Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1871/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2187/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2010 aufgehoben. Der Bescheid vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. über den 30. September 2008 hinaus zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf Verletztenrente für die als Berufskrankheit (BK) anerkannte Atemwegserkrankung des Klägers (BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung [BKV] - durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können).
Der 1972 geborene Kläger war seit 1999 wiederkehrend zeitweise als Leiharbeiter, ab April 2007 auf ein Jahr befristet als Ansetzer von Farbe und Putz bei der Fa. S. AG tätig. Mit Hautarztbericht vom 17. Oktober 2007 teilte Dr. B. mit, beim Kläger bestehe ein großflächiges, akutes Ekzem mit ausgeprägter Bläschenbildung, Juckreiz, Rötung und Schuppung an den Händen und Unterarmen sowie im Gesicht und Nacken. Es bestehe der Verdacht auf beruflich verursachtes Handekzem, differentialdiagnostisch kumulativ-subtoxisches Handekzem, allergisches Kontaktekzem. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und teilte der Beklagten unter dem 6. November 2007 auch mit, dass er die ganze Zeit auch Atembeschwerden gehabt habe, die er auf den Umgang mit Epoxidharz zurückführe. Seit er wegen der Hautbeschwerden ein Allergikum verwende, seien auch die Atembeschwerden wieder gut. Ab 1. April 2008 bezog der Kläger Arbeitslosengeld I.
Die Beklagte nahm daraufhin das Feststellungsverfahren auf, zog u.a. das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bei, befragte den Arbeitgeber nach den Arbeitsbedingungen des Klägers und zog den Arztbrief des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. B. vom 21. November 2007 bei (grob bullöses apikal betontes Lungenemphysem; Ausschluss Alpha-1-Antirypsinmangel, Nikotinkonsum [15 Zigaratten/Tag, 15 packyears]). Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte die Belastungen am Arbeitsplatz (Bericht vom 26. Februar 2008; BK 4301, 4302 oder 5101 könne nicht verneint werden) und legte diesem die Sicherheitsdatenblätter über die verwendeten Arbeitsstoffe bei. Beigezogen wurde weiter das im Verfahren um die Anerkennung einer BK nach Nr. 5101 (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) erstellte Gutachten des Dermatologen Dr. S. vom 10. April 2008. Diese BK wurde mit Bescheid vom 30. Juni 2008 anerkannt.
Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. N., Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität M., das arbeitsmedizinische Gutachten vom 23. September 2008 nach Durchführung u.a. arbeitsplatzbezogener Expositionstests. Dieser teilte als Diagnosen Asthma bronchiale, irritativ-toxisch, durch berufliche Exposition gegenüber Atemwegsirritantien im Sinne einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, eine Typ-IV Kontaktsensibilisierung gegen Formaldehyd mit rezidivierendem Hautekzem im Sinne einer BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie bullöses Lungenemphysem mit. Nach Tätigkeitsaufgabe sei der Kläger weitgehend beschwerdefrei, er berichte von einer symptomatischen Hyperreagibilität mit Husten und kurzzeitiger Luftnot bei unspezifischen Reizen wie Baustäuben und kalter oder feuchter Luft. Die BK sei klar gegen die parallel bestehende, derzeit diagnostisch nicht geklärte Lungenparenchymveränderung mit bullösem Emphysem abzugrenzen, die sicher nicht berufsbedingt einzuordnen sei. Gleiches gelte für die nach Expositionsende auftretende Müdigkeit sowie Gelenkschmerzen, die 2-3 Tage anhielten. Zusammenfassend bestehe beim Kläger ein grenzwertig positives hyperreagibles Bronchialsystem und nach arbeitsplatzbezogener Expositionstestung mit acht verschiedenen, im Bereich des Ansetzens verwendeter staubförmiger und flüssiger Produkte eine obstruktive Ventilationsstörung mit signifikantem Anstieg des Atemwegswiderstands. Die Diffusionskapazität sei geringgradig eingeschränkt, unter spiroergometrischer Belastung sei es zum Auftreten einer respiratorischen Partialinsuffizienz mit Abfall des Sauerstoffpartialdrucks und pathologisch erhöhter arterioalveolärer Sauerstoffdifferenz gekommen. Computertomographisch habe die bekannte Diagnose eines bullösen Lungenemphysems bestätigt werden können. Die Atemwegserkrankung mit intermittierend auftretender symptomatischer Hyperreagibilität bei Exposition gegenüber Bau- und Schleifstäuben sowie kalter/feuchter Luft sei aufgrund der positiven arbeitsplatzbezogenen Expositionstestung kausal auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen. Der spiroergometrisch dokumentierte Funktionsschaden stehe mit dem bullösen Lungenemphysem in Zusammenhang, das eindeutig als schicksalhafte Erkrankung zu qualifizieren sei. Es liege eine BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV vor, die eine Tätigkeitsaufgabe bedinge. Die MdE für die Atemwegserkrankung sei ca. 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe aufgrund der intermittierend auftretenden symptomatischen Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen auf 10 v.H. festzulegen.
