Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 3990/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5632/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3. November 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialge-setzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.
Am 14.12.2006 stellte die am 1963 geborene Klägerin einen Erstantrag nach dem SGB IX und machte eine Struma nodosa, eine Refluxkrankheit, einen Bandscheibenschaden cervikal und einen Zustand nach Alkoholkrankheit als Gesundheitsstörungen geltend. Das Landratsamt R. (LRA) zog von ihrem Hausarzt, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. , und dem HNO-Arzt Dr. N. die dort vorliegenden ärztlichen Unterlagen (einschließlich orthopädischer Untersuchungsberich¬te und des Tonaudiogramms vom 12.07.2004) sowie den Kurentlassungsbericht der Reha-Klinik L. in S. vom 23.02.2004 bei. In diesem Bericht wurden als Entlassungsdiagnosen eine Alkoholabhängigkeit, eine Äthyl-toxische Fettleber, ein Zustand nach Spaltung des dritten Lendenwirbelkörpers 1988, ein Zustand nach Magenperforation 2001 (nach Ulcus) und ein Zustand nach Carpaltunnelsyndromoperation beidseits 2001 genannt. Versorgungsärztlicherseits wurde eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Bandscheibenschaden mit einem GdB von 10 als Funktionsstörung beurteilt. Keine einen GdB von wenigstens 10 bedingende Funktionsbeeinträchtigungen stellten der Verlust der Gallenblase, die Schwerhörigkeit, die Schilddrüsenerkrankung, der Zustand nach Magenperforation, die Refluxkrankheit der Speiseröhre und die Alkoholkrankheit dar. Daraufhin lehnte das LRA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 16.05.2007 mangels eines GdB von wenigstens 20 ab.
Dagegen legte die Klägerin am 30.05.2007 Widerspruch ein und machte unter Vorlage des Er-gebnisses der am 23.04.2007 im Rheumazentrum B. durchgeführten Knochendichte¬messung geltend, sie sei schon seit August 2006 arbeitsunfähig. Sie habe drei Nervenzusammen¬brüche erlitten und habe sich verschiedenen Operationen unterziehen müssen. Ferner habe sie einen Bruch des rechten Mittelhandknochens erlitten. Vor kurzem habe sie sich wegen Wirbelsäulenbeschwerden und ihren Hüftschmerzen einer Rehabilitationskur unterzogen. Das LRA zog den Kurentlassungsbericht der Rehabilitationsklink H. vom 21.05.2007 bei (Entlas-sungsdiagnosen: Deutlich rückläufiges pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom links, Osteoporose (I-Score LWS - 3,0), Hypercolesterinämie, Alkoholkrankheit (Karenzzeit 2003) und Verdacht auf euthyreote Struma) und ließ sich von Dr. S. die seit 2007 eingegangenen fachärztlichen Befunde (Facharzt für Anästhesiologie B. von 01.01.2007, Untersuchungs- berichte Gynäkologe Dr. Schn. vom 29.01.2007 und Orthopäde Dr. Ma. vom 02.02.2007) übersenden. In der hierzu eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme wurde unter zusätz-licher Berücksichtigung einer Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) ein GdB von 20 befürwortet. Mit Teilabhilfebescheid vom 13.09.2007 stellte das LRA einen GdB von 20 seit 14.12.2006 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2007 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide vom 16.05.2007 und 13.09.2007 zurück.
Am 27.11.2007 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG), mit der sie einen GdB von mindestens 30 geltend machte. Sie verwies auf den im Juni 2006 im Bereich der Halswirbelsäule und die im August 2006 im Bereich der Lendenwirbelsäule erlittenen Bandscheibenvorfälle, die zwar keine Operationen notwendig gemacht hätten, aber dazu geführt hätten, dass sie seit August 2006 ihre Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr habe ausüben können. Inzwischen sei ihre Umschulung zur Schreibkraft geplant. Es lägen zumindest mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, die einen GdB von 30 bis 40 bedingten. Hinzu kämen ein beidseitiges Carpaltunnelsyndrom (Operation 1997), ein eingeschränktes Hörvermögen und ein Magengeschwür (Magenperforation mit anschließender Opera¬tion 2001). Insoweit sei mindestens ein GdB von 10 anzusetzen.
