L 13 RA 307/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 1 An 159/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 307/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Januar 1997 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung eines Betrages von 3.224,90 DM für zwei von der Klägerin selbst beschaffte Hörgeräte im Rahmen einer beruflichen Leistung zur Rehabilitation streitig.

Die 1934 geborene Klägerin war von 1958 bis 1976 als Dolmetscherin berufstätig. Nach Abitur und einem Psychologie-Studium arbeitete die Klägerin als Dipl.-Psychologin. Bis zum 31. Januar 1992 wurden Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Aufgrund eines Bescheides der Beklagten vom 5. November 1992 bezieht die Klägerin ab 1. Februar 1992 laufend eine Rente wegen Berufsunfähigkeit mit einem monatlichen Zahlbetrag von damals 1.309,61 DM. Die Klägerin leidet an einer praktischen Taubheit beiderseits bei Otosklerose. Die seit 1980 bekannte Erkrankung führte zu einer rapide zunehmenden Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits, die mit Hörgeräten ausgeglichen werden musste. Seit dem 1. Februar 1992 ist die Klägerin als Dipl.-Psychologin selbständig erwerbstätig und betreibt eine psychologisch-psychotherapeutische Praxis in A-Stadt.

Im Anschluss an einen Kostenvoranschlag der Fa. D. Hörgeräte GmbH vom 3. Februar 1994 über die voraussichtlichen Kosten zweier Hörhilfen nebst Zubehör wurden der Klägerin diese Hörgeräte am 4. März 1994 leihweise zur Erprobung in gewohnter Umgebung ausgeliefert. Die Geräte wurden von der Fa. D. Hörgeräte GmbH mit Rechnung vom 12. April 1994 über 3.224,90 DM unter Eigentumsvorbehalt an die Klägerin abgegeben.

Am 13. Mai 1994 beantragte die Klägerin formlos bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für gelieferte Hörgeräte. Hierzu legte sie die Rechnung der Fa. D. Hörgeräte GmbH vom 12. April 1994 vor. Der Rechnungsbetrag belief sich auf 5.617,10 DM. Von diesem Rechnungsbetrag hatte die Deutsche Angestellten Krankenkasse A-Stadt der Klägerin einen Betrag von 2.392,20 DM erstattet. Die Klägerin begehrte die Erstattung des Restbetrages von 3.224,90 DM von der Beklagten. Am 9. Dezember 1994 wurde der Antrag auf Gewährung von berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation (Hörhilfe) formularmäßig gestellt.

Während des Verwaltungsverfahrens legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung von Dr. C. vom 29. April 1994 und eine Empfangsbestätigung vor. Die Beklagte zog einen Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. C. vom 27. März 1995 bei und holte eine Stellungnahme der Beratenden Ärztin Dr. E. vom 13. April 1995 ein.