Mit Bescheid vom 18. November 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es bestehe bei ihm eine Atemwegserkrankung. Diese sei eine BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Als Folgen der BK würden anerkannt: medizinisch provozierte geringgradige obstruktive Ventilationsstörung nach arbeitsplatzbezogenem Expositionstest, welche sich im 6-stündigen Nachbeobachtungszeitraum völlig zurückgebildet hat. Intermittierend auftretende symptomatische grenzwertige Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen. Als Folgen der BK würden nicht anerkannt: bullöses Lungenemphysem, anerkannte BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV, Gelenkschmerzen mit Müdigkeit. Tag des Versicherungsfalls sei der Tag nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, also der 17. November 2007. Wegen der Folgen der BK bestehe ein zeitlich begrenzter Anspruch auf Rente nach einer MdE um 10 v.H., beginnend ab 1. April 2008 mit dem Ende der Verletztengeldzahlung. Über den 30. September 2008 hinaus werde Rente nicht bezahlt, da eine rentenberechtigende MdE danach nicht mehr bestehe.
Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch mit der Begründung, die MdE sei mit 10 v.H. zu niedrig angesetzt. Auch berücksichtige die zeitliche Befristung nicht, dass die Sto AG den Arbeitsvertrag des Klägers verlängert hätte.
Vom 7. Januar bis 3. Februar 2009 befand sich der Kläger auf Veranlassung der Beklagten in stationärer Heilbehandlung in der Klinik für Berufskrankheiten B. R.(Bericht vom 4. Februar 2009; Diagnosen: Asthma bronchiale, verursacht durch beruflich einwirkende chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe; BK-unabhängig: Lungenemphysem bei fortgesetzter Rauchgewohnheit; Typ-IV-Kontaktsensibilisierung gegenüber Formaldehyd, Adipositas; Verdacht auf Refluxösophagitis). Lungenfunktionsanalytisch habe sich sowohl bei Aufnahme als auch bei Entlassung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung bei nur bedarfsgerecht eingesetzter Beta-2-Mimetica-Therapie gezeigt. Auch die übrigen Funktionsparameter hätten im Normbereich gelegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2009 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Nach den im Anschluss an die Tätigkeitsaufgabe im November 2007 dokumentierten Untersuchungsergebnissen sei eine Besserung der Beschwerdesymptomatik festzustellen gewesen. Auch Prof. Dr. N. habe im Juni 2008 eine manifeste obstruktive Lungenfunktionsstörung nicht mehr feststellen können. Diesem Verlauf entsprechend bestehe nur für die Dauer von 10 Monaten Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. Da auch durch die BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV eine MdE um 10 v.H. bedingt werde, bestehe bis 30. September 2008 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. (sog. Stützrente).
Dagegen hat der Kläger am 15. April 2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung vorgebracht, er sei durch die Formaldehyd-Allergie erheblich eingeschränkt. Eine Arbeitsstelle sei nicht zu finden. Er könne ohne Asthma-Spray das Haus nicht verlassen. Das SG hat die behandelnden Ärzte Dr. B. und Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt (Stellungnahmen vom 25. Mai 2009 und 16. Juni 2009).
Mit Urteil vom 28. Januar 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. N. sowie die Auskunft des Dr. B. und den Entlassungsbericht aus dem stationären Heilverfahren in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik B. R ...
Gegen das durch Postzustellungsurkunde vom 25. März 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schreiben, datierend auf den 24. April 2010, eingegangen beim SG am 27. April 2010, Berufung eingelegt. Die MdE sei fortlaufend mit 10 v.H. zu bewerten, zusammen mit der Hauterkrankung ergebe sich mindestens eine MdE um 20 v.H. Beides könne nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Das SG habe zu Unrecht aus dem Gutachten des Prof. Dr. N. eine zeitliche Begrenzung der MdE auf 10 Monate herausgelesen. Vielmehr habe Prof. Dr. N. damit nur den Beginn der MdE gemeint und diesen auf den Untersuchungstermin festgesetzt, der 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe liegt.