Das SG hörte den Nervenarzt Dr. Ho. , den Orthopäden Dr. H. , Dr. S. , Dr. N. und den Internisten und Rheumatologen Dr. M. von der Rehaklinik H. schriftlich als sachverständige Zeugen. Ferner zog es von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Niederschrift über die sozialmedizinische Beratung der Klägerin am 04.07.2007 durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg und die Stellungnahme des Chirurgen Dr. C. vom 04.09.2007 zum bei der Klägerin bestehenden Rehabilitationsbedarf bei. Dr. Ho. gab (Aussage vom 06.03.2008) an, die Klägerin sei nur zwei Mal im letzten Jahr (Juni/Juli) bei ihm zur Untersuchung gewesen. Der weitere Krankheitsverlauf sei ihm nicht bekannt. Er habe bei seiner Untersuchung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung festgestellt. Dr. H. berichtete über die Behandlung der Klägerin am 07.08. und 13.09.2007 (Aussage vom 07.03.2008). Er stimme mit der Ein¬schätzung in der versorgungsärztlichen Stellungnahme überein. Die Beeinträchtigung der Wirbelsäule und die Osteoporose bedingten jeweils einen GdB von 10. Insgesamt sei ein GdB von 20 anzunehmen. Dr. S. berichtete über die Behandlung der Klägerin seit Dezember 2006 und gab an, bei der Klägerin bestehe ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Spondylarthrose, eine Bandscheibenschädigung der Lendenwirbelsäule und eine in Kernspintomogramm nachgewiesene Sacroiliitis. Ferner komme eine somatoforme Schmerzstörung bei familiären Konflikten und Konflikten am Arbeitsplatz hinzu, so dass er die Einschätzung in der versorgungsärztlichen Stellungnahme nicht teilen könne. Für das chronische Schmerzsyndrom bei degenerativem Wirbelsäulenleiden und Osteoporose sei ein GdB von 30 anzusetzen. Hinzu komme die Refluxerkrankung mit einem GdB von 10 bis 20. Insgesamt ergebe sich seiner Einschätzung nach ein GdB von maximal 50 (Aussage vom 12.03.2008). Dr. N. gab unter Vorlage des Tonaudiogramms vom 26.08.2004 und des Berichts der HNO-Klinik am Klinikum M. vom 15.08.2004 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 03.08. bis 10.08.2004 an (Aussage vom 19.03.2008), bei der Klägerin liege eine leichtgradige Schallleitungsschwerhörigkeit rechts vor. Im HNO-Bereich ergebe sich ein GdB von 0. Dr. M. von der Rehaklinik H. gelangte unter Hinweis auf die im Kurentlassungsbericht vom 21.05.2007 genannten Diagnosen zu dem Ergebnis, das Lendenwirbelsäulensyndrom links und die Osteoporose seien mit einem GdB von jeweils 10 ausreichend bewertet. Die übrigen genannten Gesundheitsstörungen bedingten keinen GdB. Seit dem Alkoholentzug 2003 und strikter Alkoholkarenz habe die Alkoholkrankheit keinen Krankheitswert mehr. Es sei zu vertreten, dass die beiden genannten Funktionsstörungen zusammengenommen mit einem GdB von 20 mehr als ausreichend bewertet seien (Aussage vom 26.03.2008). Im Bericht des MDK Baden-Württemberg vom 04.07.2007 sind als Diagnosen ein Lendenwirbelsäulensyndrom und eine Osteoporose genannt.
Die Klägerin stützte sich auf die Einschätzung von Dr. S. , wonach ein Gesamt-GdB von 50 vorliege. Der Beklagte bleib bei seiner Auffassung, dass die Funktionsstörungen der Klägerin mit einem GdB von 20 angemessen bewertet seien. Hierzu legte er die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 17.07.2008 vor.
Am 02.07.2009 und 01.10.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB und legte hierzu die Berichte über die am 18.08.2008 erfolgten Knochendichtemessungen der Lendenwirbelsäule und der linken Hüfte sowie den Kurzbericht der HNO-Klinik am Klinikum M. vom 20.07.2009 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 14.07. bis 20.07.2009 vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.11.2009 wies das SG die Klage ab. Die Funktionsstörungen der Klägerin bedingten keinen höheren GdB als 20. Die entsprechende Bewertung in der versor-gungsärztlichen Stellungnahme vom 03.09.2007 sei durch die Einschätzungen von Dr. H. vom 07.03.2008 und Dr. M. vom 26.03.2008 bestätigt worden. Die Einschätzung von Dr. S. , wonach orthopädischerseits von einem GdB von 30 auszugehen sei, könne nicht nachvollzogen werden, da dieser lediglich eine Bewegungseinschränkung beim Bücken und Heben schwerer Lasten sowie ein chronisches Schmerzsyndrom beschrieben habe. Ein GdB von 30 sei nämlich erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gerechtfertigt. Die Refluxkrankheit bedinge keinen höheren GdB als 10. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 20. Aus den mit den inzwischen gestellten zwei Änderungsanträgen vorgelegten ärztlichen Unterlagen folge kein anderes Ergebnis.
