Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2468/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Heilung des bei Erlass eines bestandskräftig gewordenen Bescheides versäumten Ermessens durch Nachholung im Zugunstenverfahren ist ausgeschlossen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 09.02.2009 in der Fassung des Widerspruchs- Bescheids vom 15.04.2009 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, ihren Bescheid vom 27.03.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2007 zurückzunehmen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen.
Der Kläger ist einzelkaufmännischer Betreiber eines Zimmerei- und Holzbauunternehmens, in dem unter anderem Holzfertighäuser produziert und montiert werden und ist als solcher Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom 9.12.2005 wurde sein Unternehmen auf der Grundlage des vom 1.1.2006 an geltenden 1. Gefahrtarifs der Beklagten wie folgt zu den Gefahrklassen veranlagt:
Tarifstelle 100 Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus (Gefahrklasse 16,1)
Tarifstelle 800 Freiwillige Versicherung (Gefahrklasse 5,0)
Tarifstelle 12 600 100 Schreinerei, Holzverarbeitung
Bei der Tarifstelle 12 600 100 handelt es sich um eine solche der Holz-Berufsgenossenschaft, da die Beklagte seinerzeit davon ausging, dass insoweit ein fremdartiges Nebenunternehmen i. S. v. Teil II. Ziff. 4. ihres Gefahrtarifs bestehe.
Aufgrund einer Betriebsprüfung im Herbst 2006 gelangte die Beklagte zu dem Schluss, dass ein solches Nebenunternehmen doch nicht bestehe. Mit Schreiben vom 22.1.2007 teilte sie dem Kläger mit, dass sie die im Lohnnachweis für 2006 für das Nebenunternehmen mitgeteilte Lohnsumme zu dem unter Tarifstelle 100 mitgeteilten Betrag addiert habe. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16.2.2007 "Einspruch", da in seinem Betrieb sehr wohl ein Haupt- und ein Nebenunternehmen bestünden und hierfür getrennte Lohnaufzeichnungen geführt würden. Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch gegen Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005. Mit weiterem Veranlagungsbescheid vom 27.3.2007 veranlagte die Beklagte das Unternehmen des Klägers unter Wegfall der Tarifstelle für Schreinerei/Holzverarbeitung ab 1.1.2006 wie folgt zu den Gefahrklassen:
Tarifstelle 100 Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus (Gefahrklasse 16,1)
Tarifstelle 800 Freiwillige Versicherung (Gefahrklasse 5,0)
Der Bescheid vom 27.3.2007 selbst enthielt die Belehrung, dass gegen diesen Bescheid der Widerspruch binnen eines Monats nach Bekanntgabe statthaft sei; im beigefügten Anschreiben an den Kläger vom 29.3.2007 wurde dagegen ausgeführt, der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.12.2005 als unzulässig, da verfristet, zurück. Die Beklagte führte weiter aus, gemäß Teil II Ziff. 2 ihres Gefahrtarifs würden Haupt- und Nebenunternehmen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu einem Gewerbezweig gesondert veranlagt, wenn getrennte Aufzeichnungen über Arbeitsentgelte geführt werden. Unabhängig davon liege ein Nebenunternehmen nur vor, wenn es überwiegend eigene Zwecke verfolge. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, da er gelegentlich der Betriebsprüfung im Oktober 2006 angegeben habe, die der Schreinerei/Holzverarbeitung zugeordneten Tätigkeiten (Herstellung von Holzwänden, Herstellung und Montage von Fenstern und Türen, Herstellung und Montage von Fassadenelementen, Innenausbau, Treppenbau) würden überwiegend für eigene Zwecke erfolgen, nämlich das Errichten von Holzhäusern durch das Unternehmen des Klägers, mithin für das Hauptunternehmen. Eigene Zwecke des Nebenunternehmens, also die Ausführung dieser Arbeiten für Dritte, seien untergeordnet.
Eine dagegen am 16.5.2007 zum Sozialgericht Freiburg erhobene erste Klage (Az. S 7 U 2755/07) wurde am 11.12.2008 durch einen Vergleich erledigt, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ihren Bescheid vom 9.12.2005 nach Maßgabe des § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu überprüfen.
Im Verfahren S 7 U 2755/07 hatte der Kläger abweichend von seinem bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Anliegen geltend gemacht, sein Unternehmen sei teils zur Tarifstelle 220 "Herstellen von Fertigteilen und Betonwaren" zu veranlagen, wie im Lohnnachweis für 2006 vom 13.1.2007 von ihm nunmehr angegeben. Diese Tarifstelle sei für das von ihm geführte Nebenunternehmen einschlägig. Die Beklagte war dem entgegengetreten, erstens, da ein Nebenunternehmen nicht vorliege und zweitens, weil diese Tarifstelle nach ihrer Auffassung die selbstständige, serielle und dauerhaft betriebene Herstellung von Fertighäusern und -teilen voraussetze, welche erst ab einer Stückzahl von mindestens 40 bzw. 25 pro Jahr anzunehmen sei. Demgegenüber stelle das Unternehmen des Klägers nach eigenen Angaben pro Jahr nur 10 bis 15 Fertighäuser her.
Mit in Ausführung des Vergleiches vom 11.12.2008 ergangenem Bescheid vom 9.2.2009 lehnte die Beklagte die rückwirkende Aufhebung des "bindenden Bescheides vom 9.12.2005" mit der Begründung ab, dass bei Erlass dieses Bescheides das Recht richtig angewandt worden sei. Während für die Veranlagung nach der Tarifstelle 220 eine selbstständige, serielle und dauerhaft betriebene Herstellung von Fertighäusern und -teilen zwingend vorausgesetzt werde, sei für die Tarifstelle 100 die handwerklich geprägte Errichtung von Fertighäusern maßgebend. Dies ergebe sich aus der Erläuterungstabelle zum 1. Gefahrtarif der Beklagten. Auf Initiative verschiedener Verbände aus dem Baubereich seien Kriterien für eine einheitliche Umsetzung der gefahrtariflichen Vorgaben erarbeitet worden. Diese sollten insbesondere klarstellen, wann im Einzelfall eine serielle Herstellung und Montage von Fertighäusern mit nur geringem Gefährdungspotenzial erfolge. Entscheidend sei insbesondere der Grad der Automatisierung. Nur wenn ein Betrieb aufgrund seiner Ausstattung und seiner Kapazitäten in der Lage sei, mindestens 40 Häuser im Jahr zu produzieren, könne von dem für eine Einstufung in die Tarifstelle 220 erforderlichen Grad der Automatisierung ausgegangen werden. Ausnahmsweise könne diese Anzahl auch einmal unterschritten werden, absolute Untergrenze seien aber 25 Häuser pro Jahr. Diese Anzahl werde vom Unternehmen des Klägers nicht erreicht.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 17.2.2009 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.4.2009 zurückwies.