Mit Beschluss vom 27. September 2010 hat der vormalig zuständige Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist gewährt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den 30. September 2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise eine arbeitsmedizinische Begutachtung zur Frage der vorliegenden MdE ab Oktober 2008,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Der Senat hat Prof. Dr. N. ergänzend um Stellungnahme dazu gebeten, ob er in seinem Gutachten eine zeitliche Befristung der MdE um 10 v.H. auf 10 Monate ausgesprochen hat. Dies hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Juli 2011 ausdrücklich verneint.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht auch über den 30. September 2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zu.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18. November 2006 das Bestehen einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV anerkannt. Sie hat sich dabei gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. N. vom 23. September 2008. Die Beklagte hat weiter anerkannt eine MdE um 10 v.H. ab Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, allerdings nur befristet bis 30. September 2008. Diese Befristung hält jedoch der Prüfung durch den Senat nicht stand.
Für die Bewertung der MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2001 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Wie Prof. Dr. N. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Juli 2011 dem Senat bestätigt hat, lässt der Wortlaut seines Gutachtens den von der Beklagten gezogenen Schluss nicht zu. Er hat nicht für die Dauer von 10 Monaten eine MdE um 10 v.H. vorgeschlagen, sondern damit nur den Beginn der nach seiner Auffassung auf unbestimmte Zeit bestehenden MdE um 10 v.H., nämlich 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe und damit in etwa dem Untersuchungszeitpunkt, festgelegt. Dies hatte sich für den Senat bereits aus dem Wortlaut des Gutachtens ergeben. Die ergänzende Befragung des Prof. Dr. N. hat dies bestätigt und ergeben, dass die von der Beklagten gewählte Interpretation nicht tragfähig ist.
Der Senat schließt sich sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Dauer der MdE den Ausführungen des Prof. Dr. N. an. Er hat nach ausführlicher Testung, insbesondere auch mit arbeitsplatzspezifischen Stoffen, dargelegt, dass sich die berufsbedingten Symptome der Atemwegserkrankung des Klägers, nämlich symptomatische Hyperreagibilität mit Husten und kurzzeitiger Luftnot bei unspezifischen Reizen wie Baustäuben und kalter oder feuchter Luft, klar von der nicht beruflich bedingten Lungenparenchymveränderung mit bullösem Emphysem abgrenzen lassen, ebenso von der vom Kläger weiter geklagten Müdigkeit und Gelenkschmerzen. Die symptomatische Hyperreagibilität ist auch ausreichend, um eine MdE um 10 v.H. zu begründen, wie Prof. Dr. N. ausgeführt hat und wie grundsätzlich auch die Beklagte durch die - vorübergehende - Anerkennung einer MdE um 10 v.H. anerkannt hat. Auch wenn im Rahmen der stationären Heilbehandlung Januar/Februar 2009 lungenfunktionsanalytisch keine wesentliche funktionelle Einschränkung hat festgestellt werden können, liegt doch eine funktionelle Einschränkung hinsichtlich der dem Kläger auf dem Gebiet des allgemeinen Erwerbslebens offenstehenden beruflichen Einsatzgebieten vor, da der Kläger faktisch auf Alltagseinwirkungen wie Baustaub, kalte oder feuchte Luft, bronchial hyperreagiert und daher Tätigkeiten vermeiden muss, die entsprechenden Einwirkungen unterliegen. Selbst wenn bei Expositionskarenz keine manifesten funktionellen Einschränkungen vorliegen, widerspricht dies nicht der Feststellung einer - geringen - MdE um 10 v.H. Versicherte, die an einer BK leiden, die mit einem Unterlassungszwang belegt ist, sind verpflichtet, die Stoffe zu meiden, die eine Erkrankung auslösen, also Expositionskarenz einzuhalten. Kommen sie dieser Verpflichtung nach und sind sie im Alltagsleben deshalb weitgehend erscheinungsfrei, kann dies nicht als Argument gegen die Feststellung einer MdE herangezogen werden, da ansonsten das Ziel der BK-Tatbestände mit Unterlassungszwang ins Leere laufen würde. Im Übrigen entspricht der Vorschlag von Prof. Dr. N. auch den anerkannten Grundsätzen der MdE-Bewertung, die der Senat zur Gleichbehandlung aller Versicherten anwendet und z.B. in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 1072 aufgeführt ist (Anamnese: geringe Beschwerden/unter Therapie keine Beschwerden; klinischer Normalbefund; Lungenfunktion im Grenzbereich).