Dagegen hat die Klägerin am 03.12.2009 Berufung eingelegt, mit der sie einen GdB von mindes-tens 50 geltend macht. Sie bringt vor, ihre orthopädischen Leiden seien - im Hinblick auf drei Bandscheibenvorfälle und die Osteoporose - nicht ausreichend bewertet. Sie verweist auf die Bewertung von Dr. S. und trägt vor, sie leide auch unter einem chronischen Schmerzsyndrom. Ihre Wirbelsäulenerkrankung sei mit außergewöhnlichen Schmerzzuständen verbunden, so dass ein höherer GdB als 20 - auszugehen sei von einem GdB von 30 bis 40 - gerechtfertigt sei. Ferner habe sich sowohl das Bandscheibenleiden als auch ihre Hüftschmerzen verschlechtert. Sie hält die Einholung eines orthopädisch-neurologischen Gutachtens für erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3. November 2009 aufzuheben und die Bescheide des Beklagten vom 16. Mai 2007 und 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen bedingten keinen höheren GdB als 20. Ein außergewöhnliches Schmerzsyn-drom, das zur Erhöhung des GdB führen müsste, sei nicht nachgewiesen. Dass die Wirbelsäulen-veränderungen der Klägerin mit einem chronischen Schmerzsyndrom einhergingen, sei bekannt und bei der Bewertung mit einem GdB von 20 auch berücksichtigt. Auf ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom könne aus der Tatsache, dass sie regelmäßig Schmerzmittel (allerdings keine opioidhaltigen) verordnet bekomme, nicht geschlossen werden.
Der Senat hat Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat mit Schreiben vom 29.10.2010 unter Vorlage der Untersuchungsberichte von Dr. N. vom 10.03.2009, 10.06.2009 und 29.04.2010 die von ihm verordneten Medikamente - auch Schmerzmittel - genannt und ausgeführt, insofern werde eine regelmäßige Schmerztherapie durchgeführt. Eine spe¬zifische Überweisung zum Schmerztherapeuten sei durch ihn nicht erfolgt. Auf ergänzende Anfrage des Senats hat er unter dem 13.12.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, da seit Jahren degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbel¬säule und der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenschädigungen bekannt seien und ein chronifiziertes Schmerzsnydrom vorliege. Ferner erfolge die Verordnung der Medikamente Katadolon und Iboprufen regelmäßig aufgrund dieser Befunde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 20 oder gar 50.
Streitgegenstand ist der - den Ablehnungsbescheid vom 16.05.2007 ersetzende - Teilabhilfebescheid vom 13.09.2007 (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2007), mit dem der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 20 ab 14.12.2006 festgestellt hat. Die Klägerin macht dem gegenüber geltend, dass ihre Funktionsstörungen, insbesondere ihr mit einem außergewöhnlichen Schmerzsyndrom verbundenes Wirbelsäulenleiden, einen GdB von 50 bedingten.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass nun insoweit die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).
Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet sind. Der Senat kommt unter zusätzlicher Be¬rücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren GdB als 20. Diese Beurteilung des Senats gründet sich auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, die Angaben des vom Senat gehörten behandelnden Arztes Dr. S. und die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte.
Eine Würdigung der genannten ärztlichen Unterlagen ergibt, dass die Klägerin hauptsächlich durch ihr Wirbelsäulenleiden beeinträchtigt ist. Die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen, deren Schwerpunkt im Bereich der Lendenwirbelsäule und geringer im Bereich der Halswirbelsäule - aufgrund dadurch verursachter Kopfschmerzen - liegt, bedingen allenfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung der Osteoporose einen GdB von 20. Nach Teil B 18.9 der VG erfordert ein GdB von 20 bereits mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufige rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome). Nachdem der Orthopäde Dr. H. der Klägerin gegenüber dem SG (lediglich) eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bescheinigt und Dr. M. (nur) ein deutlich rückläufiges psyeudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom links, das mit einem GdB von 10 ausreichend bewertet sei, diagnostiziert hat, ist ein höherer GdB als 20 auch unter Einbeziehung der Osteoporose nicht anzunehmen. Hierfür gibt es keine befundmäßige Grundlage. Ein GdB von 30 würde - hier keinesfalls vorliegende - schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraussetzen.
