L 7 AS 563/09

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 4398/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 563/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren

Parallelentscheidung zum Urteil vom 03.08.2011 - L 7 R 16/09
I. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 3. August 2009 wird verworfen.

II. Der Beklagte hat den Kläger ihre außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren.

Dem Streit lag ursprünglich eine mehrfach geänderte vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit von Januar bis Juni 2008 an die Bedarfsgemeinschaft der Kläger und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Kläger) zugrunde. In dem auf den Widerspruch des Prozessbevollmächtigten vom 08.02.2008 erlassenen Abhilfebescheid vom 19.05.2008 bestimmte der Beklagte und Berufungskläger (im Folgenden: Beklagter), dass die den Klägern im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen auf Antrag erstattet würden, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Daraufhin reichte der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine Kostennote vom 28.05.2008 über 595,00 EUR mit der Bitte um Anweisung ein (Bl. 288 der Leistungsakte des Beklagten).

Mit Bescheid vom 05.6.2008 wurde die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für nicht notwendig erklärt; die Kosten, die mit der Beauftragung des Rechtsanwalt oder Bevollmächtigten entstanden seien, würden nicht übernommen. Den Widerspruch des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 17.06.2008 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2008 zurück.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger am Montag, den 01.09.2008, beim Sozialgericht Dresden Klage mit dem Antrag erhoben, den Beklagten in Abänderung des Bescheides vom 05.06.208 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2008 zu verpflichten, die Kosten des Widerspruchsverfahrens antragsgemäß zu erstatten. Auf Hinweis des Gerichts hat er beantragt, den Beklagten unter Abänderung der o.g. Bescheide zu verurteilen festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren betreffend den am 08.02.2008 eingelegten Widerspruch notwendig war.

Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht der Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.08.2009 stattgegeben, die Bescheide des Beklagten vom 19.05.2008 und 05.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2008 geändert und den Beklagten verpflichtet festzustellen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war. Gegen den Gerichtsbescheid sei die Berufung statthaft, weil sie nicht gesetzlich ausgeschlossen sei. § 144 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht einschlägig. Auch § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG sei nicht einschlägig. Streitgegenstand sei keine Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichtete Verwaltungsakt betreffe, sondern vielmehr die Kostengrundentscheidung, die unabhängig von der Höhe eventuell erstattungsfähiger Kosten sei. Solche Kosten könnten in diesem Verfahren auch nicht verifiziert werden, so dass eine Entscheidung, ob der Wert des Streitgegenstandes 750,00 EUR übersteige, schlechterdings nicht möglich sei.

Gegen den ihm am 06.08.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 02.09.2009 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er trägt nach Hinweis des Gerichts auf Zweifel an der Zulässigkeit vor, er halte die Feststellung des Sozialgerichts, dass im vorliegenden Verfahren die Berufung kraft Gesetzes zulässig sei, für zutreffend. Streitgegenstand sei lediglich die Kostengrundentscheidung, die unabhängig von der Höhe der (anschließend nach RVG) erstattungsfähigen Aufwendungen ergehe. Die Kostengrundentscheidung berücksichtige lediglich das Verhältnis des Obsiegens/des Unterliegens des Widerspruchsführers. Ein Beschwerdewert, wie er in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG geregelt sei, könne im Falle einer Kostengrundentscheidung nicht ermittelt werden. Nicht unter die Beschränkung fielen Verwaltungsentscheidungen, die eigenständige Bedeutung hätten und erst Grundlage für spätere Zahlungen darstellten. Die hier streitgegenständliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten als Annex zur eigentlichen Kostengrundentscheidung stelle keine Klage dar, bei der ein Beschwerdewert ermittelt werden könne.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 03.08.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann mit Zustimmung der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin und ohne mündlichen Verhandlung entscheiden (§§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist gemäß § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Insbesondere hat das Sozialgericht sie nicht im Gerichtsbescheid vom 03.08.2009 zugelassen. Vielmehr meint es, es bedürfe keiner Zulassungsentscheidung.

Dass die formularmäßige Rechtsmittelbelehrung die Berufung als zulässiges Rechtsmittel bezeichnet, genügt nicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/¬Keller/¬Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 RdNr. 40). Die Berufung ist daher nicht etwa deshalb statthaft, weil sie in der dem Gerichtsbescheid vom 03.08.2009 beigefügten Rechtsmittelbelehrung unzutreffend als zulässig angesprochen wurde, denn eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung begründet nicht die Statthaftigkeit eines ansonsten kraft Gesetzes unstatthaften Rechtsmittels (st. Rspr. des Senats; z.B. Beschluss vom 10.05.2011 – L 7 AS 113/11 B ER). So fordert auch das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung einen eindeutigen Ausspruch der Zulassung (vgl. Leitherer, a.a.O., § 144 RdNr. 39 m.w.N.).