Am 14.5.2009 erhob der Kläger die vorliegende Klage zum Sozialgericht Freiburg.
Der Kläger nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Verfahren S 7 U 2755/07. Er legt ein Schreiben des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe am 11.12.2008 vor, wonach die Grenze von 40 Fertighäusern als Indiz für einen hohen Automatisierungsgrad einseitig durch die Präventionsabteilung der Beklagten und nicht im Einvernehmen mit den Vertretern des Zimmerer- und Holzbaugewerbes festgelegt worden ist.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 aufzuheben und die die Beklagte zu verurteilen, das Unternehmen des Klägers rückwirkend vom 1.1.2006 an auch zur Gefahrtarifstelle 220 zu veranlagen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Das Gerichts hat in der öffentlichen Sitzung vom 15.2.2011 u. a. darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Vergleichs vom 11.12.2008 fraglich ist, da der darin zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 9.12.2005 möglicherweise durch den Bescheid vom 27.3.2007 komplett ersetzt worden sei. Wegen der Einzelheiten des ausführlichen gerichtlichen Hinweises wird auf die Niederschrift vom 15.2.2011 Bezug genommen.
Hierzu hat die Beklagte insbesondere vorgetragen, die Beteiligten seien sich bei Abschluss des Vergleichs vom 11.12.2008 darüber einig gewesen, dass es im klägerischen Unternehmen nie eine Schreinerei gegeben habe. Deshalb sei die Herausnahme der Schreinerei aus der Veranlagung mit Bescheid vom 27.3.2007 unstreitig gewesen. Der Streit der Beteiligten habe sich nur noch darauf bezogen, ob neben der Veranlagung mit der Tarifstelle 100 noch eine Veranlagung mit der Tarifstelle 220 hätte erfolgen müssen. Ausgehend von der Rechtsauffassung des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts, wonach der Bescheid vom 27.3.2007 möglicherweise nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 9.12.2005 geworden und letzterer bindend geworden sei, hätten sich die Beteiligten auf eine Überprüfung des Bescheids vom 9.12.2005 verständigt. Diese habe sich folgerichtig nur auf diesen Bescheid erstreckt sowie die Frage, ob neben der Veranlagung zur Tarifstelle 100 auch noch zusätzlich eine Veranlagung mit der Tarifstelle 220 hätte erfolgen müssen. Die nunmehr vom Gericht angeregte Überprüfung des Bescheids vom 27.3.2007 nach Maßgabe von § 44 SGB X sei gleichwohl entbehrlich, weil eine solche Überprüfung bereits in dem jetzt anhängigen Verfahren erfolgt sei.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben demgegenüber vorgebracht, entgegen der Auffassung der Beklagten bestehe in seinem Unternehmen tatsächlich eine Abteilung Schreinerei.
Die das Unternehmen des Klägers betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, Bl. 1-44, lag vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und des Vorbringens des Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte und die Akten des Sozialgerichts Freiburg, Az. S 7 U 2755/07 und S 9 U 2468/09, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht kann gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligte hiermit einverstanden sind.
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben sowie auch im übrigen zulässig. Der angekündigte Antrag der klägerischen Bevollmächtigten war sachdienlich dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung des einen Zugunstenbescheid ablehnenden Verwaltungsakts der Beklagten sowie deren Verurteilung zur Zurücknahme des zur Überprüfung nach § 44 SGB X gestellten Bescheids begehrt wird. Die Klage ist daher als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.6.2011, Az. L 2 U 4059/10, (juris), m. w. N.; a. A. der 2. Senat des BSG, z. B. Urt. v. 5.9.2006, Az. B 2 U 24/05 R, (juris): Anfechtungs- und Feststellungsklage).
II.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er war daher aufzuheben. Der Kläger hat darüber hinaus Anspruch auf Rücknahme des Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007, da die Beklagte bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt hat.
Die Auslegung des Bescheids vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 ergibt zunächst, dass sich die darin getroffene Regelung - Ablehnung der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit nach Maßgabe von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X - entgegen dem Wortlaut nicht allein auf den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in seiner ursprünglichen Fassung bezieht, sondern auf den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in der Gestalt des weiteren Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007. Dasselbe gilt für den Vergleich der Beteiligten vom 11.12.2007 im Verfahren S 7 U 2755/07, der seinerseits für die Auslegung des mit der vorliegenden Klage angefochtenen Bescheides relevant ist, da dieser in Ausführung des Vergleichs erging. Auch der Vergleich ist zutreffenderweise so zu verstehen, dass nicht der Bescheid vom 9.12.2005 in seiner ursprünglichen Fassung nach Maßgabe von § 44 SGB X überprüft werden soll, sondern dieser Bescheid in der Fassung des weiteren Bescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Die Beklagte traf mit dem weiteren Veranlagungsbescheid vom 27.3.2007 eine Neuregelung für den gesamten Regelungsgegenstand des Bescheids vom 9.12.2005 (Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen ab 1.1.2006). Der Bescheid vom 9.12.2005 wurde somit durch den Bescheid vom 27.3.2007 rückwirkend abgeändert. Da im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 27.3.2007 ein Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 9.12.2005 anhängig war, wurde der Bescheid vom 27.3.2007 gemäß § 86 SGG ohne weiteres Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens. Folgerichtig hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 nicht etwa über einen auf den Ursprungsbescheid vom 9.12.2005 beschränkten Widerspruch entschieden (denn ein solcher existierte als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nicht mehr); sie hat darin vielmehr ausdrücklich den Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in Gestalt des Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 zurückgewiesen. Im Zeitpunkt des Vergleichs vom 11.12.2008 und erst recht beim Erlass des Bescheids vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 existierte daher der Bescheid vom 9.12.2005 in isolierter Form rechtlich nicht mehr. Dieser hatte vielmehr durch den weiteren Bescheid vom 27.3.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 seine nunmehr maßgebliche Gestalt gefunden.
