L 9 U 3797/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 6825/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3797/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2008 - S 1 U 6825/06 - und der Bescheid der Beklagten vom 8. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2006 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. Februar 1994 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 1. August 2004 zu gewähren.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil vom 27. Juni 2008 - S 1 U 2028/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens S 1 U 6825/06 sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente wegen zweier Unfallereignisse.

Der 1945 geborene Kläger erlitt am 13.2.1991 auf dem Weg zur Arbeit mit dem Pkw einen Verkehrsunfall, als er mit einem entgegen kommenden Pkw zusammenstieß und seine beiden Beine im Auto eingeklemmt wurden. Er zog sich dabei eine Patellafraktur rechts, eine Schürfwunde am rechten Kniegelenk sowie eine Sprunggelenksdistorsion beidseits zu (DA-Bericht von Dr. B. vom 14.2.1991). Arbeitsfähigkeit trat zum 1.7.1991 wieder ein, wobei der behandelnde Arzt die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 13. Woche nach dem Unfall mit 10 v.H. einschätzte (Mitteilung vom 28.6.1991).

Am 7.2.1994 erlitt der Kläger bei seiner Tätigkeit als Kraftfahrer einen weiteren Unfall, als beim Beladen eines Lkw eine Massivstahlrolle gegen das linke Schienbein des Klägers fiel. Hierbei zog er sich eine komplette zweitgradige offene Unterschenkelfraktur links zu (DA-Bericht von Dr. B. vom 7.2.1994). Der Kläger wurde vom 7.2. bis 4.3.1994 stationär im Kreiskrankenhaus W. behandelt, wo eine Osteosynthese der Tibia mit Verriegelungsnagel sowie eine Korrektur der Verriegelung vorgenommen wurde. Vom 26.4. bis 21.5.1994 erfolgte eine weitere stationäre Behandlung im Kreiskrankenhaus W., wobei eine Spongiosa-Plastik wegen einer verzögerten Knochenbruchheilung durchgeführt wurde. Wegen fortbestehender Beschwerden wurde vom 2.8. bis 15.9.1994 ein stationäres Heilverfahren in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. durchgeführt. Bei Entlassung war die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes frei, die Beweglichkeit im linken oberen Sprunggelenk war nur noch endgradig eingeschränkt und die Wundverhältnisse am Unterschenkel waren reizlos. Die Ärzte empfahlen eine Belastungserprobung im Beruf als Kraftfahrer (Mitteilung vom 21.9.1994). Die am 17.10.1994 begonnene vierstündige Belastungserprobung wurde wegen auftretender Beschwerden am 19.10.1994 abgebrochen. Eine ab 24.11.1994 erneut aufgenommene Belastungserprobung wurde am 30.11.1994 wegen Schmerzen im Unterschenkel und Sprunggelenk abgebrochen.

Die Beklagte ließ den Kläger von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., gutachterlich untersuchen. Dieser beschrieb im Ersten Rentengutachten vom 9.1.1995 als wesentliche Unfallfolgen eine knöchern konsolidierte zweitgradig offene Unterschenkelfraktur links, Schmerzen und Schwellneigung im Bereich des linken Unterschenkels, Entkalkung im Bereich des linken Kniegelenks und im linken Sprunggelenk sowie eine Muskelminderung am linken Oberschenkel. Die MdE schätzte er ab 9.1.1995 bis zur Dauerrente mit 20 v.H. ein und nahm Arbeitsfähigkeit ab 9.1.1995 an.

Mit Bescheid vom 9.2.1995 gewährte die Beklagte dem Kläger eine vorläufige Rente nach einer MdE um 20 v.H. vom 9.1.1995 bis auf weiteres. Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 anerkannte sie: "Muskelminderung am linken Oberschenkel, Schwellneigung im Bereich des linken Unterschenkels und Fußes, Knochenfehlstellung im Bereich des linken Wadenbeins, Herabsetzung des Knochenkalksalzgehaltes im Bereich des linken Knie- und Fußgelenkes". Eine Varikosis beidseits wurde nicht als Folge des Arbeitsunfalls anerkannt.

Hiergegen legte der Kläger am 8.3.1995 Widerspruch ein und machte geltend, dass in diesen Bescheid die MdE von 10 v.H. aufgrund seines früheren Unfalls vom 13.2.1991 nicht berücksichtigt sei. Nach Aufnahme seiner Arbeit seien Schmerzen und Taubheitsgefühle im Unterschenkel links aufgetreten, weswegen er der Arbeitsbelastung auf Dauer nicht gewachsen sei. Der Kläger legte ein Gutachten des Chirurgen Dr. K. vom 14.7.1995 vor.