Durch Bescheid vom 14. Juni 1995 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von berufsfördernden Leistungen mit der Begründung ab, Kosten für Hörgeräte könnten übernommen werden, sofern die medizinischen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen und die Antragstellung rechtzeitig vorgenommen worden sei. Die Rechnung des Gerätes datiere vom 12. April 1994 und die Antragstellung sei am 13. Mai 1994 verspätet erfolgt. Kosten für Hilfsmittel, die vom Betreuten ohne vorherige Zustimmung der Beklagten angeschafft worden seien, würden nicht übernommen. Bei diesem Sachverhalt müsse der Antrag wegen verspäteter Antragstellung gemäß § 4 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 1 der Richtlinien abgelehnt werden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1996 wurde der Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, die Übernahme von Kosten für Hörhilfen in Form eines Hörgerätes als Leistung zur beruflichen Rehabilitation komme in Betracht, wenn das Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung ausschließlich für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. für eine spezielle Form der Berufsausübung bzw. Berufsausbildung benötigt werde. Gemäß § 4 Abs. 2 der Richtlinien der Beklagten über die Gewährung von Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation sowie von zusätzlichen Leistungen sei der Antrag so rechtzeitig zu stellen, dass der BfA eine angemessene Frist zur Entscheidung bleibe. Kosten für Maßnahmen, die vom Betreuten ohne vorherige Zustimmung der BfA begonnen worden seien, würden nicht übernommen (§ 9 Abs. 1 der Richtlinien). Die Rechtzeitigkeit der Antragstellung sei in den Rehabilitations-Richtlinien festgelegt, so dass diesbezüglich kein Ermessen ausgeübt werden könne. Durch den Vorgriff der bereits gekauften Hörhilfen habe die Klägerin der BfA die Möglichkeit genommen, in eine hinreichende und genaue Prüfung einzutreten, ob und welche Leistungen der beruflichen Rehabilitation in Form von Hörhilfen unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit am geeignetsten seien. Der BfA hätte die Zeit gegeben werden müssen, eingehend prüfen zu können, ob Hörhilfen überhaupt erforderlich seien und ggf. welches Hörgerät am geeignetsten sei. Bereits am 11. April 1994 habe die Klägerin das Hörgerät erhalten und mit Rechnung vom 12. April 1994 bezahlt. Der Antrag auf Kostenübernahme der Hörhilfe sei auch erst am 13. Mai 1994 bei der BfA eingegangen und sei somit verspätet gestellt worden. Die Klägerin hätte die Möglichkeit gehabt, rechtzeitig einen formlosen Antrag bei der BfA zu stellen. Im Übrigen sei die BfA gemäß § 12 SGB I ein Sozialleistungsträger und kein Kostenerstatter, so dass schon von daher eine vorherige Antragstellung abgeleitet werden müsse.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die Hörgeräte ermöglichten eine differenzierte Einstellung auf unterschiedliche Lautstärkesituationen, so dass sie z.B. auch an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen könne. Die Hörgeräte seien sachdienlich und gezielt auf ihre Erwerbstätigkeit ausgerichtet. Die Beklagte berufe sich lediglich auf den formalen Mangel, dass der Antrag auf Erstattung der Kosten zu spät gestellt worden sei. Eine Rehabilitationsleistung könne auch von Amts wegen gewährt werden. Die Berufung auf § 9 der Richtlinien sei treuwidrig und rechtsmissbräuchlich. Bei fehlerfreier Ermessensausübung hätte die Beklagte erkennen und entscheiden müssen, dass die Hörhilfen sinnvoll und notwendig seien. Für eine Versagung der Kosten bestehe kein Grund. Durch die Anschaffung der Hörgeräte habe der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden können.

Die Beklagte verwies auf §§ 4, 9 Abs. 1 ihrer Richtlinien. Der Antrag auf Kostenübernahme sei erst am 13. Mai 1994 und somit verspätet gestellt worden. Zwar könne es einem Versicherten bei notwendiger Rehabilitation nicht zum Nachteil gereichen, wenn er nach der Antragstellung seine Rehabilitation - in diesem Fall die Eingliederung der Hörhilfe - vorerst ohne Zutun des Versicherungsträgers selbst betrieben habe, jedoch sei auch in derartigen Fällen zumindest eine vorherige Antragstellung erforderlich. Dies sei aber bei der Klägerin nicht der Fall. Im Hinblick auf den Befundbericht vom 27. März 1995 könne von einem fortschreitenden Hörverlust keine Rede sein. Erwerbsunfähigkeit sei ausgeschlossen, weil die Klägerin seit 1992 ohne Beitragsleistung selbständig erwerbstätig sei. An der fehlenden Erwerbsunfähigkeit würde sich folglich auch ohne Hörgeräteversorgung nichts ändern. Leistungen zur Rehabilitation kämen nur in Betracht, wenn der Eintritt von Berufsunfähigkeit oder, sofern diese wie hier bereits vorliege, zumindest der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden könne. Eine Gewährung der begehrten Hörhilfen, die die selbständige Tätigkeit als Psychologin fördern sollten, durch den Rentenversicherungsträger komme daher nicht in Betracht. Im Übrigen sei die Antragstellung verspätet, so dass eine Kostenübernahme auch deshalb ausscheide.

