S 4 (4,17) R 18/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 (4,17) R 18/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Beklagte wird in Abänderung ihres Bescheides vom 09.07.2008 und unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2009 verpflichtet, dem Kläger ab 01.10.2008 Altersrente unter Berücksichtigung des tatsächlich im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 erzielten Arbeitsentgelts von 15.013,00 EUR zu zahlen. 2.Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Anspruch auf einen höheren Zahlbetrag der Altersrente unter Zugrundelegung des tatsächlich im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 erzielten Arbeitsentgelts in Höhe von (i.H.v.) 15.013,00 EUR besteht.

Der 1943 geborene Kläger hatte mit seinem Arbeitgeber am 30.06.2003 eine Altersteilzeitregelung vereinbart, wonach die Freistellungsphase ab dem 01.04.2006 begann und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Freistellungsphase zum 30.09.2008 endete. Am 19.05.2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Regelaltersrente. Als voraussichtlicher Rentenbeginn wurde der 01.10.2008 benannt. Der Kläger unterschrieb mit Antragstellung folgende, von der Beklagten vorformulierte Erklärung (zukünftig "Einwilligungserklärung" genannt):

"Ich willige ein, dass der Rentenversicherungsträger zur Beschleunigung des Rentenverfahrens - frühestens drei Monate vor Rentenbeginn eine Meldung der beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume von der zuständigen Stelle (z. B. Arbeitgeber [ ...]) anfordert, - für den weiteren Zeitraum ggf. bis zum Rentenbeginn die entsprechenden voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen (maximal für 3 Monate) hochrechnet und - diese der Rentenberechnung zugrunde legt. Sollten die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen von den hochgerechneten Beträgen abweichen, können diese erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden."

Die Beklagte nahm auf Grundlage der vorliegenden Verdienstunterlagen eine Hochrechnung für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008, mithin für die letzten drei Monate vor (beantragtem) Rentenbeginn, vor. In der Folge ging die Beklagte zunächst von beitragspflichtigen Einnahmen im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 i.H.v. 10.895,00 EUR, später i.H.v. 10.865,00 EUR aus. Die Berechnungen der Beklagten ergaben auch auf Grundlage dieser Hochrechnung, dass dem Kläger ab 01.10.2008 eine monatliche Rente i.H.v. 1.366,22 EUR zuzusprechen sei. In vorgenannter Höhe wurde dem Kläger mit Bescheid vom 09.07.2008 eine Altersrente ab 01.10.2008 bewilligt. Am 08.10.2008 stellte der Kläger einen Antrag auf Neuberechnung der Altersrente. Statt der hochgerechneten Entgelthöhe von 10.865,00 EUR für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 sei in diesem Zeitraum ein tatsächliches Entgelt i.H.v. 15.013,00 EUR gezahlt worden. Beigelegt war dem Antrag des Klägers auf Neuberechnung der Altersrente eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung des Arbeitgebers, welche am 22.09.2008 übermittelt worden war und einen Entgeltbetrag i.H.v. 15.013,00 EUR für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 ausweist. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers auf Neuberechnung der Altersrente mit Bescheid vom 29.10.2008 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger sich mit seinem Antrag vom 19.05.2008 für eine frühzeitige Rentenbewilligung entschieden und der dreimonatigen Hochrechnung auf Grundlage der letzten zwölf Kalendermonate zugestimmt habe. Zudem sei die Regelung des § 70 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zu beachten, deren Satz 2 lautet:

"Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht."

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2009 zurück.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage, die er am 02.02.2009 erhoben hat. Zur Begründung nimmt der Kläger auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug und führt aus, dass das verfassungsrechtliche Äquivalenzprinzip beachtet werden müsse. Zudem sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 123 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zu beachten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 09.07.2008 und unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2009 zu verpflichten, ihm ab 01.10.2008 Altersrente unter Berücksichtigung des tatsächlich im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 erzielten Arbeitsentgelts von 15.013,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, dass durch die Regelung des § 70 Abs. 4 SGB VI die Rentenversicherungsträger davor geschützt werden sollten, Rentenneufeststellungen auf der Grundlage eines von der Hochrechnung abweichenden tatsächlichen Arbeitsentgelts vornehmen zu müssen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dem Kläger Altersrente in der Höhe zu gewähren, die sich unter Zugrundelegung des im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 tatsächlich erzielten Entgelts ergibt. Soweit der Bescheid vom 09.07.2008 davon abweichend für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 niedrigere, hochgerechnete beitragspflichtige Einnahmen zugrunde legt, ist er rechtswidrig und abzuändern. Der nachfolgende, den Bescheid vom 09.07.2008 bestätigende Bescheid vom 29.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2009 ist rechtswidrig und wird aufgehoben.