Eine höhere Bewertung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (einschließlich Osteoporose) ist auch nicht im Hinblick auf das von der Klägerin (erstmals) im Berufungsverfahren geltend gemachte außergewöhnliche Schmerzsyndrom gerechtfertigt. Schmerzen sind grundsätzlich Teil der Bewertung der entsprechenden Funktionsbeeinträchtigung. Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen nämlich nach Teil A 2 j der VG die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. In den Fällen, in denen nach dem Sitz und dem Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaftigkeit anzunehmen ist, können höheren Werte angesetzt werden. Dies gilt insbesondere bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Beurteilungsgrundsätze hält der Senat eine Erhöhung des insoweit anzusetzenden GdB von 20 wegen der geklagten Schmerzhaftigkeit nicht für gerechtfertigt. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom liegt bei der Klägerin nicht vor. Dr. S. hat ein solches in seinem Schreiben vom 13.12.2010 zwar bejaht. Der Senat vermag ihm jedoch insoweit nicht zu folgen. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, d. h. Schmerzen, die über die mit der Funktionsstörung üblicherweise verbundenen gewöhnlichen Schmerzen hinausgehen, ist nicht nachgewiesen. Dass bei der Klägerin infolge der seit Jahren bekannten degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulenveränderungen - so Dr. S. in dem genannten Schreiben - ein chronifiziertes Schmerzsyndrom besteht, reicht hierfür nicht aus. Bei einem GdB von 20 für die genannte Funktionsstörung sind chronische Schmerzen Bestandteil dieser Bewertung. Sie sind damit nicht außergewöhnlich. Daran ändert auch die von Dr. S. angegebene Verordnung von Schmerzmitteln (Katadolon und Ibuprofen) nichts. Es handelt sich dabei um eine bei Wirbelsäulenbeschwerden übliche Schmerzbehandlung. Hinzu kommt, dass die von der Klägerin geklagte Schmerzhaftigkeit keine spezielle ärztliche Schmerzbehandlung erfordert. Dies ist aber neben dem Nachweis einer über das übliche Maß hinausgehenden Schmerzhaftigkeit nach Teil A 2 j) der VG zusätzlich erforderlich, um ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom annehmen zu können. Allein die Behandlung mit Schmerzmitteln durch den Hausarzt des Behinderten - eine schmerztherapeutische Behandlung der Klägerin ist von Dr S. nach seinem Bericht vom 29.10.2010 nicht veranlasst worden - erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
Die bei der Klägerin vorliegende Osteoporose bedingt (für sich genommen) keinen höheren GdB als 10. Diese Beurteilung gründet sich in erster Linie auf die Angaben von Dr. H. vom 07.03.2008, der die bei der Klägerin vorliegende Osteoporose als leicht bezeichnet hat, und die Einschätzung von Dr. M. von der Rehaklinik H. , der am 26.03.2008 ausgeführt hat, Funktionseinschränkungen bestünden insoweit nicht und die bestehende Schmerzsymptomatik sei als leichtgradig anzusehen. Er ging von einem GdB von maximal 10 aus. Zusammenfassend ist die Funktionsstörung im Bereich der Wirbelsäule und die Osteoporose deshalb mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet.
Die Refluxkrankheit der Speiseröhre, an der die Klägerin ebenfalls leidet, ist allenfalls mit einen GdB von 10 zu bewerten. Dr. S. hat gegenüber dem SG insoweit zwar einen GdB von 10 bis 20 angenommen. Ein GdB von 10 bis 30 ist aber nach Teil B 10.1 der VG - je nach Ausmaß - nur bei anhaltenden Refluxbeschwerden gerechtfertigt. Dass die Klägerin unter anhaltenden Refluxbeschwerden leidet, ist nicht nachgewiesen, nachdem außer Dr. S. keiner ihrer behandelnden Ärzte entsprechende Angaben gemacht hat und auch im Kurentlassungsbericht vom 21.05.2007 trotz 3-wöchigem stationärem Aufenthalt weder von ihrer Seite noch ärztlicherseits von solchen Beschwerden die Rede gewesen ist. Der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 17.07.2008 insoweit folgend, geht der Senat daher von einem GdB von 10 für die Refluxkrankheit der Speiseröhre aus.
Weitere Funktionsstörungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Dies gilt - nachdem seit 2003 eine Alkoholkarenz besteht - für die Alkoholkrankheit der Klägerin und die leichtgradige Schallleitungsschwerhörigkeit rechts, für die Dr. N. in seinem Bericht vom 19.03.2008 im Hinblick auf Teil B 5.2.4 der VG, der bei Normalhörigkeit auf einem Ohr und einer geringgradigen Schwerhörigkeit auf dem anderen Ohr einen GdB von 0 vorsieht, zu Recht keinen GdB angenommen hat.
Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 20. Bei Teil-GdB-Werten von 20 und 10 kann im Hinblick auf die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu beachtenden Beurteilungsgrundsätze (Teil A 3 der VG) ein GdB von 30 oder mehr nicht angenommen werden.
Weitere Ermittlungen sind nicht notwendig, da der medizinische Sachverhalt ausreichend geklärt ist. Der Senat sieht sich daher nicht veranlaßt, von Amts wegen - wie von der Klägerin für erforderlich gehalten - ein Gutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialge-setzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.
