRBG keine Anwendung finde. Dies sei der Fall, wenn die Fiktionswirkung des § 3 ZRBG verbraucht sei. Vorliegend sei das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.05.2008 rechtskräftig geworden. Damit seien die Rechte aus dem fristgerechten Antrag verbraucht. Bei eingetretener Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung habe ein solcher Rentenanspruch nur im Wege des Überprüfungsantrags und mit der daraus sich ergebenden Konsequenz des § 44 Abs. 4 SGB X geltend gemacht werden können. Soweit in anderen Fällen am 02./03.06.2009 Gerichtsverfahren noch anhängig gewesen seien, hätten diese auf einem fristgerecht gestellten Antrag basiert. Dies sei ein vom Gesetzgeber vorgesehenes Differenzierungsmerkmal, welches diese Verfahren von rechtskräftig oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren unterscheide und insoweit auch eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege somit nicht vor; eine Gleichbehandlung mit Fällen noch anhängiger Verfahren aufgrund eines fristgerecht gestellten Erstantrages könne die Klägerin nicht erfolgreich einfordern. Maßgebliches Differenzierungsmerkmal für die Anwendung von § 44 SGB X sei die gesetzliche Vorgabe, dass ein bestandskräftiger rechtswidriger Bescheid vorliege. - Es treffe nicht zu, dass das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen vom 02./03.06.2009 die bis dahin vertretene Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger als offenkundig rechtswidrig festgestellt habe. Vielmehr sei in den vorgenannten Entscheidungen eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. Nicht nur die Rentenversicherungsträger, sondern auch die Sozialgerichtsbarkeit habe für die Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG bis zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Kriterien "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" die strengeren Maßstäbe angelegt, die vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – festgelegt worden seien. Bei einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung könne aber die bisherige Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger nicht als von Beginn an offenkundig rechtswidrig beurteilt und daraus die Folgerung gezogen werden, die Rentenversicherungsträger hätten auch bereits vor Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ghettobeitragszeiten anerkennen und hieraus Renten ab dem 01.07.1997 bewilligen müssen. In der Konsequenz könne auch daraus nicht der weitere Schluss gezogen werden, dass nunmehr bei Überprüfungsanträgen § 44 Abs. 4 SGB X keine Anwendung finden könne und die Antragsteller im Wege der Gleichbehandlung Rentenleistungen ab dem 01.07.1997 erhalten müssten. § 44 Abs. 4 SGB X differenziere nicht zwischen (vermeintlich) offenkundig rechtswidrigen und einfach rechtswidrigen Bescheiden. - Die am 01.05.2007 in Kraft getretene Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI regele sogar abweichend von § 44 SGB X, dass ein rechtswidriger, nicht begünstigender und bestandskräftiger Bescheid nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden könne, wenn der Bescheid auf einer Rechtsnorm beruhe, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als von den Rentenversicherungsträgern ausgelegt werde. Nach der Gesetzesbegründung diene diese Regelung der Stärkung des Interesses der Solidargemeinschaft an Rechtssicherheit und der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung. Die Rentenversicherungsträger hätten sich aber darauf verständigt, diese für die Betroffenen ungünstigere Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, weil diese Vorschrift dem ZRBG-Gesetzgeber im Unterschied zu § 44 Abs. 4 SGB X nicht bekannt gewesen sei und er daher die Anwendung von § 100 Abs. 4 SGB VI nicht habe ausschließen können.
Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Vorprozessakte S 55 (27) R 278/05 Sozialgericht Düsseldorf, der die Klägerin betreffenden BEG-Akte der Bezirksregierung Düsseldorf – Abteilung Wiedergutmachung – und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet.
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als die Beklagte ihr die Regelaltersrente nicht auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) nachgezahlt hat.
Denn die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass ihr auch für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des ZRBG bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) gewährt wird.
Mit dem Bescheid vom 21.04.2010 hat die Beklagte zu Recht den Bescheid vom 01.03.2004 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, weil durch diesen Verwaltungsakt, wie es für eine derartige Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gefordert wird, das Recht unrichtig angewandt worden ist und dadurch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach dem Ergehen der Urteile des Bundessozialgerichts vom 02.06.2009 ( - B 13 R 81/08 R -, - B 13 R 139/08 R -, - B 13 R 85/08 R -) und vom 03.06.2009 (- B 5 R 66/08 R – und – B 5 R 26/08 R -) steht nämlich fest, dass die dem Bescheid vom 01.03.2004 zugrunde liegende Rechtsauffassung rechtswidrig war, dass stattdessen eine Beschäftigung in einem Ghetto auch dann als aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen zu werten ist, wenn für die Ghettobewohner Arbeitspflicht bestand, der Betroffene aber nicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen wurde, sondern – insbesondere bei einer Vermittlung durch den Judenrat wie im Falle der Klägerin – das Ob und Wie der Arbeit bestimmen konnte, dass Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) ZRBG jede Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien ist, ohne dass sie irgendeine Geringfügigkeitsgrenze überschreiten müsste, - vielmehr reicht die Gewährung freien Unterhalts dafür aus – und dass es auch unerheblich ist, ob das Entgelt dem Beschäftigten direkt oder Dritten (z. B. dem Judenrat) zukam. Durch diese in den o. a. Urteilen der nunmehr einzigen für die Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständigen Senate des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 übereinstimmend zum Ausdruck gebrachte Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) und b) ZRBG vorgeschriebenen Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung, die jetzt auch von den Rentenversicherungsträgern ohne jede Einschränkung akzeptiert und angewandt wird, ist nunmehr andererseits abschließend geklärt, dass die dem entgegenstehende Interpretation des Rentenversicherungsträgers, der Instanzgerichte und auch des Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – rechtswidrig war.
Im Übrigen liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Regelaltersrente – ab dem 01.07.1997 – vor, weil die Klägerin mit Ablauf des 09.12.1994 das 65. Lebensjahr vollendet hatte und weil sie unter Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 und der die Zeit vom 10.12.1943 bis zum 31.12.1949 umfassenden Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI die in § 35 SGB VI vorgeschriebene Mindestversicherungszeit (allgemeine Wartezeit) von 5 Jahren zurückgelegt hat, da eben diese vorgenannten Zeiten gemäß § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren angerechnet werden.
