L 7 VI 17/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S1 VI 14/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VI 17/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten sind die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und der Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) bzw. dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Der am ... 1956 geborenen Klägerin wurde am 3. April 1994 im Kreiskrankenhauses A. zur Tetanusauffrischung 0,5 ml Tetamun sc in den linken Arm injiziert. Am 29. April 1994 begab sie sich erneut in das Krankenhaus und berichtete über Schmerzen im gesamten Arm bis zum Hals, Taubheitsgefühle und ein Stechen seit der Tetanusinjektion. Der Oberarzt Dr. S. konnte keine Verhärtung und kein Hitzegefühl feststellen und eine Rötung erst nach dem Hinweis der Klägerin erkennen. Er hielt ihre Schilderungen nicht für glaubhaft, da sie sehr viel agiert habe. Vom 20. bis 26. Mai 1994 wurde die Klägerin stationär im Kreiskrankenhaus A. behandelt. Die Injektionsstelle im Bereich des linken Oberarms war nicht mehr erkennbar, Indurationen (Verhärtungen und Verdichtungen des Gewebes) und Ulcerationen konnten nicht festgestellt werden. Im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) wurden Verspannungen diagnostiziert. Der übrige Befund (Reflexstatus, Kraftminderung, paraklinische Werte, neurologische Untersuchung) und die am 20. Mai 1994 veranlasste Röntgenuntersuchung waren unauffällig. Nach der Epikrise habe die Klägerin den fehlenden Zusammenhang zwischen den jetzigen Beschwerden und der Tetanusimmunisierung nicht akzeptiert. Lediglich die anfängliche Schwere im linken Arm sei auf die Tetanusimmunisierung zurückzuführen. Wegen einer auffälligen Neigung zu Angst- und Panikzuständen wurde eine psychologische Therapie empfohlen.

Am 6. Februar 1995 erstattete der Arzt für Chirurgie Dr. B. für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Gutachten. Danach habe sich am 11. April 1994 im Bereich des linken Arms eine Infektion im Sinne eines Erysipels (akute Entzündung des Dermin) herausgebildet, das nach dem Anlegen von Alkoholverbänden rückläufig gewesen sei. Die Arbeitsfähigkeit der Klägerin habe ab dem 25. April 1994 vorgelegen. Im weiteren Verlauf sei es zu Sensibilitätsstörungen des Oberarms gekommen. Die weitere Diagnostik habe kein fassbares Substrat für die Beschwerden ergeben. Eine Untersuchung durch Dr. K. habe keine neurologischen Ausfälle und die MRT-Untersuchung keinen Hinweis für einen destruktiven oder entzündlichen Prozess des linken Oberarms gezeigt. Es habe lediglich der Verdacht auf einen Erguss an der alten Injektionsstelle vorgelegen. Eine neurologische Untersuchung durch Dr. D. habe entlang der peripheren oder zentralen sensiblen Leitungsbahnen keine Funktionsstörung ergeben. Die von ihm - Dr. B. - durchgeführte Sonographie der Injektionsstelle habe einen kleinen diskreten Erguss über dem Ansatz des Muskulus deltoideus gezeigt. Die Röntgenaufnahmen des Oberarmes seien aber unauffällig gewesen. Wegen der Schmerzen im Oberarm habe er bis Oktober 1994 eine lokale Injektionstherapie durchgeführt. Danach seien die Beschwerden zurückgegangen. Dr. B. kam zu der Einschätzung, wegen des fehlenden morphologischen Substrats lasse sich ein Impfschaden nicht eindeutig beweisen. Doch bestehe ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Injektion und dem Erysipel und den weiteren Schmerzen im Bereich der Tetanusinjektionsstelle.

Vom 8. August bis 5. September 1995 nahm die Klägerin an einer stationären Reha-Maßnahme teil. Dort waren ein HWS-Syndrom und eine lokale Impfreaktion des linken Oberarms nach einer Tetanusimpfung diagnostiziert worden. Die Klägerin war arbeitsfähig in ihrem Beruf als Erzieherin in einer Kindertagesstätte (vollschichtig) erschienen. Arbeitsunfähigkeit habe in den letzten 12 Monaten nicht vorgelegen. Der Aufnahmebefund habe unterhalb des Muskulus deltoideus am linken Oberarm ein äußerlich unauffälliges druckschmerzhaftes Areal mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen im linken Schultergelenk in allen Richtungen gezeigt. Die Durchblutung und Sensibilität seien unauffällig gewesen. Die Klägerin habe sehr nervös gewirkt und sei auf die Symptomatik am linken Oberarm fixiert gewesen. Die am 9. August 1995 veranlasste Sonographie des linken Oberarms habe eine inhomogene, schollige, vermutlich verkapselte und teils auch mit Flüssigkeit gefüllte Struktur gezeigt. Die am 23. August 1995 veranlasste Computertomographie (CT) des linken Oberarms habe im Bereich der schmerzhaften Stelle eine diskrete Verkalkung der die schmerzhafte Muskelgruppe einkleidenden Faszie (Hülle) gezeigt. Ein Anhalt für eine abgekapselte Flüssigkeit bzw. für eine Abzedierung und knöcherne Arrosionen hätten nicht vorgelegen. Das neurologisch-psychiatrische Konzil vom 29. August 1995 habe ein sensibles Reizsyndrom im Bereich des Nervus radiales links ohne objektivierbare neurologische Ausfälle gezeigt. Während des stationären Aufenthalts der Klägerin im September 1995 im Krankenhaus Q. wurden ein chronischer Schmerzustand des linken Arms sowie der Verdacht auf einen vertebragen bedingten Schwindel diagnostiziert. Der Tastbefund und der Reflexstatus waren unauffällig gewesen.