Die Berufung ist allerdings – so auch das Sozialgericht – nicht gemäß § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen, weil es sich um Kosten des Verfahrens handelte. Denn davon sind keine Rechtstreitigkeiten erfasst, in denen – wie hier – in der Hauptsache um die Kosten "isolierter" Vorverfahren gestritten wird (vgl. Bundessozialgericht (BSG), z.B. Urteil vom 25.01.2011 – B 5 R 14/10 R, RdNr. 10 m.w.N., zitiert nach Juris).

Allerdings übersteigt hier der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht, so dass die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen ist. Nach jener Vorschrift in ihrer seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung bei einer Klage, die einen auf Geld oder Sachleistungen gerichteten Verwaltungsakt betrifft, der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt. Unbestritten betrifft der Rechtsstreit hier eine einmalige Leistung, also nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Das Begehren, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären, betrifft wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn damit sind nicht nur Bescheide gemeint, die eine Geldleistung bewilligen oder festsetzen, sondern auch Bescheide, die als Grundlage für die Entstehung eines solchen Anspruchs auf eine Geldleistung dienen (vgl. BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95, RdNr. 19, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, z.B. Urteil vom 16.12.1988 – 7 C 93/86). Eine nach Maßgabe des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu treffende Kostenentscheidung, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 63 Abs. 2 SGB X und die sich daran anschließende Kostenfestsetzung gemäß § 63 Abs. 3 SGB X bilden eine Einheit und die Beschränkung der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erfasst jede dieser Entscheidungen (vgl. LSG Bad.-Württ., Urteil vom 20.10.2010 – L 5 KA 5688/09, RdNr. 24; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2009 – L 10 AS 391/09 NZB, RdNr. 2). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung gehen einige Senate des Sächsischen Landessozialgerichts davon aus, dass die Berufung gegen Urteile und Gerichtsbescheide der Sozialgerichte betreffend die Kostenerstattung nach § 63 SGB X in sog. isolierten Vorverfahren jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Zulassungsentscheidung statthaft ist, wenn der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht ist (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 17.12.2009 – L 1 B 772/08 AL-NZB – und Beschluss vom 20.01.2011 – L 2 AS 541/10 NZB, beide nicht veröffentlicht).

Dieser Auffassung ist zu folgen. Der Umfang der Kostenerstattung für ein isoliertes Widerspruchsverfahren, dem hinsichtlich der Sachentscheidung kein gerichtliches Verfahren folgt, ist stets bestimmbar. Hier ist der Wert vom Prozessbevollmächtigten der Kläger in seiner Kostennote vom 28.05.2008 auch konkret beziffert worden. Zudem wird – da die Sachentscheidung mit der Abhilfe- bzw. Widerspruchsentscheidung feststeht – nur noch um die Kosten des Vorverfahrens gestritten, also im Grunde um eine Nebenfrage zu der ursprünglich materiell streitigen Frage. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die zwischen den Beteiligten nur noch streitige Kostengrundentscheidung ebenso wie die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eine Bevollmächtigten bzw. die Höhe der Kostenfestsetzung für ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren durch die Instanzen zulassungsfrei rechtsmittelfähig sein sollte, während die diesem Streit zugrundeliegenden materiell-rechtliche Frage je nach ihrem wirtschaftlichen Wert der Zulassungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG unterliegt. Daher ist richtigerweise auch bei allen Entscheidungen der Behörde nach § 63 SGB X deren wirtschaftlicher Wert für den Widerspruchsführer zu bestimmen. Ob die Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts über eine behördliche Entscheidung nach § 63 SGB X der Zulassung bedarf oder zulassungsfrei statthaft ist, richtet sich mithin nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, je nach dem, ob dieser Wert über oder unter 750,00 EUR liegt. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Kostenrechnung des Bevollmächtigten der Kläger in Höhe von 595,00 EUR vor. Damit ist der Beschwerdewert von 750,00 EUR unterschritten. In genau dieser Höhe bestimmt sich der wirtschaftliche Wert der Kostenentscheidung nach § 63 Abs. 2 SGB X für die Kläger. Mehr haben sie nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

Wagner Richterin am LSG
Rechtskraft
Aus
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