Eines arbeitsmedizinischen Gutachtens zur Feststellung der MdE, wie hilfsweise von dem Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, bedarf es hierfür nicht. Die Feststellung der MdE, wie ausgeführt, ist richterliche Tätigkeit und nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, hinsichtlich der funktionellen Einschränkungen des Klägers sei eine Verbesserung gegenüber dem durch Prof. Dr. N. festgestellten Zustand eingetreten, hat sie diesbezüglich eigene Ermittlungen anzustellen und ggf. durch Bescheid über die Rentenentziehung zu entscheiden, der dann wiederum gerichtlicher Überprüfung unterzogen werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine lediglich angenommene Verbesserung des Gesundheitszustands Ermittlungen ins Blaue hinein durchzuführen.
Soweit der Kläger vorbringt, er könne nur mit Asthmaspray das Haus verlassen und sei daher wesentlich stärker funktionell eingeschränkt als durch die MdE um 10 v.H. zum Ausdruck gebracht, verkennt er, dass seine Beschwerden nicht nur durch die beruflich erworbene Hyperreagibilität verursacht sind, sondern auch durch das bestehende Lungenemphysem, das sicher nicht beruflich verursacht ist. Soweit also klar abgrenzbare Einschränkungen durch das Lungenemphysem hervorgerufen sind - Prof. Dr. N. hat dies in seinem Gutachten (Blatt 27) ausführlich dargestellt - ist dies der autonomen Entscheidung des Klägers geschuldet, trotz der bestehenden Atemwegsproblematik weiter zu rauchen, nicht aber ein entschädigungspflichtiger Sachverhalt im Bereich der Unfallversicherung. Die bestehende - grenzwertige - Hyperreagibilität ohne überdauernde lungenfunktionsanalytisch zu bestätigende Einschränkungen lässt die Annahme einer MdE um mehr als 10 v.H. jedenfalls nicht zu. Entsprechendes gilt für den zuletzt vom Kläger vorgelegten Befundbericht.
Soweit die Beklagte ausführt, dass auch Prof. Dr. N. eine manifeste obstruktive Lungenfunktionsstörung nicht habe feststellen können, so dass auch deshalb eine zeitliche Befristung der Rente bis zur Begutachtung durch Prof. Dr. N. zu rechtfertigen sei, überzeugen diese Ausführungen nicht und liefern insbesondere keinen Nachweis einer wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustands und damit Grundlage für eine Herabsetzung der MdE auf unter 10 v.H. Denn im Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. N. etwa 10 Monate nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit ist gerade beim arbeitsplatzbezogenen Expositionstest von nur rund einer Stunde eine geringgradige obstruktive Ventilationsstörung festgestellt worden sowie weitere körperliche Reaktionen. Diese Feststellungen waren auch Grundlage der Zuerkennung der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Weder hat Prof. Dr. N. in seinem Gutachten eine Aussage dazu getroffen, dass für die Zukunft von einer wesentlichen Besserung ausgegangen werden müsse, noch dafür, dass für die Zeit zwischen Arbeitsplatzaufgabe und Testung eine abweichende MdE-Bewertung vorzunehmen sei. Eine MdE um 10 v.H. ist darüber hinaus auf Dauer auch deshalb festzustellen, weil der Kläger - obwohl er schon seit 10 Monaten nicht mehr den schädigenden Einflüssen an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt war, bei kurzer arbeitsplatzbezogener Exposition Reaktionen zeigte, was die beruflich erworbene Sensibilisierung aber auch die leichte Ansprechbarkeit dieser Sensibilisierung auch bei verhältnismäßig kurzzeitiger Exposition deutlich zeigt. Daher widersprechen auch die Ausführungen des behandelnden Arztes Dr. B. der Annahme einer MdE um wenigstens 10 v.H. nicht, wonach bei den von ihm durchgeführten Untersuchungen ohne Arbeitsplatzbezug auch keine funktionellen Einschränkungen feststellbar waren, da dieser den Kläger allenfalls im Rahmen von (abgelaufenen) Erkältungskrankheiten behandelt und darüber hinaus den Zusammenhang der Beschwerden mit der beruflichen Belastung auch nicht ausgeschlossen hat. Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass die Frage des Vorliegens einer obstruktiven Atemwegserkrankung vorrangig bei der Frage des Vorliegens einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV relevant sein dürfte.
Da dem Kläger im Verfahren L 1 U 5143/10 wegen der beruflich bedingten Hauterkrankung (BK 5101 der Anlage 1 zur BKV) mit Urteil vom heutigen Tag Verletztenrente nach einer MdE um ebenfalls 10 v.H. über den 30. September 2008 zugesprochen worden ist, kann unter Berücksichtigung dieses Stützrententatbestands auch wegen der anerkannten BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zugesprochen werden. Da bereits bis 30. September 2008 der Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. anerkannt worden ist, war die Verurteilung auf die Zeit danach auszusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf Verletztenrente für die als Berufskrankheit (BK) anerkannte Atemwegserkrankung des Klägers (BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung [BKV] - durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können).
