S 3 SF 27/10 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3 SF 27/10 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AL 147/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Bei der Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist der im gesamten Verfahren aufgewendete Arbeits- und Zeitaufwand zu würdigen, wenn eine gebührenauslösende Tätigkeit innerhalb des Prozesskostenhilfebewilligungszeitraums erfolgt ist (Anschluss an Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E).
2) Die Begrenzung des berücksichtigungsfähigem Arbeits- und Zeitaufwand auf den Zeitraum nach dem Wirksamwerden der Beiordnung verstößt gegen die Systematik der Pauschgebühren und führt im Hinblick auf die Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu einem unzulässigen Gebührenausfall beim beigeordneten Rechtsanwalt (Anschluss an Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E).
1. Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers wird die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG Fulda vom 11.05.2010 für das Verfahren S 10 AL 94/09 geändert und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 248,71 EUR festgesetzt.

2. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der im Rahmen des vor dem SG Fulda geführten Verfahrens S 10 AL 94/09 aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung.

Der Erinnerungsführer vertrat die Klägerin im vorbezeichneten Ausgangsverfahren (im Folgenden Klägerin). Sie erhob am 15.10.2009 Klage zum SG Fulda. Gegenstand der Klage waren im Wesentlichen die Kosten für das Verwaltungsverfahren, in dem die Beteiligten über die Gleichstellung der Klägerin gestritten hatten. Die Klägerin – welcher zu diesem Zeitpunkt ein GdB von 30 bescheinigt wurde – beantragte am 10.08.2009 die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden Beklagte) entsprach diesem Antrag nicht, sondern sicherte mit Bescheid vom 21.08.2009 zu, dass sie die Klägerin gleichstellen würde, wenn ein Arbeitgeber ihre Einstellung von der Gleichstellung abhängig mache.

Am 02.09.2009 legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass sie einen Anspruch auf die Gleichstellung habe.

Mit Bescheid vom 04.09.2009 stellte die Beklagte (Ausgangsbehörde) die Klägerin mit einer Schwerbehinderten gleich. Weiterhin hob sie die Zusicherung vom 21.08.2009 auf. Im Bescheid vom 04.09.2009 heißt es weiter: "Ihrem Widerspruch wird damit stattgegeben und im Verwaltungswege abgeholfen." Eine Kostenentscheidung enthält der Bescheid nicht. Die Rechtsbehelfsbelehrung verweist die Klägerin auf die Möglichkeit des Widerspruchs.

Mit Schreiben vom 11.09.2009 teilte die Widerspruchstelle der Beklagten mit, dass kein Anlass bestehe, die Zusicherung vom 21.08.2009 aufzuheben, weil insoweit keine Beschwer ersichtlich sei. Gebühren und Auslagen seien nicht erstattungsfähig, weil unabhängig von der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten schon die Anfechtung der ausdrücklichen Zusicherung für die erfolgreiche Durchsetzung des Anliegens nicht erforderlich gewesen sei. Einwände gegen die Zusicherung seien nicht erhoben worden, lediglich die "Einlösung" der Zusicherung sei eingefordert worden. In der Rechtsbehelfsbelehrung dieses Schreibens wird die Klägerin auf die Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Kostenentscheidung verwiesen.

Die Klägerin erhob sodann gegen das Schreiben vom 11.09.2009 Klage zum SG Fulda und beantragte:

1. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11.09.2009, zugegangen am 15.09.2009 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren zu tragen.

Mit bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 06.11.2009 überreichte der Erinnerungsführer die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Dies hat der vormalige Kammervorsitzende als Antrag auf Prozesskostenhilfe gewertet.

Am 13.11.2009 beantragte die Beklagte, die Klage abzuweisen. Sie wies in der Klageerwiderung darauf hin, dass in Unkenntnis der Klageerhebung am 04.11.2009 ein Widerspruchsbescheid erlassen worden sei. Ob dieser Widerspruchsbescheid Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden sei, würde der Entscheidung des Gerichts überlassen. Es wurde angeregt, die Zulässigkeit der Klage zu prüfen, denn zum Zeitpunkt der Klageerhebung sei das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen.

In dem Widerspruchsbescheid vom 04.11.2009 wird die Erstattung der Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen die Zusicherung abgelehnt.