Am 14.12.2006 stellte die am 1963 geborene Klägerin einen Erstantrag nach dem SGB IX und machte eine Struma nodosa, eine Refluxkrankheit, einen Bandscheibenschaden cervikal und einen Zustand nach Alkoholkrankheit als Gesundheitsstörungen geltend. Das Landratsamt R. (LRA) zog von ihrem Hausarzt, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. , und dem HNO-Arzt Dr. N. die dort vorliegenden ärztlichen Unterlagen (einschließlich orthopädischer Untersuchungsberich¬te und des Tonaudiogramms vom 12.07.2004) sowie den Kurentlassungsbericht der Reha-Klinik L. in S. vom 23.02.2004 bei. In diesem Bericht wurden als Entlassungsdiagnosen eine Alkoholabhängigkeit, eine Äthyl-toxische Fettleber, ein Zustand nach Spaltung des dritten Lendenwirbelkörpers 1988, ein Zustand nach Magenperforation 2001 (nach Ulcus) und ein Zustand nach Carpaltunnelsyndromoperation beidseits 2001 genannt. Versorgungsärztlicherseits wurde eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Bandscheibenschaden mit einem GdB von 10 als Funktionsstörung beurteilt. Keine einen GdB von wenigstens 10 bedingende Funktionsbeeinträchtigungen stellten der Verlust der Gallenblase, die Schwerhörigkeit, die Schilddrüsenerkrankung, der Zustand nach Magenperforation, die Refluxkrankheit der Speiseröhre und die Alkoholkrankheit dar. Daraufhin lehnte das LRA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 16.05.2007 mangels eines GdB von wenigstens 20 ab.
Dagegen legte die Klägerin am 30.05.2007 Widerspruch ein und machte unter Vorlage des Er-gebnisses der am 23.04.2007 im Rheumazentrum B. durchgeführten Knochendichte¬messung geltend, sie sei schon seit August 2006 arbeitsunfähig. Sie habe drei Nervenzusammen¬brüche erlitten und habe sich verschiedenen Operationen unterziehen müssen. Ferner habe sie einen Bruch des rechten Mittelhandknochens erlitten. Vor kurzem habe sie sich wegen Wirbelsäulenbeschwerden und ihren Hüftschmerzen einer Rehabilitationskur unterzogen. Das LRA zog den Kurentlassungsbericht der Rehabilitationsklink H. vom 21.05.2007 bei (Entlas-sungsdiagnosen: Deutlich rückläufiges pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom links, Osteoporose (I-Score LWS - 3,0), Hypercolesterinämie, Alkoholkrankheit (Karenzzeit 2003) und Verdacht auf euthyreote Struma) und ließ sich von Dr. S. die seit 2007 eingegangenen fachärztlichen Befunde (Facharzt für Anästhesiologie B. von 01.01.2007, Untersuchungs- berichte Gynäkologe Dr. Schn. vom 29.01.2007 und Orthopäde Dr. Ma. vom 02.02.2007) übersenden. In der hierzu eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme wurde unter zusätz-licher Berücksichtigung einer Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) ein GdB von 20 befürwortet. Mit Teilabhilfebescheid vom 13.09.2007 stellte das LRA einen GdB von 20 seit 14.12.2006 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2007 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide vom 16.05.2007 und 13.09.2007 zurück.
Am 27.11.2007 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG), mit der sie einen GdB von mindestens 30 geltend machte. Sie verwies auf den im Juni 2006 im Bereich der Halswirbelsäule und die im August 2006 im Bereich der Lendenwirbelsäule erlittenen Bandscheibenvorfälle, die zwar keine Operationen notwendig gemacht hätten, aber dazu geführt hätten, dass sie seit August 2006 ihre Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr habe ausüben können. Inzwischen sei ihre Umschulung zur Schreibkraft geplant. Es lägen zumindest mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, die einen GdB von 30 bis 40 bedingten. Hinzu kämen ein beidseitiges Carpaltunnelsyndrom (Operation 1997), ein eingeschränktes Hörvermögen und ein Magengeschwür (Magenperforation mit anschließender Opera¬tion 2001). Insoweit sei mindestens ein GdB von 10 anzusetzen.