Zwar haben die Beteiligten den Vergleich vom 11.12.2008 und hat die Beklagte infolgedessen die mit der vorliegenden Klage angefochtene Überprüfung im Zugunstenverfahren dem Wortlaut nach scheinbar auf den Bescheid vom 9.12.2005 beschränkt. Die Auslegung, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, richtet sich indessen nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. grundlegend Urt. v. 8.12.1993, Az. 10 RKg 19/92; für die gesetzliche Unfallversicherung z. B. Urt. v. 30.6.1999, Az. B 2 U 24/98 R, beide in (juris); s. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, Anh § 54, Rnr. 3a)) nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen, namentlich § 131 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Danach ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Dabei ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere dem Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte; mit anderen Worten ist der Erklärungswert entscheidend, wie er sich einem verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, darstellt, nicht jedoch eine Absicht der Behörde, die von diesem "Empfängerhorizont" aus nicht erkennbar ist (BSG a. a. O.). Diese Auslegungsrundsätze gelten nicht nur für den angefochtenen Bescheid, sondern ebenso für den ihm zugrunde liegenden Vergleich in seiner Eigenschaft sowohl als öffentlich-rechtlicher Vertrag als auch als Prozesshandlung (st. Rspr., vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2008, Az. B 9 VS 1/08 R, (juris), m. w. N.).
Ein den Willen des Erklärenden unter Berücksichtigung der genannten Zusammenhänge objektiv würdigender Empfänger musste sowohl die zum Vergleichsschluss vom 11.12.2008 führenden Willenserklärungen der Beteiligten als auch dem im vorliegenden Klageverfahren angefochtenen Bescheid so verstehen, dass nicht lediglich isoliert der Ursprungsbescheid vom 9.12.2005 nach Maßgabe von § 44 SGB X überprüft werden soll, sondern vielmehr dieser Veranlagungsbescheid in der Gestalt des Veranlagungsbescheids vom 29.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007. Offensichtlich schlossen die Verfahrensbeteiligten den Vergleich zu dem Zweck, eine vollumfängliche Überprüfung der im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses maßgeblichen Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen durch die Beklagte herbeizuführen. Dies ergibt sich erstens daraus, dass der Vorsitzende der 7. Kammer der Niederschrift vom 11.12.2008 zufolge Zweifel sowohl an der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 9.12.2005 als auch an der Verfahrensgegenständlichkeit des Bescheids vom 27.3.2007 äußerte und den von ihm formulierten Vergleich empfahl, um "jegliche prozessuale Risiken auszuschließen". Gemeint waren damit, wie die Verwendung des Terminus "jegliche" zeigt, nicht allein die Bedenken gegen die Zulässigkeit des Widerspruchs gegen den ursprünglichen Veranlagungsbescheid, sondern auch die Zweifel des damaligen Vorsitzenden, ob der weitere Veranlagungsbescheid Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Zweitens empfahl der Vorsitzende den Beteiligten laut Niederschrift ausdrücklich, die Entscheidung nach § 44 SGB X nach neuen, konkret näher beschriebenen Ermittlungen im Betrieb des Klägers zu treffen. Dies zeigt, dass nicht die Überprüfung der ersten, mittlerweile durch die Änderung überholten Veranlagung Gegenstand des Überprüfung sein sollte, sondern die materielle Rechtmäßigkeit der im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses maßgeblichen Veranlagung. Dies war aber die durch Bescheid vom 27.3.2007 geänderte und mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 bestätigte. Drittens entsprach allein eine solche Auslegung der Interessenlage der Verfahrensbeteiligten, welche an einer Überprüfung der erledigten Gefahrklassenveranlagung vom 9.12.2005 ersichtlich kein Bedürfnis mehr haben konnten. Viertens schließlich hätte sich die Beklagte zu einer isolierten Überprüfung allein des Bescheids vom 9.12.2005 im Zugunstenverfahren unter Außerachtlassung des späteren Änderungsbescheides vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 wohl schon aus Rechtsgründen überhaupt nicht verpflichten dürfen. § 44 SGB X ermächtigt (und verpflichtet unter bestimmten Umständen) die Behörde nämlich zur Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte. Zurückgenommen werden kann ein solcher Verwaltungsakt logisch aber nur, soweit er rechtlich noch Bestand hat. Spätere Bescheide, die ihn bereits ganz oder teilweise abändern oder ersetzen, müssen daher denkgesetzlich nach § 44 SGB X mit überprüft werden, so wie sie gem. § 86 SGG bzw. § 96 SGG zwingend Gegenstand von Widerspruchs- bzw. Klageverfahren würden und so wie Gegenstand einer Klage gem. § 95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Die genannten Vorschriften sichern die Einheitlichkeit der Entscheidung über einen identischen Streitgegenstand. Diesem Rechtsgedanken ist durch eine entsprechende Auslegung des § 44 SGB X Rechnung zu tragen, so dass Gegenstand des Zugunsten-Verfahrens stets nur der Verwaltungsakt in seiner im Zeitpunkt der Überprüfung maßgeblichen Fassung (einschließlich eventueller Änderungs- bzw. Widerspruchsbescheide) sein kann (ähnlich LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.1.2010, Az. 1 U 2697/09, (juris): Ein Bescheid nach § 48 SGB X wird Gegenstand eines bereits anhängigen Verfahrens nach § 44 SGB X über einen identischen Streitgegenstand). Da niemand annehmen konnte, dass die Beteiligten seinerzeit eine rechtswidrige, weil von § 44 SGB X nicht gedeckte, isolierte Überprüfung allein des im wesentlichen bereits erledigten Ausgangsbescheides vom 9.12.2005 herbeiführen wollten, konnte der Vergleich sich nur auf die Überprüfung der Gefahrklassenveranlagung in der zuletzt maßgeblichen Fassung insgesamt beziehen.
Diese Auslegung des Vergleichs sowie die hierfür dargelegten Auslegungsgesichtspunkte begründen zugleich, weshalb der Bescheid vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 entsprechend auszulegen ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte ihrem eigenen Vorbringen zufolge im Zugunstenverfahren nicht allein die erstmalige Veranlagung zu den Gefahrklassen, sondern auch die mit Bescheid vom 27.3.2007 erfolgte Änderung überprüft hat. Der hier angefochtene Bescheid ist mithin so zu verstehen, dass die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 9.12.2005 in der Fassung des Bescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 ablehnt.
Diese Entscheidung ist rechtswidrig, da die Beklagte bei Erlass des mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 bestätigten Bescheides vom 27.3.2007 das Recht unrichtig angewandt hat und daher dieser Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Ermächtigungsgrundlage für die Veranlagung von Unternehmen zu den Gefahrklassen ist § 159 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII). Danach veranlagt der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Bescheid vom 9.12.2005 Gebrauch gemacht. Dieser Bescheid war jedenfalls am 16.2.2007, als der Kläger hiergegen nach Auffassung der Beklagten Widerspruch erhob, wegen Ablaufs der Widerspruchsfrist für die Beteiligten bereits bindend geworden (§ 77 SGG). Gleichwohl hat die Beklagte diese Gefahrklassenveranlagung zu einem noch späteren Zeitpunkt, nämlich mit Bescheid vom 27.3.2007, zu Lasten des Klägers geändert. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Änderung der Veranlagung ist nach § 160 SGB VII zu beurteilen.