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Anpassung der Rentenhöhe ist vorliegend § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), nicht dagegen § 44 SGB X (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.11.1995, Az: 4 RA 48/93 [= BSGE 77, S. 77]). Dies erklärt sich daraus, dass der Rentenbewilligungsbescheid vom 09.07.2008 bei Zugrundelegung der zutreffend ausgeführten Hochrechnung ursprünglich richtig war und das tatsächliche Entgelt für den hochgerechneten Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 erst nach Bescheiderlass zugeflossen bzw. ein Anspruch insoweit entstanden ist. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die auch als wesentlich anzusehen ist und sich zugunsten des Klägers auswirkt, ist dokumentiert durch Übermittlung der Meldebescheinigung zur Sozialversicherung des Arbeitgebers am 22.09.2008. Demnach ist das Entgelt für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 nicht mit 10.865,00 EUR, sondern mit 15.013,00 EUR zu beziffern. Dies hat gem. §§ 63 ff. SGB VI Auswirkung auf die Rentenhöhe.

Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird gem. § 63 Abs. 2 S. 1 SGB VI in Entgeltpunkte umgerechnet. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gem. § 64 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

Dem Anspruch auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Entgelts steht § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI nicht rechtsvernichtend entgegen. Weiter steht dem Anspruch auch nicht die Einwilligungserklärung des Klägers entgegen. Insbesondere kann in der Einwilligungserklärung des Klägers kein Verzicht i.S.d. § 46 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Entgelts gesehen werden.

Dem Anspruch auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielen Entgelts steht § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI nicht rechtsvernichtend entgegen (siehe dazu BSG, Urteil vom 16.11.1995, Az: 4 RA 48/93 [= BSGE 77, S. 77]; ergangen zu § 123 AVG; siehe aber auch zur vorherigen Rechtsprechung BSG, Urteil vom 19.10.1977, Az: 4 RJ 151/76 [= BSGE 45, S. 72]). Zu diesem Ergebnis führt die Auslegung der Norm, die von dem Wortlaut der Norm auszugehen hat, allerdings keinesfalls auf die Wortlautauslegung (grammatikalische Auslegung) beschränkt oder in ihrem Ergebnis durch diese vorgegeben ist.

Der Wortlaut des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI, wonach außer Betracht zu bleiben habe, wenn die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme abweiche, ist eindeutig gefasst und spricht dafür, in § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI eine rechtsvernichtende Einwendung zu sehen, mithin allein das hochgerechnete Entgelt als maßgeblich zu betrachten. Gegen dieses Ergebnis sprechen aber die historische, teleologische und insbesondere die systematische Auslegung, die der grammatikalischen Auslegung vorgeht.

Der systematischen Auslegung gebührt der Vorrang, auch gegenüber der grammatikalischen Auslegung. Zwar wird die Ansicht vertreten, dass der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn nicht nur den Ausgangspunkt, sondern zugleich die Grenze der Auslegung bilde, da das, was jenseits des möglichen Wortsinns liege und mit ihm auch bei weitester Auslegung nicht mehr vereinbar sei, nicht als Inhalt des Gesetzes gelten könne (vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1999, S. 163 f.; siehe auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 182). Allerdings ist festzuhalten, dass die Sprache ein oftmals mehrdeutiges und unsicheres Transportmittel für den von der Gesetzgebung gewollten Gebotsinhalt ist und sich ein übertriebener Buchstabengehorsam trotz der großen Bedeutung des Wortlauts als Irrweg darstellen würde (so zu Recht Rüthers, Rechtstheorie, 4. Auflage 2008, Rn. 729, 731 ff., 743). Wegen des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung gebührt im Falle der Kollision zwischen mehreren Auslegungskriterien der systematischen Auslegung der Vorrang (vgl. Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 179; siehe auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auflage 1991, S. 565). Jedenfalls ist auch die systematische Interpretation stets heranzuziehen, weil keine Vorschrift für sich alleine steht und trotz scheinbar eindeutigen Wortlauts den Gebotsgehalten später erlassener oder höherrangiger Rechtsvorschriften widersprechen könnte (Rüthers, Rechtstheorie, 4. Auflage 2008, Rn. 731 ff., 743). Unter der systematischen Auslegung ist hierbei auch die verfassungskonforme Auslegung zu fassen (Rüthers, Rechtstheorie, 4. Auflage 2008, Rn. 767, 763; Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1966, S. 25 f.).

Die verfassungskonforme Auslegung führt - wie die historische und teleologische Auslegung auch - zu dem Ergebnis, dass entgegen dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI auf das tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen ist. Einführend ist hier zunächst festzuhalten, dass ursprünglich § 123 AVG und auch § 1401 Reichsversicherungsordnung (RVO) ein beschleunigtes Rentenfeststellungsverfahren sichern sollten. Am 01.01.1992 trat mit selbiger Zielrichtung die Nachfolgenorm des § 194 SGB VI a.F. in Kraft, die bis zum 31.12.2007 eine Entgeltvorausbescheinigung des jeweiligen Arbeitgebers für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses einforderte, was eine hohe Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung des tatsächlichen mit dem hochgerechneten Entgelt garantierte. Seit dem 01.01.2008 sind die §§ 194, 70 Abs. 4 SGB VI in der derzeit gültigen Fassung in Kraft. Grundlage für diese Gesetzesänderung war das "Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft" vom 07.09.2007. Gemäß § 194 Abs. 1 S. 3 SGB VI erfolgt für die letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses keine Hochrechnung des Arbeitgebers mehr, stattdessen erfolgt eine Hochrechnung durch den jeweiligen Rentenversicherungsträger auf Grundlage vorangegangener Lohnabrechnungen, was lediglich zu Näherungswerten führen kann. Wenn man nun im Rahmen der historischen und auch teleologischen Auslegung die Gesetzesbegründung zu § 123 AVG (BT-Drucks. 566/71), zu § 194 SGB VI a.F. (BT-Drucks. 11/4124) und zu §§ 194, 70 Abs. 4 SGB VI n.F. (BT-Drucks. 16/4391) betrachtet, so fällt auf, dass entgegen der Ansicht der Beklagten niemals der Zweck der (jeweils gültigen) Gesetzesnorm sein sollte, Rentenversicherungsträger zu schützen, etwa vor Neubescheidungen und Überlastung. Vielmehr sollte durch die Einführung des § 123 AVG beginnend das Verwaltungsverfahren beschleunigt und eine frühzeitige Antragstellung ermöglicht werden. Durch §§ 194, 70 Abs. 4 SGB VI n.F. sollten (allein) die Arbeitgeber entlastet werden. Insbesondere steht dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI aber die vorrangige systematische und hierbei die verfassungskonforme Auslegung entgegen. Die Regelung des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI wäre wörtlich verstanden nicht mit Art. 14 Grundgesetz (GG) - vom Kläger offensichtlich mit "verfassungsrechtlichem Äquivalenzprinzip" gemeint - und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Aus Art. 14 GG folgend steht dem Kläger die Altersrente, errechnet auf der Grundlage seiner nachweislichen tatsächlichen Arbeitsentgelte, zu (zu den nachfolgenden Ausführungen siehe nahezu wortgleich SG Augsburg, Urteil vom 30.04.2009, Az: S 3 R 4375/08; siehe auch LSG Bayern, Urteil vom 13.08.2008, Az: L 13 R 58/08 [= NZS 2009, S. 630], ergangen zu § 70 Abs. 4 SGB VI a.F. Anzumerken ist, dass sich die Ausführungen in den genannten Entscheidungen zu einem noch nicht bestandskräftigen Bescheid gem. § 77 Sozialgerichtsgesetz [SGG] verhalten). Es entspricht allgemeiner Auffassung und ständiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung, dass nicht nur Versichertenrenten, sondern auch Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung dem Schutz des Art. 14 GG unterliegen (vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 28.02.1980, Az: 1 BvL 17/77 u.a. [= BVerfGE 53, S. 257]). Zwar billigt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken (hierzu Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Allerdings, so das Gericht, "verengt sich seine Gestaltungsfreiheit in dem Maße, in dem Rentenansprüche oder Rentenanwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistung des Versicherten geprägt sind". Die Eigentumsposition ist umso verstärkter, je mehr "ihr Umfang durch die persönliche Arbeitsleistung des Versicherten mitbestimmt wird, wie dies vor allem in den einkommensbezogenen Beitragsleistungen Ausdruck findet. Die Berechtigung des Inhabers steht also im Zusammenhang mit einer eigenen Leistung, die als besonderer Schutzgrund für die Eigentümerposition anerkannt ist (vgl. BVerfGE 1, 264 (277 f); 14, 288 (293); 22, 241 (253); 24, 220 (226)). Je höher der einem Anspruch zugrunde liegende Anteil eigener Leistung ist, desto stärker tritt der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumsschutzes hervor." Die Rechtsauffassung der Beklagten zu § 70 Abs. 4 SGB VI n.F. wäre nur dann zutreffend, wenn der Gesetzgeber damit eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung der eigentumsrechtlichen Position des Klägers hinsichtlich seiner verfassungsrechtlich geschützten Rentenanwartschaften getroffen hätte. Das Bundesverfassungsgericht hat dies (a.a.O.) für zulässig erachtet, "sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht". Ungeachtet dieser Zulässigkeitsfrage mangelt es vorliegend schon an der Absicht des Gesetzgebers, mit § 70 Abs. 4 SGB VI in die eigentumsrechtlichen Positionen der Versicherten im Sinne einer verfassungsrechtlich zulässigen Leistungskürzung eingreifen zu wollen. Im Gegenteil: Mit dem Regelungskomplex der §§ 194, 70 Abs. 4 SGB VI sollte - wie bereits ausgeführt - die Rechtspositionen der Versicherten im Sinne eines beschleunigten Verwaltungsverfahrens sowie der Sicherstellung eines nahtlosen wirtschaftlichen Übergangs vom Erwerbs- in das Rentnerleben gestärkt werden. Eine Verkürzung der Versichertenrechte war erkennbar nicht beabsichtigt. § 70 Abs. 4 SGB VI steht der Korrektur eines bereits erlassenden Rentenbewilligungsbescheids mit dem Ergebnis einer Rentengewährung in der Höhe, wie sie sich aus den Beiträgen gemäß dem tatsächlichen Arbeitsentgelt ergibt und wie sie jeder Versicherte aus Art. 14 GG verlangen kann, nicht entgegen. Dies wird im Übrigen auch einfachgesetzlich dadurch deutlich, dass § 64 SGB VI im Rahmen der Rentenberechnung für die Bestimmung der persönlichen Entgeltpunkte auf den Wert "bei Rentenbeginn" abstellt. Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ist die Norm des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass dem Kläger eine auf der Grundlage seiner nachweislichen tatsächlichen Arbeitsentgelte errechnete Altersrente zusteht. Ohne eine Angleichung wäre der Kläger ohne sachlichen Grund gegenüber der Gruppe der Rentner benachteiligt, bei denen die Rente nicht hochgerechnet wird, etwa weil sie nicht frühzeitig - also anders als vom Gesetzgeber gewollt - einen Rentenantrag stellen (ähnlich auch LSG Bayern, Urteil vom 13.08.2008, Az: L 13 R 58/08 [= NZS 2009, S. 630], ergangen zu § 70 Abs. 4 SGB VI a.F.).