Am 16. Januar 1996 stellte die Klägerin beim Beklagten wegen starker Schmerzen im linken Arm einen Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden nach dem BSeuchG. Auf Veranlassung des Beklagten erstattete Dr. H. (Landeskrankenhaus U., Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie) das Gutachten vom 25. November 1996. Danach sei die Klägerin in ihrem erlernten Beruf als Krippenerzieherin tätig. Die Arbeit mache ihr große Freude und Probleme existierten nicht. Sie lebe seit 6 ½ Jahren in einer Lebensgemeinschaft und die Beziehung zu ihrem Partner sei harmonisch. Sie sei ruhig, ausgeglichen und immer guter Laune. In ihrer Freizeit schwimme sie gern oder gehe zur Gymnastik, versorge die Kinder der Nachbarin und unternehme mit dem Lebensgefährten gemeinsam Radtouren und Urlaubsreisen. Seit Dezember 1995 sei sie in schmerztherapeutischer Behandlung. Dort werde der lokalen Schmerzpunkt im Oberarm umspritzt. Sie leide an Dauerschmerzen unterschiedlicher Intensität und unterschiedlicher Lokalisation (linke Hand, linker Ellenbogen, linke Schulter). Seit der Tetanusimpfung sei die Injektionsstelle immer rot. Aufgrund des blauen Flecks als Folge der Schmerzinfiltration sei dies aber im Augenblick nicht zu sehen. Zur Befunderhebung führte Dr. H. aus: Lediglich ein kleines Hämatom sei im Bereich der alten Tetanusinjektionsstelle aufgefallen. Ansonsten sei der objektive Befund im Bereich des linken Arms wie im Bereich aller Extremitäten unauffällig gewesen. Die Klägerin habe jedoch einen erheblichen Druckschmerz im Bereich der Injektionsstelle angegeben. Der neurologische Befund sei ebenfalls regelrecht gewesen. Hinweise auf eine neurogene oder muskuläre Schädigung durch das Impfereignis oder andere traumatische Geschehnisse hätten sich nicht ergeben. Das veranlasste MRT des linken Oberarms habe einen unauffälligen Befund gezeigt. Eine bleibende körperliche Schädigung als Folge der Tetanus-Wiederauffrischungsimpfung könne somit ausgeschlossen werden. Von dem ehemals diagnostizierten Erysipel seien jetzt keine Residuen nachweisbar. Auch der in früheren MRT- und Sonographiebefunden beschriebene diskrete Erguss sowie die Verkalkungen der Deltoideusansatzsehne hätten ausgeschlossen werden können. Im psychischen Befund sei die sehr leise Stimme der Klägerin auffällig gewesen. Dies spreche für eine selbstunsichere Persönlichkeit. Der Klägerin seien aber keine verwertbaren Angaben zu psychischen Hintergründen oder Persönlichkeitsfaktoren zu entlocken gewesen. Sie habe seit ihrer Impfung eine sekundär-neurotische Fehlentwicklung durchlaufen, deren Ursache in einer angstbesetzten Fehlverarbeitung der anfangs zweifellos vorhandenen körperlichen Symptome zu suchen sei und die so erhebliche krankheitswerte Ausmaße angenommen habe, dass mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte und eine orthopädische Rehabilitationsmaßnahme veranlasst hätten werden müssen. Für eine Vorschädigung, die auch ohne das traumatische Ereignis der Impfschädigung zur beschriebenen Fehlentwicklung geführt hätte, lägen keine Anhaltspunkte vor. Somit sei die Tetanusimpfung eine wesentliche Bedingung für das Entstehen der sekundär-neurotischen Fehlentwicklung, die ohne Impfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Für eine bewusste Aggravation oder Simulation der Beschwerden bestünde kein ausreichender Hinweis. Ein vordergründiger Entschädigungswunsch sei wenig wahrscheinlich. Die Folgen der sekundären neurotischen Fehlentwicklung schränkten die Klägerin in ihrer Lebensqualität erheblich ein und hätten teilweise sogar schon zur Arbeitsbefreiung geführt. Daher sei wegen einer abnormen Persönlichkeitsentwicklung mit stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (vH) anzuerkennen. Obwohl die sekundäre neurotische Fehlentwicklung schon ca. 2 ½ Jahre bestehe, sei noch nicht von einem Dauerschaden auszugehen. Eine Nachuntersuchung sei in einem Jahr zu empfehlen.

Mit prüfärztlicher Stellungnahme vom 27. Dezember 1996 stimmte Dr. R. dem Gutachten zu und schlug "psychoreaktive Störungen nach Tetanusimpfung" als Schädigungsfolge vor und bewertete diese mit einer MdE um 20 vH. Dem folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 1997 bei der Klägerin diese Schädigungsfolge nach dem BSeuchG an. Die Gewährung einer Rente lehnte er ab, da die Schädigungsfolgen keine rentenberechtigende MdE um mindestens 25 vH bedingten.

Am 21. Oktober 2002 stellte die Klägerin einen Neufeststellungsantrag und machte Herzrasen, Kopfklopfen, Schmerzen bis über die linke Schulter, Bewegungseinschränkungen, innerliche Unruhe und Schlafstörungen geltend. Der Beklagte holte Befundscheine der behandelnden Ärzte der Klägerin ein. Dr. B. berichtete am 30. Oktober 2002 über ständige Schmerzschilderungen der Klägerin im Bereich des linken Arms. Er habe eine uneingeschränkte Beweglichkeit, optisch keine Umfangsdifferenzen zwischen den Armen, eine uneingeschränkte grobe Kraft und Sensibilität und einen regelrechten Faustschluss festgestellt. Die Trizepsregion sei druckschmerzhaft gewesen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. K. berichtete am 6. November 2002 über eine Behandlung der Klägerin wegen funktioneller Herzbeschwerden. Im Bereich des linken Arms seien keine Auffälligkeiten nachweisbar gewesen. In Anlage übersandte er einen Arztbrief des Dr. B. vom 20. Dezember 1995, wonach dieser eine Verhärtung in der Muskulatur, eine Blockierung im Bereich der Halswirbelkörper C 2/3 und Muskeldysbalancen festgestellt hatte. Mit Befundschein vom 23. Dezember 2002 diagnostizierte die Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Tydeck nach einer unauffälligen Gleichgewichtsprüfung eine erblich bedingte Hörstörung. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A. teilte unter dem 27. Dezember 2002 mit, die Klägerin habe unklaren Schwindel, Schmerzen im Bereich des linken Arms, Unruhe, Herzstiche und Herzklopfen geschildert. Da die fachärztlichen Untersuchungen keine schwerwiegenden Befunde ergeben hätten, sei von funktional-somatoformen Beschwerden auszugehen. In Anlage übersandte er weitere Arztbriefe. Der Facharzt für Radiologie Dipl.-Med. H. hatte am 8. Juli 2002 über eine unauffällige MRT-Darstellung des linken Schultergelenks berichtet. Dr. K. hatte am 25. Mai 2002 regelmäßige Herzaktionen und reine Herztöne, eine frei bewegliche HWS und eine druckunempfindliche Muskulatur festgestellt. Da auch die weiteren Befunde unauffällig gewesen waren, hatte er die Beschwerden als vorwiegend funktionell-somatoform und durch phobische Tendenzen überlagert eingeordnet. Die Orthopäden Dres. L. diagnostizierten am 27. Dezember 2002 ein linksseitiges chronisch cervikobrachiales Schmerzsyndrom ohne neurologische Ausfälle.

Schließlich erstattete auf Veranlassung des Beklagten der Facharzt für Neurologie/Psychiatrie Dr. G. das Gutachten vom 3. März 2003. Danach lägen bei der Klägerin keine Neurose und keine Konversationsstörung, keine Somatisierungsstörung im engeren Sinne von Krankheitswert und auch keine Schmerzkrankheit vor. Die Klägerin sei bis auf die stationären Untersuchungen 1994 und 1995 in ihrem Beruf als Krippenerzieherin belastbar gewesen. Sie habe 1997 eine Weiterbildung erfolgreich absolviert und könne auch neue Aufgaben (Vorbereitung der Kinder auf die Schule) problemlos ausführen. Sie habe nach eigener Darstellung ein ungetrübtes Privatleben und lebe in einem losen Freizeitkontakt mit ihrem Partner. Mehrfach habe sie Probleme verneint und berichtet, ihre Enkelin sei ihre große Freude. Zwar könne sie könne nicht richtig schwimmen, sie gehe aber zur Gymnastik und fahre zur Erholung Fahrrad. Die Klägerin habe gepflegt und selbstbewusst gewirkt. Ein echter Leidensdruck infolge ihrer Schmerzen bzw. der vegetativen Störungen sei nicht erkennbar gewesen. Sie habe vage bzw. unpräzise die Lokalisation und Intensität der ständigen Armschmerzen angegeben. Die Geringfügigkeit ihrer Beschwerden gehe auch aus der Selbsteinschätzung im Pain Disability Index hervor. Die Anerkennung eines Impfschadens als sekundär-neurotische Reaktion sei für die Klägerin eine Bestätigung gewesen und habe das Begehren gefördert, nun auch eine angebliche Verschlimmerung anzuerkennen und dafür eine Beschädigtenversorgung zu erhalten. Unabhängig von einer hypothetischen Impfschadenskausalität liege keine psychoreaktive Fehlentwicklung von Krankheitswert vor. Die Impfreaktion vom April 1994 sei folgenlos abgeklungen, ein Impfschaden bestehe nicht.

In ihrer prüfärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2003 lehnte Dipl.-Med. K. schädigungsbedingte körperliche Störungen aufgrund der Tetanusimmunisierung ab. Es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen der Tetanusimpfung und dem cervicobrachialen Schmerzsyndrom, da eine funktionell-somatoforme Symptomatik ohne organische Ursache vorliege. Nach dem Gutachten von Dr. G. bestehe auch keine psychoreaktive Störung von Krankheitswert. Da der Nachweis nicht geführt werden könne, dass die bisher anerkannte Schädigungsfolge zweifelsfrei nicht vorgelegen habe, solle es aber bei der bisherigen Feststellung verbleiben. Psychische Folgeschäden seien anhand des Gutachtens nicht sicher auszuschließen, eine Verschlimmerung sei aber nicht eingetreten. Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juni 2003 den Neufeststellungsantrag der Klägerin ab.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 19. Juni 2003 holte der Beklagte nochmals einen Befundbericht der Dres. L. vom 9. September 2003 ein. Diese diagnostizierten ergänzend Schwindel und Taumel, Tinnitus, ein Impingementsyndrom sowie eine sekundäre kapsiläre Schultersteife der linken Schulter mit endgradigen Bewegungseinschränkungen. In Anlage übersandten sie den Arztbrief des Dr. H., wonach das MRT am 28. Mai 2003 eine Fettgewebsvermehrung im schmerzhaften Bereich ohne Granulombildung (knötchenförmige Neubildung als Gewebereaktion auf chronisch-entzündliche Prozesse) oder Fibrosierung (Vermehrung des Bindegewebes) gezeigt hatte. Eine schulterspezifische Erkrankung habe ausgeschlossen werden können. Die nebenbefundlich festgestellte flache Bandscheibenprotusion im Bereich 5/6 könne die Schmerzsymptomatik nicht erklären. Nach dem Arztbrief des Facharztes für Diagnostische Radiologie Mingramm hatte dieser bei der MRT-Untersuchung vom 3. Juli 2002 ein unauffälliges Schultergelenk ohne einen Hinweis auf ein Impingementsyndrom festgestellt. Mit prüfärztlicher Stellungnahme vom 15. Oktober 2003 verwies Dipl.-Med. K. auf das fehlende morphologische Substrat für die von der Klägerin geschilderten Leiden. Dem folgend wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2004 zurück.

Am 5. Mai 2004 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) M. Klage mit dem Ziel erhoben, eine Schmerzstörung im Bereich des linken Arms und der linken Schulter in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen sowie innere Unruhe mit schmerzbedingten Schlafstörungen als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr ab 1. November 2002 eine Versorgung nach einer MdE um mindestens 30 vH zu gewähren. Sie hat über ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin im Museum der Stadt A. berichtet, da die Kindereinrichtung geschlossen worden sei, in der sie zuvor beschäftigt gewesen sei. Ihren neuen Aufgaben umfassten die Kassierung, Kassenführung und Kassenabrechnung, die Übernahme von Schreibarbeiten, die Überwachung der Dienstpläne, die Mitarbeit bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen sowie die organisatorische Sicherstellung der Zusammenarbeit mit Gemeinden und Schulen. Das SG hat weitere Befundberichte eingeholt. Dr. T. hat am 6. Dezember 2004 angegebenen, insbesondere bei Schmerzen im Arm leide die Klägerin unter Tinnitus im linken Ohr und ein Rauschen im gesamten Kopf. Dr. A. hat am 10. Dezember 2004 über einen neu aufgetretenen Schwindel berichtet.

Mit Urteil vom 22. September 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) liege nicht vor. Die dokumentierte Impfreaktion habe vom Ausmaß her keine erheblichen körperlichen Ausfallerscheinungen auslösen können. Die von der Klägerin vertretene Kausalitätsableitung widerspreche dem gesicherten medizinischen Erkenntnisstand, denn ein Impingement-Syndrom bzw. eine Schmerzstörung im Schulterbereich in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen würden als Folge einer Tetanusimpfung nicht diskutiert. Zudem hätten die behandelnden Ärzte keine organische Ursache der geklagten Beschwerden gefunden. Auch sei durch die Impfung keine psychische Fehlreaktion ausgelöst worden. Dr. G. habe überzeugend und schlüssig das Vorliegen einer Neurose bzw. Konversionsstörung, einer Somatisierungsstörung sowie einer sekundär neurotischen Fehlentwicklung von Krankheitswert verneint. Auch in der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin den Eindruck einer selbstbewussten intelligenten Frau gemacht, die mit beiden Beinen im Leben steht. Ein Leidensdruck sei nicht ansatzweise erkennbar gewesen. Soweit keine Schädigungsfolge vorliege, könnten die von der Klägerin als weitere Schädigungsfolge geltend gemachten Leiden erst recht nicht durch sie verursacht worden sein. Schließlich liege auch keine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X vor. Eine MdE um 30 bis 40 VH setze stärker behindernde neurotische Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit voraus. Nach den psychischen Befunden und dem Eindruck der Klägerin auf das Gericht sei eine vergleichbare Tangierung nicht ernsthaft vertretbar.

Gegen das ihr am 17. Oktober 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. November 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. September 2005 und den Bescheid vom 5. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. April 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 15. Januar 1997 abzuändern und bei ihr als weitere Schädigungsfolgen eine Schmerzstörung im Bereich des linken Arms und der linken Schulter in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen und einer dadurch verursachten schmerzbedingten Schlafstörung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und ihr ab 1. November 2002 eine Versorgung nach einer MdE um mindestens 30 vH in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag der Klägerin hat nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Facharzt für Chirurgie Dr. B. das Gutachten vom 15. Juni 2009 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 10. Juni 2009 erstattet. Danach sei die Beweglichkeit des linken Arms im Ellenbogen- und Schultergelenk intakt, die der linken Hand leicht eingeschränkt gewesen. Aufgrund der Schmerzentwicklung sei der Klägerin eine Bewegung des linken Arms gegen einen Widerstand kaum möglich gewesen. Diese eingeschränkte Kraftentwicklung aufgrund des Schmerzes sei eines der wenigen fassbaren Parameter. Eine Muskelverschmälerung lasse sich jedoch nicht nachweisen. Da die Klägerin Rechtshänder sei, könne die Differenz des Unterarms von 1 cm nicht als Beweis dafür angesehen werden. Im Bereich des Deltoidansatzes bestünden Druckschmerzhaftigkeit und ein hyperästhetisches Hautareal in einer Ausdehnung von ca. 3 x 3 cm. Die Haut sei hier leicht rau tastbar. Optisch seien jedoch keine große Auffälligkeit oder trophische Hautstörung erkennbar. Die Röntgenuntersuchung beider Schultergelenke habe links einen leicht entkalkten Oberarmkopf in Differenz zur rechten Seite, aber eine unauffällige Cortikalis (Rinde) bei einem leicht verschmälertem Gelenkspalt links gezeigt. Die Röntgenuntersuchungen der Ellenbogengelenke und Hände sowie die Sonographie der Oberarmmuskulatur seien unauffällig gewesen. Die ehemals beschriebene Flüssigkeitsansammlung sei nicht mehr erkennbar gewesen. Insgesamt zeigten die Beschwerden der Klägerin (verminderte Kraft, sensitiver und leicht verhornter Bezirk) einen eindeutigen Zusammenhang zum beklagten Schmerzausgangspunkt an der ehemaligen Tetanusinjektionsstelle. Die geprüfte Schmerzintensität liege zwischen 5 und 10 Punkten, könne aber nicht messbar bzw. sichtbar gemacht werden. Der chronische Schmerzzustand behindere auch den Schlaf der Klägerin. Daher seien die Krafteinbuße sowie die Schlaflosigkeit als Komplikationen nach der Tetanusimpfung zu sehen. Die Krafteinbuße aufgrund der Schmerzsymptomatik sei mit einer MdE um 20 vH zu bewerten. Die psychosomatisch beklagten Beschwerden seien Folge der Schmerzsymptomatik und nicht zusätzlich zu berücksichtigen.