Die Beklagte ließ den Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 daraufhin von Prof. Dr. W. gutachterlich untersuchen. Dieser beschrieb im Gutachten vom 29.9.1995 als wesentliche Folgen des Unfalls vom 13.2.1991 mäßige subjektive Beschwerden nach verheilter Patellafraktur rechts ohne objektive Funktionsminderung oder röntgenologische Folgeerscheinungen. Als vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen gab er den zweiten Arbeitsunfall vom 7.2.1994 mit zweitgradig offener Unterschenkelfraktur links mit Innenknöchelfraktur sowie Varizen beidseits, Senk-Spreiz-Füße beidseits und eine Bronchitis an. Die MdE für die Folgen des Unfalls vom 13.2.1991 schätzte er vom 7.2.1994 auf Dauer auf unter 10 v.H.

Mit Bescheid vom 8.11.1995 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 ab, da dieser keine MdE in rentenberechtigendem Grade hinterlassen habe. Eine MdE von mindestens 10 v.H. habe zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 nicht vorgelegen, so dass auch die Gewährung einer Stützrente nicht in Betracht komme. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 ließ die Beklagte ein Zweites Rentengutachten zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente erstellen. In dem Gutachten vom 27.11.1995 beschrieben die Ärzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. als Unfallfolgen subjektive Beschwerden und Schwellneigung im Bereich des linken Sprunggelenks nach knöchern konsolidierter ehemals zweitgradig offener Unterschenkelfraktur links, Muskelminderung am linken Oberschenkel von 2 cm und Beinverkürzung links von 2 cm. Die MdE schätzten sie auf 10 v.H. Als vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen nannten sie eine Varikosis beidseits, eine Patellafraktur rechts (Arbeitsunfall 1991) und eine Adipositas.

Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.12.1995 die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats Januar 1996 und teilte ihm mit, ein Anspruch auf Dauerrente bestehe nicht. Als Unfallfolgen lägen noch eine geringe Muskelminderung am linken Oberschenkel sowie eine leichte Beinverkürzung links vor. Hierdurch werde die Erwerbsfähigkeit nicht mehr in rentenberechtigendem Ausmaß gemindert. Der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4.7.1996 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 9.2.1995 und 22.12.1995 zurück.

Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhobene Klage (S 6 U 3424/96) wies das SG mit Urteil vom 11.12.1997 zurück. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

Nach Eingang eines Wiedererkrankungsberichts von 24.11.2000 (Diagnosen: Innenmeniskusläsion bei beginnender medialer Gonarthrose links, Zustand nach Unterschenkeltrümmerfraktur links) veranlasste die Beklagte eine Untersuchung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. Im Bericht vom 21.1.2003 führten die dortigen Ärzte aus, aufgrund des Unfalls vom 7.2.1994 habe sich beim Kläger eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Sprunggelenks sowie des linken Kniegelenks entwickelt. Auffällig sei eine sehr starke Atrophie der Oberschenkelmuskulatur nach stattgehabter offener Unterschenkel- und Innenknöchelfraktur links. Zur Linderung der Beschwerden und zum Auftrainieren der Oberschenkelmuskulatur links empfahlen die Ärzte eine stationäre Reha-Maßnahme. Diese wurde vom 12.2.2003 bis 4.3.2003 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. durchgeführt, wobei am 21.2. und 27.2.2003 Untersuchungen in der Neurologischen Klinik der Universität T. erfolgten (Berichte vom 24.3. und 15.5.2003). Im Befund- und Entlassungsbericht vom 7.3.2005 führten die Ärzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. aus, die klinisch-neurologische Fachuntersuchung habe posttraumatische Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus cutaneus surae lateralis, des Nervus saphenus und des Nervus peronaeus superficialis links gezeigt. Der Kläger sei bei deutlich gebesserten subjektiven Beschwerden aus der stationären Behandlung entlassen worden. Arbeitsfähigkeit trete am 10.3.2003 unter Beibehaltung der bisherigen MdE ein.

Mit Schriftsatz vom 29.7.2004, eingegangen bei der Beklagten am 2.8.2004, beantragte der Kläger wegen einer erheblichen Gangverschlechterung eine Neufeststellung wegen seiner Arbeitsunfälle aus den Jahren 1991 und 1994.

Die Beklagte zog Unterlagen der Krankenkasse des Klägers bei, holte Auskünfte bei dem behandelnden Chirurgen Dr. H. vom 12.9.2004 ein und beauftragte (auf Wunsch des Klägers) Prof. Dr. R. mit der Erstattung von Gutachten.