Durch Urteil vom 24. Januar 1997 wies das Sozialgericht Wiesbaden die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der Restkosten für eine Hörhilfe im Rahmen einer beruflichen Rehabilitation in Höhe von 3.224,90 DM. Gemäß § 4 Abs. 2 der Richtlinien der Beklagten über die Gewährung von Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation sowie von zusätzlichen Leistungen sei der Antrag so rechtzeitig zu stellen, dass der Beklagten eine angemessene Frist zur Entscheidung bleibe. Kosten für Maßnahmen, die vom Betreuten ohne vorherige Zustimmung der BfA begonnen worden seien, würden nicht übernommen (§ 9 Abs. 1 der Richtlinien der BfA). Die Rechtzeitigkeit der Antragstellung sei in den Rehabilitationsrichtlinien festgelegt, so dass diesbezüglich kein Ermessen ausgeübt werden könne. Eine verspätete Antragstellung führe zur Versagung des Anspruchs auf berufliche Rehabilitation, da dem Antrag materiell-rechtliche Bedeutung zukomme. Bei der Klägerin liege aber auch kein Fall des unvorhersehbar objektiv unaufschiebbaren Bedarfs vor, bei der der Antrag wirksam bis spätestens einen Monat nach Rechnungsstellung gestellt werden könne. Unabhängig davon, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz mit dem Inhalt gebe, dass Rehabilitationsmaßnahmen regelmäßig keinen Aufschub zuließen, falle es auch bei objektiv unaufschiebbar gewordenem, aber vorhersehbarem Bedarf dem Versicherten zur Last, wenn er die rechtzeitige Antragstellung vor Abschluss des Kaufvertrages aus Gründen unterlasse, die er zu vertreten habe. Im vorliegenden Fall liege dieser unaufschiebbar gewordene Bedarf nicht vor, da die Klägerin über einen längeren Zeitraum das Erstattungsverfahren gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse betrieben habe. Von einem unaufschiebbaren Bedarf könne insoweit keine Rede sein. Aber auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe nicht gewährt werden können, da die Rechtsunkenntnis insoweit keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle. Die Klägerin hätte sich gemäß der ihr obliegenden Sorgfalt rechtzeitig über die Voraussetzungen der Gewährung einer Rehabilitationsleistung informieren müssen. Schließlich dürfe der Rentenversicherungsträger einem Versicherten, dem Rente wegen Berufsunfähigkeit zuerkannt sei, Rehabilitationsleistungen ausschließlich zum Zwecke der Abwendung von Erwerbsunfähigkeit nicht gewähren, solange dieser eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe.

Gegen dieses der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 6. Februar 1997 zugestellte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom 24. Februar 1997 - eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 26. Februar 1997 - eingelegte Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte verstoße mit dem Beharren auf dem formalen Mangel der Antragstellung gegen das Gebot von Treu und Glauben. Fraglich sei, ob die Richtlinien der Beklagten überhaupt verbindlichen Rechtscharakter hätten. In Ausnahmefällen sei es durchaus möglich, die Kosten für eine sinnvolle Reha-Maßnahme auch im Nachhinein noch als erstattungsfähig anzuerkennen, zumindest wenn die Entstehung dieser Kosten wie hier unvorhersehbar oder unaufschiebbar gewesen sei. Die Anschaffung der Hörhilfen sei unerlässlich gewesen. Die Beklagte sei offenbar anfänglich selbst nicht von einer Verspätung des Antrages ausgegangen und habe Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht durch Beiziehung des Befundberichts und Übersendung eines Fragebogens durchgeführt. Erst im Nachhinein habe sich die Beklagte auf Verfristung berufen. Diese verspätete Einrede sei treuwidrig und unzulässig.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Januar 1997 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1996 zu verurteilen, ihr die Restkosten für die beschafften Hörhilfen (berufliche Rehabilitation) in Höhe von 3.224,90 DM zu erstatten,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, ihr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine Kostenübernahme komme wegen verspäteter Antragstellung nicht in Betracht. Die Einhaltung der Richtlinien durch die Beklagte bewirke die Gleichbehandlung aller Versicherten, so dass nicht zu erkennen sei, inwiefern gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen worden sei. Die Klägerin habe die verspätete Antragstellung selbst zu vertreten. Darüber hinaus könnten die Kosten für die Hörhilfen nicht übernommen werden, da eine Erwerbsunfähigkeit bei der Klägerin aus rechtlichen Gründen gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht vorliege und Rehabilitationsleistungen daher nicht in Betracht kämen. Nach Überprüfung des Sachverhalts sei festgestellt worden, dass der Antrag über einen Monat nach Rechnungslegung gestellt worden sei. Ausweislich des Kostenvoranschlags vom 11. April 1994 sei die Klägerin im Übrigen durch den Fachbetrieb auf die Festbetragsversorgung seitens der Krankenkasse hingewiesen worden. Auf Wunsch und eigene Rechnung der Klägerin habe die Fa. D. Hörgeräte GmbH dann die aufwendigere Hörhilfe zur Verfügung gestellt. Durch den Vorgriff der bereits gekauften Hörhilfe habe die Klägerin der Beklagten die Möglichkeit genommen, hinreichend und genau zu prüfen, ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang Leistungen der beruflichen Rehabilitation zu gewähren gewesen seien. Die Klägerin beziehe eine Berufsunfähigkeitsrente von der Beklagten und übe zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch jetzt noch eine selbständige Tätigkeit aus. Leistungen zur Abwendung einer Erwerbsunfähigkeit würden hingegen von vornherein ausscheiden.