Der 1972 geborene Kläger war seit 1999 wiederkehrend zeitweise als Leiharbeiter, ab April 2007 auf ein Jahr befristet als Ansetzer von Farbe und Putz bei der Fa. S. AG tätig. Mit Hautarztbericht vom 17. Oktober 2007 teilte Dr. B. mit, beim Kläger bestehe ein großflächiges, akutes Ekzem mit ausgeprägter Bläschenbildung, Juckreiz, Rötung und Schuppung an den Händen und Unterarmen sowie im Gesicht und Nacken. Es bestehe der Verdacht auf beruflich verursachtes Handekzem, differentialdiagnostisch kumulativ-subtoxisches Handekzem, allergisches Kontaktekzem. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und teilte der Beklagten unter dem 6. November 2007 auch mit, dass er die ganze Zeit auch Atembeschwerden gehabt habe, die er auf den Umgang mit Epoxidharz zurückführe. Seit er wegen der Hautbeschwerden ein Allergikum verwende, seien auch die Atembeschwerden wieder gut. Ab 1. April 2008 bezog der Kläger Arbeitslosengeld I.
Die Beklagte nahm daraufhin das Feststellungsverfahren auf, zog u.a. das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bei, befragte den Arbeitgeber nach den Arbeitsbedingungen des Klägers und zog den Arztbrief des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. B. vom 21. November 2007 bei (grob bullöses apikal betontes Lungenemphysem; Ausschluss Alpha-1-Antirypsinmangel, Nikotinkonsum [15 Zigaratten/Tag, 15 packyears]). Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte die Belastungen am Arbeitsplatz (Bericht vom 26. Februar 2008; BK 4301, 4302 oder 5101 könne nicht verneint werden) und legte diesem die Sicherheitsdatenblätter über die verwendeten Arbeitsstoffe bei. Beigezogen wurde weiter das im Verfahren um die Anerkennung einer BK nach Nr. 5101 (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) erstellte Gutachten des Dermatologen Dr. S. vom 10. April 2008. Diese BK wurde mit Bescheid vom 30. Juni 2008 anerkannt.
Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. N., Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität M., das arbeitsmedizinische Gutachten vom 23. September 2008 nach Durchführung u.a. arbeitsplatzbezogener Expositionstests. Dieser teilte als Diagnosen Asthma bronchiale, irritativ-toxisch, durch berufliche Exposition gegenüber Atemwegsirritantien im Sinne einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, eine Typ-IV Kontaktsensibilisierung gegen Formaldehyd mit rezidivierendem Hautekzem im Sinne einer BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie bullöses Lungenemphysem mit. Nach Tätigkeitsaufgabe sei der Kläger weitgehend beschwerdefrei, er berichte von einer symptomatischen Hyperreagibilität mit Husten und kurzzeitiger Luftnot bei unspezifischen Reizen wie Baustäuben und kalter oder feuchter Luft. Die BK sei klar gegen die parallel bestehende, derzeit diagnostisch nicht geklärte Lungenparenchymveränderung mit bullösem Emphysem abzugrenzen, die sicher nicht berufsbedingt einzuordnen sei. Gleiches gelte für die nach Expositionsende auftretende Müdigkeit sowie Gelenkschmerzen, die 2-3 Tage anhielten. Zusammenfassend bestehe beim Kläger ein grenzwertig positives hyperreagibles Bronchialsystem und nach arbeitsplatzbezogener Expositionstestung mit acht verschiedenen, im Bereich des Ansetzens verwendeter staubförmiger und flüssiger Produkte eine obstruktive Ventilationsstörung mit signifikantem Anstieg des Atemwegswiderstands. Die Diffusionskapazität sei geringgradig eingeschränkt, unter spiroergometrischer Belastung sei es zum Auftreten einer respiratorischen Partialinsuffizienz mit Abfall des Sauerstoffpartialdrucks und pathologisch erhöhter arterioalveolärer Sauerstoffdifferenz gekommen. Computertomographisch habe die bekannte Diagnose eines bullösen Lungenemphysems bestätigt werden können. Die Atemwegserkrankung mit intermittierend auftretender symptomatischer Hyperreagibilität bei Exposition gegenüber Bau- und Schleifstäuben sowie kalter/feuchter Luft sei aufgrund der positiven arbeitsplatzbezogenen Expositionstestung kausal auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen. Der spiroergometrisch dokumentierte Funktionsschaden stehe mit dem bullösen Lungenemphysem in Zusammenhang, das eindeutig als schicksalhafte Erkrankung zu qualifizieren sei. Es liege eine BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV vor, die eine Tätigkeitsaufgabe bedinge. Die MdE für die Atemwegserkrankung sei ca. 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe aufgrund der intermittierend auftretenden symptomatischen Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen auf 10 v.H. festzulegen.