Im Gutachten vom 18.11.2004 - den Unfall vom 13.2.1991 betreffend - führte Prof. Dr. R. aus, als Folgen dieses Unfalls lägen eine 4 cm lange Narbe oberhalb der Kniescheibe rechts sowie eine 3 cm lange Narbe an den Knieinnenseite vor. Knöcherne Residuen und eine vorzeitige degenerative Veränderung infolge des Kniescheibenbruchs seien nicht feststellbar. Die Gelenkfläche zwischen Unterschenkelknochen und Kniescheibe sei röntgenologisch unauffällig. Subjektiv bestünden geringe bewegungsunabhängige Beschwerden. Die unfallbedingten Funktionsbehinderungen seien mit einer MdE unter 10 v.H. zu bewerten.

In einem weiteren Gutachten vom 18.11.2004 - den Unfall vom 7.2.1994 betreffend - beschrieb Prof. Dr. R. als Folgen dieses Unfalls deutliche subjektive Beschwerden am linken Unterschenkel sowie eine Schwellneigung an der Unterschenkelvorderseite. Die Muskelkraft der linken unteren Extremität sei leicht herabgesetzt, der Oberschenkelumfang links sei im Vergleich zu rechts um 5 cm, der Unterschenkelumfang um 1 cm vermindert. Es bestehe eine Beinverkürzung links von 2 cm. Der aktuelle Untersuchungsbefund (körperliche Untersuchung, Labor, Bildgebung) habe keinen Anhalt für eine floride Entzündung im Bereich des linken Unterschenkels ergeben. Die MdE wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 werde mit 10 v.H. eingeschätzt.

Mit Bescheid vom 8.4.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 ab. Hiergegen legte der Kläger am 26.4.2005 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006 zurückwies.

Mit einem weiteren Bescheid vom 8.4.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls lägen eine Muskelminderung des linken Beines, eine Schwellneigung am linken Unterschenkel mit Beinverkürzung sowie Sensibilitätsstörungen an der Schienbeinvorderkante links vor. Die Unfallfolgen bedingten keine rentenberechtigende MdE. Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf das Gutachten der Orthopädischen Universitätsklinik H. vom 18.11.2004.

Hiergegen legte der Kläger am 26.4.2005 Widerspruch ein und eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. H. vom 11.7.2005 vor. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. S. und eines Gutachtens bei Prof. Dr. W./Dr. H. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vom 2.2.2006 (kein Hinweis für eine akute Osteomyelitis; MdE von 10 v.H. korrekt) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2006 zurück.

Am 23.3.2006 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 8.4.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 beim SG Stuttgart (S 1 U 2028/06) erhoben, mit der er zuletzt beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 Verletztenrente nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Gegen den Bescheid vom 8.4.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.8.2006 hat der Kläger ebenfalls Klage zum SG (S 1 U 6825/06) erhoben und zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 eine Verletztenrente nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Dr. H., Arzt für Allgemeinchirurgie, Gefässchirurgie, Phlebologie, Oberfeldarzt, mit der Erstattung von Gutachten in beiden Verfahren beauftragt.

Dr. H. hat in einem Gutachten vom 6.12.2007, eingegangen zunächst am 27.12.2007 und in korrigierter Fassung am 29.2.2008, unter Mitberücksichtigung von Magnetresonanztomographien (MRT) der Kniegelenke ausgeführt, als Folge des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 bestehe eine posttraumatische Arthrose des rechten Kniegelenkes, die ab dem 29.7.2004 eine MdE um 10 v. H. und ab dem 15.3.2007 eine MdE um 20 v.H. bedinge. Prof. Dr. R. habe die zwischenzeitlich eingetretenen degenerativen Veränderungen des rechten Femoropatellargelenks nicht berücksichtigt. Die alleinige Beurteilung der knöchern ausgeheilten Patellafraktur könne zur Einschätzung der unfallbedingten Beschwerden nicht ausreichen. Auf den Arbeitsunfall vom 29.4.2004 (gemeint: 7.2.1994) seien die posttraumatische Arthrose des linken Kniegelenks, die in über 10° Fehlstellung verheilte Tibiafraktur, die Arthrose des linken Sprunggelenks sowie die Muskelminderung des linken Oberschenkels zurückzuführen. Die MdE für den Arbeitsunfall vom 7.2.1994 sei ab dem 3.6.2003 (unverändert) mit 15 v.H., ab dem 29.6.2005 mit 20 v.H. und ab dem 15.3.2007 mit 25 v.H. einzuschätzen. Grundlage für die Erhöhung der MdE auf 20 v.H. seien die seitlichen Röntgenaufnahmen des linken Unterschenkels. Auf der Röntgenaufnahme vom 29.6.2005 sei die Rekurvation der linken Tibia bereits erstmalig erkennbar. Die Steigerung der MdE auf 25 v.H. ab 15.3.2007 beruhe auf der zusätzlich festgestellten posttraumatischen Arthrose. Seine abweichende Beurteilung gegenüber dem Gutachten von Prof. Dr. R. beruhe darauf, dass dieser die degenerativen Veränderungen des linken Kniegelenkes als wesentliche Ursache für die Belastungsinstabilität der unteren Extremitäten unberücksichtigt lasse. Auch die von Prof. Dr. R. als gering bezeichnete Rekurvation des Schienbeins im ehemaligen Frakturbereich sei aufgrund der aktuellen Untersuchung als bedeutsam einzustufen.

Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen des Chirurgen/Unfallchirurgen Dr. S. vorgelegt.

In der Stellungnahme vom 19.3.2008 im Verfahren S 1 U 2028/06 (Unfall vom 13.2.1991) führt Dr. S. aus, Dr. H. stelle fest, dass am rechten Kniegelenk eine freie Funktion ohne Hinweis auf klinisch relevante Arthrosezeichen vorliege. Bei fehlender Klinik und freier Funktion sei die angenommene MdE von 20 v.H. völlig unverständlich; genauso wenig komme eine MdE um 10 v.H. in Betracht, da keine unfallbedingten Funktionsstörungen vorlägen.

In der Stellungnahme vom 12.3.2008 im Verfahren S 1 U 6824/06 (Unfall vom 7.2.1994) führt Dr. S. aus, Prof. Dr. R. und Dr. H., ausgewiesene Spezialisten, hätten klar festgestellt, dass zum einen die Fraktur knöchern konsolidiert sich im Wesentlichen in achsengerechter Stellung befinde und zum anderen, dass kein Hinweis auf eine Osteomyelitis bestehe. Wenn Dr. H. dagegen ausführe, die Fraktur sei nicht fest geworden, es liege eine straffe Pseudarthrose vor und es komme zu immer weiteren Achsabweichungen, halte er dies für unwahrscheinlich. Gewisse Achsabweichungen um geringe Gradzahlen seien allein schon durch die Rotation des Beines bei der Röntgenaufnahme bedingt. Die Messgenauigkeit liege bei ca. 5° bei Computertomographien, was als Goldstandard anzusehen sei. Daneben sei fraglich, ob die Arthrose im linken Knie als Unfallfolge anerkannt werden könne. Nach der unfallmedizinischen Literatur könne bei einer Schaftfraktur im Bereich der langen Röhrenknochen eine posttraumatische Arthrose der angrenzenden Gelenke nur anerkannt werden, wenn tatsächlich nachweisbar sei, dass eine grobe Fehlstellung der Achse vorhanden sei, die mit mehr als Wahrscheinlichkeit die Veränderungen hervorgerufen habe. Nach den Gutachten von Prof. Dr. R. und Dr. H. seien diese Voraussetzungen jedoch nicht gegeben.

Mit Urteil vom 27.6.2008 hat das SG die Klage im Verfahren S 1 U 2028/06 (Arbeitsunfall vom 13.2.1991) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch richte sich nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII). Der Kniescheibenbruch rechts sei nach den Feststellungen und Beurteilungen von Prof. Dr. R. knöchern konsolidiert, ohne Residuen und ohne vorzeitige degenerative Veränderungen. Es bestünden lediglich subjektive geringe bewegungsabhängige Beschwerden. Angesichts der gemessenen Funktionswerte sei eine MdE um 10 v.H. nicht gegeben. Dr. H. gehe fälschlicherweise davon aus, dass eine Arthrose ohne funktionelle Auswirkungen zu einer höheren MdE führe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Mit einem weiteren Urteil vom 27.6.2008 hat das SG die Klage im Verfahren S 1 U 6825/06 (Arbeitsunfall vom 7.2.1994) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch richte sich nach den Vorschriften des SGB VII. Zwischen den Beteiligten sei streitig, ob die MdE für die noch bestehenden Folgen des Versicherungsfalls aus dem Jahr 1994 wenigstens mit einer MdE um 20 v.H. einzuschätzen sei. Die von der Beklagten vorgenommene Einschätzung mit 10 v.H. reiche für die Gewährung einer Verletztenrente nicht aus, da ein Stützrententatbestand für die Folgen des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1991 nicht gegeben sei, da diese - wie das SG mit Urteil vom 27.6.2008 bestätigt habe - mit weniger als 10 v.H. einzuschätzen seien. Die MdE-Einschätzung mit 10 v.H. für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 sei nicht zu beanstanden. Nach der unfallmedizinischen Literatur sei ein Unterschenkelbruch, achsengerecht verheilt mit Beinverkürzung bis zu 4 cm, mit einer MdE um 10 v.H. einzuschätzen. Beim Kläger betrage die Beinverkürzung 2 cm, die Muskelkraft der linken Extremität sei leicht herabgesetzt, der Oberschenkelumfang im Vergleich zur Gegenseite sei um 5 cm, der Unterschenkelumfang um 1 cm im Vergleich zur Gegenseite vermindert. Anhaltspunkte für eine floride Entzündung im Bereich des linken Unterschenkels seien von Prof. Dr. R. und Prof. Dr. W. ausdrücklich verneint worden. Wenn abweichend davon Dr. H. als weitere Unfallfolgen eine um in über 10° Fehlstellung verheilte Schienbeinfraktur und eine Arthrose des linken Sprunggelenks annehme, vermöge das SG dem - angesichts der Gutachten von Prof. Dr. R. und Prof. Dr. W. - nicht zu folgen. Vielmehr schließe sich das SG der Beurteilung von Dr. S. an. Nachdem eine Funktionsminderung beim Kläger nicht vorliege, komme unabhängig von der Frage, ob die Arthrose im Kniegelenk Unfallfolge sei, eine höhere MdE nicht in Betracht. Gleiches gelte für die Rekurvation der linken Tibia, da diese funktionell beim Kläger auch nach Einschätzung von Dr. H. keine Auswirkungen habe.

Gegen die am 11.7.2008 zugestellten Urteile hat der Kläger am 8.8.2008 Berufungen eingelegt. Die Berufung gegen das Urteil im Verfahren S 1 U 6825/06 - Arbeitsunfall vom 7.2.1994 - hat das Az. L 9 U 3797/08 und die Berufung gegen das Urteil im Verfahren S 1 U 2028/06 - Arbeitsunfall vom 13.2.1991 - hat das Az. L 9 U 3803/08 erhalten.

Mit Beschluss vom 14.3.2011 hat der Senat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. L 9 U 3797/08 verbunden.

Zur Begründung der Berufungen trägt der Kläger vor, beide Vorgänge seien zusammen zu sehen, zumal sie als Stütztatbestände zu einer Verletztenrente nach einer Mindest-MdE von 20 v.H. führen könnten. Deswegen werde die Berufungsbegründung für beide Verfahren gemeinsam vorgelegt. Die Urteile des SG seien inhaltlich nicht nachvollziehbar. Eine Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Dr. H. erfolge nicht in ausreichender Weise. So gehe das SG nicht darauf ein, dass Dr. H. festgestellt habe, dass eine deutliche Rekurvation der Tibia von über 10°, aber unter 15° nachzuweisen sei. Auch wenn das SG davon ausgehe, dass die Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks als gering einzuschätzen sei, sei die Entwicklung einer schweren Kniegelenksarthrose nicht zu leugnen. Auch Prof. Dr. R. habe bezüglich der degenerativen Entwicklung im Bereich des linken Knie- und Sprunggelenks eine Nachuntersuchung für erforderlich gehalten. Das alleinige Abstellen auf die geringgradige Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk sei nicht ausreichend. Durch die aktuellen Röntgen- und MRT-Untersuchungen seien seine Beschwerden objektivierbar. Bezüglich des rechten Kniegelenks sei als Folge der Patellafraktur rechts eine fortgeschrittene Degeneration des Femoropatellargelenks nachgewiesen. Zusätzlich fänden sich - laut Ausführungen von Dr. H. - erhebliche degenerative Veränderungen des Kniegelenks mit Knorpelveränderungen. Auch darauf gehe das Urteil nicht ein. Wenn das Berufungsgericht den Feststellungen von Dr. H. nicht folgen könne, sei die Einholung eines Obergutachtens gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. April 2005 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Februar 2006 und 15. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Februar 1991 und 7. Februar 1994 Verletztenrenten nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie erwidert, der Kläger wiederhole sein bisheriges Vorbringen aus dem Klageverfahren. Das gemäß § 109 SGG bei Dr. H. eingeholte Gutachten sei dem SG bekannt gewesen und entsprechend gewürdigt worden.