Für die Zeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942, während deren die Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt nachging, erhält sie auch nicht bereits eine Leistung aus einem System der Sozialen Sicherheit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZRBG. –
Auf diese Regelaltersrente hat sie aber entgegen dem angefochtenen Bescheide bereits ab dem 01.07.1997 einen Anspruch. Denn sie hatte den ursprünglichen Rentenantrag am 30.12.2002 gestellt, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt, und dies führt aufgrund des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI und aufgrund dessen, dass § 3 ZRBG gemäß Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002 (Bundesgesetzblatt Teil I 2002, Seiten 2074, 2075) mit Wirkung vom 01.07.1997 in Kraft getreten ist, dazu, dass die Regelaltersrente auch bereits ab dem 01.07.1997 zu zahlen ist, weil dieser rückwirkenden Gewährung der Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 weder § 44 Abs. 4 SGB X noch § 100 Abs. 4 SGB VI entgegensteht:
Diese die Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vor dem 01.01.2005 an sich ausschließenden Normen, die an sich von ihrem Wortlaut her wegen der nach § 77 bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 01.03.2004 und 03.05.2005 auch den Fall der Klägerin erfassen, sind auf den Fall der Klägerin nicht anzuwenden, da der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) es im Wege richterlicher – aus Verfassungsgründen notwendiger – Rechtsfortbildung zur Überzeugung der Kammer zwingend erfordert, die allgemeinen, die Rente von Versicherten beschränkenden Verfahrens- und Ausschlussvorschriften des Sozialrechts (hier § 44 Abs. 4 SGB X und § 100 Abs. 4 SGB VI) nicht anzuwenden. Diese müssen vielmehr zurücktreten zugunsten der hier gebotenen alleinigen Anwendung der Vorschriften des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. Art. 1 § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002, wonach der Rentenantrag der Klägerin vom 30.12.2002 als bereits am 18.06.1997 gestellt gilt mit der Folge eines Beginns der Rente schon ab dem 01.07.1997. Das eine solche von der Kammer vorgenommene Auslegung geboten ist, ergibt sich – auch und gerade unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundgedanken der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – zur Nichtanwendung von § 306 SGB VI bei sog. Bestandsrentnern, die in Ghettos gearbeitet haben – daraus, dass – ähnlich wie in dieser vorgenannten Entscheidung zu den sog. Vorkämpfern für die Ghettorenten – hier sonst diejenigen aus rassischen Gründen bzw. wegen ihres Glaubens Verfolgten, welche einen Rentenantrag noch fristgerecht vor Juli 2003 stellten, Leistungen aber wie die Klägerin erst ab dem 01.01.2005 erhalten, ohne ausreichenden sachlichen Grund benachteiligt würden gegenüber denjenigen Versicherten bzw. Verfolgten, die ihren Rentenantrag noch vor Juli 2003 stellten, aber davon profitieren konnten, dass ihr Rentenantrag noch nicht vor dem Ergehen der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 bestandskräftig oder rechtskräftig beschieden war, und die infolge dessen die ihnen nunmehr zuerkannten Leistungen rückwirkend bereits ab dem 01.07.1997 erhalten. Für eine Benachteiligung des zuerst genannten Personenkreises besteht zur Überzeugung der Kammer kein vernünftiger Grund, weil es ansonsten angesichts der langwierigen, ca. fünfjährigen Entwicklung der Rechtsprechung der Instanzgerichte, der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts praktisch nur von Zufällen – nämlich der Verfahrensdauer – abhinge, ob ein Verfolgter mit einem Rentenantrag bis Ende Juni 2003 Rente schon ab dem 01.07.1997 bekommt oder erst ab einem späteren Zeitpunkt. Ob ein Rechtsstreit noch bis in den Juni 2009 und darüber hinaus andauerte oder nicht und ob ein Verfahren anderen Verfahren vorgezogen wurde oder nicht, bis das Bundessozialgericht mit den Urteilen vom 02. und 03.06.2009 dafür sorgte, dass die Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG normierten Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung jetzt zweifelsfrei geklärt ist (mit der Folge, dass in noch nicht bestandskräftig entschiedenen Verfahren die Beklagte nun in ca. 90 – 95 % aller noch anhängigen Verfahren den Anspruch anerkannte oder zumindest Vergleichsvorschläge unterbreitete), hing angesichts der vieltausendfachen Verfahren (jedenfalls beim Sozialgericht Düsseldorf) letztlich davon ab, wie lang eine Klageakte im Sitzungsfach des Sozialgerichts lag (oder aber im Sitzungsfach eines anderen Sozialgerichts, eines Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts), ohne dass die Kläger darauf einen entscheidenden Einfluss gehabt hätten. Diese Zufälligkeiten im Zeitablauf dürfen hier nach Auffassung der Kammer keinen Unterschied hinsichtlich der Frage des Rentenbeginns für die von Verfolgung betroffenen Ghettoarbeiter machen. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X bzw. des § 100 Abs. 4 SGB VI würde insbesondere deshalb eindeutig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen, weil dadurch in der Praxis gerade die Vorkämpfer der heutigen, sich aus den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 ergebenden Rechtsauslegung des § 1 ZRBG, zu denen auch die Klägerin gehört, und die älteren Versicherten, deren Fälle von den Kammern der Sozialgerichte in der Regel vorrangig entschieden wurden, benachteiligt würden, weil ihre Verfahren schon vor dem Ergehen der o. a. Urteile des Bundessozialgerichts vom 02./03.06.2009 rechtskräftig abgeschlossen waren; im letzteren Falle würden zudem gerade die Versicherten, die von einem früheren Rentenbeginn den größten Nutzen hätten und die in der Regel am wenigsten von der Erhöhung des Zugangsfaktors bei einem späteren Rentenbeginn profitieren würden, ohne jeden sachlichen Grund benachteiligt. In der Praxis war es nämlich vielfach so, dass die Verfahren der besonders alten Verfolgten vorgezogen wurden, um ihnen noch zu Lebzeiten eine Entscheidung zukommen zu lassen, damit ihnen im Falle der Stattgabe der Klage möglichst bald die Rente gezahlt werden könnte bzw. damit sie im Falle einer ablehnenden Entscheidung alsbald die Möglichkeit erhielten, die höheren Instanzen anzurufen. Die letztere Fallgestaltung ist ein weiterer – aber nicht primär ausschlaggebender – Gesichtspunkt dafür, dass es gegen das grundgesetzliche Gebot der Gleichbehandlung gleichartig gelagerter Sachverhalte verstoßen würde, wenn manche Verfolgte mit einem Rentenantrag noch vor Juli 2003 die Rente schon ab dem 01. Juli 1997 bekommen und andere Verfolgte mit einem Rentenantrag ebenfalls vor Juli 2003 erst ab 2005 (auf diese Problematik bereits hinweisend G, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in jurisPR-SozR 3/2010 Anmerkung 4, am Ende). Nach alledem würden letztlich diejenigen Anspruchsberechtigten, die einen erfolglosen Vorprozess führten - möglicherweise sogar in mehreren Instanzen unter Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel - , diejenigen Anspruchsberechtigten, die im Vertrauen auf die Richtigkeit einer Entscheidung eines Sozialgerichts eine ablehnende Entscheidung nicht anfochten, sowie diejenigen Anspruchsberechtigten, die eine ablehnende Entscheidung der Beklagten im Vertrauen auf die in den Bescheiden zitierten Vorschriften und Urteile hinnahmen - welche alle zu einem früheren Zeitpunkt vor Juni 2009 noch keine Rente zuerkannt bekamen - hier ohne für die Kammer erkennbaren sachlichen Grund wesentlich schlechter gestellt als diejenigen, deren Rentenantrag noch bis in den Juni 2009 hinein einer rechtskräftigen Entscheidung nicht zugeführt war; zu bedenken ist dabei auch, dass die betroffenen Personenkreise keinen nennenswerten steuernden Einfluss auf die Dauer ihres Verfahrens hatten.
Bei verständiger Würdigung von Sinn und Zweck des ZRBG, wie es das Bundessozialgericht nun in den Entscheidungen vom 02. und 03.06.2009 ausgelegt hat, ist diesem Gesetz ferner zu entnehmen, dass möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt haben, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Genuss der Rentenzahlung kommen sollen, sofern sie ihren ersten Rentenantrag bis zum 30.06.2003 gestellt haben. Die Kammer sieht sich deshalb auch wegen der gesetzgeberischen Intention, mit diesem Gesetz "für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht haben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung" zu schließen (so auch das Bundessozialgericht in der vorgenannten Entscheidung vom 03.05.2005), darin bestätigt, hier aus Gründen der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die anspruchseinschränkenden Normen des § 44 Abs. 4 SGB X und des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, zumal es – da es hier um die Entschädigung für menschenunwürdiges Leben unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft geht, die Menschenwürde aber nach Art. 1 des Grundgesetzes höchstes Gut ist – auch unter Berücksichtigung dieses besonderen Stellenwertes des vom Gesetzgeber gewollten Entschädigungsgedankens (vgl. dazu Bundestags-Drucksache 14/8583, Seite 6) zwingend geboten erscheint, diejenigen Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechtes bzw. des Rentenversicherungsrechtes nicht anzuwenden, die eine Nachzahlung der Rente für Zeiten vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 ausschließen; die Kammer sieht sich dabei auch bestätigt durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Entschädigungsrecht nach dem Bundesentschädigungsgesetz vom 22.02.2001 (Aktenzeichen: IX ZR 113/00), die in ähnlicher Weise wie die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – davon ausgeht, dass der Zweck von auf Entschädigung gerichteten Regelungen dahin geht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, weshalb eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte machen würde (ähnlich auch schon Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.12.1994 – IX ZR 63/94 -, LM § 35 BEG 1956 Nr. 34 zu II.2).- In die gleiche Richtung geht, worauf die Klägerseite zutreffend hingewiesen hat, auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.1960 - 1 RA 38/60- ( in BSGE 13, 67ff ). Dort hat das Bundessozialgericht ausgeführt: " Das LSG selbst hat das Unbefriedigende seiner Lösung erkannt, glaubte aber, die Klärung des Widerspruchs zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und einer echten Wiedergutmachung dem Gesetzgeber überlassen zu müssen. Dabei hat das Gericht jedoch nicht die enge Verbindung zwischen der Stellung der Verfolgten in der Sozialversicherung und ihrer Stellung im allgemeinen Entschädigungsrecht berücksichtigt, eine Verbindung, auf die der Senat schon in einer früheren Entscheidung hingewiesen hat ( BSGE 10 S. 113). Im gesamten Entschädigungsrecht gebührt dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es darf deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden - und ihr gebührt der Vorzug -, die dazu führt, das verursachte Unrecht so weit wie möglich auszugleichen ( vgl. auch BGH, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1955, S. 55, 57 )."
Die rückwirkende Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 wird im Falle der Klägerin auch nicht durch die Regelung des § 16 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) ausgeschlossen; denn die Klägerin hat keine Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten, sodass sich eine Prüfung, ob und ggf. inwieweit der Erhalt von Leistungen nach dem EVZStiftG die Bewilligung von Leistungen unter Anwendung der Normen des ZRBG ausschließt, erübrigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Die Kammer hat hier nach § 161 Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen, weil sie die grundsätzliche Bedeutung der streitigen Rechtsfrage, ob die Rente bei Berechtigten des Personenkreises des § 1 des ZRBG in dem Falle, dass der erstmalige Rentenantrag noch vor Juli 2003 gestellt ist, auch dann schon ab dem 01.07.1997 zu gewähren ist, wenn bereits eine bestandskräftig gewordene Ablehnung des Rentenantrages vorlag und die Rente erst danach aufgrund eines Überprüfungsverfahrens unter Anwendung von § 44 SGB X oder des § 100 Abs. 4 SGB VI bewilligt wurde, bejaht. Dazu sind beim Sozialgericht Düsseldorf bereits Verfahren in dreistelliger Anzahl anhängig geworden, und es gehen auch laufend dazu weitere neue Klagen ein.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) zu gewähren ist.
Die Klägerin wurde am 00.00.1929 in T/ Kreis Luck/ damals Polen als polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung geboren. Zumindest vom 15.09.1941 bis Februar 1944 war sie durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Freiheit beeinträchtigt bzw. ihrer Freiheit beraubt. Während dieses Zeitraumes war sie jedenfalls von September 1941 bis zumindest dem 31.05.1942 gezwungen, im Ghetto Sofievka, das damals zum Generalbezirk Wolhynien-Podolien des sog. Reichskommissariates Ukraine gehörte, zu wohnen. In dieser Zeit ging sie zumindest vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 einer ihr durch den Judenrat des Ghettos vermittelten Beschäftigung in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka nach; als Entlohnung erhielt sie dafür Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe. Von September 1943 an bis zu ihrer Befreiung im Februar 1944 lebte sie in der Illegalität im Walde S bei Sofievka/ Bezirk Zuman. Nach der Befreiung blieb sie bis 1957 als sowjetische Staatsbürgerin in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik der Sowjetunion. Von 1957 bis 1959 hielt sie sich als polnische Staatsbürgerin in Polen auf. Im Februar 1959 wanderte sie von dort nach Israel ein, wo sie seitdem als israelische Staatsangehörige lebt. Sie hat keine Leistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) und auch keine Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit für die Zeit ihrer Beschäftigung während ihres Ghettoaufenthaltes geltend gemacht.
Am 30.12.2002 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin, unter anderem die Gewährung der Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG. Dazu gab sie in einem von der BfA, Berlin, ausgearbeiteten Fragebogen unter dem 17.02.2003 an, sie sei von November 1941 bis September 1943 in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka damit beschäftigt gewesen, das zugeschnittene Lederteil auf der Maschine zusammenzunähen. Sie habe die Werkstätte gereinigt, aufgeräumt, die genähten Schuhe sortiert und dann an Schuster weitergegeben. Die Arbeitsvermittlung sei durch den Judenrat des Ghettos erfolgt. Als Entlohnung habe sie Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe bekommen.
Die Beklagte zog die die Klägerin betreffende Bundesentschädigungsgesetz(BEG)-Akte der Bezirksregierung Düsseldorf – Abteilung Wiedergutmachung – und die bei der Jewish Claims Conference (JCC), Frankfurt am Main, über die dort von der Klägerin gestellten Anträge verwahrten Unterlagen bei.
Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2004 ab, der Klägerin eine Rente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, die Klägerin erfülle nicht die für eine Rentengewährung erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) im Sinne des § 34 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Im Falle der Klägerin seien keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden. Gegenüber der JCC habe die Klägerin angegeben, sie habe im Ghetto unter menschenunwürdigsten Bedingungen gelebt und ständig an Hunger und Kälte sowie an anderen Entbehrungen gelitten. Ausgehend von diesen Angaben sei es nicht glaubhaft, dass die Klägerin im Ghetto ein Beschäftigungsverhältnis aus freiem Willensentschluss und gegen Entgelt ausgeübt habe. Eine entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto liege vor, wenn hierfür in wesentlichem Umfang Entgelt gewährt worden sei. Die der Klägerin gewährte Nahrung könne nicht als ausreichendes Entgelt im Sinne des ZRBG angesehen werden. Eine Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG könne daher nicht erfolgen. Eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten könne nicht erfolgen, weil die Versicherteneigenschaft nicht vorliege.
Den gegen den Bescheid vom 01.03.2004 am 24.03.2004 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, eine Beschäftigung im Ghetto gegen Entgelt sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Klägerin habe angegeben, durch Lebensmittel entlohnt worden zu sein. Diese Tatsache erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Die Beklagte berief sich in ihrer Begründung auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R -.
Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 erhobene und unter dem Aktenzeichen S 55 (27) R 278/05 Sozialgericht Düsseldorf geführte Klage wies das Sozialgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 26.04.2006 ab. In seiner Begründung führte es unter anderem aus, die Voraussetzungen für eine Regelaltersrente seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt, da keine auf die allgemeine Wartezeit anrechenbaren Pflichtbeitragszeiten gegeben seien, so dass Ersatzzeiten – sofern gegeben – mangels Versicherteneigenschaft ebenfalls nicht anzurechnen seien. Pflichtbeitragszeiten könnten insbesondere nicht nach den §§ 1, 2 ZRBG Berücksichtigung finden oder als gezahlt gelten. Es sei bereits nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin entgeltlich im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) ZRBG beschäftigt gewesen sei. Entgeltlichkeit der Beschäftigung liege nur dann vor, wenn dem Betroffenen für die Tätigkeit eine Gegenleistung gewährt worden sei, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in einem "angemessenen" Verhältnis stehe. Die Klägerin habe im Rentenverfahren angegeben, für ihre Beschäftigung Essen am Arbeitsort erhalten zu haben. Bei dieser Art der Entlohnung handele es sich nach Ansicht der Kammer "nur" um ein "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft", wie es gerade typisch für Zwangsarbeitsverhältnisse sei.
Die gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.04.2006 eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13.05.2008 (- L 18 R 77/06 -) zurück. Die Revision ließ es nicht zu.
Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 15.10.2008 (- B 13 R 333/08 B -) als unzulässig.
Am 24.08.2009 stellte die Klägerin den Antrag, im Hinblick auf die Urteile des 13. und 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 (B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R, B 13 R 139/08 R, B 5 R 26/08 R und B 5 R 66/08 R) den ablehnenden Bescheid vom 01.03.2004 im Verfahren gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen.
Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin durch den Bescheid vom 21.04.2010 ab dem 01.01.2005 die Regelaltersrente. Dieser legte sie gemäß den Vorschriften des ZRBG eine Pflichtbeitragszeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 – dem von ihr angenommenen Zeitpunkt der Schließung des Ghettos Sofievka – und eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vom 10.12.1943 bis zum 31.12.1949 zugrunde. In Bezug auf den Beginn der Rente führte sie unter anderem aus, die höhere Leistung werde längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde oder der Antrag auf Rücknahme des Bescheides gestellt worden sei.
Gegen den Bescheid vom 21.04.2010 erhob die Klägerin am 28.04.2010 Widerspruch. Sie machte sinngemäß unter anderem geltend, die Rente müsse ab dem 01.07.1997 beginnen. § 44 Abs. 4 SGB X könne keine Anwendung finden, da er sie, die Klägerin, in rechtswidriger Weise benachteilige und da ein Rückgriff auf diese Norm rechtsmissbräuchlich wäre. Die dem Ablehnungsbescheid vom 01.03.2004 zugrunde liegende Auffassung, dass sie, die Klägerin, im Ghetto keiner entgeltlichen Beschäftigung aufgrund eines eigenen Willensentschlusses nachgegangen sei, sei offenkundig rechtswidrig gewesen, wie die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 (B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R , B 13 R 139/08 R, B 5 R 26/08 R und B 5 R 66/08 R) in eindrucksvoller Weise bestätigt habe. Sie, die Klägerin, könne sich gegen die nur vierjährige Rückwirkung auf die Grundgedanken der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – berufen. In dieser Entscheidung sei die Deutsche Rentenversicherung unter Nichtanwendung des § 306 SGB VI dazu verpflichtet worden, auch bei sog. Bestandsrenten (Rentenbezug bereits vor dem 01.07.1997) das ZRBG anzuwenden und erhöhte Renten ab dem 01.07.1997 zu zahlen. Das Bundessozialgericht habe sich in dem vorgenannten Urteil durch Rechtsfortbildung im Wesentlichen auf die Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Grundgesetz (GG), durch den eine Anwendung des dort streitigen § 306 Abs. 1 SGB VI ausgeschlossen worden sei, berufen. Nur dadurch, so das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 03.05.2005, könne das mit dem ZRBG angestrebte gesetzgeberische Ziel umgesetzt und eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Personengruppen vermieden werden. Weiter heiße es in dem o. a. Urteil des Bundessozialgerichts: "Bei vollständiger Würdigung von Sinn und Zweck des ZRBG ist diesem Gesetz vielmehr zu entnehmen, das möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt haben, in den Genuss der Rentenzahlung, auch ins Ausland, kommen sollen. Die vom Senat vorgenommene Rechtsfortbildung ist unerlässlich, um nicht einen Personenkreis von der Rechtswohltat des ZRBG auszugrenzen, der sich – abgesehen vom Zeitpunkt der Antragstellung – von den übrigen Anspruchsberechtigten des Gesetzes nicht unterscheidet." Dabei betone das Bundessozialgericht insoweit nochmals die gesetzgeberische Intention für den Erlass des ZRBG, "mit diesem Gesetz für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht haben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung" zu schließen, wobei es auf das Gesetzgebungsverfahren hingewiesen habe. Vor diesem Hintergrund, so habe das Bundessozialgericht im Urteil vom 03.05.2005 weiter ausgeführt, sei es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG schlechterdings nicht vertretbar, den Personenkreis von der Gesetzeswohltat des ZRBG auszuschließen, der die Gewährung von Altersruhegeld bereits vor dem 18.06.1997 beantragt gehabt habe. Wie das Bundessozialgericht für Bestandsrentner von "einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlung von im Wesentlichen vergleichbaren Personengruppen" spreche und diese Gleichbehandlung nach dem dortigen Urteil des Bundessozialgerichts nur erreicht werden könne, wenn das Recht dahingehend fortgebildet werde, dass für den besonderen Personenkreis der Berechtigten nach dem ZRBG die dortige Ausnahmevorschrift des § 306 Abs. 1 SGB VI nicht nachteilig angewendet werden dürfe, um durch diese Nichtanwendung im Rentenversicherungsrecht durch nationalsozialistisches Unrecht eingetretene Schäden wieder auszugleichen, müssten diese Grundsätze auch gegen die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X herangezogen werden. Nur so könne das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten, auch in den Genuss der Rentenzahlung ins Ausland kommen zu lassen, erreicht werden, und zwar in umfassender Weise schon ab dem 01.07.1997. Wenn das Bundessozialgericht weiterhin darauf verweise, dass "eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung bei einem dahinter stehenden vergleichbaren Verfolgungsschicksal ...vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vertretbar" sei, müsse dies auch unabhängig davon gelten, wann ein Anspruch rechtswidrig abgelehnt worden sei und ob dagegen ein Rechtsmittel eingelegt worden sei oder nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei einem fristgerecht gestellten ZRBG-Antrag, der vor den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 abschlägig beschieden worden sei und gegen den aufgrund der einheitlich negativen Entscheidungspraxis sämtlicher Versicherungsträger und der Sozialgerichtsbarkeit kein Widerspruch oder Klageverfahren eingeleitet worden sei, der Antragsteller über § 44 Abs. 4 SGB X nur 4 Jahre zurück die begehrte Rente erhalten solle und dass Antragsteller, die nicht resigniert hätten und das Verfahren über den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Rechtsprechung vom Juni 2009 hinaus fortgesetzt hätten, nunmehr eine Rente ab dem 01.07.1997 erhielten. Dies widerspreche dem Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung und des Willkürverbotes. Beide Personengruppen unterschieden sich in ihrem Verfolgungsschicksal nicht, so dass nur durch eine Gleichbehandlung das gesetzgeberische Ziel, alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten, auch in den Genuss einer frühestmöglichen Rente kommen zu lassen, erreicht werden könne. Im Übrigen hätte die Beklagte im Rahmen der Gleichbehandlung nach Art. 3 GG – wie schon anlässlich des Urteils vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – die Möglichkeit der erneuten rechtswahrenden Antragstellung für ein Jahr nach Verkündung der Entscheidung eröffnen müssen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, nach § 44 Abs. 4 SGB X würden bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde. Erfolge die Rücknahme auf Antrag, trete bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen seien, anstelle der Rücknahme der Antrag. Ausgehend vom Überprüfungsantrag der Klägerin vom 24.08.2009 werde die Rente daher zutreffend ab dem 01.01.2005 geleistet. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stelle eine ausgewogene Gesamtregelung dar, die zwischen dem Interesse des Einzelnen an einer möglichst vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung einerseits und dem Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer möglichst geringen finanziellen Belastung mit Ausgaben für Leistungen für zurückliegende Zeiträume andererseits vermittele. Das Bundessozialgericht habe daher keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Vorschrift verfassungsgemäß sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85 -). Die anspruchsvernichtende Wirkung des § 44 Abs. 4 SGB X trete auch dann ein, wenn der Versicherungsträger bei Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes schuldhaft gehandelt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Vierjahresfrist selbst im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu beachten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2007 – B 13 R 58/06 R -). Auch in den Fällen, in denen ein Ablehnungsbescheid mangels Mitwirkung ergangen sei, sei bei späterer Nachholung der Mitwirkungshandlung der Rechtsgedanke des § 44 Abs. 4 SGB X im Rahmen der vom Versicherungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung heranzuziehen. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSGE 60, 245, 247) entnehme der Vorschrift sogar einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach Sozialleistungen nicht über 4 Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren seien. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme – und Rückforderungsvoraussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht entnehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Diese Anträge seien mit bestandskräftiger Bescheiderteilung verbraucht. Später gestellte Überprüfungsanträge sollten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Dies gelte entsprechend auch für Überprüfungen von Amts wegen. Die Widerspruchsstelle weise darauf hin, dass die ungünstige Sonderregelung des § 100 Abs. 4 SGB VI, die in Fällen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rückwirkende Leistungen ausschließe, nicht angewendet worden sei. Im Unterschied zu § 100 Abs. 4 SGB VI, der erst am 01.05.2007 in Kraft getreten sei, sei dem ZRBG-Gesetzgeber die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Abs. 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. Auch unter Gleichheitsaspekten gebe es im Rahmen des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X keinen Anlass für eine Nichtanwendung dieser Vorschrift in ZRBG-Fällen. Denn § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X unterscheide in seinen Rechtsfolgen nicht danach, ob und wann ein Überprüfungsantrag gestellt worden sei. Ebenso wenig unterscheide § 44 Abs. 4 SGB X danach, auf welchem konkreten Rechtsgrund die zusprechende Entscheidung des Leistungsträgers beruhe. Vielmehr erhielten alle Betroffenen rückwirkend Leistungen für maximal 4 Jahre.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 richtet sich die am 06.07.2010 bei dem Sozialgericht Düsseldorf eingegangene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung der Regelaltersrente auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 weiterverfolgt.
Die Klägerin wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend sinngemäß vor, sie sei in Anbetracht der Verfolgung ihrer Ansprüche bis zu der erfolglosen Revisionsnichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht sicherlich auch eine der "Vorkämpferinnen" (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R -), die zur Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur ZRBG-Problematik mit dessen Urteilen vom 02. und 03.06.2009 beigetragen habe, nur dass sie mit dem "Mangel" behaftet sei, dass ihr Engagement ca. 7 Monate vor dem Juni 2009 zum Abschluss gekommen sei. In ihrem Falle, der dadurch gekennzeichnet sei, dass sie ihr Verfahren intensiv über 4 Jahre betrieben habe, werde dabei der Gleichheitssatz in besonders eklatanter Weise dadurch verletzt, dass sie deshalb schlechter gestellt werde, weil gegen Sie noch vor Juni 2009 entschieden worden sei, während Antragsteller, die ihr Verfahren noch bis Juni 2009 hätten offen halten können, nunmehr die Rente ab dem 01.07.1997 erlangten. Die nicht kontrollierbaren und zufälligen Verfahrensabläufe könnten nicht Grundlage dafür sein, ob jemand seine Rente ab dem 01.07.1997 oder nur für 4 Jahre rückwirkend nach § 44 Abs. 4 SGB X erhalte. Ein solcher Maßstab sei willkürlich und damit grundrechtswidrig. - Darüber hinaus sei darauf zu verweisen, dass das ZRBG entschädigungsrechtlichen Charakter habe, wie durch die Gesetzesmaterialien bestätigt werde. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Bundestags-Drucksache 14/8823, Seite 5) werde ausgeführt, dass die Mitglieder aller Fraktionen darin übereinstimmten, "dass mit der Gesetzesinitiative endlich eine Lücke bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geschlossen wurde". Bei ihrer Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X lasse die Beklagte in ihren Überlegungen die Zielsetzung des ZRBG mit seinem entschädigungsrechtlichen Hintergrund unbeachtet. Schon 1959 habe sich das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 26.06.1959 (BSGE 10, 113, 116 f) ausführlich damit auseinandergesetzt, nach welchen Grundsätzen Entschädigungsrecht in der Sozialversicherung anzuwenden sei und sich dabei auf das dem WGSVG vorangegangene Gesetz, das "Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung" vom 22.08.1949 bezogen und festgestellt, dass das Verfolgtengesetz als eine Entschädigung zu den Sozialversicherungsgesetzen erlassen worden sei und es ideenmäßig und inhaltlich zu jenen Gesetzen gehöre, die der Wiedergutmachung des durch nationalsozialistische Verfolgungen erlittenen Unrechts dienten, und damit als wesentlicher Bestandteil des Entschädigungsrechts betrachtet werden müsse. Weiterhin werde darauf verwiesen, dass das Bundesentschädigungsgesetz bei der Regelung von Schäden, die im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen und in der Alterssicherung eingetreten seien, von eigenen Vorschriften für Schäden in der Sozialversicherung absehe und stattdessen auf das Verfolgtengesetz hinweise (§§ 5, 138 BEG). Daraus folgere das Bundessozialgericht, dass die dem Entschädigungsrecht zugrunde liegenden allgemeinen Gedanken bei der Auslegung des Verfolgtengesetzes zugrunde gelegt werden müssten. Bei diesem Gesetz gebühre dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Bewahrung des sozialversicherungsrechtlichen Systems. Das Entschädigungsrecht wolle – so weiter das BSG – zumindest geldlich eine umfassende Wiedergutmachung gewährleisten. Oberster Grundsatz der Wiedergutmachung sei die Entschädigung des tatsächlich erlittenen Schadens. Sei ein Verfolgter infolge von Verfolgungsmaßnahmen schlechter gestellt als ein nicht Verfolgter, so solle ihm "Rechtswiederherstellung" gewährt werden. Diese Ansicht des Bundessozialgerichts werde nach den dortigen Ausführungen durch die Überlegung gestützt, dass das Verfolgtengesetz selbst zugunsten der Verfolgten Abweichungen vom üblichen Rentensystem billige. Schon vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26.06.1959 habe sich der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 22.11.1954 zu den Zielen des Entschädigungsrechts geäußert und festgestellt: "Ziel und Zweck der RE- und Entschädigungsgesetzgebung ist, das verursachte Unrecht so bald und so weit als irgend möglich wiedergutzumachen. Eine Auslegung des Gesetzes, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, verdient daher den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung, die die Wiedergutmachung erschwert und zunichte macht." Diesen grundlegenden Gedanken sei das Bundessozialgericht auch in seiner weiteren Rechtsprechung zu diesen Fragen gefolgt, und es habe in seiner Entscheidung vom 16.09.1960 (BSGE 13, 67, 69, 71) bestätigt, dass "die Verfolgten des Nationalsozialismus ...in der Rentenversicherung – wie in der gesamten Sozialversicherung und auch in anderen Rechtsgebieten – eine Rechtsstellung eigener Art (einnehmen). Sie haben ihre Sonderstellung in der Sozialversicherung durch das Verfolgtengesetz erhalten, das wiederum ein Bestandteil des BEG ist (vgl. BSG 10 S.113). Das Verfolgtengesetz ist gekennzeichnet durch das Bestreben, die sozialrechtliche Wiedergutmachung zu einer echten Schadensersatzleistung zu machen ..." In seinem Urteil vom 16.09.1960 – 1 RA 38/60 – bestätige das Bundessozialgericht weiterhin "die enge Verbindung zwischen der Stellung der Verfolgten in der Sozialversicherung und ihrer Stellung im allgemeinen Entschädigungsrecht", eine Verbindung, die berücksichtigt werden müsse und auf die der Senat schon in einer früheren Entscheidung (BSGE 10, Seiten 113 ff.) hingewiesen habe. Es fahre fort, im gesamten Entschädigungsrecht gebühre dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es dürfe deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden – und ihr gebühre der Vorzug -, die dazu führe, das verursachte Unrecht so weit wie möglich auszugleichen. - Auch die sozialversicherungsrechtliche Kommentarliteratur habe sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts angeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 zu verurteilen, der Klägerin zusätzlich die Regelaltersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Ansicht der Klägerin, dass der Rückgriff auf § 44 Abs. 4 SGB X eine unangemessene Benachteiligung darstelle und dem Sinn und Zweck des ZRBG zuwiderlaufe, sei zu widersprechen. Eine derartige Begründung lasse sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus den Motiven herleiten. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme- und Rückforderungsvoraussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht entnehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Später gestellte Anträge sollten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – sei nicht zielführend. In dieser Entscheidung habe das Bundessozialgericht erstmalig darüber entschieden, ob in den Fällen, in denen Antragsteller nach dem ZRBG bereits vor dem 01.07.1997 eine Rente bezogen hätten, einer Neufeststellung der Rente nach dem ZRBG § 306 SGB VI entgegenstehe. Da in diesem Verfahren ein fristgerechter Antrag vorgelegen habe, sei die Frage des Leistungsbeginns nicht streitig gewesen, sondern allein die Frage, ob das ZRBG überhaupt auf derartige Fälle Anwendung findet. Das Bundessozialgericht habe sich in dieser Entscheidung auch nicht entscheidungserheblich zum Renten- bzw. Zahlungsbeginn geäußert. Insoweit sei der vorliegende Rechtsstreit mit dem vom Bundessozialgericht am 03.05.2005 entschiedenen Fall nicht vergleichbar. Soweit die Klägerseite auf weitere Ausführungen dieser Entscheidung verweise, dass "eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung bei einem dahinterstehenden vergleichbaren Verfolgungsschicksal ...vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vertretbar" sei, sei dem zu entgegnen, dass sich diese Formulierungen auf die vor Inkrafttreten des ZRBG gestellten Anträge und daraufhin bewilligte Leistungen bezogen hätten. Diese gerichtliche Feststellung könne nicht derart interpretiert werden, dass das Bundessozialgericht die vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmte Antragsfrist generell habe außer Kraft setzen wollen. - Soweit der Gesetzgeber – entgegen den aktuell anzuwendenden Regelungen – für alle ZRBG-Berechtigten eine Leistung zum 01.07.1997 unabhängig von der Antragstellung oder dem Wiederaufgreifen des Verfahrens vorsehen wollte, müsste er in das ZRBG eine entsprechende ausdrückliche Regelung des Renten- und Zahlungsbeginns aufnehmen. Dem ZRBG-Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Seitens der Rechtsprechung bestünden gegenüber der Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch der von der Klägerin in anderem Zusammenhang angesprochenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – lasse sich indirekt entnehmen, dass § 44 Abs. 4 SGB X grundsätzlich gelte, wenn die Spezialregelung des § 3 ZRBG keine Anwendung finde. Dies sei der Fall, wenn die Fiktionswirkung des § 3 ZRBG verbraucht sei. Vorliegend sei das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.05.2008 rechtskräftig geworden. Damit seien die Rechte aus dem fristgerechten Antrag verbraucht. Bei eingetretener Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung habe ein solcher Rentenanspruch nur im Wege des Überprüfungsantrags und mit der daraus sich ergebenden Konsequenz des § 44 Abs. 4 SGB X geltend gemacht werden können. Soweit in anderen Fällen am 02./03.06.2009 Gerichtsverfahren noch anhängig gewesen seien, hätten diese auf einem fristgerecht gestellten Antrag basiert. Dies sei ein vom Gesetzgeber vorgesehenes Differenzierungsmerkmal, welches diese Verfahren von rechtskräftig oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren unterscheide und insoweit auch eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege somit nicht vor; eine Gleichbehandlung mit Fällen noch anhängiger Verfahren aufgrund eines fristgerecht gestellten Erstantrages könne die Klägerin nicht erfolgreich einfordern. Maßgebliches Differenzierungsmerkmal für die Anwendung von § 44 SGB X sei die gesetzliche Vorgabe, dass ein bestandskräftiger rechtswidriger Bescheid vorliege. - Es treffe nicht zu, dass das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen vom 02./03.06.2009 die bis dahin vertretene Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger als offenkundig rechtswidrig festgestellt habe. Vielmehr sei in den vorgenannten Entscheidungen eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. Nicht nur die Rentenversicherungsträger, sondern auch die Sozialgerichtsbarkeit habe für die Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG bis zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Kriterien "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" die strengeren Maßstäbe angelegt, die vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – festgelegt worden seien. Bei einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung könne aber die bisherige Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger nicht als von Beginn an offenkundig rechtswidrig beurteilt und daraus die Folgerung gezogen werden, die Rentenversicherungsträger hätten auch bereits vor Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ghettobeitragszeiten anerkennen und hieraus Renten ab dem 01.07.1997 bewilligen müssen. In der Konsequenz könne auch daraus nicht der weitere Schluss gezogen werden, dass nunmehr bei Überprüfungsanträgen § 44 Abs. 4 SGB X keine Anwendung finden könne und die Antragsteller im Wege der Gleichbehandlung Rentenleistungen ab dem 01.07.1997 erhalten müssten. § 44 Abs. 4 SGB X differenziere nicht zwischen (vermeintlich) offenkundig rechtswidrigen und einfach rechtswidrigen Bescheiden. - Die am 01.05.2007 in Kraft getretene Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI regele sogar abweichend von § 44 SGB X, dass ein rechtswidriger, nicht begünstigender und bestandskräftiger Bescheid nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden könne, wenn der Bescheid auf einer Rechtsnorm beruhe, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als von den Rentenversicherungsträgern ausgelegt werde. Nach der Gesetzesbegründung diene diese Regelung der Stärkung des Interesses der Solidargemeinschaft an Rechtssicherheit und der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung. Die Rentenversicherungsträger hätten sich aber darauf verständigt, diese für die Betroffenen ungünstigere Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, weil diese Vorschrift dem ZRBG-Gesetzgeber im Unterschied zu § 44 Abs. 4 SGB X nicht bekannt gewesen sei und er daher die Anwendung von § 100 Abs. 4 SGB VI nicht habe ausschließen können.
Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Vorprozessakte S 55 (27) R 278/05 Sozialgericht Düsseldorf, der die Klägerin betreffenden BEG-Akte der Bezirksregierung Düsseldorf – Abteilung Wiedergutmachung – und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet.
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als die Beklagte ihr die Regelaltersrente nicht auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) nachgezahlt hat.
Denn die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass ihr auch für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des ZRBG bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) gewährt wird.
Mit dem Bescheid vom 21.04.2010 hat die Beklagte zu Recht den Bescheid vom 01.03.2004 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, weil durch diesen Verwaltungsakt, wie es für eine derartige Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gefordert wird, das Recht unrichtig angewandt worden ist und dadurch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach dem Ergehen der Urteile des Bundessozialgerichts vom 02.06.2009 ( - B 13 R 81/08 R -, - B 13 R 139/08 R -, - B 13 R 85/08 R -) und vom 03.06.2009 (- B 5 R 66/08 R – und – B 5 R 26/08 R -) steht nämlich fest, dass die dem Bescheid vom 01.03.2004 zugrunde liegende Rechtsauffassung rechtswidrig war, dass stattdessen eine Beschäftigung in einem Ghetto auch dann als aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen zu werten ist, wenn für die Ghettobewohner Arbeitspflicht bestand, der Betroffene aber nicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen wurde, sondern – insbesondere bei einer Vermittlung durch den Judenrat wie im Falle der Klägerin – das Ob und Wie der Arbeit bestimmen konnte, dass Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) ZRBG jede Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien ist, ohne dass sie irgendeine Geringfügigkeitsgrenze überschreiten müsste, - vielmehr reicht die Gewährung freien Unterhalts dafür aus – und dass es auch unerheblich ist, ob das Entgelt dem Beschäftigten direkt oder Dritten (z. B. dem Judenrat) zukam. Durch diese in den o. a. Urteilen der nunmehr einzigen für die Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständigen Senate des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 übereinstimmend zum Ausdruck gebrachte Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) und b) ZRBG vorgeschriebenen Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung, die jetzt auch von den Rentenversicherungsträgern ohne jede Einschränkung akzeptiert und angewandt wird, ist nunmehr andererseits abschließend geklärt, dass die dem entgegenstehende Interpretation des Rentenversicherungsträgers, der Instanzgerichte und auch des Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – rechtswidrig war.
Im Übrigen liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Regelaltersrente – ab dem 01.07.1997 – vor, weil die Klägerin mit Ablauf des 09.12.1994 das 65. Lebensjahr vollendet hatte und weil sie unter Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 und der die Zeit vom 10.12.1943 bis zum 31.12.1949 umfassenden Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI die in § 35 SGB VI vorgeschriebene Mindestversicherungszeit (allgemeine Wartezeit) von 5 Jahren zurückgelegt hat, da eben diese vorgenannten Zeiten gemäß § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren angerechnet werden.
Für die Zeit vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942, während deren die Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt nachging, erhält sie auch nicht bereits eine Leistung aus einem System der Sozialen Sicherheit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZRBG. –
Auf diese Regelaltersrente hat sie aber entgegen dem angefochtenen Bescheide bereits ab dem 01.07.1997 einen Anspruch. Denn sie hatte den ursprünglichen Rentenantrag am 30.12.2002 gestellt, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt, und dies führt aufgrund des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI und aufgrund dessen, dass § 3 ZRBG gemäß Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002 (Bundesgesetzblatt Teil I 2002, Seiten 2074, 2075) mit Wirkung vom 01.07.1997 in Kraft getreten ist, dazu, dass die Regelaltersrente auch bereits ab dem 01.07.1997 zu zahlen ist, weil dieser rückwirkenden Gewährung der Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 weder § 44 Abs. 4 SGB X noch § 100 Abs. 4 SGB VI entgegensteht:
Diese die Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vor dem 01.01.2005 an sich ausschließenden Normen, die an sich von ihrem Wortlaut her wegen der nach § 77 bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 01.03.2004 und 03.05.2005 auch den Fall der Klägerin erfassen, sind auf den Fall der Klägerin nicht anzuwenden, da der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) es im Wege richterlicher – aus Verfassungsgründen notwendiger – Rechtsfortbildung zur Überzeugung der Kammer zwingend erfordert, die allgemeinen, die Rente von Versicherten beschränkenden Verfahrens- und Ausschlussvorschriften des Sozialrechts (hier § 44 Abs. 4 SGB X und § 100 Abs. 4 SGB VI) nicht anzuwenden. Diese müssen vielmehr zurücktreten zugunsten der hier gebotenen alleinigen Anwendung der Vorschriften des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. Art. 1 § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002, wonach der Rentenantrag der Klägerin vom 30.12.2002 als bereits am 18.06.1997 gestellt gilt mit der Folge eines Beginns der Rente schon ab dem 01.07.1997. Das eine solche von der Kammer vorgenommene Auslegung geboten ist, ergibt sich – auch und gerade unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundgedanken der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – zur Nichtanwendung von § 306 SGB VI bei sog. Bestandsrentnern, die in Ghettos gearbeitet haben – daraus, dass – ähnlich wie in dieser vorgenannten Entscheidung zu den sog. Vorkämpfern für die Ghettorenten – hier sonst diejenigen aus rassischen Gründen bzw. wegen ihres Glaubens Verfolgten, welche einen Rentenantrag noch fristgerecht vor Juli 2003 stellten, Leistungen aber wie die Klägerin erst ab dem 01.01.2005 erhalten, ohne ausreichenden sachlichen Grund benachteiligt würden gegenüber denjenigen Versicherten bzw. Verfolgten, die ihren Rentenantrag noch vor Juli 2003 stellten, aber davon profitieren konnten, dass ihr Rentenantrag noch nicht vor dem Ergehen der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 bestandskräftig oder rechtskräftig beschieden war, und die infolge dessen die ihnen nunmehr zuerkannten Leistungen rückwirkend bereits ab dem 01.07.1997 erhalten. Für eine Benachteiligung des zuerst genannten Personenkreises besteht zur Überzeugung der Kammer kein vernünftiger Grund, weil es ansonsten angesichts der langwierigen, ca. fünfjährigen Entwicklung der Rechtsprechung der Instanzgerichte, der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts praktisch nur von Zufällen – nämlich der Verfahrensdauer – abhinge, ob ein Verfolgter mit einem Rentenantrag bis Ende Juni 2003 Rente schon ab dem 01.07.1997 bekommt oder erst ab einem späteren Zeitpunkt. Ob ein Rechtsstreit noch bis in den Juni 2009 und darüber hinaus andauerte oder nicht und ob ein Verfahren anderen Verfahren vorgezogen wurde oder nicht, bis das Bundessozialgericht mit den Urteilen vom 02. und 03.06.2009 dafür sorgte, dass die Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG normierten Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung jetzt zweifelsfrei geklärt ist (mit der Folge, dass in noch nicht bestandskräftig entschiedenen Verfahren die Beklagte nun in ca. 90 – 95 % aller noch anhängigen Verfahren den Anspruch anerkannte oder zumindest Vergleichsvorschläge unterbreitete), hing angesichts der vieltausendfachen Verfahren (jedenfalls beim Sozialgericht Düsseldorf) letztlich davon ab, wie lang eine Klageakte im Sitzungsfach des Sozialgerichts lag (oder aber im Sitzungsfach eines anderen Sozialgerichts, eines Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts), ohne dass die Kläger darauf einen entscheidenden Einfluss gehabt hätten. Diese Zufälligkeiten im Zeitablauf dürfen hier nach Auffassung der Kammer keinen Unterschied hinsichtlich der Frage des Rentenbeginns für die von Verfolgung betroffenen Ghettoarbeiter machen. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X bzw. des § 100 Abs. 4 SGB VI würde insbesondere deshalb eindeutig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen, weil dadurch in der Praxis gerade die Vorkämpfer der heutigen, sich aus den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 ergebenden Rechtsauslegung des § 1 ZRBG, zu denen auch die Klägerin gehört, und die älteren Versicherten, deren Fälle von den Kammern der Sozialgerichte in der Regel vorrangig entschieden wurden, benachteiligt würden, weil ihre Verfahren schon vor dem Ergehen der o. a. Urteile des Bundessozialgerichts vom 02./03.06.2009 rechtskräftig abgeschlossen waren; im letzteren Falle würden zudem gerade die Versicherten, die von einem früheren Rentenbeginn den größten Nutzen hätten und die in der Regel am wenigsten von der Erhöhung des Zugangsfaktors bei einem späteren Rentenbeginn profitieren würden, ohne jeden sachlichen Grund benachteiligt. In der Praxis war es nämlich vielfach so, dass die Verfahren der besonders alten Verfolgten vorgezogen wurden, um ihnen noch zu Lebzeiten eine Entscheidung zukommen zu lassen, damit ihnen im Falle der Stattgabe der Klage möglichst bald die Rente gezahlt werden könnte bzw. damit sie im Falle einer ablehnenden Entscheidung alsbald die Möglichkeit erhielten, die höheren Instanzen anzurufen. Die letztere Fallgestaltung ist ein weiterer – aber nicht primär ausschlaggebender – Gesichtspunkt dafür, dass es gegen das grundgesetzliche Gebot der Gleichbehandlung gleichartig gelagerter Sachverhalte verstoßen würde, wenn manche Verfolgte mit einem Rentenantrag noch vor Juli 2003 die Rente schon ab dem 01. Juli 1997 bekommen und andere Verfolgte mit einem Rentenantrag ebenfalls vor Juli 2003 erst ab 2005 (auf diese Problematik bereits hinweisend G, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in jurisPR-SozR 3/2010 Anmerkung 4, am Ende). Nach alledem würden letztlich diejenigen Anspruchsberechtigten, die einen erfolglosen Vorprozess führten - möglicherweise sogar in mehreren Instanzen unter Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel - , diejenigen Anspruchsberechtigten, die im Vertrauen auf die Richtigkeit einer Entscheidung eines Sozialgerichts eine ablehnende Entscheidung nicht anfochten, sowie diejenigen Anspruchsberechtigten, die eine ablehnende Entscheidung der Beklagten im Vertrauen auf die in den Bescheiden zitierten Vorschriften und Urteile hinnahmen - welche alle zu einem früheren Zeitpunkt vor Juni 2009 noch keine Rente zuerkannt bekamen - hier ohne für die Kammer erkennbaren sachlichen Grund wesentlich schlechter gestellt als diejenigen, deren Rentenantrag noch bis in den Juni 2009 hinein einer rechtskräftigen Entscheidung nicht zugeführt war; zu bedenken ist dabei auch, dass die betroffenen Personenkreise keinen nennenswerten steuernden Einfluss auf die Dauer ihres Verfahrens hatten.
Bei verständiger Würdigung von Sinn und Zweck des ZRBG, wie es das Bundessozialgericht nun in den Entscheidungen vom 02. und 03.06.2009 ausgelegt hat, ist diesem Gesetz ferner zu entnehmen, dass möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt haben, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Genuss der Rentenzahlung kommen sollen, sofern sie ihren ersten Rentenantrag bis zum 30.06.2003 gestellt haben. Die Kammer sieht sich deshalb auch wegen der gesetzgeberischen Intention, mit diesem Gesetz "für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht haben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung" zu schließen (so auch das Bundessozialgericht in der vorgenannten Entscheidung vom 03.05.2005), darin bestätigt, hier aus Gründen der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die anspruchseinschränkenden Normen des § 44 Abs. 4 SGB X und des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, zumal es – da es hier um die Entschädigung für menschenunwürdiges Leben unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft geht, die Menschenwürde aber nach Art. 1 des Grundgesetzes höchstes Gut ist – auch unter Berücksichtigung dieses besonderen Stellenwertes des vom Gesetzgeber gewollten Entschädigungsgedankens (vgl. dazu Bundestags-Drucksache 14/8583, Seite 6) zwingend geboten erscheint, diejenigen Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechtes bzw. des Rentenversicherungsrechtes nicht anzuwenden, die eine Nachzahlung der Rente für Zeiten vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 ausschließen; die Kammer sieht sich dabei auch bestätigt durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Entschädigungsrecht nach dem Bundesentschädigungsgesetz vom 22.02.2001 (Aktenzeichen: IX ZR 113/00), die in ähnlicher Weise wie die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – davon ausgeht, dass der Zweck von auf Entschädigung gerichteten Regelungen dahin geht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, weshalb eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte machen würde (ähnlich auch schon Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.12.1994 – IX ZR 63/94 -, LM § 35 BEG 1956 Nr. 34 zu II.2).- In die gleiche Richtung geht, worauf die Klägerseite zutreffend hingewiesen hat, auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.1960 - 1 RA 38/60- ( in BSGE 13, 67ff ). Dort hat das Bundessozialgericht ausgeführt: " Das LSG selbst hat das Unbefriedigende seiner Lösung erkannt, glaubte aber, die Klärung des Widerspruchs zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und einer echten Wiedergutmachung dem Gesetzgeber überlassen zu müssen. Dabei hat das Gericht jedoch nicht die enge Verbindung zwischen der Stellung der Verfolgten in der Sozialversicherung und ihrer Stellung im allgemeinen Entschädigungsrecht berücksichtigt, eine Verbindung, auf die der Senat schon in einer früheren Entscheidung hingewiesen hat ( BSGE 10 S. 113). Im gesamten Entschädigungsrecht gebührt dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es darf deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden - und ihr gebührt der Vorzug -, die dazu führt, das verursachte Unrecht so weit wie möglich auszugleichen ( vgl. auch BGH, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1955, S. 55, 57 )."
Die rückwirkende Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 wird im Falle der Klägerin auch nicht durch die Regelung des § 16 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) ausgeschlossen; denn die Klägerin hat keine Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten, sodass sich eine Prüfung, ob und ggf. inwieweit der Erhalt von Leistungen nach dem EVZStiftG die Bewilligung von Leistungen unter Anwendung der Normen des ZRBG ausschließt, erübrigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Die Kammer hat hier nach § 161 Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen, weil sie die grundsätzliche Bedeutung der streitigen Rechtsfrage, ob die Rente bei Berechtigten des Personenkreises des § 1 des ZRBG in dem Falle, dass der erstmalige Rentenantrag noch vor Juli 2003 gestellt ist, auch dann schon ab dem 01.07.1997 zu gewähren ist, wenn bereits eine bestandskräftig gewordene Ablehnung des Rentenantrages vorlag und die Rente erst danach aufgrund eines Überprüfungsverfahrens unter Anwendung von § 44 SGB X oder des § 100 Abs. 4 SGB VI bewilligt wurde, bejaht. Dazu sind beim Sozialgericht Düsseldorf bereits Verfahren in dreistelliger Anzahl anhängig geworden, und es gehen auch laufend dazu weitere neue Klagen ein.
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