Der Senat hat Auskünfte der Fa. D. Hörgeräte GmbH und der DAK A-Stadt eingeholt.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Reha-Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (vgl. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist jedoch sachlich nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten in Höhe von 3.224,90 DM für die von ihr selbst beschafften Hörhilfen.

Nach § 10 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Rehabilitation erfüllt,

1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und

2. bei denen voraussichtlich durch die Leistungen

a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden kann,
b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder im Bergbau verminderter Berufsfähigkeit abgewendet werden kann.

In § 11 SGB VI sind im Einzelnen die hier nicht streitigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Rehabilitation geregelt. Gemäß § 12 SGB VI werden in bestimmten Fällen Leistungen zur Rehabilitation nicht erbracht. Während § 15 SGB VI die Leistungsvoraussetzungen der medizinischen Rehabilitation bestimmt, regelt § 16 SGB VI die Voraussetzungen für berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation. Dabei steht die Frage, ob dem Versicherten medizinische oder berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren sind (sog. Eingangsprüfung), nicht im Ermessen des Versicherungsträgers, sondern ist davon abhängig, ob die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen der §§ 10, 11 SGB VI vorliegen und kein Leistungsausschluss gemäß § 12 SGB VI gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2000 - B 5 RJ 8/99 R = SozR 3-2600 § 10 SGB VI Nr. 2). Diese sog. Eingangsvoraussetzungen, zu denen auch die rechtzeitige und wirksame Antragstellung gehört (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 13 Rdnr. 5), unterliegen der uneingeschränkten Überprüfbarkeit durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 4 RA 42/94 = SozR - 1200 § 39 SGB I Nr. 1). Bei Vorliegen der sog. Eingangsvoraussetzungen besteht für den Rentenversicherungsträger die Verpflichtung, nach pflichtgemäßem Ermessen in den Grenzen seiner Aufgaben als Rehabilitationsträger zu entscheiden, ob die beantragte Leistung nach den Umständen des Einzelfalles geeignet, erforderlich, zumutbar, wirtschaftlich und sparsam (vgl. § 13 Abs. 1 SGB VI) ist, die im Einzelfall bestehende Rehabilitationschance zu nutzen (vgl. Kasseler Kommentar, a.a.O.). Diese Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers bezüglich des "Wie" (d.h. Art, Dauer, Umfang usw.) der Rehabilitationsleistung unterliegt hingegen in den Grenzen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung, soweit nicht ein Fall der sog. Reduzierung des Ermessens auf Null vorliegt (vgl. Kasseler Kommentar, a.a.O., § 13 Rdnr. 13). Dabei kommt den Richtlinien der Rentenversicherungsträger nur eine verwaltungsinterne Bedeutung ohne normative Wirkung und Verbindlichkeit für die Auslegung des Gesetzes zu. Die Richtlinien bewirken aber die Selbstbindung der Rentenversicherungsträger und geben dem Versicherten einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Versicherten (vgl. BSGE 54, 91 (92) unter Hinweis auf BSGE 50, 33 (37); Kasseler Kommentar, a.a.O, § 13 Rdnr. 10). Die Richtlinien entbinden den Rentenversicherungsträger nicht von der Verpflichtung, im Einzelfall sämtliche für die Ermessensbildung bedeutsamen Umstände zu prüfen (vgl. BSGE 50, 33 (39)). In begründeten Ausnahmefällen ist der Rentenversicherungsträger berechtigt und verpflichtet, von seinen Richtlinien abzuweichen (vgl. Kasseler Kommentar, a.a.O.). Die Gerichte können prüfen, ob die Richtlinien beachtet wurden, dem Gesetz entsprechen und mit der erteilten Ermächtigung übereinstimmen (vgl. BSG in SozR § 1237 RVO Nr. 6). Weiter ist zu berücksichtigen, dass dem Antrag des Versicherten nicht nur verwaltungsverfahrensrechtliche, sondern auch materiell-rechtliche Bedeutung dergestalt zukommt, dass der Antrag Rechtswirkungen grundsätzlich nur für die Zukunft hat. Dies folgt daraus, dass die Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung von Rehabilitationsleistungen eine zukunftsorientierte, mit prognoseähnlichen Elementen vermischte und die Umstände des Einzelfalles abwägende Entscheidung ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 1993 - 4 RA 22/93 mit zahlreichen Nachweisen). Ein Rehabilitationsbedarf, der bereits vor Eingang des Antrags beim Rentenversicherungsträger durch eigene Bemühungen des Versicherten (sog. selbstbeschaffte Rehabilitation) oder durch Leistungen anderer befriedigt worden ist, kann nicht Gegenstand einer Ermessensentscheidung über die Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation sein (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 1993 - 4 RA 22/93 unter Hinweis auf BSG in SozR 2200 § 1236 Nr. 50). Zwar ist anerkannt, dass ein Versicherter sein Begehren auf geldliche Förderung einer Rehabilitation grundsätzlich auch dann weiterverfolgen kann, wenn er nach der Antragstellung vorerst ohne Zutun des Versicherungsträgers seine Rehabilitation selbst betrieben hat (vgl. BSGE 54, 55 (56); BSG in SozR 2200 § 1236 RVO Nr. 16). In einem solchen Falle hat der Rentenversicherungsträger über den Rehabilitationsantrag so zu entscheiden, als ob die Maßnahme noch nicht durchgeführt worden wäre (vgl. BSG in SozR 2200 § 1236 RVO Nr. 24). Die Selbsthilfe des Versicherten darf diesem in Bezug auf die geldlichen Leistungen zur Rehabilitation weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2001 - B 5 RJ 8/00 R; BSGE 54, 55 (56); BSG in SozR 2200 § 1236 RVO Nr. 14, Nr. 16, Nr. 24 und Nr. 50). Geldliche Leistungen sind dann noch im Nachhinein zu gewähren. Dies gilt aber nur, wenn der Versicherte sie zuvor beim Träger der Rehabilitation beantragt hat (vgl. BSG in SozR 2200 § 1236 RVO Nr. 24 und Nr. 37). Wird der Rehabilitationsbedarf bereits vor Eingang des Antrags beim Rentenversicherungsträger vom Versicherten selbst befriedigt, hat dieser Umstand rechtsvernichtende Wirkung mit der Folge, dass dem Versicherten geldliche Leistungen zur Rehabilitation nicht zustehen (vgl. BSG in SozR 3-1200 § 39 SGB I Nr. 1; SozR 3-5765 § 3 unter Hinweis auf BSG in SozR 3 5765 § 10 Nr. 3 S. 19). Dabei richtet sich die Frage, ob der Rehabilitationsbedarf vorzeitig befriedigt worden ist, allein nach dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses (vgl. BSG in SozR 3-5765 § 10 Nr. 3; SozR 3-5765 § 3 Nr. 2), weil hierdurch mit Rechtsverbindlichkeit über Art und Güte des Bedarfsgegenstandes verfügt und das Hilfsmittel beschafft wird (vgl. BSG in SozR 3-5765 § 3 Nr. 2).