Der Senat hat Prof. Dr. S., Orthopädische Universitätsklinik H., mit der Erstattung von Gutachten, beide Arbeitsunfälle betreffend, beauftragt.

Im Gutachten vom 17.11.2009 hat Prof. Dr. S. ausgeführt, als Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 habe er beim Kläger reizfreie und stabil verheilte Narben am rechten Kniegelenk sowie eine knöchern ohne Fehlstellung konsolidierte Patellafraktur rechts mit nicht mehr nachvollziehbarem Frakturverlauf ohne Funktionsstörung des rechten Kniegelenks festgestellt. Die Narben führten zu keiner nennenswerten Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenks. Der stufenlos verheilte Kniescheibenbruch sei nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich für den innenseitig betonten allgemeinen Kniegelenksaufbrauch. Die verschleißbedingten Veränderungen des rechten Kniegelenks seinen unfallunabhängig. Sie seien Ausdruck einer typischen Kniearthrose aus innerer Ursache, da sie nicht im Bereich des Kniescheibengleitgelenks, sondern innenseitig betont seien. Die MdE für die Unfallfolgen liege unter 10 v.H.

Der Arbeitsunfall vom 7.2.1994 habe zu folgenden Gesundheitsstörungen geführt: • Unter 10° Antekurvation konsolidierter Schienbeinschaftbruch an der körpernahen Drittelgrenze, • unter s-förmiger Achsabweichung körpernah und körperfern konsolidierter Wadenbein-2-Etagen-Bruch • In anatomischer Position verheilter Innenknöchelbruch mit diskreten spitzwinkligen Ausziehungen am innenseitigen oberen Sprunggelenksspalt • Der Anteil des IV° Kniegelenksverschleiß links, der der rechten Gegenseite voraneilt • Sicht- und tastbare Verplumpung auf Höhe der körpernahen Schienbein-Drittelgrenze infolge eines unter überschießender manschettenförmiger Knochenbildung verheilten Schienbeinschaftbruchs • Linksseitige Beinverkürzung von 2,5 cm mit der Notwendigkeit, dauerhaft eine linksseitige Schuhsohlenerhöhung zu tragen, • Muskelminderung des linken Oberschenkels um maximal 2 cm im Vergleich zur Gegenseite • Linksbetontes Schonhinken • Linksseitig im Vergleich zur Gegenseite verminderter Sohlenabrieb • Reizlos und stabil verheilte Narben am linken Bein. Die MdE hierfür betrage 20 v.H. ab August 2004. Der Anteil der Arthrose des linken Kniegelenks, der dem Aufbrauch der rechten Seite vorauseile, sei auf die unfallbedingte vermehrte Abkippung des hinteren Schienbein-Plateaus infolge der in 10° fehlverheilten körpernahen Schienbeinschaftfraktur zurückzuführen. Auch wenn am linken Kniegelenk noch eine Beweglichkeit von Extension/Flexion von 0-0-130° bestehe, so weise der vermehrte/verminderte Sohlenabrieb rechts/links sowie die Muskelminderung des linken Oberschenkels auf eine Mindergebrauchsfähigkeit des linken Beines hin, so dass daraus eine rentenberechtigende MdE resultiere. Die Abweichung zum Gutachten von Prof. Dr. R. vom 18.11.2004 beruhe darauf, dass in seinem Gutachten im Vergleich zum rechten Kniegelenk vorauseilende Aufbraucherscheinungen in Form spitzwinkliger knöcherner Ausziehungen, insbesondere am innenseitigen Gelenksspalt, unberücksichtigt geblieben seien, ebenso wie die eine Antekurvation beschreibende Achsabweichung in der Seitaufnahme des körpernahen Unterschenkels als Folge eines abgekippt verheilten Unterschenkelbruchs.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 1 U 2028/06 und S 1 U 6825/06) sowie des Senats (L 9 U 3797/08 und L 9 U 3803/08) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegten Berufungen des Klägers sind zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG im Verfahren S 1 U 2825/06 ist begründet, da ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zusteht. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG im Verfahren S 1 U 2028/06 ist dagegen nicht begründet, da die Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 keine MdE um mindestens 10 v.H. bedingen.

Der vom Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1.1.1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31.12.1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für § 214 Abs. 3 SGB VII. Nach dieser Regelung gelten die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle, die nach dem Tag des Inkrafttreten dieses Gesetzes (1.1.1997) erstmals festzusetzen sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil schon unter der Geltung der RVO die Voraussetzungen für eine Rentengewährung vorlagen. Damit waren Leistungen nicht nach dem Inkrafttreten des SGB VII zum 1.1.1997 erstmals festzusetzen. So gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 9.2.1995 ab 9.1.1995 bis auf weiteres eine vorläufige Rente nach einer MdE um 20 v.H.

