L 3 U 412/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 40/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 412/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlicjhen Unfallversicherung ist nur für die Folgen eines Arbeitsunfalls gemäß § 8 SGB VII einstandspflichtig, nicht jedoch für einen vorbestehenden Gesundheitsschaden.
Dies gilt auch beri einer arbeiitsunfallbedingten Verletzung des Kniegelenks (hier: Ruptur des vorderen Kreuzbandes) und einer vorbestehnden retropatellaren Chondropathie sowie Patelladysplasie Wiberg II.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen im Sinne von § 8 Abs.1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Der am 12.01.1968 geborene Kläger ist bei der Firma B. Haustechnik, Luft- und Klimatechnik GmbH in A-Stadt beschäftigt gewesen, als er am 15.03.2006 beim Tragen einer Werkbank rücklings über eine Türschwelle gestolpert und gestürzt ist. Er hat sich hierbei das linke Kniegelenk verdreht. Dr. R. hat mit Durchgangsarztbericht vom 31.05.2006 eine vordere Kreuzbandruptur und eine Innenmeniskusrissbildung des linken Kniegelenks diagnostiziert. Grundlage hierfür war die bereits am 24.05.2006 durchgeführte arthroskopische Innenmeniskusteilresektion mit VKB-Plastik links.

Die Beklagte hat von der BKK Mobil Oil eine Leistungsauskunft eingeholt. Danach ist bei dem Kläger bereits unter dem 17.12.2004 eine Chondromalacia patellae vermerkt. Der Facharzt für Chirurgie Dr. O. hat unter dem 04.11.2004 seit zwei Wochen bestehende Beschwerden des linken Kniegelenks retropatellar beschrieben. Das radiologisch-nuklearmedizinische Zentrum hat nach MRT vom 08.05.2006 folgende Diagnosen gestellt: Innenmeniskus mit feinem, zur Thibiagelenkfläche hin gerichteten Einriss vom Hinterhorn zur Pars intermedia hin reichend im Sinne einer Grad-III-Degeneration; Außenmeniskus intakt. Mäßiger Reizerguss; keine aktuelle Bakercyste bei auch ansonsten unauffälligen Weichteilen. Ältere wenig ausgeprägte interstitielle Teilruptur des vorderen Kreuzbandes bei ansonsten intakten ligamentären Strukturen. Retropatellare Chondromalacia II bis III sowie zudem vorliegende Patelladysplasie Wiberg II-III, derzeit nur initiale mediale Kompartimentarthrose.

Auch der von der Beklagten beigezogene OP-Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums B-Stadt vom 24.05.2006 hat einen älteren Innenmeniskuskorbhenkelriss und eine vordere Kreuzbandruptur im linken Kniegelenk beschrieben. Im Rahmen der Operation ist ein vorderer Kreuzbandersatz mit Semitendinosus-Gracilis-Sehne in Transfixtechnik und Innenmeniskusteilresektion durchgeführt worden.

Dr. H. hat mit unfallchirurgischem Gutachten vom 19.02.2007 auf eine unfallunabhängige vorbestehende Innenmeniskusdegeneration sowie eine ebenfalls unfallunabhängige Patelladysplasie im linken Kniegelenk hingewiesen. Wegen der Folgen der Ruptur des vorderen Kreuzbandes samt Kreuzbandersatzplastik am linken Knie (Folge des Unfalles vom 15.03.2006) haben seinerzeit noch eine Muskel- und Kraftminderung der Oberschenkelstreckmuskulatur sowie eine geringe vordere Instabilität am linken Kniegelenk bestanden. Das Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ist auf den 31.07.2006 festgelegt worden; die unfallbedingt notwendige Heilbehandlung ist bis Mitte August 2006 durchgeführt worden. Dr. H. hat die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Folgen des Unfalles vom 15.03.2006 bis einschließlich 31.07.2007 auf 20 v.H. geschätzt, vom 01.08.2007 bis auf Weiteres mit 10 v.H.

Der Kläger ist am 05.11.2007 im Medizinischen Versorgungszentrum erneut am linken Knie operiert worden (arthroskopische Innenmeniskusteilresektin, Knorpelglättung und Mikrofrakturierung). Als Diagnosen sind im OP-Bericht vermerkt: Posttraumatischer drittgradiger Knorpelschaden an der medialen Femurcondyle, Innenmeniskuskomplexriss im Hinterhorn linkes Kniegelenk, intakte vordere Kreuzbandersatzplastik.

Dr. H. hat mit weiterem unfallchirurgischem Gutachten vom 14.05.2008 ausgeführt: Nach vorderer Kreuzbandruptur am 15.03.2006 und Versorgung mit vorderer Kreuzbandersatzplastik am 24.05.2006 klagt der Verletzte weiterhin über Beschwerden am medialen Rand der linken Patella. Klinisch zeigt sich ein völlig reizloses linkes Kniegelenk mit stabilen Seitenbändern, elongiertem vorderen Kreuzband und deutlichem retropatellaren Reiben. Röntgenologisch zeigen sich beginnende degenerative Veränderungen an der Patellarückfläche. Subjektiv besteht keine Instabilität. Die geklagten Beschwerden sind auf die unfallunabhängige Retropatellararthrose zurückzuführen. Als Unfallfolge besteht eine muskulär gut kompensierte Restinstabilität des vorderen Kreuzbandes. Die diesbezügliche MdE ist weiterhin mit 10 v.H. einzuschätzen.

Hierauf gestützt hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25.06.2008 ausgesprochen, wegen der Folgen des Arbeitsunfalles habe der Kläger eine Gesamtvergütung für die Zeit vom 01.08.2006 bis 31.07.2007 nach einer MdE von 20 v.H. erhalten. Ein Anspruch auf Rente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes bestehe nicht. Aufgrund des unfallbedingten, mit einer Ersatzplastik versorgten Risses des vorderen Kreuzbandes bestehe lediglich eine geringe Restinstabilität des linken Kniegelenks, die jedoch muskulär gut kompensiert sei. Hieraus resultiere keine MdE in rentenberechtigendem Grad über den 31.07.2007 hinaus. Die geklagten Belastungsbeschwerden des linken Kniegelenks seien Folge der degenerativen, vorbestehenden Schädigungen im Bereich des Innenmeniskuses und der Kniescheibenrückfläche und stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall.

Gestützt auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. H. vom 27.10.2008 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.06.2008 mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2009 zurückgewiesen.

Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Regensburg die Unfall-Akten der Beklagten beigezogen und Dr. C. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit unfallchirurgischem Gutachten vom 19.05.2009 ausgeführt, dass degenerative Veränderungen als Ursache des Knorpelzerfalles anzusehen seien.

Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Dr. G. hat das Vorliegen einer unfallbedingten MdE von 10 v.H. bestätigt. Jedoch seien zusätzlich auch eine posttraumatische Verschleißerkrankung des inneren Kniegelenks nach unfallbedingtem vorderem Kreuzbandschaden, Innenmeniskusteilverlust und unfallbedingter direkter Knorpelschädigung am linken Knie anzuerkennen. Diesbezüglich seien die Ausführungen des Dr. C. lückenhaft.

In der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2010 hat der Bevollmächtigte des Klägers erklärt, die Klage werde bezüglich der Frage der Rentengewährung nicht mehr aufrecht erhalten. Es werde nur noch beantragt, die Gesundheitsstörungen "posttraumatische Verschleißerkrankung des inneren Kniegelenkes nach unfallbedingtem vorderen Kreuzbandschaden, Innenmeniskusteilverlust und unfallbedingter direkter Knorpelschädigung am linken Knie" als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 15.03.2006 anzuerkennen.

Im Folgenden hat das Sozialgericht Regensburg die Klage mit Urteil vom 26.05.2010 abgewiesen. Sowohl Dr. C. als auch Dr. H. hätten darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger eine Retropatellararthrose bestehe, die mit der vorliegenden Patelladysplasie vom Typ Wiberg II-III in Einklang zu bringen sei. Diese sei aber auch für den Knorpelschaden, der bei dem Kläger festgestellt worden sei, verantwortlich zu machen. Den (weitergehenden) Schlussfolgerungen des Dr. G. vermochte sich das Sozialgericht Regensburg nicht anzuschließen.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vom 07.09.2010 ging am 10.09.2010 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats wurden die Unfall-Akten der Beklagten sowie die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Der Verbleib von insgesamt neun MRT-Aufnahmen, die an den vormals Bevollmächtigten des Klägers zurückgesandt worden sind, konnte nicht geklärt werden.

Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage haben sich die Beteiligten in der Sitzung vom 05.04.2004 damit einverstanden erklärt, dass eine Einzelrichterentscheidung ergeht.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26.05.2010 aufzuheben sowie den Bescheid vom 25.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als weitere unfallbedingte Gesundheitsstörung anzuerkennen: "Posttraumatische Verschleißerkrankung des inneren Kniegelenks nach unfallbedingtem vorderen Kreuzbandschaden, Innenmeniskusteilverlust und unfallbedingter direkter Knorpelschädigung am linken Kniegelenk."

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 ABs.2 SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage gegen den Bescheid vom 25.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2009 mit Urteil vom 26.05.2010 zutreffend abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen im Bereich des linken Kniegelenkes aufgrund des Arbeitsunfalles vom 15.03.2006 (§ 8 Abs.1 Satz 2 SGB VII).

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", d.h. mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d.h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier zwischen den Unfallfolgen des linken Knies vom 15.03.2006 und dem aktenkundigen Vorschaden zu unterscheiden. Hierauf hat bereits Dr. H. mit Gutachten vom 19.02.2007 sowie mit weiterem Gutachten vom 14.05.2008 schlüssig und überzeugend hingewiesen. Dessen Ausführungen sind mit unfallchirurgischem Gutachten des Dr. C. vom 19.05.2009 vollinhaltlich bestätigt worden, wenn er auf S.26 seines Gutachtens von degenerativen Veränderungen als Ursache des Knorpelzerfalles ausgeht.

Die weitergehenden Ausführungen und Schlussfolgerungen des Dr. G. mit Gutachten vom 06.11.2009 überzeugen nicht. Denn aktenkundig hat bereits die BKK Mobil Oil unter dem 17.12.2004 eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Chondromalacia patellae bestätigt. Dies steht zeitnah in Zusammenhang mit den Ausführungen des Dr. O. vom 04.11.2004, wonach der Kläger seinerzeit über bereits seit zwei Wochen bestehenden Beschwerden des linken Kniegelenks retropatellar geklagt hat. Hierbei hat Dr. O. nach Röntgen des Kniegelenks links in zwei Ebenen sowohl eine retropatellare Chondropathie als auch eine Patelladysplasie Wiberg II beschrieben.

Auch der OP-Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums B-Stadt vom 24.05.2006 differenziert zwischen einem älteren Innenmeniskuskorbhenkelriss und einer vorderen Kreuzbandruptur im linken Kniegelenk als Folge des Unfalles vom 15.03.2006. Diese Unterscheidung lässt sich auch dem OP-Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums B-Stadt vom 05.11.2007 entnehmen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass Dr. G. mit Gutachten vom 06.11.2009 nahezu den Gesamtschaden im Bereich des linken Kniegelenks auf den Unfall vom 15.03.2006 zurückführt und den aktenkundig eingehend beschriebenen Vorschaden des Klägers nicht ausreichend gewürdigt hat.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26.05.2010 zurückzuweisen. Die Beteiligten haben sich in der Sitzung vom 05.04.2011 damit einverstanden erklärt, dass eine Einzelrichterentscheidung ergeht (§ 155 Abs.3 und 4 SGG).

Im Übrigen wird dem Kläger nochmals anheim gestellt, sich eigenverantwortlich um den Verbleib der neun MRT-Aufnahmen zu bemühen, die an seinen vormaligen Bevollmächtigten zurückgesandt worden sind.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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