Das SG hörte den Nervenarzt Dr. Ho. , den Orthopäden Dr. H. , Dr. S. , Dr. N. und den Internisten und Rheumatologen Dr. M. von der Rehaklinik H. schriftlich als sachverständige Zeugen. Ferner zog es von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Niederschrift über die sozialmedizinische Beratung der Klägerin am 04.07.2007 durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg und die Stellungnahme des Chirurgen Dr. C. vom 04.09.2007 zum bei der Klägerin bestehenden Rehabilitationsbedarf bei. Dr. Ho. gab (Aussage vom 06.03.2008) an, die Klägerin sei nur zwei Mal im letzten Jahr (Juni/Juli) bei ihm zur Untersuchung gewesen. Der weitere Krankheitsverlauf sei ihm nicht bekannt. Er habe bei seiner Untersuchung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung festgestellt. Dr. H. berichtete über die Behandlung der Klägerin am 07.08. und 13.09.2007 (Aussage vom 07.03.2008). Er stimme mit der Ein¬schätzung in der versorgungsärztlichen Stellungnahme überein. Die Beeinträchtigung der Wirbelsäule und die Osteoporose bedingten jeweils einen GdB von 10. Insgesamt sei ein GdB von 20 anzunehmen. Dr. S. berichtete über die Behandlung der Klägerin seit Dezember 2006 und gab an, bei der Klägerin bestehe ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Spondylarthrose, eine Bandscheibenschädigung der Lendenwirbelsäule und eine in Kernspintomogramm nachgewiesene Sacroiliitis. Ferner komme eine somatoforme Schmerzstörung bei familiären Konflikten und Konflikten am Arbeitsplatz hinzu, so dass er die Einschätzung in der versorgungsärztlichen Stellungnahme nicht teilen könne. Für das chronische Schmerzsyndrom bei degenerativem Wirbelsäulenleiden und Osteoporose sei ein GdB von 30 anzusetzen. Hinzu komme die Refluxerkrankung mit einem GdB von 10 bis 20. Insgesamt ergebe sich seiner Einschätzung nach ein GdB von maximal 50 (Aussage vom 12.03.2008). Dr. N. gab unter Vorlage des Tonaudiogramms vom 26.08.2004 und des Berichts der HNO-Klinik am Klinikum M. vom 15.08.2004 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 03.08. bis 10.08.2004 an (Aussage vom 19.03.2008), bei der Klägerin liege eine leichtgradige Schallleitungsschwerhörigkeit rechts vor. Im HNO-Bereich ergebe sich ein GdB von 0. Dr. M. von der Rehaklinik H. gelangte unter Hinweis auf die im Kurentlassungsbericht vom 21.05.2007 genannten Diagnosen zu dem Ergebnis, das Lendenwirbelsäulensyndrom links und die Osteoporose seien mit einem GdB von jeweils 10 ausreichend bewertet. Die übrigen genannten Gesundheitsstörungen bedingten keinen GdB. Seit dem Alkoholentzug 2003 und strikter Alkoholkarenz habe die Alkoholkrankheit keinen Krankheitswert mehr. Es sei zu vertreten, dass die beiden genannten Funktionsstörungen zusammengenommen mit einem GdB von 20 mehr als ausreichend bewertet seien (Aussage vom 26.03.2008). Im Bericht des MDK Baden-Württemberg vom 04.07.2007 sind als Diagnosen ein Lendenwirbelsäulensyndrom und eine Osteoporose genannt.
Die Klägerin stützte sich auf die Einschätzung von Dr. S. , wonach ein Gesamt-GdB von 50 vorliege. Der Beklagte bleib bei seiner Auffassung, dass die Funktionsstörungen der Klägerin mit einem GdB von 20 angemessen bewertet seien. Hierzu legte er die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 17.07.2008 vor.
Am 02.07.2009 und 01.10.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB und legte hierzu die Berichte über die am 18.08.2008 erfolgten Knochendichtemessungen der Lendenwirbelsäule und der linken Hüfte sowie den Kurzbericht der HNO-Klinik am Klinikum M. vom 20.07.2009 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 14.07. bis 20.07.2009 vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.11.2009 wies das SG die Klage ab. Die Funktionsstörungen der Klägerin bedingten keinen höheren GdB als 20. Die entsprechende Bewertung in der versor-gungsärztlichen Stellungnahme vom 03.09.2007 sei durch die Einschätzungen von Dr. H. vom 07.03.2008 und Dr. M. vom 26.03.2008 bestätigt worden. Die Einschätzung von Dr. S. , wonach orthopädischerseits von einem GdB von 30 auszugehen sei, könne nicht nachvollzogen werden, da dieser lediglich eine Bewegungseinschränkung beim Bücken und Heben schwerer Lasten sowie ein chronisches Schmerzsyndrom beschrieben habe. Ein GdB von 30 sei nämlich erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gerechtfertigt. Die Refluxkrankheit bedinge keinen höheren GdB als 10. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 20. Aus den mit den inzwischen gestellten zwei Änderungsanträgen vorgelegten ärztlichen Unterlagen folge kein anderes Ergebnis.