Der vom Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 geltend gemachte Anspruch richtet sich unter Zugrundelegung der neuesten Rechtsprechung des BSG nach den Vorschriften des SGB VII. Danach sind Leistungen zu dem Zeitpunkt "erstmals festzusetzen" im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII, zu dem die Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs erfüllt sind und der Versicherte daher einen Anspruch auf Feststellung des Leistungsrechts hat. Hingegen ist es unerheblich, ob und wann dieses Recht durch Verwaltungsakt festgesetzt wird (BSG, Urteil vom 21.9.2010 - B 2 U 3/10 R - in SozR 4-2700 § 214 Nr. 1 und in Juris unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung in den Urteilen vom 20.2.2001 - B 2 U 1/00 R und 19.8.2003 - B 2 U 9/03 R in Juris).

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Solche Arbeitsunfälle liegen mit den Ereignissen vom 13.2.1991 und 7.2.1994 vor und wurden von der Beklagten mit den Bescheiden vom 9.2. und 22.12.1995 (Arbeitsunfall vom 7.2.1994) und Bescheid vom 8.11.1995 (Arbeitsunfall vom 13.2.1991) auch anerkannt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles bei der Bemessung der MdE ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Eine entsprechende Regelung enthält § 56 Abs. 1 SGB VII, wobei die Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalles allerdings über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert sein muss, um einen Anspruch auf Rente zu begründen. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18.3.2003, B 2 U 31/02 R).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei dem Arbeitsunfall vom 7.2.1994 hat der Kläger eine zweitgradig offene Unterschenkelschaftfraktur links mit Innenknöchelfraktur erlitten. Arbeitsfähigkeit trat erst zum 9.1.1995 wieder ein. Anlässlich des Ersten Rentengutachten vom 9.1.1995 stellte Prof. Dr. W. beim Kläger Schmerzen und eine Schwellneigung im Bereich des linken Unterschenkels, eine Entkalkung im Bereich des linken Kniegelenks und im linken Sprunggelenk sowie eine Muskelminderung am linken Oberschenkel fest. Röntgenologisch zeigte sich im Bereich der Tibia im ehemaligen Frakturgebiet eine ausgeprägte Kallusbildung und eine Abknickung der Fibula (Wadenbein) im distalen ehemaligen Frakturbereich von 20° nach ventral. Anlässlich des Zweiten Rentengutachtens zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente vom 27.11.1995 beschrieben der Ärzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. beim Kläger subjektive Beschwerden und eine Schwellneigung im Bereich des linken Sprunggelenks, eine Muskelminderung am linken Oberschenkel von 2 cm und eine Beinverkürzung links von 2 cm. Diesen Zustand bewerteten sie mit einer MdE um 10 v.H.

Seit Oktober 2000 kam es zu vermehrten Beschwerden, wobei die Ärzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. am 16.1.2003 beim Kläger eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Sprung- und Kniegelenks sowie eine starke Atrophie der Oberschenkelmuskulatur links (-6,5 cm) feststellten, eine unter deutlich überschießender Kallusbildung abgeheilte Unterschenkel-Mehretagenfraktur sowie im Bereich des Sprunggelenks, insbesondere am Innenknöchel, beginnende arthrotische Veränderungen im Sinne einer posttraumatischen Arthrose beschrieben (Bericht vom 21.1.2003). Die vom 12.2. bis 4.3.2003 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. durchgeführte stationäre Behandlung erbrachte eine Besserung der Beschwerden, wobei posttraumatische Sensibilitätsstörungen im Bereich mehrerer Nerven am linken Unterschenkel festgestellt wurden.