Mit Bescheid vom 18. November 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es bestehe bei ihm eine Atemwegserkrankung. Diese sei eine BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Als Folgen der BK würden anerkannt: medizinisch provozierte geringgradige obstruktive Ventilationsstörung nach arbeitsplatzbezogenem Expositionstest, welche sich im 6-stündigen Nachbeobachtungszeitraum völlig zurückgebildet hat. Intermittierend auftretende symptomatische grenzwertige Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen. Als Folgen der BK würden nicht anerkannt: bullöses Lungenemphysem, anerkannte BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV, Gelenkschmerzen mit Müdigkeit. Tag des Versicherungsfalls sei der Tag nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, also der 17. November 2007. Wegen der Folgen der BK bestehe ein zeitlich begrenzter Anspruch auf Rente nach einer MdE um 10 v.H., beginnend ab 1. April 2008 mit dem Ende der Verletztengeldzahlung. Über den 30. September 2008 hinaus werde Rente nicht bezahlt, da eine rentenberechtigende MdE danach nicht mehr bestehe.
Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch mit der Begründung, die MdE sei mit 10 v.H. zu niedrig angesetzt. Auch berücksichtige die zeitliche Befristung nicht, dass die Sto AG den Arbeitsvertrag des Klägers verlängert hätte.
Vom 7. Januar bis 3. Februar 2009 befand sich der Kläger auf Veranlassung der Beklagten in stationärer Heilbehandlung in der Klinik für Berufskrankheiten B. R.(Bericht vom 4. Februar 2009; Diagnosen: Asthma bronchiale, verursacht durch beruflich einwirkende chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe; BK-unabhängig: Lungenemphysem bei fortgesetzter Rauchgewohnheit; Typ-IV-Kontaktsensibilisierung gegenüber Formaldehyd, Adipositas; Verdacht auf Refluxösophagitis). Lungenfunktionsanalytisch habe sich sowohl bei Aufnahme als auch bei Entlassung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung bei nur bedarfsgerecht eingesetzter Beta-2-Mimetica-Therapie gezeigt. Auch die übrigen Funktionsparameter hätten im Normbereich gelegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2009 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Nach den im Anschluss an die Tätigkeitsaufgabe im November 2007 dokumentierten Untersuchungsergebnissen sei eine Besserung der Beschwerdesymptomatik festzustellen gewesen. Auch Prof. Dr. N. habe im Juni 2008 eine manifeste obstruktive Lungenfunktionsstörung nicht mehr feststellen können. Diesem Verlauf entsprechend bestehe nur für die Dauer von 10 Monaten Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. Da auch durch die BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV eine MdE um 10 v.H. bedingt werde, bestehe bis 30. September 2008 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. (sog. Stützrente).
Dagegen hat der Kläger am 15. April 2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung vorgebracht, er sei durch die Formaldehyd-Allergie erheblich eingeschränkt. Eine Arbeitsstelle sei nicht zu finden. Er könne ohne Asthma-Spray das Haus nicht verlassen. Das SG hat die behandelnden Ärzte Dr. B. und Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt (Stellungnahmen vom 25. Mai 2009 und 16. Juni 2009).
Mit Urteil vom 28. Januar 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. N. sowie die Auskunft des Dr. B. und den Entlassungsbericht aus dem stationären Heilverfahren in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik B. R ...
Gegen das durch Postzustellungsurkunde vom 25. März 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schreiben, datierend auf den 24. April 2010, eingegangen beim SG am 27. April 2010, Berufung eingelegt. Die MdE sei fortlaufend mit 10 v.H. zu bewerten, zusammen mit der Hauterkrankung ergebe sich mindestens eine MdE um 20 v.H. Beides könne nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Das SG habe zu Unrecht aus dem Gutachten des Prof. Dr. N. eine zeitliche Begrenzung der MdE auf 10 Monate herausgelesen. Vielmehr habe Prof. Dr. N. damit nur den Beginn der MdE gemeint und diesen auf den Untersuchungstermin festgesetzt, der 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe liegt.