Am 10.12.2009 teilte der Erinnerungsführer mit, dass im Hinblick auf die "zwischenzeitlich durch die nach diesseitigem Dafürhalten zwar auch rechtswidrige, aber gleichwohl erfolgte rückwirkende Gleichstellung die Hauptsache wohl erledigt wurde. Insoweit wäre über eine Erledigung der Hauptsache nachzudenken." Im Hinblick auf den Widerspruchsbescheid vom 04.11.2009 erweiterte der Erinnerungsführer die Klage wie folgt:

1. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 06.11.2009 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin im Widerspruchsverfahren und Klageverfahren bezüglich des Kostenbescheides vom 11.09.2009, des Widerspruchs vom 06.10.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 zu tragen.

Der vormalige Kammervorsitzende wies sodann mit Schreiben vom 06.01.2010 darauf hin, dass die Klage, welche auf Aufhebung des "Widerspruchsbescheides" vom 11.09.2009 gerichtet war, wegen nicht vollständig durchgeführten Vorverfahrens ursprünglich unzulässig gewesen sein dürfte. Bei dem Schreiben vom 11.09.2009 habe es sich ersichtlich nicht um einen Widerspruchsbescheid gehandelt. Der Mangel der Zulässigkeit sei zwischenzeitlich durch den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 geheilt worden. Im Hinblick auf die Klageerweiterung wurde angeregt, den Klageantrag zu präzisieren. Weiterhin wurde der Erinnerungsführer aufgefordert, die mit Schreiben vom 16.11.2009 angeforderten Belege vorzulegen.

Am 25.01.2010 legte der Erinnerungsführer die Belege vor. Mit Beschluss vom gleichen Tage bewilligte der vormalige Kammervorsitzende Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung des Erinnerungsführers mit Wirkung ab dem 25.01.2010.

Mit Schriftsatz vom 26.01.2010 wies der Erinnerungsführer darauf hin, dass er den Hinweis des Gerichts vom 06.01.2010 nicht vollständig teile. Seinen Klageantrag fasste er wie folgt neu:

Der Bescheid der Beklagten vom 11.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin zu tragen.

Einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wurde nicht zugestimmt, weil eine Erörterung der Sach- und Rechtslage mit dem Gericht notwendig sei.

In einem 35 Minuten dauernden Erörterungstermin, wobei der Termin für 10:45 Uhr geladen war und um 11 Uhr aufgerufen wurde, schlossen die Beteiligten auf Vorschlag des Gerichts den folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte erstattet der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren betreffend den Widerspruch gegen die Zusicherung vom 21.08.2009 auf der Basis der Mittelgebühr.
2. Die Beklagte erstattet der Klägerin 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
3. Damit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Am 21.04.2010 beantragte der Erinnerungsführer, die aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,- EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 190,- EUR
Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 30,- EUR
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 20,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR
Zwischensumme 630,- EUR
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 119,70 EUR
Gesamt 749,70 EUR

Mit Schreiben vom 03.05.2010 teilte die Beklagte mit, dass sie die anteiligen Kosten in Höhe von 499,80 EUR in der 19. Kalenderwoche anweisen werde.

Mit der angegriffenen Vergütungsfestsetzung vom 11.05.2010 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den verbliebenen Vergütungsanspruch wie folgt festgesetzt:

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 100,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 140,- EUR
Erledigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 190,- EUR
Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 27,- EUR
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 20,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR
Zwischensumme 497,- EUR
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 94,43 EUR
Gesamt 591,43 EUR

Von dem errechneten Betrag seien die von der Beklagten übernommenen Kosten in Höhe von 2/3 anteilig zu berücksichtigen, dies entspräche einem Betrag von 394,29 EUR, so dass aus der Staatskasse weitere 197,14 EUR zu zahlen seien.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass bei der Bemessung der Verfahrensgebühr zu berücksichtigen sei, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht das gesamte Verfahren abdecke. Die Fahrtkosten seien zu hoch bemessen, die tatsächliche Entfernung vom Kanzleisitz zum Gericht sei kürzer als vom Erinnerungsführer berechnet.

Unter Rekurs auf eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG (Beschl. v. 12.09.2006 – L 1 B 320/05 SF SK) hat der Urkundsbeamte ausgeführt, dass eine Terminsgebühr aus Nr. 3106 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr erst ab einer Termindauer von 50 Minuten verlangt werden könne.

Dagegen hat der Erinnerungsführer am 28.05.2010 eine als Kostenbeschwerde bezeichnete Erinnerung eingelegt. Er hält die beantragten Gebühren für angemessen.

Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen und diese der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

Für die Staatskasse hat der Bezirksrevisor beim HessLSG Stellung genommen. Er geht davon aus, dass die Absetzung in Bezug auf die Verfahrensgebühr zu Recht erfolgt sei, weil der Zeitpunkt der Prozesskostenhilfebewilligung Berücksichtigung finden müsse. Im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin handele es sich um eine durchschnittliche Tätigkeit. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien indessen als weit unterdurchschnittlich einzustufen, da nur auf den Zeitraum abzustellen sei, für den auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei. Dies berücksichtigt, sei die Festsetzung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 100,- EUR keinesfalls zu Lasten des Erinnerungsführers ausgefallen.