Lediglich in Fällen mit atypischen Sachverhalten bei objektiv unvorhersehbaren und unaufschiebbaren Leistungen, wenn die Deckung des Bedarfs objektiv derart dringend ist, dass eine vorherige Antragstellung dem Versicherten aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen weder möglich noch zumutbar ist, kann der Antrag bei selbstbeschaffter Rehabilitation noch im Nachhinein gestellt werden (vgl. BSG in SozR 3-5765 § 10 Nr. 2). Dies gilt nicht nur für den Bereich der Kfz-Hilfe, sondern für sämtliche Fälle mit atypischen Sachverhalten (vgl. BSG in SozR 3-5765 § 10 Nr. 2 unter Hinweis auf BSG in SozR 3-5765 § 10 Nr. 1).

Nach diesen Grundsätzen, denen der erkennende Senat folgt, hat die Klägerin gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten in Höhe von 3.224,90 DM für die von ihr selbst beschafften Hörhilfen. Die Klägerin hat den Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation erst am 13. Mai 1994 und damit nach Anschaffung der beiden Hörgeräte gestellt. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Kostenvoranschlag vom 3. Februar 1994 wurde bereits zum damaligen Zeitpunkt die Anschaffung zweier Hörhilfen nebst Zubehör erwogen. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der D. Hörgeräte GmbH vom 15. Oktober 2001 wurden die Hörgeräte am 4. März 1994 zur Erprobung in gewohnter Umgebung leihweise ausgeliefert. Der Auskunft vom 15. Oktober 2001 zufolge wurden die Geräte mit der Rechnung vom 12. April 1994 über 3.224,90 DM unter Eigentumsvorbehalt abgegeben. Zwar hat die Klägerin diese Rechnung ausweislich der Auskunft vom 15. Oktober 2001 erst am 21. Mai 1995 bezahlt. Maßgebend für die Frage einer Bedarfsdeckung ist jedoch der Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages (vgl. BSG in SozR 3-5765 § 10 Nr. 3; SozR 3-5765 § 3 Nr. 2) über die beiden Hörhilfen, der spätestens mit der Rechnungsstellung am 12. April 1994 als rechtswirksam zustande gekommen dokumentiert worden ist. Damit ist die Bedarfsdeckung von der Klägerin im Rahmen einer sog. selbstbeschafften Rehabilitation vor der Antragstellung vorgenommen worden. Dies hat zur Folge, dass Leistungen zur Rehabilitation von der Beklagten nicht mehr gewährt werden dürfen. Dabei bedurfte es keiner Entscheidung durch den Senat, ob in sämtlichen Fällen mit atypischen Sachverhalten entsprechend dem in § 10 Satz 1 Kfz-Hilfeverordnung normierten Grundsatz eine Antragstellung spätestens innerhalb eines Monats nach Rechnungsstellung noch zulässig und rechtswahrend wäre. Denn eine atypische Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat nicht einmal behauptet, dass die von der Klägerin bis zur Neuanschaffung verwendeten Hörgeräte defekt oder nicht mehr hinreichend funktionsfähig waren. Eine Verschlechterung des Hörvermögens war ebenfalls nicht eingetreten. Wie der behandelnde HNO-Arzt Dr. C. in seinem Befundbericht vom 27. März 1995 zur Diagnose einer praktischen Taubheit beiderseits bei Otosklerose ausführt, kann sich eine praktische Taubheit nicht verschlechtern. Unter Berücksichtigung des Befundberichts vom 27. März 1995 und der Antragsbegründung vom 13. Mai 1994 handelt es sich bei den von der Klägerin angeschafften aufwendigeren Hörhilfen um sog. selektive Hörgeräte, die eine Einstellung auf unterschiedliche Lautstärkesituationen ermöglichen und der Klägerin damit entsprechend ihrem glaubhaften Vorbringen auch die Möglichkeit der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen eröffnen. Wie sich aus dem Kostenvoranschlag vom 3. Februar 1994 ergibt, war der Klägerin bereits zum damaligen Zeitpunkt der Bedarf bekannt. Die Klägerin hätte sich angesichts des zu erwartenden Eigenanteils - über die Festbetragsversorgung durch die Krankenkasse war die Klägerin durch den Kostenvoranschlag vom 3. Februar 1994 informiert - bereits damals entsprechend der ihr obliegenden Sorgfalt rechtzeitig über die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rehabilitationsleistung durch den Rentenversicherungsträger informieren müssen. Hierzu hätte im Rahmen der Kostenübernahme durch die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) in Form eines Beratungsersuchens ausreichend Gelegenheit bestanden. Jedenfalls kann sich die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht auf Unkenntnis der Rechtslage berufen. Da eine atypische Fallgestaltung mit unvorhersehbarem Bedarf und der Notwendigkeit einer unaufschiebbaren Bedarfsdeckung vorliegend nicht erkennbar ist, muss es bei dem Erfordernis einer vorherigen und rechtzeitigen Antragstellung vor Deckung des Rehabilitationsbedarfs verbleiben. Soweit die Klägerin im Schreiben vom 30. November 2000 an die Beklagte einen Antrag auf Kostenübernahme bei der DAK erwähnt hat, war damit der Antrag vom 13. Mai 1994 bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in F-Stadt gemeint. Dies hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. November 2001 klargestellt. Da es an einer rechtzeitigen Antragstellung bei dem Rehabilitationsträger vor Deckung des Rehabilitationsbedarfs fehlt, kommt die Gewährung einer Leistung zur Rehabilitation durch die Beklagte nicht in Betracht.

