L 11 KR 2269/11 KL

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2269/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nicht schon
dann vor, wenn sich die Klage gegen einen Bescheid der
Aufsichtsbehörde richtet (hier: Schließung einer Krankenkasse).
Hinzukommen muss, dass die Klage von einer Körperschaft erhoben
wird, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte.


L 11 KR 2269/11 KL

Beschluss

Der 11. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat durch Beschluss vom 01.08.2011 für Recht erkannt:
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart ist sachlich und örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg verwiesen.

Gründe:

I.

Mit der am 1. Juni 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2011, mit dem diese die Schließung der CITY BKK mit Sitz in S. gemäß § 153 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 90 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) mit Ablauf des 30. Juni 2011 verfügt hat.

Der Kläger macht geltend, er sei als Arbeitnehmer der CITY BKK Drittbetroffener und daher klagebefugt. Denn mit der Schließung der CITY BKK ende auch sein Arbeitsverhältnis gemäß § 164 Abs 4 Satz 1 iVm § 155 Abs 4 Satz 9 SGB V. Die genannten Regelungen verstießen gegen höherrangiges Recht. Die CITY BKK sei nicht davon entbunden, das Arbeitsverhältnis ggf nach § 1 Kündigungsschutzgesetz unter Beachtung sozialer Auswahlkriterien zu kündigen. Deshalb habe er auch parallel Feststellungsklage zum Arbeitsgericht Hamburg erhoben. Für seine Klage gegen den Schließungsbescheid seien die Landessozialgerichte funktionell zuständig. Denn aufgrund des mit der Schließung einhergehenden Arbeitsplatzverlustes sei er als Arbeitnehmer beschwert, sodass es sich auch um eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handle. Der Wortlaut des § 29 Abs 2 Nr 2 SGG ("gegenüber") beziehe sich nicht auf die vom LSG zu treffende Entscheidung, sondern auf die primär gegenüber den Trägern der Sozialversicherung ergehenden Aufsichtsmaßnahmen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und weist im Wesentlichen darauf hin, dass die Zuständigkeit des LSG nicht gegeben sei, da § 29 Abs 2 Nr 2 SGG nur Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und der für sie zuständigen Aufsichtsbehörde erfasse. Allein die Tatsache, dass sich der Kläger als Beschäftigter der CITY BKK gegen den Schließungsbescheid wende, führe nicht dazu, dass es sich um eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG handle. Daraus folge, dass das Sozialgericht Hamburg sachlich und örtlich zuständig sei. Darüber hinaus sei die Klage bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Denn die Bestimmungen des Aufsichtsrechts hätten keinen drittschützenden Charakter.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Hamburg zu verweisen. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten des Senats und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist das LSG sachlich und örtlich unzuständig. Der Senat hat dies nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17 a Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg zu verweisen.

Das angerufene Gericht hat von Amts wegen seine sachliche und örtliche Zuständigkeit zu prüfen und festzustellen (Ulmer in Hennig, Kommentar zum SGG, § 98 RdNr 8, Stand April 2010; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl 2008, § 98 RdNr 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VII RdNr 46; Schenke in Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 17. Aufl 2011, § 83 RdNr 5).

Nach § 29 Abs 2 SGG in der hier ab 1. April 2011 geltenden Fassung entscheiden die Landessozialgerichte im ersten Rechtszug als sachlich zuständiges Gericht über 1. Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 120 Abs 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 80 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, 2. Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird, 3. Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, 4. Anträge nach § 55a SGG.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich vorliegend die sachliche Zuständigkeit des LSG nicht aus § 29 Abs 2 Nr 2 SGG. Eine Aufsichtsangelegenheit iS der genannten Vorschrift liegt nicht schon deshalb vor, weil sich die Klage gegen eine Maßnahme bzw einen Bescheid der Aufsichtsbehörde richtet. Hinzukommen muss, dass die Klage von einer Körperschaft erhoben wird, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte. Daran fehlt es hier. Bei der vom Kläger erfolgten Anfechtung des Bescheids der Beklagten vom 4. Mai 2011 handelt es sich ihm gegenüber nicht um eine Aufsichtsangelegenheit.

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bildet allein die Aufsichtsverfügung vom 4. Mai 2011, die die beklagte Aufsichtsbehörde in dem Sonderrechtsverhältnis gegen die ihrer Staatsaufsicht nach §§ 87 ff SGB IV unterliegende CITY BKK erlassen hat. Die hier betroffene Ausübung der Staatsaufsicht erschöpft sich allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft; dagegen ist das Aufsichtsrecht nicht dazu bestimmt, dem Individualinteresse Einzelner zu dienen (vgl BSG, Urteil vom 14. Februar 2007 - B 1 A 3/06 R = BSGE 98, 129 = SozR 4-2400 § 35a Nr RdNr 13 mwN). Ebenso wenig wie ein Dritter daher Ansprüche gegen eine Aufsichtsbehörde auf ein aktives Einschreiten gegen die der Aufsicht unterstellte Krankenkasse daraus ableiten kann, dass über den Inhalt materiell-rechtlicher Normen gestritten wird, die (möglicherweise auch) den Schutz des Dritten zum Gegenstand haben, kann sich der Dritte gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde wenden, mit dem der Krankenkasse ein bestimmtes Handeln (hier: Schließung als ultima ratio) abverlangt wird (BSG, aaO, mwN).

Daraus ergibt sich, dass eine sachliche Zuständigkeit nach § 29 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dadurch begründet werden kann, dass ein Dritter (hier der Kläger) behauptet, durch eine (unstreitig gegenüber der CITY BKK vorliegende) Aufsichtsangelegenheit in seinen Rechten betroffen zu sein. Grundsätzlich wollte der Gesetzgeber mit der Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landessozialgerichte durch das SGGArbGGÄnG vom 26. März 2008 (BGBl I, 444) den Instanzenzug in der Sozialgerichtsbarkeit nämlich nicht in Frage stellen, sondern die Landessozialgerichte nur in den Fällen für erstinstanzlich zuständig erklären, in denen es vorwiegend um die Klärung von Rechtsfragen geht. Er hat hierbei insbesondere an die Prozessökonomie und die Rechtssicherheit für die "Sozialverwaltungen" (und nicht für potentiell Drittbetroffene) gedacht (BR-Drs 820/07, Seite 17 f). Vor diesem Hintergrund sieht der Senat - insbesondere auch im Hinblick auf Art 101 Grundgesetz (GG) und § 59 SGG - keinen Bedarf für eine erweiternde oder analoge Anwendung des § 29 Abs 2 Nr 2 SGG für Fälle der vorliegenden Art, in denen ein Dritter behauptet, von einer Aufsichtsangelegenheit betroffen zu sein.

Danach verbleibt es gemäß § 8 SGG bei der sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte.

Gemäß § 57 Abs 1 Satz 1 SGG in der hier ab 1. April 2011 anzuwendenden Fassung ist für Sozialrechtsstreitigkeiten das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen.

Unter Zugrundelegung dessen ist vorliegend das Sozialgericht Hamburg gemäß § 57 Abs 1 Satz 1 SGG örtlich zuständig. Denn der Kläger hat seinen Wohnsitz in H. und kein Beschäftigungsverhältnis im Zuständigkeitsbereich des LSG.

Der Rechtsstreit war daher gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg zu verweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Nach § 98 Satz 1 SGG iVm § 17b Abs 2 Satz 1 GVG werden die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gereicht als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht entstehen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird. Sie bleibt mithin der Schlussentscheidung vorbehalten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 98 Satz 2, 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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