Die Fahrtkosten habe der Urkundsbeamte zureffend ermittelt.

Im Hinblick auf die Terminsgebühr hat der Erinnerungsgegner darauf hingewiesen, dass bei einem 35 Minuten andauernden Termin die Ansetzung der Mittelgebühr nicht unangemessen sei.

Der Erinnerungsgegner beantragt, die Vergütung wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 100,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,- EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 190,- EUR
Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 27,- EUR
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 20,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR
Zwischensumme 557,- EUR
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 105,83 EUR
Gesamt 662,83 EUR

Davon seien 1/3 aus der Staatskasse zu zahlen. Dies entspräche 220,94 EUR.

In Kenntnis des Vortrags des Erinnerungsgegners hält der Erinnerungsführer an seiner Auffassung fest. Den Anspruch auf Erstattung höher Fahrtkosten verfolgt er nicht weiter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte des Verfahrens S 10 AL 94/09 Bezug genommen.

II.

Die gem. § 56 Abs. 1 RVG statthafte Erinnerung ist zulässig und begründet.

Die angegriffene Vergütungsfestsetzung erweist sich als rechtswidrig. Der Erinnerungsführer hat Anspruch auf eine Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von 248,71 EUR.

Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind, § 45 Abs. 1 RVG. Es handelt sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Verfahren mit kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 S. 1 SGG. Damit scheidet die Anwendung des GKG gem. § 197a Abs. 1 S. 1 SGG aus und die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG.

Gem. § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt seine gesetzliche Vergütung, die er sonst von seinem Mandanten verlangen könnte, aus der Staatskasse, soweit im 8. Abschnitt des RVG (§§ 44 bis 59) nichts anderes bestimmt ist. Er kann dabei nach § 48 Abs. 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben. Die von ihm danach aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung und der Vorschuss darauf wird auf Antrag des Rechtsanwalts grundsätzlich (vgl. aber § 55 Abs. 2 RVG) vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt, § 55 Abs. 1 S. 1 RVG.

Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt gem. § 3 Abs. 1 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen.

Am Maßstab des Vorstehenden gilt Folgendes:

1. Verfahrensgebühr
Übereinstimmend gehen die Beteiligten zunächst vom zutreffenden Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG aus, weil der Erinnerungsführer bereits im Vorverfahren tätig war.

Die Verfahrensgebühr ist auch entstanden. Gem. Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG entsteht eine Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Die Verfahrensgebühr vergütet dabei die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts während des Rechtszuges, soweit nicht andere Gebührentatbestände gesonderte Gebühren vorsehen (ONDERKA/N. SCHNEIDER, in: Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl. 2010, VV Vorb. 3, Rn. 18). Dabei sind auch die Tätigkeiten umfasst, welche vor der Legitimation bei Gericht entstehen, weil es gebührenrechtlich auf das Innenverhältnis zum Mandanten ankommt, was sich bereits aus dem Wortlaut der Vorbemerkung ergibt. Mithin beginnt das Betreiben des Geschäfts mit der Entgegennahme des Mandates. Was sich im Übrigen auch aus einem Umkehrschluss aus Nr. 3101 VV RVG ergibt, wonach eine reduzierte Verfahrensgebühr für die Fälle vorgesehen ist, in denen die anwaltliche Tätigkeit endet, bevor sich der Anwalt bei Gericht legitimiert hat (ONDERKA/N. SCHNEIDER, in: Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl. 2010, VV Vorb. 3, Rn. 27).

Vorliegend hat der Erinnerungsführer am 01.02.2010, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem bereits Prozesskostenhilfe bewilligt war, schriftlich Stellung genommen, was zur Entstehung der Verfahrensgebühr führt, was im Übrigen auch der Erinnerungsgegner nicht bestreitet. Dem steht nicht entgegen, dass die Verfahrensgebühr schon mehrfach vor dem Wirksamwerden der Beiordnung entstanden ist. Es entspricht der unbestrittenen Auffassung in Literatur und Schrifttum, dass auch eine erneut gebührenauslösende Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Wirksamwerden der Beiordnung zum Entstehen des Vergütungsanspruchs aus §§ 45, 48 RVG führt (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 19; Thüringer LSG, Beschl. v. 18.03.2011 – L 6 SF 1418/10 B, juris, Rn. 21; Sächsisches LSG, Beschl. v. 05.05.2011 – L 7 SO 32/10 B PKH, juris, Rn. 16; LSG NRW, Beschl. v. 24.09.2008 – L 19 B 21/08 AS, juris, Rn. 26; OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.02.2007 – 6 W 165/06, juris, Rn. 6; HARTMANN, KostG, 40. Aufl. 2010, § 48 RVG, Rn. 89, 91; MÜLLER-RABE, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 48, Rn. 104).