Dagegen hat die Klägerin am 03.12.2009 Berufung eingelegt, mit der sie einen GdB von mindes-tens 50 geltend macht. Sie bringt vor, ihre orthopädischen Leiden seien - im Hinblick auf drei Bandscheibenvorfälle und die Osteoporose - nicht ausreichend bewertet. Sie verweist auf die Bewertung von Dr. S. und trägt vor, sie leide auch unter einem chronischen Schmerzsyndrom. Ihre Wirbelsäulenerkrankung sei mit außergewöhnlichen Schmerzzuständen verbunden, so dass ein höherer GdB als 20 - auszugehen sei von einem GdB von 30 bis 40 - gerechtfertigt sei. Ferner habe sich sowohl das Bandscheibenleiden als auch ihre Hüftschmerzen verschlechtert. Sie hält die Einholung eines orthopädisch-neurologischen Gutachtens für erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 3. November 2009 aufzuheben und die Bescheide des Beklagten vom 16. Mai 2007 und 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen bedingten keinen höheren GdB als 20. Ein außergewöhnliches Schmerzsyn-drom, das zur Erhöhung des GdB führen müsste, sei nicht nachgewiesen. Dass die Wirbelsäulen-veränderungen der Klägerin mit einem chronischen Schmerzsyndrom einhergingen, sei bekannt und bei der Bewertung mit einem GdB von 20 auch berücksichtigt. Auf ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom könne aus der Tatsache, dass sie regelmäßig Schmerzmittel (allerdings keine opioidhaltigen) verordnet bekomme, nicht geschlossen werden.
Der Senat hat Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat mit Schreiben vom 29.10.2010 unter Vorlage der Untersuchungsberichte von Dr. N. vom 10.03.2009, 10.06.2009 und 29.04.2010 die von ihm verordneten Medikamente - auch Schmerzmittel - genannt und ausgeführt, insofern werde eine regelmäßige Schmerztherapie durchgeführt. Eine spe¬zifische Überweisung zum Schmerztherapeuten sei durch ihn nicht erfolgt. Auf ergänzende Anfrage des Senats hat er unter dem 13.12.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, da seit Jahren degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbel¬säule und der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenschädigungen bekannt seien und ein chronifiziertes Schmerzsnydrom vorliege. Ferner erfolge die Verordnung der Medikamente Katadolon und Iboprufen regelmäßig aufgrund dieser Befunde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 20 oder gar 50.
Streitgegenstand ist der - den Ablehnungsbescheid vom 16.05.2007 ersetzende - Teilabhilfebescheid vom 13.09.2007 (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2007), mit dem der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 20 ab 14.12.2006 festgestellt hat. Die Klägerin macht dem gegenüber geltend, dass ihre Funktionsstörungen, insbesondere ihr mit einem außergewöhnlichen Schmerzsyndrom verbundenes Wirbelsäulenleiden, einen GdB von 50 bedingten.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass nun insoweit die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).
Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet sind. Der Senat kommt unter zusätzlicher Be¬rücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren GdB als 20. Diese Beurteilung des Senats gründet sich auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, die Angaben des vom Senat gehörten behandelnden Arztes Dr. S. und die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte.
Eine Würdigung der genannten ärztlichen Unterlagen ergibt, dass die Klägerin hauptsächlich durch ihr Wirbelsäulenleiden beeinträchtigt ist. Die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen, deren Schwerpunkt im Bereich der Lendenwirbelsäule und geringer im Bereich der Halswirbelsäule - aufgrund dadurch verursachter Kopfschmerzen - liegt, bedingen allenfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung der Osteoporose einen GdB von 20. Nach Teil B 18.9 der VG erfordert ein GdB von 20 bereits mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufige rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome). Nachdem der Orthopäde Dr. H. der Klägerin gegenüber dem SG (lediglich) eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bescheinigt und Dr. M. (nur) ein deutlich rückläufiges psyeudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom links, das mit einem GdB von 10 ausreichend bewertet sei, diagnostiziert hat, ist ein höherer GdB als 20 auch unter Einbeziehung der Osteoporose nicht anzunehmen. Hierfür gibt es keine befundmäßige Grundlage. Ein GdB von 30 würde - hier keinesfalls vorliegende - schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraussetzen.
