Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 R 631/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 304/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 38/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 22. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz mit den dabei erzielten Entgelten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.
Der am ... 1946 geborene Kläger war nach der Urkunde der Ingenieurschule für Schwermaschinenbau R. vom 1975 berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur zu führen. Er war danach als Kontrollingenieur im VEB Geräte- und Reglerwerke Teltow - Betriebsteil Leipzig und ab dem 1. Januar 1977 als Schweißingenieur im VEB Wärmeanlagenbau Deutsch-Sowjetische-Freundschaft - Betriebsteil Leipzig tätig. Ab dem 1. November 1979 arbeitete er bis zum 30. Mai 1983 ebenfalls als Schweißingenieur im VEB Starkstrom-Anlagenbau Leipzig-Halle - Stammbetrieb des VEB Kombinats Elektroenergieanlagenbau. Ab dem 31. Mai 1983 bis zum 30. Juni 1990 war er Objektleiter im VEB Generalauftragnehmer (GAN) Elektroinvest J ... Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung entrichtete er ab dem 1. Juli 1976. Eine schriftliche Versorgungszusage über eine Zusatzversorgung erhielt er in der DDR nicht.
Einen Antrag des Klägers auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2004 ab. Am 7. März 2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Diesen Antrag wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und lehnte ihn mit Bescheid vom 5. Juli 2006 ab. Die betriebliche Voraussetzung sei nicht erfüllt. Hiergegen legte der Kläger am 12. Juli 2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2007 zurückwies.
Daraufhin hat der Kläger am 25. Juli 2007 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und u.a. ausgeführt, der VEB GAN Elektroinvest J. sei den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen. Aus der Betriebschronik lasse sich zudem ableiten, dass er industriell Sachgüter oder Bauwerke gefertigt habe. Das SG hat den Beteiligten eine Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. Juni 2007 übersandt, wonach der VEB GAN Elektroinvest J. nicht die betriebliche Voraussetzung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfüllt (Urteil vom 25. Juni 2007 – L 6 R 1003/06 – juris). Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die betriebliche Voraussetzung sei nicht erfüllt.
Gegen den am 5. August 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. September 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und u.a. vorgetragen, der VEB GAN Elektroinvest J. sei bis 1974/75 eine Vereinigung volkseigener Betriebe gewesen und damit den produzierenden Betrieben gleichgestellt gewesen. Andere Kollegen hätten eine Zusage von der Beklagten erhalten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 22. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2006 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2007 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 21. Dezember 2004 aufzuheben und die Zeit vom 29. Januar 1975 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz mit den entsprechenden Entgelten festzustellen.
Die Beklagte verteidigt ihre Verwaltungsentscheidung und beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 22. Juli 2009 zurückzuweisen.
Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist unbegründet, weil die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage deshalb zu Recht abgewiesen.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 21. Dezember 2004 weder das Recht unrichtig angewendet noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVItech, Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 11).
Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.
Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).
I.
Der Senat ist zum einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12; nunmehr BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22, 23). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das Bundessozialgericht wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom Bundessozialgericht vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R – juris, Rdnr. 19).
Die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hat sich am Wortlaut, dem Sinn und Zweck, der Entstehungsgeschichte und der Systematik zu orientieren (siehe zu den Auslegungskriterien z. B. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1999 – 1 BvL 25/97 – juris). Zwar mag man bei alleiniger Anknüpfung an den Wortlaut wegen des verwendeten Begriffs "Zugehörigkeit" zu einem Verständnis der Norm gelangen können, welches nicht allein auf die tatsächliche Einbeziehung abstellt. Bei Berücksichtigung der weiteren Auslegungskriterien verbietet sich dieses Ergebnis aber.
Bereits nach der Auffassung des früheren 4. Senats des BSG waren dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG nur zwei Tatbestände zu entnehmen, die zu einer Anwendbarkeit des AAÜG führen. Entweder war der Betreffende tatsächlich Inhaber einer Versorgungsanwartschaft oder er hatte diese durch Ausscheiden vor dem Leistungsfall wieder verloren (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – juris, Rdnr. 17, 16; davon abweichend begründet nunmehr der 5. Senat die fiktive Einbeziehung bereits mit dem Wortlaut, siehe BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 23, 24, 27).
In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).
