L 7 SF 1/11 AB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 14 SB 276/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SF 1/11 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 11. Januar 2011 gegen die Richterin Dr. L. wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der Kläger beantragte im Februar 2006 die Feststellungen von Behinderungen sowie die Merkzeichen "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sowie "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).

Mit Bescheid vom 18. Januar 2007 lehnte der Beklagte nach medizinischen Ermittlungen die Feststellung von Behinderungen ab. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. November 2007).

Hiergegen hat der Kläger am 20. November 2007 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und die Feststellung eines GdB von 30 ab dem 9. Februar 2006 begehrt. Die zuständige Vorsitzende der 14. Kammer – Richterin Dr. L. – hat ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B. aus L. eingeholt. Mit Verfügung vom 29. September 2010 hat die Kammervorsitzende einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts auf Donnerstag, den 18. November 2010 bestimmt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 28. September 2010 die Befragung des Sachverständigen beantragt, was zur Aufhebung des Termins von Amts wegen führte. Die Kammervorsitzende hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Schreiben des Beklagten übersandt und darauf hingewiesen, dass eine fernmündliche Anfrage an den MDK Sachsen-Anhalt keine Hinweise auf ein Gutachten von Dr. H. vom 24. März 2008 erbracht habe. Am 22. Dezember 2010 hat sie einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 20. Januar 2011 verfügt. Hiernach sollte Prof. Dr. B. als Sachverständiger geladen werden. Tatsächlich hat die Geschäftsstelle der 14. Kammer den Sachverständigen jedoch als Zeugen geladen. Nach einer Terminsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. Dezember 2010 hat die Kammervorsitzende das Versehen bemerkt und Prof. Dr. B. nochmals als Sachverständigen laden lassen sowie die Zeugenladung für gegenstandslos erklärt. Dies hat die Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt. Mit Schreiben vom 3. Januar 2011 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auffassung geäußert, der Sachverständige habe den Kläger untersucht und sei daher als Zeuge anzusehen. Dem Schreiben waren ein Sozialmedizinisches Gutachten vom 24. März 2003 nebst Anlagen beigefügt. Mit Verfügung vom 4. Januar 2011 hat die Kammervorsitzende an der Ladung von Prof. Dr. B. als Sachverständigem festgehalten.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2011 hat der Kläger die Kammervorsitzende wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung vorgetragen: Das MDK-Gutachten von Dr. H. datiere vom 24. März 2003. Dieses Gutachten sei dem Sozialgericht mit der Klagebegründung vom 4. Oktober 2008 als Anlage K 2 übersandt worden. Offensichtlich beherrsche die Kammervorsitzende den Prozessstoff nicht. Prof. Dr. B. habe den Kläger untersucht und sei als Zeuge anzusehen. Ihre gegenteilige Ansicht habe die Kammervorsitzende nicht begründet. Dies zeige eine Voreingenommenheit und eine einseitige Einstellung der Kammervorsitzenden. Ihre Äußerungen erweckten den Eindruck, sie habe sich schon vor der Beweisaufnahme festgelegt.

Mit dienstlicher Stellungnahme vom 12. Januar 2011 hat die Richterin ausgeführt, sie halte sich nicht für befangen. Der Vorwurf des "nicht beherrschten" Prozessstoffs treffe nicht zu. Mit Schriftsatz vom 2. April 2008 habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf ein MDK-Gutachten vom 23. März 2008 verwiesen. Das tatsächlich gemeinte MDK-Gutachten vom 23. März 2003 sei erst mit der Beschwerdebegründung zur Akte L 7 SB 9/08 gereicht worden. Nach ihrer Ansicht habe Prof. Dr. B. im Prozess die Stellung eines Sachverständigen. Es sei beabsichtigt gewesen, diese Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung nochmals kurz anzusprechen.

Zu der dienstlichen Stellungnahme hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend erklärt: Die Äußerungen der Kammervorsitzenden über tatsächlich nicht gesehene oder nicht empfundene Befangenheitsgründe seien verfahrenswidrig und erforderten eine erneute dienstliche Stellungnahme.

II.

Für die Entscheidung über Gesuche, mit welchen Richter der Sozialgerichte abgelehnt werden, ist nach § 60 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Landessozialgericht zuständig.

Das zulässige Ablehnungsgesuch ist unbegründet.

Gemäß § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung gegen einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommen nur objektive Gründe in Frage, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 16. Februar 1995 – 2 BvR 1852/94; Beschluss vom 16. Februar 1995 – 2 BvR 1852/94, jeweils zitiert nach juris). Indes kann die Ablehnung nicht auf die Verfahrensweise oder die bloße Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden, denn im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 26. Auflage, 2007, § 42 Rdnr. 9, 24, 28 m. w. N.).

Hier liegt kein Grund vor, der die Ablehnung der Vorsitzenden der 14. Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

1. Den Vorwurf des Klägers, die Kammervorsitzende beherrsche den Prozessstoff wegen des MDK-Gutachtens von Dr. H. nicht, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Schließlich ist die Kammervorsitzende durch den Prozessvertreter des Klägers mit Schreiben vom 2. April 2008 (Bl. 60 d.GA) selbst aufgefordert worden, ein Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt vom 24. März 2008 von Dr. H. anzufordern. Dieser Anregung ist sie lediglich nachgegangen.

2. Die von Frau Dr. L. vertretene Rechtsauffassung, Prof. Dr. B. sei als Sachverständiger und nicht als Zeugen zu vernehmen, lässt keine Voreingenommenheit erkennen. Nach der Beweisanordnung vom 20. April 2010 hat Prof. Dr. B. die Prozessstellung eines Sachverständigen erhalten und hat ein schriftliches Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Nach dem auch in der Sozialgerichtsbarkeit anwendbaren § 411 Abs. 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, um das schriftliche Gutachten erläutern zu lassen. Eine Änderung der Prozessrolle des Sachverständigen sieht das Gesetz im Fall der persönlichen Ladung zur Verteidigung eines schriftlichen Gutachtens damit nicht vor. Die Korrektur der Ladung durch die Kammervorsitzende ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden und lässt auch im Übrigen keine Voreingenommenheit erkennen.

3. Die dienstliche Äußerung der Richterin vom 12. Januar 2011 rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit auch nicht. Ihre Erklärung: "Einen Grund für die Besorgnis der Befangenheit sehe ich nicht, noch halte ich mich selbst für befangen" ist nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin zu begründen. Denn mit ihr kommt weder eine unsachliche Einstellung zum Rechtsstreit oder zur Person des Klägers als Prozessbeteiligtem noch eine willkürliche Handhabung des Verfahrens zum Ausdruck. Auch erschöpft sich die dienstliche Äußerung keineswegs in dieser Erklärung. Vielmehr hat die Kammervorsitzende zu den Vorwürfen des Klägers ausführlich und konkret Stellung genommen. Dabei sind die dienstlichen Äußerungen in einem sachlichen Ton abgefasst und lassen keine Voreingenommenheit erkennen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved