L 7 AS 221/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 151/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 221/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mietvertrag zwischen Verwandten
Ein Wohnraummietvertrag zwischen Verwandten ist für Leistungen nach § 22 SGB II nur anzuerkennen, wenn eine wirksame, nicht dauerhaft gestundete Mietzinsforderung besteht.
Ein Scheingeschäft nach § 117 BGB liegt vor, wenn die Vertragsparteien einvernehmlich nur den äußeren Rechtsschein des Mietvertrages hervorrufen, die mit dem Mietvertrag verbundenen Rechtsfolgen (Gebrauchsüberlassung gegen Mietzins, § 535 BGB) von vornherein gar nicht eintreten lassen wollen. Ein Scheingeschäft kann nicht allein damit begründet werden, dass der Hilfebedürftige die Miete nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könnte, weil dies regelmäßig Teil der Hilfebedürftigkeit ist.
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 26. November 2008 und unter Abänderung des Bescheids vom 01.06.2006 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007, des Änderungsbescheids vom 22.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007 und des Bescheids vom 23.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007 verurteilt, dem Kläger in der Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 243,78 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für die drei Klage- und das Berufungsverfahren zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob der Beklagte dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2007 zu gewähren hat. Der Beklagte lehnt die Leistungsgewährung ab, weil der Kläger aus der zusammen mit seinem Vater bewohnten Wohnung in eine andere Wohnung seines Vaters umgezogen war.

Der im Mai 1985 geborene Kläger steht wegen einer psychischen Erkrankung unter Betreuung. Bis Mai 2008 oblag die Betreuung seinem Vater. Nach der Beendigung einer Lehre bezog der Kläger ab August 2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) von monatlich 266,40 Euro. Der Kläger wohnt im Haus seines Vaters. Bis 31.10.2005 wohnte er zusammen mit seinem Vater in einer Wohnung, die Großmutter des Klägers wohnte in der abgetrennten Wohnung im Obergeschoss. Nachdem die Großmutter des Klägers ins Altersheim gezogen war, übernahm der Kläger zum 01.11.2005 die Wohnung im Obergeschoss.

Der Kläger beantragte erstmals am 14.12.2005 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Miete seiner Dreizimmerwohnung betrage 200,- Euro zuzüglich 50,- Euro für Heizkosten. Der Mietvertrag vom 01.11.2005 mit Mietbeginn 01.11.2005 und einer ausgewiesenen Warmmiete von 250,- Euro wurde vorgelegt.

Mit Bescheid vom 20.02.2006 wurde Arbeitslosengeld II für die Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2006 in Höhe von monatlich 78,60 Euro bewilligt. Es wurde nur die Regelleistung abzüglich Arbeitslosengeld nach SGB III gewährt. Ein Widerspruch wurde nicht erhoben. Bei einem Hausbesuch im Mai 2006 wurde bestätigt, dass der Kläger in einer eigenen Wohnung im Obergeschoss wohnte.

Mit Bescheid vom 01.06.2006 wurde Arbeitslosengeld II für die Zeit von Juni bis einschließlich November 2006 von monatlich 78,60 Euro bewilligt. Dagegen wurde Widerspruch erhoben. Laut einer Bestätigung des sozialpsychiatrischen Dienstes sei die eigene Wohnung erforderlich. Der Vater erklärte, dass er seinem Sohn laufend zur Seite stehe, dieser aber eine eigene Wohnung brauche. Die Großmutter habe eine Kaltmiete von 204,- Euro bezahlt, was durch Kontoauszüge belegt wurde.

Im Widerspruchsverfahren wurde festgestellt, dass die 30-Euro-Versicherungspauschale und die Riesterrente nicht vom Einkommen abgezogen worden waren. Außerdem war das Auslaufen des Arbeitslosengelds nach SGB III am 05.09.2006 nicht berücksichtigt worden. Mit Änderungsbescheid vom 23.01.2007 wurde die Bewilligung für Juni bis einschließlich November 2006 neu festgesetzt. Dabei wurde ab dem Auslaufen des Arbeitslosengelds nach SGB III ein monatlicher Zuschlag von 92,- Euro gewährt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.06.2006 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.01.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Der Mietvertrag sei nur zur Herstellung höherer Bedürftigkeit abgeschlossen worden. Davor habe der Kläger im Rahmen der elterlichen Fürsorge- und Obhutsverpflichtung kostenlos bei seinem Vater gewohnt. Beim Abschluss des Mietvertrags habe dem Kläger und seinem Vater klar sein müssen, dass er die Miete mit 266,40 Euro Arbeitslosengeld nicht bezahlen konnte - es handle sich daher um ein nichtiges Scheingeschäft. Der Vertrag entspreche auch nicht dem Drittvergleich, weil das Fehlen der Mietzahlung toleriert worden sei.

Mit Änderungsbescheid vom 22.01.2007 wurde auch die Bewilligung für die Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2006 entsprechend auf monatlich 128,60 Euro heraufgesetzt. Dagegen wurde wegen fehlender Kosten der Unterkunft Widerspruch erhoben, der mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2007 mit gleichlautender Begründung als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Mit Bescheid vom 23.01.2007 wurden Leistungen für die Zeit von 01.12.2006 bis 31.05.2007 in Höhe von monatlich 437,- Euro (345,- Euro Regelleistung und 92,- Euro Zuschlag) bewilligt. Der wegen fehlender Kosten der Unterkunft erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2007 zurückgewiesen.