Absatz 1 dieser Vorschrift erlaubt die Aufhebung der Veranlagung für die Zukunft, wenn in dem Unternehmen Änderungen eingetreten sind, sich also die für die Vereinbarung maßgeblichen Verhältnisse nach Erlass des ursprünglichen Veranlagungsbescheids geändert haben. Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht behauptet. Abs. 2 a. a. O. regelt in Nr. 2 die rückwirkende Änderung der Gefahrklasse zugunsten des Unternehmens, ist also hier ebenfalls nicht einschlägig. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII setzt für eine rückwirkende Änderung voraus, dass die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist, weil die Unternehmer ihren Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sind oder ihre Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erkennbar, ebensowenig beruft sich die Beklagte auf ein solches Verschulden des Klägers. Somit verbleibt als mögliche Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 27.3.2007 allein § 160 Abs. 3 SGB VII. Danach wird "in allen übrigen Fällen" ein Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheides folgt, aufgehoben. Abgesehen davon, dass diese Ermächtigungsgrundlage keinesfalls die von der Beklagten mit Bescheid vom 27.3.2007 verfügte Änderung der Veranlagung für die Vergangenheit rechtfertigen könnte, ist zu beachten, dass § 160 Abs. 3 SGB VII nach der Rechtsprechung des BSG nur in Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung bindend gewordener Verwaltungsakte, also §§ 44 ff. SGB X, angewandt werden darf (BSG-Urt. v. 9.12.2003, Az. B 2 U 54/02 R, (juris)). Namentlich wenn die fehlerhafte Veranlagung des Unternehmens zu einer zu niedrigen Gefahrklasse nicht auf einen Verstoß des Unternehmens gegen seine Mitteilungspflicht zurückzuführen ist, sondern auf eine falsche Anwendung des Gefahrtarifs durch den Unfallversicherungsträger - ein solcher Fall soll hier nach Auffassung der Beklagten gegeben sein - ist die Rücknahme des früheren für das Unternehmen günstigeren Veranlagungsbescheides und der Erlass eines neuen ungünstigeren Veranlagungsbescheides nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 45 SGB X zulässig (BSG a. a. O.). Diese beinhalten insbesondere die Ausübung von Ermessen (§ 45 Abs. 1 SGB X, "darf"). Der Bescheid selbst muss erkennen lassen, dass sich der Unfallversicherungsträger bewusst war, einen Ermessensspielraum zu haben und die Gesichtspunkte zentraler Bedeutung aufzeigen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (Bayerisches LSG, Urt. v. 15.9.2004, Az. L 3 U 359/03, (juris)). Diesen Voraussetzungen genügen weder der Bescheid vom 27.3.2007 noch der Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007. Beiden lässt sich bereits nicht einmal das Bewusstsein entnehmen, dass die Änderung einer bestandskräftigen Gefahrklassenveranlagung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist und der Ausübung von Ermessen bedarf. Die Beklagte vermeinte offenbar, zur Korrektur der Veranlagung nach Erkennen der Unrichtigkeit verpflichtet zu sein, also eine gebundene Entscheidung zu treffen. Es liegt somit ein Ermessensfehler in Form des sogenannten Ermessensnichtgebrauchs vor (vgl. Seewald, in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 69. EL 2011, SGB I, § 39 RNr. 10; Wagner in Juris-PK SGB I, 2005, § 39 RNr. 20).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine Nachholung der Ermessensausübung nach Maßgabe von § 41 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 SGB X hier nicht mehr in Betracht. Zwar ist nach diesen Vorschriften in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung die Nachholung der erforderlichen Begründung eines Verwaltungsakts bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens möglich. Erstens handelt es sich jedoch beim Ermessensnichtgebrauch wie hier nicht lediglich um einen Mangel der Ermessensbegründung, sondern bereits um einen solchen der Ermessensbetätigung. Eine Heilung nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist daher nach zutreffender Auffassung bereits tatbestandlich nicht möglich (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 41, Rnr. 11 a. E., m. w. N.). Vor allem aber handelt es sich bei dem in § 41 Abs. 2 SGB X genannten sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich um dasjenige, dessen unmittelbarer Verfahrensgegenstand der Bescheid mit dem zu heilenden Begründungsmangel ist, also das Verfahren über die darauf bezogene Anfechtungsklage. Dies war hier die Klage gegen den Bescheid vom 27.3.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 mit dem Az. S 7 U 2755/07, welches am 11.12.2008 abgeschlossen wurde.
Durch die Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 SGB X wird die Frist des § 41 Abs. 2 SGB X nicht erneut in Lauf gesetzt. Denn dies würde dazu führen, dass die zeitliche Begrenzung der Nachholbarkeit auf den Zeitraum bis zur letzten Tatsacheninstanz praktisch leerläuft. Die Behörde hätte es dann in der Hand, im Zeitraum zwischen dem Abschluss der letzten Tatsacheninstanz und der rechtskräftigen Erledigung der Sache (etwa noch während eines Revisionsverfahrens) von Amts wegen einen Bescheid nach § 44 SGB X zu erlassen (welcher seit der Änderung des § 96 SGG zum 1.1.2008 nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens wird, vgl. BSG-Beschl. v. 30.9.2009, Az. B 9 SB 19/09 SB, (juris)) und darin die Ermessensbegründung des ursprünglichen Bescheides nachzuholen. Eine Nachholung des hinsichtlich des Ursprungsbescheids auszuübenden Ermessens im Zugunstenverfahren kommt schließlich auch deshalb nicht in Betracht, weil § 44 SGB X lediglich zur vollständigen oder teilweisen Rücknahme des ursprünglichen Verwaltungsakts ermächtigt. Die Entscheidung im Zugunstenverfahren kann also nur in einer Bestätigung des ursprünglichen Verwaltungsakts oder dessen vollumfänglicher oder teilweiser Rücknahme bestehen. Zur Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern des Ursprungsbescheids i. S. v. § 41 Abs. 1 SGB X, etwa der Nachholung der diesbezüglichen Begründung, ermächtigt § 44 SGB X dagegen nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 161 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO).