Die Berufung der Beklagten auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Antragstellung unter Hinweis auf §§ 4 Abs. 2, 9 Abs. 1 ihrer Richtlinien stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB dar, der auch im öffentlichen Recht zu berücksichtigen ist. Zwar beruht der Ablauf des Verwaltungsverfahrens ausweislich der Vermerke in der Verwaltungsakte der Beklagten mit der Übersendung eines Fragebogens und der Anforderung eines Befundberichts des behandelnden HNO-Arztes Dr. C. auf differierenden Auffassungen im Rahmen der Sachbearbeitung. Maßgeblich ist jedoch die vom Rentenversicherungsträger getroffene Verwaltungsentscheidung. Die Beachtung der sog. Eingangsvoraussetzungen, zu denen - wie dargelegt - auch die rechtzeitige und wirksame Antragstellung gehört, kann ebenso wie die Anwendung der Richtlinien (hier §§ 4 Abs. 2, 9 Abs. 1) im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Artikel 20 Abs. 3 GG) keinen Verstoß gegen Treu und Glauben bedeuten. Ausführungen zu einem Ausnahmefall im Sinne der Härteklausel des § 40 der Richtlinien in den angefochtenen Bescheiden waren nicht erforderlich, da es bereits an der Eingangsvoraussetzung der rechtzeitigen Antragstellung vor Deckung des Rehabilitationsbedarfs fehlt.

Im Übrigen darf der Rentenversicherungsträger einem selbständig Erwerbstätigen, dem (wie hier der Klägerin seit dem 1. Februar 1992) Rente wegen Berufsunfähigkeit bindend zuerkannt ist, dessen Berufsunfähigkeit aber durch Maßnahmen der Rehabilitation nicht behoben werden kann, keine - nur die selbständige Erwerbstätigkeit fördernden - Leistungen zur Rehabilitation gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 1993 - 4 RA 37/93). So liegt der Fall hier, da die Klägerin wegen der bei ihr seit Jahren bestehenden praktischen Taubheit beiderseits bei Otosklerose auf die Benutzung von Hörhilfen angewiesen ist und die Anschaffung sog. selektiver Hörgeräte die von der Beklagten zuerkannte Berufsunfähigkeit nicht beeinflussen kann, sondern lediglich die Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit mit einer psychologisch-psychotherapeutischen Praxis in A-Stadt fördert.

Demgemäß war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Januar 1997 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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