Eine höhere Bewertung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (einschließlich Osteoporose) ist auch nicht im Hinblick auf das von der Klägerin (erstmals) im Berufungsverfahren geltend gemachte außergewöhnliche Schmerzsyndrom gerechtfertigt. Schmerzen sind grundsätzlich Teil der Bewertung der entsprechenden Funktionsbeeinträchtigung. Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen nämlich nach Teil A 2 j der VG die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. In den Fällen, in denen nach dem Sitz und dem Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaftigkeit anzunehmen ist, können höheren Werte angesetzt werden. Dies gilt insbesondere bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Beurteilungsgrundsätze hält der Senat eine Erhöhung des insoweit anzusetzenden GdB von 20 wegen der geklagten Schmerzhaftigkeit nicht für gerechtfertigt. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom liegt bei der Klägerin nicht vor. Dr. S. hat ein solches in seinem Schreiben vom 13.12.2010 zwar bejaht. Der Senat vermag ihm jedoch insoweit nicht zu folgen. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, d. h. Schmerzen, die über die mit der Funktionsstörung üblicherweise verbundenen gewöhnlichen Schmerzen hinausgehen, ist nicht nachgewiesen. Dass bei der Klägerin infolge der seit Jahren bekannten degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulenveränderungen - so Dr. S. in dem genannten Schreiben - ein chronifiziertes Schmerzsyndrom besteht, reicht hierfür nicht aus. Bei einem GdB von 20 für die genannte Funktionsstörung sind chronische Schmerzen Bestandteil dieser Bewertung. Sie sind damit nicht außergewöhnlich. Daran ändert auch die von Dr. S. angegebene Verordnung von Schmerzmitteln (Katadolon und Ibuprofen) nichts. Es handelt sich dabei um eine bei Wirbelsäulenbeschwerden übliche Schmerzbehandlung. Hinzu kommt, dass die von der Klägerin geklagte Schmerzhaftigkeit keine spezielle ärztliche Schmerzbehandlung erfordert. Dies ist aber neben dem Nachweis einer über das übliche Maß hinausgehenden Schmerzhaftigkeit nach Teil A 2 j) der VG zusätzlich erforderlich, um ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom annehmen zu können. Allein die Behandlung mit Schmerzmitteln durch den Hausarzt des Behinderten - eine schmerztherapeutische Behandlung der Klägerin ist von Dr S. nach seinem Bericht vom 29.10.2010 nicht veranlasst worden - erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
Die bei der Klägerin vorliegende Osteoporose bedingt (für sich genommen) keinen höheren GdB als 10. Diese Beurteilung gründet sich in erster Linie auf die Angaben von Dr. H. vom 07.03.2008, der die bei der Klägerin vorliegende Osteoporose als leicht bezeichnet hat, und die Einschätzung von Dr. M. von der Rehaklinik H. , der am 26.03.2008 ausgeführt hat, Funktionseinschränkungen bestünden insoweit nicht und die bestehende Schmerzsymptomatik sei als leichtgradig anzusehen. Er ging von einem GdB von maximal 10 aus. Zusammenfassend ist die Funktionsstörung im Bereich der Wirbelsäule und die Osteoporose deshalb mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet.
Die Refluxkrankheit der Speiseröhre, an der die Klägerin ebenfalls leidet, ist allenfalls mit einen GdB von 10 zu bewerten. Dr. S. hat gegenüber dem SG insoweit zwar einen GdB von 10 bis 20 angenommen. Ein GdB von 10 bis 30 ist aber nach Teil B 10.1 der VG - je nach Ausmaß - nur bei anhaltenden Refluxbeschwerden gerechtfertigt. Dass die Klägerin unter anhaltenden Refluxbeschwerden leidet, ist nicht nachgewiesen, nachdem außer Dr. S. keiner ihrer behandelnden Ärzte entsprechende Angaben gemacht hat und auch im Kurentlassungsbericht vom 21.05.2007 trotz 3-wöchigem stationärem Aufenthalt weder von ihrer Seite noch ärztlicherseits von solchen Beschwerden die Rede gewesen ist. Der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 17.07.2008 insoweit folgend, geht der Senat daher von einem GdB von 10 für die Refluxkrankheit der Speiseröhre aus.
Weitere Funktionsstörungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Dies gilt - nachdem seit 2003 eine Alkoholkarenz besteht - für die Alkoholkrankheit der Klägerin und die leichtgradige Schallleitungsschwerhörigkeit rechts, für die Dr. N. in seinem Bericht vom 19.03.2008 im Hinblick auf Teil B 5.2.4 der VG, der bei Normalhörigkeit auf einem Ohr und einer geringgradigen Schwerhörigkeit auf dem anderen Ohr einen GdB von 0 vorsieht, zu Recht keinen GdB angenommen hat.
Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 20. Bei Teil-GdB-Werten von 20 und 10 kann im Hinblick auf die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu beachtenden Beurteilungsgrundsätze (Teil A 3 der VG) ein GdB von 30 oder mehr nicht angenommen werden.
Weitere Ermittlungen sind nicht notwendig, da der medizinische Sachverhalt ausreichend geklärt ist. Der Senat sieht sich daher nicht veranlaßt, von Amts wegen - wie von der Klägerin für erforderlich gehalten - ein Gutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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