2. Die Beklagte wird verurteilt, ihren Bescheid vom 27.03.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2007 zurückzunehmen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen.
Der Kläger ist einzelkaufmännischer Betreiber eines Zimmerei- und Holzbauunternehmens, in dem unter anderem Holzfertighäuser produziert und montiert werden und ist als solcher Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom 9.12.2005 wurde sein Unternehmen auf der Grundlage des vom 1.1.2006 an geltenden 1. Gefahrtarifs der Beklagten wie folgt zu den Gefahrklassen veranlagt:
Tarifstelle 100 Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus (Gefahrklasse 16,1)
Tarifstelle 800 Freiwillige Versicherung (Gefahrklasse 5,0)
Tarifstelle 12 600 100 Schreinerei, Holzverarbeitung
Bei der Tarifstelle 12 600 100 handelt es sich um eine solche der Holz-Berufsgenossenschaft, da die Beklagte seinerzeit davon ausging, dass insoweit ein fremdartiges Nebenunternehmen i. S. v. Teil II. Ziff. 4. ihres Gefahrtarifs bestehe.
Aufgrund einer Betriebsprüfung im Herbst 2006 gelangte die Beklagte zu dem Schluss, dass ein solches Nebenunternehmen doch nicht bestehe. Mit Schreiben vom 22.1.2007 teilte sie dem Kläger mit, dass sie die im Lohnnachweis für 2006 für das Nebenunternehmen mitgeteilte Lohnsumme zu dem unter Tarifstelle 100 mitgeteilten Betrag addiert habe. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16.2.2007 "Einspruch", da in seinem Betrieb sehr wohl ein Haupt- und ein Nebenunternehmen bestünden und hierfür getrennte Lohnaufzeichnungen geführt würden. Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch gegen Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005. Mit weiterem Veranlagungsbescheid vom 27.3.2007 veranlagte die Beklagte das Unternehmen des Klägers unter Wegfall der Tarifstelle für Schreinerei/Holzverarbeitung ab 1.1.2006 wie folgt zu den Gefahrklassen:
Tarifstelle 100 Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus (Gefahrklasse 16,1)
Tarifstelle 800 Freiwillige Versicherung (Gefahrklasse 5,0)
Der Bescheid vom 27.3.2007 selbst enthielt die Belehrung, dass gegen diesen Bescheid der Widerspruch binnen eines Monats nach Bekanntgabe statthaft sei; im beigefügten Anschreiben an den Kläger vom 29.3.2007 wurde dagegen ausgeführt, der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.12.2005 als unzulässig, da verfristet, zurück. Die Beklagte führte weiter aus, gemäß Teil II Ziff. 2 ihres Gefahrtarifs würden Haupt- und Nebenunternehmen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu einem Gewerbezweig gesondert veranlagt, wenn getrennte Aufzeichnungen über Arbeitsentgelte geführt werden. Unabhängig davon liege ein Nebenunternehmen nur vor, wenn es überwiegend eigene Zwecke verfolge. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, da er gelegentlich der Betriebsprüfung im Oktober 2006 angegeben habe, die der Schreinerei/Holzverarbeitung zugeordneten Tätigkeiten (Herstellung von Holzwänden, Herstellung und Montage von Fenstern und Türen, Herstellung und Montage von Fassadenelementen, Innenausbau, Treppenbau) würden überwiegend für eigene Zwecke erfolgen, nämlich das Errichten von Holzhäusern durch das Unternehmen des Klägers, mithin für das Hauptunternehmen. Eigene Zwecke des Nebenunternehmens, also die Ausführung dieser Arbeiten für Dritte, seien untergeordnet.
Eine dagegen am 16.5.2007 zum Sozialgericht Freiburg erhobene erste Klage (Az. S 7 U 2755/07) wurde am 11.12.2008 durch einen Vergleich erledigt, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ihren Bescheid vom 9.12.2005 nach Maßgabe des § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu überprüfen.
Im Verfahren S 7 U 2755/07 hatte der Kläger abweichend von seinem bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Anliegen geltend gemacht, sein Unternehmen sei teils zur Tarifstelle 220 "Herstellen von Fertigteilen und Betonwaren" zu veranlagen, wie im Lohnnachweis für 2006 vom 13.1.2007 von ihm nunmehr angegeben. Diese Tarifstelle sei für das von ihm geführte Nebenunternehmen einschlägig. Die Beklagte war dem entgegengetreten, erstens, da ein Nebenunternehmen nicht vorliege und zweitens, weil diese Tarifstelle nach ihrer Auffassung die selbstständige, serielle und dauerhaft betriebene Herstellung von Fertighäusern und -teilen voraussetze, welche erst ab einer Stückzahl von mindestens 40 bzw. 25 pro Jahr anzunehmen sei. Demgegenüber stelle das Unternehmen des Klägers nach eigenen Angaben pro Jahr nur 10 bis 15 Fertighäuser her.
Mit in Ausführung des Vergleiches vom 11.12.2008 ergangenem Bescheid vom 9.2.2009 lehnte die Beklagte die rückwirkende Aufhebung des "bindenden Bescheides vom 9.12.2005" mit der Begründung ab, dass bei Erlass dieses Bescheides das Recht richtig angewandt worden sei. Während für die Veranlagung nach der Tarifstelle 220 eine selbstständige, serielle und dauerhaft betriebene Herstellung von Fertighäusern und -teilen zwingend vorausgesetzt werde, sei für die Tarifstelle 100 die handwerklich geprägte Errichtung von Fertighäusern maßgebend. Dies ergebe sich aus der Erläuterungstabelle zum 1. Gefahrtarif der Beklagten. Auf Initiative verschiedener Verbände aus dem Baubereich seien Kriterien für eine einheitliche Umsetzung der gefahrtariflichen Vorgaben erarbeitet worden. Diese sollten insbesondere klarstellen, wann im Einzelfall eine serielle Herstellung und Montage von Fertighäusern mit nur geringem Gefährdungspotenzial erfolge. Entscheidend sei insbesondere der Grad der Automatisierung. Nur wenn ein Betrieb aufgrund seiner Ausstattung und seiner Kapazitäten in der Lage sei, mindestens 40 Häuser im Jahr zu produzieren, könne von dem für eine Einstufung in die Tarifstelle 220 erforderlichen Grad der Automatisierung ausgegangen werden. Ausnahmsweise könne diese Anzahl auch einmal unterschritten werden, absolute Untergrenze seien aber 25 Häuser pro Jahr. Diese Anzahl werde vom Unternehmen des Klägers nicht erreicht.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 17.2.2009 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.4.2009 zurückwies.