Mit Beschluss vom 27. September 2010 hat der vormalig zuständige Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist gewährt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den 30. September 2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise eine arbeitsmedizinische Begutachtung zur Frage der vorliegenden MdE ab Oktober 2008,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Der Senat hat Prof. Dr. N. ergänzend um Stellungnahme dazu gebeten, ob er in seinem Gutachten eine zeitliche Befristung der MdE um 10 v.H. auf 10 Monate ausgesprochen hat. Dies hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Juli 2011 ausdrücklich verneint.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht auch über den 30. September 2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zu.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18. November 2006 das Bestehen einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV anerkannt. Sie hat sich dabei gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. N. vom 23. September 2008. Die Beklagte hat weiter anerkannt eine MdE um 10 v.H. ab Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, allerdings nur befristet bis 30. September 2008. Diese Befristung hält jedoch der Prüfung durch den Senat nicht stand.
Für die Bewertung der MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2001 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Wie Prof. Dr. N. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Juli 2011 dem Senat bestätigt hat, lässt der Wortlaut seines Gutachtens den von der Beklagten gezogenen Schluss nicht zu. Er hat nicht für die Dauer von 10 Monaten eine MdE um 10 v.H. vorgeschlagen, sondern damit nur den Beginn der nach seiner Auffassung auf unbestimmte Zeit bestehenden MdE um 10 v.H., nämlich 10 Monate nach Tätigkeitsaufgabe und damit in etwa dem Untersuchungszeitpunkt, festgelegt. Dies hatte sich für den Senat bereits aus dem Wortlaut des Gutachtens ergeben. Die ergänzende Befragung des Prof. Dr. N. hat dies bestätigt und ergeben, dass die von der Beklagten gewählte Interpretation nicht tragfähig ist.
Der Senat schließt sich sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Dauer der MdE den Ausführungen des Prof. Dr. N. an. Er hat nach ausführlicher Testung, insbesondere auch mit arbeitsplatzspezifischen Stoffen, dargelegt, dass sich die berufsbedingten Symptome der Atemwegserkrankung des Klägers, nämlich symptomatische Hyperreagibilität mit Husten und kurzzeitiger Luftnot bei unspezifischen Reizen wie Baustäuben und kalter oder feuchter Luft, klar von der nicht beruflich bedingten Lungenparenchymveränderung mit bullösem Emphysem abgrenzen lassen, ebenso von der vom Kläger weiter geklagten Müdigkeit und Gelenkschmerzen. Die symptomatische Hyperreagibilität ist auch ausreichend, um eine MdE um 10 v.H. zu begründen, wie Prof. Dr. N. ausgeführt hat und wie grundsätzlich auch die Beklagte durch die - vorübergehende - Anerkennung einer MdE um 10 v.H. anerkannt hat. Auch wenn im Rahmen der stationären Heilbehandlung Januar/Februar 2009 lungenfunktionsanalytisch keine wesentliche funktionelle Einschränkung hat festgestellt werden können, liegt doch eine funktionelle Einschränkung hinsichtlich der dem Kläger auf dem Gebiet des allgemeinen Erwerbslebens offenstehenden beruflichen Einsatzgebieten vor, da der Kläger faktisch auf Alltagseinwirkungen wie Baustaub, kalte oder feuchte Luft, bronchial hyperreagiert und daher Tätigkeiten vermeiden muss, die entsprechenden Einwirkungen unterliegen. Selbst wenn bei Expositionskarenz keine manifesten funktionellen Einschränkungen vorliegen, widerspricht dies nicht der Feststellung einer - geringen - MdE um 10 v.H. Versicherte, die an einer BK leiden, die mit einem Unterlassungszwang belegt ist, sind verpflichtet, die Stoffe zu meiden, die eine Erkrankung auslösen, also Expositionskarenz einzuhalten. Kommen sie dieser Verpflichtung nach und sind sie im Alltagsleben deshalb weitgehend erscheinungsfrei, kann dies nicht als Argument gegen die Feststellung einer MdE herangezogen werden, da ansonsten das Ziel der BK-Tatbestände mit Unterlassungszwang ins Leere laufen würde. Im Übrigen entspricht der Vorschlag von Prof. Dr. N. auch den anerkannten Grundsätzen der MdE-Bewertung, die der Senat zur Gleichbehandlung aller Versicherten anwendet und z.B. in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 1072 aufgeführt ist (Anamnese: geringe Beschwerden/unter Therapie keine Beschwerden; klinischer Normalbefund; Lungenfunktion im Grenzbereich).