Nach den Feststellungen des Senats, die insbesondere auf dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 17.11.2009 beruhen, liegen beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen vor, die auf den Unfall vom 7.2.1994 zurückzuführen sind: • Unter 10° Antekurvation konsolidierter Schienbeinschaftbruch an der körpernahen Drittelgrenze, • Unter s-förmiger Achsabweichung körpernah und körperfern konsolidierter Wadenbein-2-Etagen-Bruch • In anatomischer Position verheilter Innenknöchelbruch mit diskreten spitzwinkligen Ausziehungen am innenseitigen oberen Sprunggelenksspalt • Der Anteil des IV° Kniegelenksverschleiß links, der der rechten Gegenseite voraneilt • Sicht- und tastbare Verplumpung auf Höhe der körpernahen Schienbein-Drittelgrenze infolge eines unter überschießender manschettenförmiger Knochenbildung verheilten Schienbeinschaftbruchs • Linksseitige Beinverkürzung von 2,5 cm mit der Notwendigkeit, dauerhaft eine linksseitige Schuhsohlenerhöhung zu tragen, • Muskelminderung des linken Oberschenkels um maximal 2 cm im Vergleich zur Gegenseite • Linksbetontes Schonhinken • Linksseitig im Vergleich zur Gegenseite verminderter Sohlenabrieb • Reizlos und stabil verheilte Narben am linken Bein. Ferner liegen beim Kläger posttraumatische Sensibilitätsstörungen im Bereich der Nerven cutaneus, surae lateralis, saphenus und peronaeus superficialis links vor, wie der Senat den Berichten der Neurologischen Klinik der Universität T. vom 24.3. und 15.5.2003 und dem Befund- und Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 7.3.2005 entnimmt.

Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend hat Prof. Dr. S. dargelegt, dass der Anteil der Arthrose des linken Kniegelenks, der über die Arthrose auf der rechten Seite hinausgeht, mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 7.2.1994 zurückzuführen ist. Denn der Schienbeinschaftbruch ist unter 10°-Achsabweichung (Antekurvation) mit nachfolgender Absenkung des linken Schienbeinplateaus verheilt. Diese Achsabweichung des körpernahen Schienbeinschaftanteils begünstigt das Fortschreiten einer Kniegelenksarthrose.

Die durch die Unfallfolgen bedingte MdE beträgt nach Überzeugung des Senats ab Antragstellung (August 2004) 20 v.H. Maßgebend für diese Einschätzung ist die Mindergebrauchsfähigkeit des linken Beines, die sich in der Muskelminderung des linken Oberschenkels, dem verminderten Sohlenabrieb, dem hinkenden Gangbild, den Sensibilitätsstörungen aufgrund der Nervenschädigung und den vom Kläger angegebenen glaubhaften Beschwerden zeigt. Der Umstand, dass keine wesentliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des linken Kniegelenks vorliegt, führt angesichts der oben dargelegten Minderbelastbarkeit des linken Beines zu keiner niedrigeren MdE als 20 v.H.

Der Beurteilung von Prof. Dr. R. folgt der Senat nicht, da er sich nicht mit der Achsabweichung des linken Unterschenkels und dessen Folgen und den vorauseilenden Aufbraucherscheinungen im linken Kniegelenk auseinandergesetzt hat. Das Gutachten von Prof. Dr. W./Dr. H. ist nicht geeignet, die Beurteilung im Gutachten von Prof. Dr. S. infrage zu stellen, zumal es sich bei dem Gutachten von Prof. Dr. W./Dr. H. nicht um eine umfassende Beurteilung der Unfallfolgen handelt, sondern das Gutachten lediglich zu der Frage eingeholt wurde, ob eine floride Osteomyelitis beim Kläger vorlag.

Der Beurteilung von Dr. H. vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da seine Begründung für eine abgestufte MdE nicht überzeugend ist. Vielmehr hat Prof. Dr. S. nachvollziehbar dargelegt, dass bei der seriellen Betrachtung der vorliegenden Röntgenaufnahmen keine zunehmende Knickbildung des körpernahen Schienbeinknochens festgestellt werden kann. Vielmehr handelt es sich um Phänomene unterschiedlicher Projektion der durchgeführten Röntgenuntersuchungen, die eine Zunahme der Achsabweichung suggerieren. Es besteht - unverändert - eine 10° messende Achsabweichung auf Höhe der körpernahen Drittelgrenze des Schienbeinschafts im Sinne einer vermehrten Vorbiegung, woraus eine vermehrte Abkippung des hinteren Schienbeinplateaus resultiert.

Das Urteil im Verfahren S 1 U 2028/06 ist dagegen nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht ausgeführt, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.2.1991 keine MdE um mindestens 10 v.H. bedingen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren sowie der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass auch Prof. Dr. S. im Gutachten vom 17.11.2009 keine Funktionsminderung am rechten Kniegelenk feststellen konnte und von folgenloser Ausheilung des Kniegelenksbruchs rechts vom 13.2.1991 ausgegangen ist.

Nach alledem waren das Urteil des SG vom 27.6.2008 - Az. S 1 U 6825/06 - und der Bescheid der Beklagten vom 8.4.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.8.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7.2.1994 ab 1.8.2004 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Die Berufung gegen das Urteil vom 27.6.2008 - Az. S 1 U 2028/06 - war dagegen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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