Am 14.5.2009 erhob der Kläger die vorliegende Klage zum Sozialgericht Freiburg.
Der Kläger nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Verfahren S 7 U 2755/07. Er legt ein Schreiben des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe am 11.12.2008 vor, wonach die Grenze von 40 Fertighäusern als Indiz für einen hohen Automatisierungsgrad einseitig durch die Präventionsabteilung der Beklagten und nicht im Einvernehmen mit den Vertretern des Zimmerer- und Holzbaugewerbes festgelegt worden ist.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 aufzuheben und die die Beklagte zu verurteilen, das Unternehmen des Klägers rückwirkend vom 1.1.2006 an auch zur Gefahrtarifstelle 220 zu veranlagen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Das Gerichts hat in der öffentlichen Sitzung vom 15.2.2011 u. a. darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Vergleichs vom 11.12.2008 fraglich ist, da der darin zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 9.12.2005 möglicherweise durch den Bescheid vom 27.3.2007 komplett ersetzt worden sei. Wegen der Einzelheiten des ausführlichen gerichtlichen Hinweises wird auf die Niederschrift vom 15.2.2011 Bezug genommen.
Hierzu hat die Beklagte insbesondere vorgetragen, die Beteiligten seien sich bei Abschluss des Vergleichs vom 11.12.2008 darüber einig gewesen, dass es im klägerischen Unternehmen nie eine Schreinerei gegeben habe. Deshalb sei die Herausnahme der Schreinerei aus der Veranlagung mit Bescheid vom 27.3.2007 unstreitig gewesen. Der Streit der Beteiligten habe sich nur noch darauf bezogen, ob neben der Veranlagung mit der Tarifstelle 100 noch eine Veranlagung mit der Tarifstelle 220 hätte erfolgen müssen. Ausgehend von der Rechtsauffassung des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts, wonach der Bescheid vom 27.3.2007 möglicherweise nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 9.12.2005 geworden und letzterer bindend geworden sei, hätten sich die Beteiligten auf eine Überprüfung des Bescheids vom 9.12.2005 verständigt. Diese habe sich folgerichtig nur auf diesen Bescheid erstreckt sowie die Frage, ob neben der Veranlagung zur Tarifstelle 100 auch noch zusätzlich eine Veranlagung mit der Tarifstelle 220 hätte erfolgen müssen. Die nunmehr vom Gericht angeregte Überprüfung des Bescheids vom 27.3.2007 nach Maßgabe von § 44 SGB X sei gleichwohl entbehrlich, weil eine solche Überprüfung bereits in dem jetzt anhängigen Verfahren erfolgt sei.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben demgegenüber vorgebracht, entgegen der Auffassung der Beklagten bestehe in seinem Unternehmen tatsächlich eine Abteilung Schreinerei.
Die das Unternehmen des Klägers betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, Bl. 1-44, lag vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und des Vorbringens des Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte und die Akten des Sozialgerichts Freiburg, Az. S 7 U 2755/07 und S 9 U 2468/09, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht kann gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligte hiermit einverstanden sind.
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben sowie auch im übrigen zulässig. Der angekündigte Antrag der klägerischen Bevollmächtigten war sachdienlich dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung des einen Zugunstenbescheid ablehnenden Verwaltungsakts der Beklagten sowie deren Verurteilung zur Zurücknahme des zur Überprüfung nach § 44 SGB X gestellten Bescheids begehrt wird. Die Klage ist daher als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.6.2011, Az. L 2 U 4059/10, (juris), m. w. N.; a. A. der 2. Senat des BSG, z. B. Urt. v. 5.9.2006, Az. B 2 U 24/05 R, (juris): Anfechtungs- und Feststellungsklage).
II.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er war daher aufzuheben. Der Kläger hat darüber hinaus Anspruch auf Rücknahme des Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007, da die Beklagte bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt hat.
Die Auslegung des Bescheids vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 ergibt zunächst, dass sich die darin getroffene Regelung - Ablehnung der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit nach Maßgabe von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X - entgegen dem Wortlaut nicht allein auf den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in seiner ursprünglichen Fassung bezieht, sondern auf den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in der Gestalt des weiteren Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007. Dasselbe gilt für den Vergleich der Beteiligten vom 11.12.2007 im Verfahren S 7 U 2755/07, der seinerseits für die Auslegung des mit der vorliegenden Klage angefochtenen Bescheides relevant ist, da dieser in Ausführung des Vergleichs erging. Auch der Vergleich ist zutreffenderweise so zu verstehen, dass nicht der Bescheid vom 9.12.2005 in seiner ursprünglichen Fassung nach Maßgabe von § 44 SGB X überprüft werden soll, sondern dieser Bescheid in der Fassung des weiteren Bescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Die Beklagte traf mit dem weiteren Veranlagungsbescheid vom 27.3.2007 eine Neuregelung für den gesamten Regelungsgegenstand des Bescheids vom 9.12.2005 (Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen ab 1.1.2006). Der Bescheid vom 9.12.2005 wurde somit durch den Bescheid vom 27.3.2007 rückwirkend abgeändert. Da im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 27.3.2007 ein Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 9.12.2005 anhängig war, wurde der Bescheid vom 27.3.2007 gemäß § 86 SGG ohne weiteres Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens. Folgerichtig hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 nicht etwa über einen auf den Ursprungsbescheid vom 9.12.2005 beschränkten Widerspruch entschieden (denn ein solcher existierte als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nicht mehr); sie hat darin vielmehr ausdrücklich den Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid vom 9.12.2005 in Gestalt des Veranlagungsbescheids vom 27.3.2007 zurückgewiesen. Im Zeitpunkt des Vergleichs vom 11.12.2008 und erst recht beim Erlass des Bescheids vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 existierte daher der Bescheid vom 9.12.2005 in isolierter Form rechtlich nicht mehr. Dieser hatte vielmehr durch den weiteren Bescheid vom 27.3.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 seine nunmehr maßgebliche Gestalt gefunden.