Dem widerspricht im Übrigen auch nicht der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 17.07.2008, welcher in Übereinstimmung mit dem Vorstehenden auch vom Entstehen einer Verfahrensgebühr bei späterer Beiordnung ausgeht (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 17.07.2008 – L 1 B 127/08 SK, juris, Rn. 9).

Dagegen kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass der Zeitpunkt der Antragstellung und die Benennung eines Beiordnungszeitpunktes im Prozesskostenbewilligungsbeschluss keinen Sinn ergeben würde, denn der Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer Beiordnung muss bekannt sein, um prüfen zu können, ob ab diesem Zeitpunkt eine gebührenauslösende Tätigkeit feststellbar ist (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 19). So sind durchaus Fälle denkbar, in denen sich eine spätere Beiordnung auf den Gebührenanspruch des beigeordneten Anwalts gegenüber der Staatskasse auswirkt. In Betracht käme etwa eine Beiordnung, nachdem bereits ein Termin stattgefunden hat. Für den Fall, dass dann kein weiterer Termin mehr stattfindet, hätte der beigeordnete Anwalt keinen Anspruch auf die Terminsgebühr, weil keine (diese Gebühr) auslösende Tätigkeit im Bewilligungszeitraum ausgeführt wurde.

Bei der Bemessung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit kommt es – entgegen der Ansicht des Urkundsbeamten und des Erinnerungsgegners – bei der (unstreitig entstandenen) Verfahrengebühr auch auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts vor der Beiordnung an (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 22; Thüringer LSG, Beschl. v. 18.03.2011 – L 6 SF 1418/10 B, juris, Rn. 21; Sächsisches LSG, Beschl. v. 05.05.2011 – L 7 SO 32/10 B PKH, juris, Rn. 16 ff.; LSG NRW, Beschl. v. 24.09.2008 – L 19 B 21/08 AS, juris, Rn. 26; a.A. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 17.07.2008 – L 1 B 127/08 SK, juris, Rn. 9). Entscheidend ist insoweit, dass das RVG keine rechtliche Grundlage für die Quotelung einer Gebühr vorsieht. Einer solchen hätte es aber bedurft, um die vorgenommene Kürzung zu legitimieren. Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass bei der Abwägung nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Denn bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit kommt es auf den im gesamten Verfahren aufgewendeten Arbeits- und Zeitaufwand an (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 21; LSG NRW, Beschl. v. 24.09.2008 – L 19 B 21/08 AS, juris Rn. 29), wenn die jeweilige Gebühr zumindest auch durch eine Tätigkeit innerhalb des Bewilligungszeitraums (nochmals) ausgelöst wurde.

Dies folgt zunächst aus der Systematik des Gebührenrechts, welche vom Grundsatz der Pauschgebühr beherrscht wird. Gem. § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Der Rechtsanwalt wird also nicht für einzelne Tätigkeiten vergütet, sondern erhält Pauschgebühren. Die Gebühren entstehen durch jede weitere Erfüllung des Gebührentatbestands erneut, wobei der Anwalt die Gebühren im gerichtlichen Verfahren in jedem Rechtszug nur einmal fordern kann (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 22). Gem. § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühr in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Für eine Splittung einer einzelnen Gebühr sieht das Gesetz mithin keine Grundlage.

Weiterhin spricht die Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, welche im sozialgerichtlichen Verfahren über § 73a Abs. 1 S. 1 SGG Anwendung findet, gegen die vom Urkundsbeamten und Erinnerungsgegner vertretene Ansicht, dass die Höhe der Verfahrensgebühr abhängig vom Beiordnungszeitpunkt ist. Die Forderungssperre gilt für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände, auch wenn sie bereits vor der Beiordnung erfüllt waren und nach der Beiordnung erneut verwirklicht werden (Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E, juris, Rn. 23; BGH, Beschl. v. 21.02.2008 – I ZR 142/06, juris, Rn. 5; GEIMER, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 122, Rn. 11; FISCHER, in: Musielak, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 122 Rn. 8; MOTZNER, in: MüKo-ZPO, 3. Aufl. 2008, § 122 Rn. 14).