Schließlich hat der Senat einen Befundbericht des Facharztes für Neurologie Dr. I. vom 21. Dezember 2009 eingeholt, der über die Behandlung der Klägerin von März 2006 bis Mai 2009 wegen Schmerzen im Bereich des linken Arms, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, innerer Unruhe und Schwindelzustände berichtet hat. Er hat den Verdacht auf ein anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Schmerzen in den Extremitäten, eine Schlafstörung vom Insomnie-Typ, den Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom und eine depressive Entwicklung diagnostiziert. Arbeitsunfähigkeit hat er nicht festgestellt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in der Sache entscheiden. Das beklagte Land hat im vorliegenden Verfahren seine Prozessfähigkeit im Sinne von § 71 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch die Neuordnung seiner Versorgungsverwaltung nicht verloren. Hierzu wird auf das Urteil des Senats vom 19. Februar 2004 – L 7 (5) SB 8/02 – JMBl. LSA 2004, S. 111, Bezug genommen.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte und auch in der von § 151 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sowie das Urteil des SG Magdeburg sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem BSeuchG bzw. dem IfSG liegen nicht vor, da ein rentenberechtigender Grad der Schädigung (GdS) nicht erreicht wird.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist sowohl ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X als auch ein Neufeststellungsantrag nach § 48 SGB X. Zwar hat die Klägerin ausdrücklich eine Verschlimmerung geltend gemacht. Tatsächlich hat sie ihren Klagevortrag aber auf die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen ausgerichtet (Schmerzstörung im Bereich des linken Arms, der linken Schulter in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen und eine dadurch verursachte schmerzbedingte Schlafstörung). Da hinsichtlich beider Anträge auch Verwaltungsentscheidungen des Beklagten und eine Entscheidung des SG vorliegen, können diese auch zulässigerweise im Berufungsverfahren weiterverfolgt werden.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist der eine Sozialleistung ablehnende Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Nach § 48 SGB Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht (st. Rspr. des Bundessozialgerichtes - BSG -, vgl. nur Urteil vom 21. März 1996, 1 RAr 101/94, SozR 3-1300 § 48 S. 111 m.w.N.). Für die vorliegende Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Anspruchsvoraussetzungen nach § 48 Abs. 1 SGB X die Sach- und Rechtslage bei der mündlichen Verhandlung des Senats.

Diese Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 SGB X und § 48 Abs. 1 SGB X liegen hier nicht vor. Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 15. Januar 1997 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Zu Recht hat er es abgelehnt, die Schmerzstörung im Bereich des linken Armes, der linken Schulter in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen und eine dadurch verursachte schmerzbedingte Schlafstörung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Auch die Ablehnung einer Rente wegen der anerkannten Schädigungsfolge "psychoreaktive Störungen nach Tetanusimpfung" war rechtmäßig. Eine MdE (GdS) hat weder im Januar 1997 noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Februar 2005 vorgelegen.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2000 nach den Vorschriften des BSeuchG. Da das IfSG ohne Übergangsvorschrift am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, sind für die Zeit danach die im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG anzuwenden (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, SozR 4-3851 § 20 Nr. 1). Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG bzw. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine empfohlene oder angeordnete Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. § 2 Nr. 11 IfSG definiert diesen als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9 a RVi 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Dagegen genügt nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG bzw. § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Diese liegt vor, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m.w.N.).

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG bzw. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG bestimmt sich der Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung nach dem BVG. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 BVG. Diese Vorschriften sind ohne Übergangsvorschriften durch das am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Für den vorangegangenen streitgegenständlichen Zeitraum ist das BVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21) und der nachfolgenden Änderungen (a.F.) anzuwenden. Nach § 31 Abs. 1 BVG a.F. erhielten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 vH eine monatliche Grundrente. Nach Abs. 2 der Vorschrift stellten die nach Abs. 1 für die Höhe der Rente maßgeblichen Vomhundertsätze Durchschnittssätze dar, von denen eine um fünf vH geringere MdE mit umfasst wurde. Nach § 31 Abs. 1 BVG n.F. setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus. In der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 BVG waren und in der seitdem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 sind die Grundsätze geregelt, nach denen die MdE zu beurteilen war und nach der Neufassung der GdS zu beurteilen ist. Nach der alten Fassung des § 30 Abs. 1 BVG war die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz

2). Demnach reicht – wie zuvor nach § 31 Abs. 2 BVG a.F. – ein GdS von 25 zur Rentenberechtigung aus.

Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 3/02 R, SozR 4-3800, § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Um verfassungsrechtliche Einwände gegen die Legitimation der "Anhaltspunkte" auszuräumen, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 30 Abs. 17 BVG, der durch das Änderungsgesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) angefügt worden ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden. Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.).

Danach hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Beschädigtenrente. Die mit Bescheid vom 15. Januar 1997 anerkannte Schädigungsfolge "psychoreaktive Störungen nach Tetanusimpfung" bedingt keine rentenberechtigende MdE bzw. keinen rentenberechtigenden GdS. Nach Nr. 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 42) ist für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein Bewertungsrahmen von 0 bis 20 vorgesehen. Stärkere behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) sind mit einem Einzelgrad von 30 bis 40 zu bewerten. Nach diesem Maßstab bestehen bei der Klägerin keine stärker behindernden Störungen. Keinesfalls sind mehr als leichte psychovegetative oder psychische Störungen festzustellen. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung von Dr. G. an. Zwar leidet die Klägerin an Unruhe, Schlafstörungen und ist auf die Beschwerden an ihrem Oberarm fixiert. Doch wird sie dadurch allenfalls leicht eingeschränkt. Ihr war eine vollschichtige berufliche Tätigkeit als Krippenerzieherin ohne bemerkenswerte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit möglich. Sie absolvierte trotz ihrer Beschwerden nach der Impfung noch eine Weiterbildungsmaßnahme als Erzieherin und konnte die Umstellung in die neue berufliche Tätigkeit als Museumsbeschäftigte mit einem vielseitigen und auch anspruchsvollem Aufgabengebiet bewältigen (Kassierung, Kassenführung und Kassenabrechnung, Übernahme von Schreibarbeiten, Überwachung der Dienstpläne, Mitarbeit bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen sowie die organisatorische Sicherstellung der Zusammenarbeit mit Gemeinden und Schulen). Auch im privaten Bereich sind keine wesentlichen Auswirkungen aufgrund einer psychischen Erkrankung erkennbar. Die Gestaltungsfähigkeit unterliegt nur geringen Einschränkungen, denn die Klägerin war und ist in der Lage, ihren Alltag eigenständig zu regeln. Sie lebt einen geregelten Tagesablauf und ein sozialer Rückzug ist nicht erkennbar. Sie hat einen Lebenspartner und kann in der Freizeit Gymnastik durchführen und Rad fahren. Ferner hat sie große Freude an ihrer Enkelin geschildert, was dafür spricht, dass auch ihre Erlebnisfähigkeit erhalten geblieben ist. Lediglich wegen ihrer Schlafstörungen befindet sie sich in neurologischer Behandlung bei Dr. I. Auch dieser hat keine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin festgestellt. Eine Behandlung mit Psychopharmaka ist nicht erfolgt. Im Übrigen hat die Klägerin weder in diesem Verfahren noch gegenüber den Sachverständigen wesentliche Funktionsseinschränkungen aufgrund einer psychischen Erkrankung angegeben, sodass unabhängig von der Frage, ob die Anerkennung der Schädigungsfolge rechtmäßig war, jedenfalls keine Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ersichtlich sind, die eine Bewertung mit einem GdS von mehr als 20 rechtfertigen könnten.

Weitere als die anerkannten Schädigungsfolgen liegen nicht vor. Die von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden (Schmerzstörung im Bereich des linken Arms und der linken Schulter in Verbindung mit Herz- und Kopfschmerzen und einer dadurch verursachten schmerzbedingten Schlafstörung) können nicht auf die Tetanusimpfung zurückgeführt werden. Zwar wurde bei ihr am 3. April 1994 eine Tetanusimpfung mit 0,5 ml Tetamun sc durchgeführt. Doch hat diese empfohlene Schutzimpfung (unabhängig von der bestandskräftig festgestellten psychoreaktiven Störung) nicht zu einem über das übliche Ausmaß hinausgehenden Gesundheitsschaden geführt. Sie hat lediglich an einer folgenlos ausgeheilten üblichen Impfreaktion gelitten.

Zum Zeitpunkt der Impfung im Jahre 1994 waren noch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in der Fassung des Jahres 1996 anzuwenden. Diese haben in Nr. 57 (S. 234) die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden bei einer Tetanusimpfung abgegrenzt. Danach wurde eine Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung, als übliche Impfreaktion angesehen. Als Impfschäden wurden eine Neuritis (Nervenentzündung) und ein Guillain-Barré-Syndrom anerkannt. Die Anhaltspunkte in der Ausgabe von 2004 waren hinsichtlich der Impfschäden nach einer Tetanusimpfung mit der Ausgabe 1996 noch identisch (Nr. 57, S. 198). In der Folgezeit wurden die Anhaltspunkte geändert. So haben die Anhaltspunkte 2008 in Nr. 57 Satz 1 (S. 191) auf die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelt hat. Nach Nr. 57 Satz 2 (S. 191) stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Diese Verweisung gilt auch weiterhin. Zwar sind seit dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden. Doch behalten die Nummern 53 bis 143 der Anhaltspunkte, also auch der Verweis in Nr. 57 auf die Mitteilungen der STIKO, weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BR-Drucks. 767/07, S. 4, zu § 2 VersMedV). Nach der aktuellen Mitteilung der STIKO über die bei einer Tetanus-Impfung auftretenden möglichen Impfschäden (Epidemiologisches Bulletin Nr. 25 vom 22. Juni 2007, S. 227) kann es als Ausdruck einer normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff innerhalb von ein bis drei Tagen, selten länger anhaltend, an der Impfstelle zu Rötungen, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen. In der Regel sind diese Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab. Als Komplikationen – also Krankheiten, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist (a.a.O, S. 209) – werden allergische Reaktionen an der Haut oder den Atemwegen sowie in Einzelfällen Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- und Polyneuritiden, Guillain-Barré-Syndrom, Neuropathie) beschrieben (a.a.O., S. 227). In einem ungeklärten ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung stehen danach Erkrankungen der Nieren, eine Thrombozyotopenie sowie zentralnervöse Störungen (Enzephalopathie).