Zwar haben die Beteiligten den Vergleich vom 11.12.2008 und hat die Beklagte infolgedessen die mit der vorliegenden Klage angefochtene Überprüfung im Zugunstenverfahren dem Wortlaut nach scheinbar auf den Bescheid vom 9.12.2005 beschränkt. Die Auslegung, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, richtet sich indessen nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. grundlegend Urt. v. 8.12.1993, Az. 10 RKg 19/92; für die gesetzliche Unfallversicherung z. B. Urt. v. 30.6.1999, Az. B 2 U 24/98 R, beide in (juris); s. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, Anh § 54, Rnr. 3a)) nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen, namentlich § 131 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Danach ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Dabei ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere dem Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte; mit anderen Worten ist der Erklärungswert entscheidend, wie er sich einem verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, darstellt, nicht jedoch eine Absicht der Behörde, die von diesem "Empfängerhorizont" aus nicht erkennbar ist (BSG a. a. O.). Diese Auslegungsrundsätze gelten nicht nur für den angefochtenen Bescheid, sondern ebenso für den ihm zugrunde liegenden Vergleich in seiner Eigenschaft sowohl als öffentlich-rechtlicher Vertrag als auch als Prozesshandlung (st. Rspr., vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2008, Az. B 9 VS 1/08 R, (juris), m. w. N.).
Ein den Willen des Erklärenden unter Berücksichtigung der genannten Zusammenhänge objektiv würdigender Empfänger musste sowohl die zum Vergleichsschluss vom 11.12.2008 führenden Willenserklärungen der Beteiligten als auch dem im vorliegenden Klageverfahren angefochtenen Bescheid so verstehen, dass nicht lediglich isoliert der Ursprungsbescheid vom 9.12.2005 nach Maßgabe von § 44 SGB X überprüft werden soll, sondern vielmehr dieser Veranlagungsbescheid in der Gestalt des Veranlagungsbescheids vom 29.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007. Offensichtlich schlossen die Verfahrensbeteiligten den Vergleich zu dem Zweck, eine vollumfängliche Überprüfung der im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses maßgeblichen Veranlagung des klägerischen Unternehmens zu den Gefahrklassen durch die Beklagte herbeizuführen. Dies ergibt sich erstens daraus, dass der Vorsitzende der 7. Kammer der Niederschrift vom 11.12.2008 zufolge Zweifel sowohl an der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 9.12.2005 als auch an der Verfahrensgegenständlichkeit des Bescheids vom 27.3.2007 äußerte und den von ihm formulierten Vergleich empfahl, um "jegliche prozessuale Risiken auszuschließen". Gemeint waren damit, wie die Verwendung des Terminus "jegliche" zeigt, nicht allein die Bedenken gegen die Zulässigkeit des Widerspruchs gegen den ursprünglichen Veranlagungsbescheid, sondern auch die Zweifel des damaligen Vorsitzenden, ob der weitere Veranlagungsbescheid Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Zweitens empfahl der Vorsitzende den Beteiligten laut Niederschrift ausdrücklich, die Entscheidung nach § 44 SGB X nach neuen, konkret näher beschriebenen Ermittlungen im Betrieb des Klägers zu treffen. Dies zeigt, dass nicht die Überprüfung der ersten, mittlerweile durch die Änderung überholten Veranlagung Gegenstand des Überprüfung sein sollte, sondern die materielle Rechtmäßigkeit der im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses maßgeblichen Veranlagung. Dies war aber die durch Bescheid vom 27.3.2007 geänderte und mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 bestätigte. Drittens entsprach allein eine solche Auslegung der Interessenlage der Verfahrensbeteiligten, welche an einer Überprüfung der erledigten Gefahrklassenveranlagung vom 9.12.2005 ersichtlich kein Bedürfnis mehr haben konnten. Viertens schließlich hätte sich die Beklagte zu einer isolierten Überprüfung allein des Bescheids vom 9.12.2005 im Zugunstenverfahren unter Außerachtlassung des späteren Änderungsbescheides vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 wohl schon aus Rechtsgründen überhaupt nicht verpflichten dürfen. § 44 SGB X ermächtigt (und verpflichtet unter bestimmten Umständen) die Behörde nämlich zur Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte. Zurückgenommen werden kann ein solcher Verwaltungsakt logisch aber nur, soweit er rechtlich noch Bestand hat. Spätere Bescheide, die ihn bereits ganz oder teilweise abändern oder ersetzen, müssen daher denkgesetzlich nach § 44 SGB X mit überprüft werden, so wie sie gem. § 86 SGG bzw. § 96 SGG zwingend Gegenstand von Widerspruchs- bzw. Klageverfahren würden und so wie Gegenstand einer Klage gem. § 95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Die genannten Vorschriften sichern die Einheitlichkeit der Entscheidung über einen identischen Streitgegenstand. Diesem Rechtsgedanken ist durch eine entsprechende Auslegung des § 44 SGB X Rechnung zu tragen, so dass Gegenstand des Zugunsten-Verfahrens stets nur der Verwaltungsakt in seiner im Zeitpunkt der Überprüfung maßgeblichen Fassung (einschließlich eventueller Änderungs- bzw. Widerspruchsbescheide) sein kann (ähnlich LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.1.2010, Az. 1 U 2697/09, (juris): Ein Bescheid nach § 48 SGB X wird Gegenstand eines bereits anhängigen Verfahrens nach § 44 SGB X über einen identischen Streitgegenstand). Da niemand annehmen konnte, dass die Beteiligten seinerzeit eine rechtswidrige, weil von § 44 SGB X nicht gedeckte, isolierte Überprüfung allein des im wesentlichen bereits erledigten Ausgangsbescheides vom 9.12.2005 herbeiführen wollten, konnte der Vergleich sich nur auf die Überprüfung der Gefahrklassenveranlagung in der zuletzt maßgeblichen Fassung insgesamt beziehen.
Diese Auslegung des Vergleichs sowie die hierfür dargelegten Auslegungsgesichtspunkte begründen zugleich, weshalb der Bescheid vom 9.2.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2009 entsprechend auszulegen ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte ihrem eigenen Vorbringen zufolge im Zugunstenverfahren nicht allein die erstmalige Veranlagung zu den Gefahrklassen, sondern auch die mit Bescheid vom 27.3.2007 erfolgte Änderung überprüft hat. Der hier angefochtene Bescheid ist mithin so zu verstehen, dass die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 9.12.2005 in der Fassung des Bescheids vom 27.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 ablehnt.
Diese Entscheidung ist rechtswidrig, da die Beklagte bei Erlass des mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007 bestätigten Bescheides vom 27.3.2007 das Recht unrichtig angewandt hat und daher dieser Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Ermächtigungsgrundlage für die Veranlagung von Unternehmen zu den Gefahrklassen ist § 159 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII). Danach veranlagt der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Bescheid vom 9.12.2005 Gebrauch gemacht. Dieser Bescheid war jedenfalls am 16.2.2007, als der Kläger hiergegen nach Auffassung der Beklagten Widerspruch erhob, wegen Ablaufs der Widerspruchsfrist für die Beteiligten bereits bindend geworden (§ 77 SGG). Gleichwohl hat die Beklagte diese Gefahrklassenveranlagung zu einem noch späteren Zeitpunkt, nämlich mit Bescheid vom 27.3.2007, zu Lasten des Klägers geändert. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Änderung der Veranlagung ist nach § 160 SGB VII zu beurteilen.