Eines arbeitsmedizinischen Gutachtens zur Feststellung der MdE, wie hilfsweise von dem Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, bedarf es hierfür nicht. Die Feststellung der MdE, wie ausgeführt, ist richterliche Tätigkeit und nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, hinsichtlich der funktionellen Einschränkungen des Klägers sei eine Verbesserung gegenüber dem durch Prof. Dr. N. festgestellten Zustand eingetreten, hat sie diesbezüglich eigene Ermittlungen anzustellen und ggf. durch Bescheid über die Rentenentziehung zu entscheiden, der dann wiederum gerichtlicher Überprüfung unterzogen werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine lediglich angenommene Verbesserung des Gesundheitszustands Ermittlungen ins Blaue hinein durchzuführen.
Soweit der Kläger vorbringt, er könne nur mit Asthmaspray das Haus verlassen und sei daher wesentlich stärker funktionell eingeschränkt als durch die MdE um 10 v.H. zum Ausdruck gebracht, verkennt er, dass seine Beschwerden nicht nur durch die beruflich erworbene Hyperreagibilität verursacht sind, sondern auch durch das bestehende Lungenemphysem, das sicher nicht beruflich verursacht ist. Soweit also klar abgrenzbare Einschränkungen durch das Lungenemphysem hervorgerufen sind - Prof. Dr. N. hat dies in seinem Gutachten (Blatt 27) ausführlich dargestellt - ist dies der autonomen Entscheidung des Klägers geschuldet, trotz der bestehenden Atemwegsproblematik weiter zu rauchen, nicht aber ein entschädigungspflichtiger Sachverhalt im Bereich der Unfallversicherung. Die bestehende - grenzwertige - Hyperreagibilität ohne überdauernde lungenfunktionsanalytisch zu bestätigende Einschränkungen lässt die Annahme einer MdE um mehr als 10 v.H. jedenfalls nicht zu. Entsprechendes gilt für den zuletzt vom Kläger vorgelegten Befundbericht.
Soweit die Beklagte ausführt, dass auch Prof. Dr. N. eine manifeste obstruktive Lungenfunktionsstörung nicht habe feststellen können, so dass auch deshalb eine zeitliche Befristung der Rente bis zur Begutachtung durch Prof. Dr. N. zu rechtfertigen sei, überzeugen diese Ausführungen nicht und liefern insbesondere keinen Nachweis einer wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustands und damit Grundlage für eine Herabsetzung der MdE auf unter 10 v.H. Denn im Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. N. etwa 10 Monate nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit ist gerade beim arbeitsplatzbezogenen Expositionstest von nur rund einer Stunde eine geringgradige obstruktive Ventilationsstörung festgestellt worden sowie weitere körperliche Reaktionen. Diese Feststellungen waren auch Grundlage der Zuerkennung der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Weder hat Prof. Dr. N. in seinem Gutachten eine Aussage dazu getroffen, dass für die Zukunft von einer wesentlichen Besserung ausgegangen werden müsse, noch dafür, dass für die Zeit zwischen Arbeitsplatzaufgabe und Testung eine abweichende MdE-Bewertung vorzunehmen sei. Eine MdE um 10 v.H. ist darüber hinaus auf Dauer auch deshalb festzustellen, weil der Kläger - obwohl er schon seit 10 Monaten nicht mehr den schädigenden Einflüssen an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt war, bei kurzer arbeitsplatzbezogener Exposition Reaktionen zeigte, was die beruflich erworbene Sensibilisierung aber auch die leichte Ansprechbarkeit dieser Sensibilisierung auch bei verhältnismäßig kurzzeitiger Exposition deutlich zeigt. Daher widersprechen auch die Ausführungen des behandelnden Arztes Dr. B. der Annahme einer MdE um wenigstens 10 v.H. nicht, wonach bei den von ihm durchgeführten Untersuchungen ohne Arbeitsplatzbezug auch keine funktionellen Einschränkungen feststellbar waren, da dieser den Kläger allenfalls im Rahmen von (abgelaufenen) Erkältungskrankheiten behandelt und darüber hinaus den Zusammenhang der Beschwerden mit der beruflichen Belastung auch nicht ausgeschlossen hat. Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass die Frage des Vorliegens einer obstruktiven Atemwegserkrankung vorrangig bei der Frage des Vorliegens einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV relevant sein dürfte.
Da dem Kläger im Verfahren L 1 U 5143/10 wegen der beruflich bedingten Hauterkrankung (BK 5101 der Anlage 1 zur BKV) mit Urteil vom heutigen Tag Verletztenrente nach einer MdE um ebenfalls 10 v.H. über den 30. September 2008 zugesprochen worden ist, kann unter Berücksichtigung dieses Stützrententatbestands auch wegen der anerkannten BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zugesprochen werden. Da bereits bis 30. September 2008 der Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. anerkannt worden ist, war die Verurteilung auf die Zeit danach auszusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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