Würde man mit dem Urkundsbeamten und dem Erinnerungsgegner eine gesplittete Betrachtungsweise zulassen und damit die vorgenommene Kürzung akzeptieren, hätte dies zur Folge, dass der Rechtsanwalt einen Gebührenausfall hinnehmen müsste, ohne dass ihm eine Möglichkeit zur Verfügung stünde, seine vollständige Gebührenforderung zu realisieren.

Unter Berücksichtigung des Vorstehenden und bei Beachtung der weiteren Kriterien des § 14 RVG erscheint die Festsetzung einer Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr nicht unbillig.

Mit dem Erinnerungsgegner kann grundsätzlich von einer durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin ausgegangen werden.

Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind indessen – entgegen der Ansicht des Erinnerungsgegners – zumindest durchschnittlich.

In Bezug auf die Schwierigkeit der Angelegenheit war zu berücksichtigen, dass die Angelegenheit bei ordnungsgemäßer Bescheidung durch die Beklagte wohl als weit unterdurchschnittlich einzustufen gewesen wäre. Mit der im Tatbestand näher beschriebenen Bescheidungspraxis hat die Beklagte indessen maßgeblich zur Komplizierung beigetragen.

Dadurch wurde der Fall auch im Hinblick auf den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zumindest durchschnittlich.

Im Hinblick auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse als auch dem Haftungsrisiko handelt es sich um ein durchschnittliches Verfahren.

2. Terminsgebühr
Zutreffend gehen die Beteiligten insoweit vom Gebührenrahmen Nr. 3106 VV RVG als Maßstab aus. Der Urkundsbeamte hat die vom Erinnerungsführer beantragte Terminsgebühr jedoch zu Unrecht reduziert. Dabei kann es die Kammer vorliegend dahingestellt sein lassen, ob im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen, der bei der Terminsgebühr zu berücksichtigen ist, die Wartezeit zwischen angesetztem Termin und tatsächlichem Aufruf (vorliegend 15 Minuten) Berücksichtigung finden kann oder muss. Denn nach zutreffender Rechtsansicht ist bei einer Dauer eines Termins von 35 Minuten die Berücksichtigung einer Mittelgebühr angemessen, wenn und soweit das Verfahren auch in sonstiger Hinsicht durchschnittlich ist. Der vom Erinnerungsführer insoweit vorgenommen Ansatz für die Terminsgebühr ist somit nicht unbillig.

Nach allem hat der Erinnerungsführer Anspruch auf folgende Vergütung:

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,- EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 190,- EUR
Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 27,- EUR
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 20,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR
Zwischensumme 627,- EUR
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 119,13 EUR
Gesamt 746,13 EUR

Davon sind 1/3 aus der Staatskasse zu zahlen. Dies entspricht 248,71 EUR.

Gerichtskosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG im Verfahren über die Erinnerung nicht erhoben. Kosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.

Gegen diese Entscheidung ist gem. § 56 Abs. 2 RVG grundsätzlich die Beschwerde statthaft. Ein Vorrang des Normgefüges des SGG, dahin gehend, dass (auch) gegen Erinnerungen nach § 56 Abs. 1 RVG eine Beschwerde gem. § 197 Abs. 2 SGG ausgeschlossen ist, erscheint schon deshalb bedenklich, weil die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG sich auf Vergütungsfestsetzungen (aus der Staatskasse) gem. § 55 RVG bezieht. § 197 Abs. 2 SGG bezieht sich hingegen auf Kostenfestsetzungen (zwischen den Beteiligten) gem. § 197 Abs. 1 SGG (wie hier: LSG NW, Beschl. v. 29.01.2008 – L 1 B 35/07 AS, juris, Rn. 8; bestätigt durch LSG NW, Beschl. v. 10.12.2009 – L 19 B 218/09 AS, juris, Rn. 25; ebenso mit abweichenden Begründungen HessLSG, Beschl. v. 25.05.2009 – L 2 SF 50/09 E, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 17.07.2008 – L 6 B 93/07, juris Rn. 21 ff.; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.02.2009 – L 15 SF 9/09 B, juris, Rn. 7 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 28.10.2008 – L 9 B 19/08 AS SF, juris, Rn. 3 ff.).

Vorliegend wird indessen nicht der Beschwerdewert gem. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG in Höhe von 200,- EUR erreicht, welcher gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG vorliegend anzuwenden ist. Die Kammer sah sich aber, im Hinblick darauf, dass das HessLSG zu dieser Thematik soweit ersichtlich – bis dato noch nicht Stellung bezogen hat, gehalten die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved