L 10 KR 63/10 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 KR 45/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 63/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers vom 2. September 2010 wird der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Juli 2010 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit einer Beitragsforderung der beklagten Krankenkasse gegen den Kläger als Inhaber einer Einzelfirma wegen der Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern. Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Unter dem 14. August 2008 hat das Sozialgericht den Klägervertreter – mit einfachem Brief – aufgefordert, eine Reihe von Unterlagen zu seinem PKH-Antrag nachzureichen und weitere Auskünfte erbeten. Zur Erledigung der Anfrage hat es dem Kläger eine Frist von zwei Monaten gesetzt. Hierauf hat der Kläger nicht reagiert.

In der Hauptsache hat das Sozialgericht den Kläger mit am 15. Januar 2010 zugestelltem Schreiben aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und insbesondere die Klage zu begründen. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass die Klage gem. § 102 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung durch das Gericht länger als drei Monate nicht betreibt. Hierauf hat der Kläger nicht reagiert. Nach Wiedervorlage der Akte am 21. April 2010 hat das Sozialgericht ausweislich eines (undatierten) Aktenvermerks den Rechtsstreit auf Grund fiktiver Klagerücknahme gem. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG für beendet erachtet und die Sache mit Verfügung vom 22. April 2010 ausgetragen.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 28. Juli 2010 hat das Sozialgericht sodann den Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Ohne Vorbringen der Klägerseite könne nicht festgestellt werden, dass die Beitragsforderung der Beklagten unrechtmäßig sei. Darüber hinaus sei eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide schon deshalb nicht möglich, weil die einmonatige Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2007 bei Klageerhebung am 2. Mai 2008 offenkundig abgelaufen gewesen sei.

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Abweisung seines PKH-Antrags. Er macht geltend, dass er die Klage mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2008 begründet habe und überreicht eine Kopie dieses Schriftsatzes. Das Original befindet sich nicht in der Gerichtsakte.

Der Senat hat mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 darauf hingewiesen, dass eine wirksame (fiktive) Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG nicht vorliegen dürfte, etwaiges fehlendes Vorbringen des Klägers hinreichenden Erfolgsaussichten im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz nicht ohne weiteres entgegenstehe und eine offenkundige Versäumung der Klagefrist nicht anzunehmen sei. Ferner hat der Senat mit Schreiben vom 5. November 2010 darauf hingewiesen, dass der Kläger mangels jedweder Reaktion auf das gerichtliche Anschreiben vom 14. August 2008 nicht mit einer Bewilligung von PKH für den bisherigen Rechtsstreit rechnen könne. Hierauf hat der Kläger trotz Erinnerung nicht mehr reagiert.

II.

Die gem. §§ 73a, 172 SGG i.V.m. § 127 Zivilprozessordnung (ZPO) statthafte und fristgerecht innerhalb eines Monats eingelegte Beschwerde ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet. Das Sozialgericht durfte die Bewilligung von PKH nicht mit den angeführten Gründen versagen.

1. Dass der Kläger seine Klage trotz Aufforderung nicht begründet hat, steht hinreichenden Erfolgsaussichten i.S.v. § 114 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres entgegen. Nach § 92 Abs. 1 SGG ist die Pflicht zur Begründung der Klage nur als Sollvorschrift ausgestaltet; eine Ausschlussfrist nach § 90 Abs. 2 Satz 2 SGG kann zu ihrer Erzwingung nicht gesetzt werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 92 Rn. 17). Die gem. § 103 SGG geltende Untersuchungsmaxime verpflichtet das Gericht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten. Es ist nicht ersichtlich und vom Sozialgericht auch nicht näher begründet worden, warum eine unterbliebene Mitwirkung des Klägers das Sozialgericht an der Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der streitigen Beitragsforderung gehindert hätte. Insbesondere hat das Gericht dem Kläger – abgesehen von der Aufforderung zur Klagebegründung – keine konkreten Auflagen gemacht oder Fragen gestellt; einen anberaumten Erörterungstermin hat es wegen krankheitsbedingter Verhinderung des Klägers aufgehoben, ohne neu zu terminieren. Bei dieser Sachlage kann nicht von fehlenden Erfolgsaussichten mangels Mitwirkung des Klägers gesprochen werden.

Eine offenkundige Versäumung der Klagefrist kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift mitgeteilt, dass ihm der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2007 erst am 2. April 2008 zugegangen sei. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Warum gleichwohl die Klagefrist offenkundig versäumt sein soll, ist aus dem angegriffenen Beschluss nicht erkennbar.

2. Der Beschluss erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Zwar kann das Gericht gemäß § 118 Abs. 2 ZPO, der gem. § 73a SGG im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, im Verfahren zur Bewilligung von PKH verlangen, dass der Antragsteller seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht. Es kann Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen. Hat der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet, so lehnt das Gericht die Bewilligung von PKH insoweit ab.

Auch in Anwendung dieser Vorschriften war der PKH-Antrag des Klägers aber nicht abzulehnen. Zwar hat er innerhalb der vom Sozialgericht mit Schreiben vom 14. August 2008 gesetzten zweimonatigen Frist die Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht sowie die vom Gericht gestellten Fragen nicht beantwortet. Doch konnte das Sozialgericht die Bewilligung von PKH nicht nach § 118 Abs. 2 ZPO ablehnen, weil das Schreiben vom 14. August 2008 dem Kläger entgegen § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zugestellt worden war. Nach dieser Vorschrift sind Anordnungen und Entscheidungen, die eine Frist in Lauf setzen, zuzustellen. Hierzu gehören auch richterliche Verfügungen mit Fristsetzungen, wenn die Nichtbefolgung zu nicht unerheblichen Nachteilen führen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 63 Rn. 3). Unterbleibt die Zustellung, wird der Fristlauf nicht in Gang gesetzt (Keller, aaO Rn. 20). Für eine Heilung nach § 187 ZPO ist nichts ersichtlich. Im Übrigen handelt es sich bei dieser Frist nicht um eine Ausschlussfrist; nachgereichte Belege müssen deshalb berücksichtigt werden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 27. Aufl. § 118 Rn. 17a). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Zöller/Geimer, aaO, § 119 Rn. 44) kam es daher ohnehin auf aktuelle Belege und Auskünfte an.

3. Bei der weiteren Bearbeitung wird das Sozialgericht zu berücksichtigen haben, dass PKH i.d.R. rückwirkend nur auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife gewährt werden kann (vgl. Zöller/Geimer, aaO, § 119 Rn. 39); diese ist bis heute nicht eingetreten. PKH kann dennoch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass das Verfahren inzwischen beendet sei und eine rückwirkende Bewilligung nur in besonderen, hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen in Betracht komme. Das Hauptverfahren ist entgegen der Annahme des Sozialgerichts nicht durch fiktive Klagerücknahme beendet worden, sondern weiter anhängig.

Gem. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Gem. Satz 3 der Vorschrift ist der Kläger in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Nach § 155 Abs. 2 VwGO trägt derjenige die Kosten, der die Klage zurücknimmt. Der Hinweis nach § 102 Abs. 2 Satz 3 SGG ist nicht lediglich bloße Ordnungsvorschrift, sondern Voraussetzung für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion des Satz 1. Unterbleibt er oder ist er nicht ordnungsgemäß ergangen oder zugestellt worden (§ 63 Abs. 1 Satz 1 SGG), kann die Klage nicht als zurückgenommen gelten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller /Leitherer, aaO § 102 Rn. 8c).

Das am 15. Januar 2010 dem Kläger zugestellt Schreiben des Sozialgerichts enthielt keinen Hinweis auf die Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO. Gem. § 197a Abs. 1 Satz 1, 3. Halbs. SGG findet diese Kostenregelung jedoch Anwendung. Denn weder Kläger noch Beklagte gehören zu den in § 183 SGG genannten kostenprivilegierten Personen. Insbesondere ist der Kläger in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber von der Beklagten als Beitragsschuldner in Anspruch genommen worden.

4. Kosten sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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