Absatz 1 dieser Vorschrift erlaubt die Aufhebung der Veranlagung für die Zukunft, wenn in dem Unternehmen Änderungen eingetreten sind, sich also die für die Vereinbarung maßgeblichen Verhältnisse nach Erlass des ursprünglichen Veranlagungsbescheids geändert haben. Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht behauptet. Abs. 2 a. a. O. regelt in Nr. 2 die rückwirkende Änderung der Gefahrklasse zugunsten des Unternehmens, ist also hier ebenfalls nicht einschlägig. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII setzt für eine rückwirkende Änderung voraus, dass die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist, weil die Unternehmer ihren Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sind oder ihre Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erkennbar, ebensowenig beruft sich die Beklagte auf ein solches Verschulden des Klägers. Somit verbleibt als mögliche Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 27.3.2007 allein § 160 Abs. 3 SGB VII. Danach wird "in allen übrigen Fällen" ein Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheides folgt, aufgehoben. Abgesehen davon, dass diese Ermächtigungsgrundlage keinesfalls die von der Beklagten mit Bescheid vom 27.3.2007 verfügte Änderung der Veranlagung für die Vergangenheit rechtfertigen könnte, ist zu beachten, dass § 160 Abs. 3 SGB VII nach der Rechtsprechung des BSG nur in Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung bindend gewordener Verwaltungsakte, also §§ 44 ff. SGB X, angewandt werden darf (BSG-Urt. v. 9.12.2003, Az. B 2 U 54/02 R, (juris)). Namentlich wenn die fehlerhafte Veranlagung des Unternehmens zu einer zu niedrigen Gefahrklasse nicht auf einen Verstoß des Unternehmens gegen seine Mitteilungspflicht zurückzuführen ist, sondern auf eine falsche Anwendung des Gefahrtarifs durch den Unfallversicherungsträger - ein solcher Fall soll hier nach Auffassung der Beklagten gegeben sein - ist die Rücknahme des früheren für das Unternehmen günstigeren Veranlagungsbescheides und der Erlass eines neuen ungünstigeren Veranlagungsbescheides nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 45 SGB X zulässig (BSG a. a. O.). Diese beinhalten insbesondere die Ausübung von Ermessen (§ 45 Abs. 1 SGB X, "darf"). Der Bescheid selbst muss erkennen lassen, dass sich der Unfallversicherungsträger bewusst war, einen Ermessensspielraum zu haben und die Gesichtspunkte zentraler Bedeutung aufzeigen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (Bayerisches LSG, Urt. v. 15.9.2004, Az. L 3 U 359/03, (juris)). Diesen Voraussetzungen genügen weder der Bescheid vom 27.3.2007 noch der Widerspruchsbescheid vom 18.4.2007. Beiden lässt sich bereits nicht einmal das Bewusstsein entnehmen, dass die Änderung einer bestandskräftigen Gefahrklassenveranlagung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist und der Ausübung von Ermessen bedarf. Die Beklagte vermeinte offenbar, zur Korrektur der Veranlagung nach Erkennen der Unrichtigkeit verpflichtet zu sein, also eine gebundene Entscheidung zu treffen. Es liegt somit ein Ermessensfehler in Form des sogenannten Ermessensnichtgebrauchs vor (vgl. Seewald, in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 69. EL 2011, SGB I, § 39 RNr. 10; Wagner in Juris-PK SGB I, 2005, § 39 RNr. 20).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine Nachholung der Ermessensausübung nach Maßgabe von § 41 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 SGB X hier nicht mehr in Betracht. Zwar ist nach diesen Vorschriften in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung die Nachholung der erforderlichen Begründung eines Verwaltungsakts bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens möglich. Erstens handelt es sich jedoch beim Ermessensnichtgebrauch wie hier nicht lediglich um einen Mangel der Ermessensbegründung, sondern bereits um einen solchen der Ermessensbetätigung. Eine Heilung nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist daher nach zutreffender Auffassung bereits tatbestandlich nicht möglich (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 41, Rnr. 11 a. E., m. w. N.). Vor allem aber handelt es sich bei dem in § 41 Abs. 2 SGB X genannten sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich um dasjenige, dessen unmittelbarer Verfahrensgegenstand der Bescheid mit dem zu heilenden Begründungsmangel ist, also das Verfahren über die darauf bezogene Anfechtungsklage. Dies war hier die Klage gegen den Bescheid vom 27.3.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2007 mit dem Az. S 7 U 2755/07, welches am 11.12.2008 abgeschlossen wurde.
Durch die Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 SGB X wird die Frist des § 41 Abs. 2 SGB X nicht erneut in Lauf gesetzt. Denn dies würde dazu führen, dass die zeitliche Begrenzung der Nachholbarkeit auf den Zeitraum bis zur letzten Tatsacheninstanz praktisch leerläuft. Die Behörde hätte es dann in der Hand, im Zeitraum zwischen dem Abschluss der letzten Tatsacheninstanz und der rechtskräftigen Erledigung der Sache (etwa noch während eines Revisionsverfahrens) von Amts wegen einen Bescheid nach § 44 SGB X zu erlassen (welcher seit der Änderung des § 96 SGG zum 1.1.2008 nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens wird, vgl. BSG-Beschl. v. 30.9.2009, Az. B 9 SB 19/09 SB, (juris)) und darin die Ermessensbegründung des ursprünglichen Bescheides nachzuholen. Eine Nachholung des hinsichtlich des Ursprungsbescheids auszuübenden Ermessens im Zugunstenverfahren kommt schließlich auch deshalb nicht in Betracht, weil § 44 SGB X lediglich zur vollständigen oder teilweisen Rücknahme des ursprünglichen Verwaltungsakts ermächtigt. Die Entscheidung im Zugunstenverfahren kann also nur in einer Bestätigung des ursprünglichen Verwaltungsakts oder dessen vollumfänglicher oder teilweiser Rücknahme bestehen. Zur Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern des Ursprungsbescheids i. S. v. § 41 Abs. 1 SGB X, etwa der Nachholung der diesbezüglichen Begründung, ermächtigt § 44 SGB X dagegen nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 161 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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