Nach diesem Maßstab ist festzustellen, dass die Klägerin eine übliche Impfreaktion erlitten hat, doch keiner der oben aufgeführten Impfschäden - sowohl nach dem zum Zeitpunkt der Impfung herrschenden als auch nach dem späteren wissenschaftlichen Erkenntnisstand - eingetreten ist. Bei ihr sind nach der Impfung zwar einer anfängliche Schwere des linken Arms (festgestellt im Krankenhaus A.) und eine Infektion im Sinne eines Erysipels (festgestellt durch Dr. B.) aufgetreten. Diese Lokalreaktionen sind aber folgenlos ausgeheilt. Während des stationären Aufenthalts ca. vier Wochen nach der Impfung im Krankenhaus A. konnten keine Verhärtung und kein Hitzegefühl mehr festgestellt werden. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden konnte objektiv nicht nachvollzogen werden. Auch bei der stationären Behandlung der Klägerin ... 1994 konnten Indurationen (Verhärtungen und Verdichtungen des Gewebes) und Ulcerationen ausgeschlossen werden. Die Injektionsstelle im Bereich des linken Oberarms war nicht mehr erkennbar. Der übrige Befund (Reflexstatus, Kraftminderung, paraklinische Werte, neurologische Untersuchung) und die am ... 1994 veranlasste Röntgenuntersuchung waren unauffällig, sodass schon zu diesem Zeitpunkt von einem folgenlosen Ausheilen der üblichen Impfreaktionen auszugehen war. Dafür spricht auch, dass alle weiteren Untersuchungen kein morphologisches Substrat für die geschilderten Beschwerden erbringen konnten. Die Untersuchung durch Dr. K. hat keine neurologischen Ausfälle und die MRT-Untersuchung keinen Hinweis für einen destruktiven oder entzündlichen Prozess des linken Oberarms gezeigt. Auch die neurologische Kontrolle durch Dr. D. hat keine Funktionsstörung entlang der peripheren oder zentralen sensiblen Leitungsbahnen ergeben. Die Röntgenaufnahmen des Oberarmes waren unauffällig gewesen. Selbst wenn unterstellt wird, dass die anfänglichen Schmerzen an der Injektionsstelle bis Oktober 1994 angehalten haben, waren sie jedenfalls nach der bis zu diesem Zeitpunkt von Dr. B. durchgeführten lokalen Injektionstherapie abgeklungen. Die erneute schmerztherapeutische Behandlung ab Dezember 1995 durch Dr. B. stand wegen eines fehlenden morphologischen Substrats nach der Tetanusimpfung in keinem Zusammenhang mit dieser. Nach dem Arztbrief vom 20. Dezember 1995 hat Dr. B. auch keine Impfreaktion, sondern eine Verhärtung in der Muskulatur, eine Blockierung im Bereich der Halswirbelkörper C 2/3 und Muskeldysbalancen behandelt. Zwar wurden im MRT- und Sonographiebefund während des Reha-Aufenthalts 1995 ein diskreter Erguss sowie Verkalkungen der Deltoideusansatzsehne beschrieben. Doch waren diese bei der Begutachtung durch Dr. H. am 25. November 1996 nicht mehr feststellbar. Auch Residuen des durch Dr. B. diagnostizierten Erysipel lagen nicht mehr vor. Der neurologische Befund war auch bei der Begutachtung durch Dr. H. regelrecht. Hinweise auf eine neurogene oder muskuläre Schädigung durch das Impfereignis oder andere traumatische Geschehnisse ergaben sich nicht. Auch das veranlasste MRT des linken Oberarms zeigte einen unauffälligen Befund. Eine dauerhafte körperliche Schädigung als Folge der Tetanusimpfung konnte Dr. H. somit schlüssig und nachvollziehbar ausschließen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die lokalen Impfreaktionen abgeklungen und es konnten die in den Anhaltspunkten bzw. nach den Kriterien der STIKO als Impfschäden aufgeführten Krankheiten ausgeschlossen werden. Auch in der Folgezeit wurde keine dieser Erkrankungen bei der Klägerin diagnostiziert, sodass keine weiteren Impfschäden festzustellen sind. Vielmehr wurden die Beschwerden als somatoform bedingt und durch phobische Tendenzen überlagert eingeordnet. Selbst Dr. B. hat bei seiner Untersuchung der Klägerin im Jahr 2009 lediglich eine nicht objektivierbare Schmerzstörung festgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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