Dem Anspruch auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielen Entgelts steht schließlich auch nicht die Einwilligungserklärung des Klägers entgegen. Insbesondere kann in der Einwilligungserklärung des Klägers kein Verzicht i.S.d. § 46 SGB I auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Entgelts gesehen werden.

Aus der Einwilligungserklärung des Klägers vom 19.05.2008 lässt sich genauso wenig wie aus anderem Verhalten des Klägers ein Verzicht gem. § 46 SGB I herauslesen, zumal sich ein Verzicht lediglich auf "Ansprüche auf Sozialleistungen" erstrecken und gem. § 46 Abs. 1, 2. Hs. SGB I jederzeit widerrufen werden kann, womit er jedenfalls bei Antrag auf Neuberechnung am 08.10.2008 durch den Kläger widerrufen worden wäre. Hinsichtlich des Wortlauts der Einwilligungserklärung ist anzumerken, dass dieser schon keinen Verzicht - oder eine sonstige Einwendung - auf Zugrundelegung des tatsächlich erzielen Entgelts zum Ausdruck bringt, sondern im Gegenteil vielmehr eine Korrektur der (auch) auf einer Hochrechnung basierenden Rentenzahlung in Aussicht stellt oder zumindest nicht ausschließt ("Sollten die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen von den hochgerechneten Beträgen abweichen, können diese erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden."). Folge dessen ist, dass selbst bei Geltung des § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI verstanden im wörtlichen Sinne ein Anfechtungsrecht entsprechend § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und insbesondere ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sind. Ausweislich des Rundschreibens des Geschäftsbereichs Rechts- und Fachfragen der DRV Bund vom 07.10.2009 geht auch die Fachabteilung der Beklagten selbst in diesem Fall von dem Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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