Am 05.04.2007 wurden für die drei Bewilligungszeiträume drei Klagen erhoben (Az. S 13 AS 151/07, S 13 AS 152/07 und S 13 AS 153/07). Die Klagen wurden verbunden und mit Urteil vom 26.11.2008 abgewiesen. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Mietvertrags. Der Kläger habe wegen seinen erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht ohne Unterstützung seiner nächsten Angehörigen leben können. Ein völlig unabhängiges Leben sei auch nach dem Umzug in das Obergeschoss nicht ersichtlich. Eine Haushaltsgemeinschaft oder Bedarfsgemeinschaft verlange eine Prüfung der Einkommensverhältnisse des Vaters. Der Mietvertrag sei ein Scheingeschäft gemäß § 117 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dem Kläger und seinem Vater habe klar sein müssen, dass der Kläger die Miete nicht bezahlen könne. Der Mietvertrag sei nicht vollzogen worden. Das Urteil wurde dem Kläger am 06.03.2009 zugestellt.

Am 02.04.2009 hat der Kläger Berufung eingelegt. Unter anderem wurde ausgeführt, dass der Kläger bei Abschluss des Mietvertrags davon ausgegangen sei, alsbald Arbeit zu finden und die Miete sehr wohl bezahlen zu können. Der Kläger habe bei vorhandenem Einkommen auch die Mieten für Juni, Juli, August und Oktober 2007 bezahlt; hierzu hat der Kläger Kontoauszüge übermittelt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. November 2008 aufzuheben und den
Bescheid vom 01.06.2006 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007, den Änderungsbescheid vom 22.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007 und den Bescheid vom 23.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger in der Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 250,- Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte führt aus, dass der Kläger keinen ernsthaften Mietzinsforderungen ausgesetzt gewesen sei. Der erste Bewilligungsbescheid sei nicht angefochten worden, obwohl dort keine Unterkunftskosten gewährt wurden. Der Kläger hätte die Miete nur bezahlen können, wenn er dafür Leistungen bekommen hätte. Der Mietvertrag sei ein Scheingeschäft nach § 117 BGB. Die Mietobergrenze für Einzelpersonen am Wohnort des Klägers betrage monatlich 210,- Euro Kaltmiete.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig und weit überwiegend begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II.

Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Leistungen für die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für die Zeit von 14.12.2005 bis 31.05.2007.

Der Kläger ist im strittigen Zeitraum leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet, war angesichts seiner abgeschlossenen Lehre trotz der Betreuung erwerbsfähig, mangels eigenem Einkommen oder Vermögen hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD. Er hat Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im tenorierten Umfang.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 24) findet ein Fremdvergleich bei Mietverträgen zwischen Verwandten nicht statt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Kläger einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietforderung ausgesetzt ist. Dies ist hier der Fall. Ein Scheingeschäft nach § 117 BGB liegt nicht vor. Vom Kläger und seinem Vater wurde ein wirksamer Mietvertrag vereinbart und nicht nur Scheinerklärungen dazu abgegeben. Es kommt nicht darauf an, ob ein Hilfebedürftiger den Mietzins aus eigenen Mitteln wird bezahlen können. Im Gegenteil: Der Betroffene stellt einen Antrag auf Leistungen, weil er hilfebedürftig ist und sein Existenzminimum, also auch die Miete, nicht selbst sicherstellen kann (BSG a.a.O). Die Gedankenfolge "Die Behörde zahlt nicht, dann kann auch der hilfebedürftige Kläger die Miete nicht zahlen, dann ist es ein Scheingeschäft und dann zahlt die Behörde nicht" ist ein vollständiger Zirkelschluss.

Der Kläger hat unstrittig nach dem Auszug der Großmutter zum 01.11.2005 deren abgetrennte Wohnung im Obergeschoss des Hauses bezogen. Die Großmutter hatte dafür erwiesenermaßen 204,- Euro Miete bezahlt. Dass der Kläger anschließend die Miete nicht bezahlte, beruht auf der rechtswidrigen Leistungsverweigerung durch den Beklagten. Der Kläger hatte auch die Miete im Jahr 2007 bezahlt, sobald er über Erwerbseinkommen verfügte. Es kann nicht ernsthaft angeführt werden, der Vater des Klägers hätte seinen unter seiner Betreuung stehenden psychisch kranken Sohn auf die Straße setzen müssen, um die Wirksamkeit seiner Mietforderung zu belegen. Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass der erste Bewilligungsbescheid vom 20.02.2006 nicht angefochten wurde, obwohl dort keine Kosten der Unterkunft bewilligt wurden, ist anzumerken, dass der Bescheid an den unter Betreuung stehende Kläger adressiert war, dieser mit der Prüfung eines Bescheids aber überfordert war.

Es bestand auch keinerlei Veranlassung, dem Kläger vorzuhalten, er hätte noch weiter in seinem bisherigen Zimmer in der Wohnung des Vaters wohnen können. §§ 22 Abs. 2a SGB II ist erst zum 01.06.2006 in Kraft getreten, also lange nach dem Umzug des Klägers. Zudem hat der sozialpsychiatrische Dienst bestätigt, dass der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung in einer eigenen Wohnung wohnen soll. Im Übrigen bestand auch keine Verpflichtung des Vaters, seinem volljährigen Sohn unentgeltlich in seiner oder in einer anderen Wohnung wohnen zu lassen.

Dem Kläger sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 250,- Euro entstanden. Davon entfallen 50,- Euro auf Heizkosten. Die Kosten der zentralen Warmwasserbereitung sind aus der Regelleistung zu bezahlen. Bei der Regelleistung von 345,- Euro sind hierfür monatlich 6,22 Euro anzusetzen. Vom Beklagten sind monatlich 243,78 Euro als angemessene Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen und zu übernehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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