Es trifft auch nicht zu, dass bereits durch den EVertr das Neueinbeziehungsverbot modifiziert worden ist (so aber BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22). In Art. 17 EVertr wurde die Absicht bekräftigt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Personen, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind, rehabilitieren zu können. Hier ist schon fraglich, ob einer bloßen Absichtserklärung überhaupt ein Regelungsinhalt entnommen werden kann. Darüber hinaus ist dem Wortlaut von Art. 17 EVertr nicht zu entnehmen, wie die Rehabilitierung im Einzelfall erfolgen sollte und insbesondere auch nicht, dass diese unter Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbotes durch Einbeziehung in ein Versorgungssystem möglich sein sollte. Dementsprechend ergeben sich aus dem Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (RehabG, GBl. I S. 1459) Hinweise, dass das Neueinbeziehungsverbot auch bei Rehabilitierungsmaßnahmen zu berücksichtigen war (zur Heranziehung des RehabG zum Verständnis des Art. 17 EVertr siehe Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Januar 1999 – 3 C 5/98 – juris, dort Rdnr. 21). Nach § 9 Nr. 2 RehabG waren nämlich Zeiten des Freiheitsentzuges bei einem Rehabilitierten nur dann als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem anzurechnen, wenn er vor Beginn des Freiheitsentzuges dem Zusatzversorgungssystem angehörte. Es geht also nicht um eine Neueinbeziehung, sondern um die Feststellung weiterer Zeiten, vergleichbar der Regelung des § 5 Abs. 2 AAÜG. Auch dem Wortlaut von Art. 19 Satz 2 EVertr ist eine Modifizierung des Neueinbeziehungsverbots nicht zu entnehmen. Darüber hinaus behandelt er, soweit danach untergegangene Versorgungszusagen wieder aufleben können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – a.a.O.), keine Fälle der Neu-, sondern der Wiedereinbeziehung. Art. 17 EVertr und Art. 19 EVertr lassen damit nur Schlussfolgerungen für die Fälle zu, in denen bereits, im Gegensatz zu der fiktiven Einbeziehung nach der Rechtsprechung des BSG, eine durch Zusage oder dergleichen dokumentierte Beziehung zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem vorlag.
Den Senat überzeugt nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a.a.O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".
Der Gesetzgeber ging auch nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.
Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009).
Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – juris, Rdnr. 36).
Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.
Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.
Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a.a.O., Rdnr. 45):
"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."
Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.
II.
Nach der Rechtsprechung des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. I S. 487, 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für
Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.
Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt ist. Eine Versorgungsanwartschaft konnte nur bei einer Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb in der Industrie oder im Bauwesen oder in einem gleichgestellten Betrieb erworben werden (BSG, Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 10/02 R – SozR 3–8570 § 1 Nr. 5, S. 30). Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nach der Rechtsprechung des BSG nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 47; Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – juris). Das BSG setzt industriell und serienmäßig wiederkehrend ausdrücklich gleich (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 14/03 R – juris, dort Rdnr. 28). Schließlich muss die industrielle Serienproduktion dem Betrieb das Gepräge gegeben haben.
Bei dem VEB GAN Elektroinvest J. handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens, sondern um einen sogenannten Projektierungsbetrieb. Anhaltspunkte dafür, dass der Hauptzweck des VEB GAN Elektroinvest J. die Massenproduktion von Bauwerken war, ergeben sich nicht. Soweit der Betrieb sich zur Durchführung seiner Aufgaben anderer (vertraglich gebundener) Betriebe bediente, ist dies nicht erheblich. Der Hauptzweck des VEB GAN Elektroinvest J. als Generalaufragnehmer änderte sich hierdurch nicht (Thüringer LSG, a.a.O.). Soweit der Beschäftigungsbetrieb den Betriebszweck der Projektierung von Bauinvestitionen verfolgte, handelte es sich nicht um eine Tätigkeit, deren Schwerpunkte auf der industriellen Fertigung, Fabrikation, Herstellung oder Produktion von Sachgütern lag (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – juris). Der "Massenausstoß standardisierter Produkte" im Bereich des Bauwesens und nicht das Erbringen von Bauleistungen jeglicher Art war für die Einbeziehung in das Versorgungssystem von maßgeblicher Bedeutung (BSG. a.a.O.). Der VEB GAN Elektroinvest J. errichtete und rekonstruierte für die Investitionsauftraggeber der Kombinate und Betriebe im Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik komplette nutzungsfähige Produktionsstrecken, technologische Anlagen, Gebäude und bauliche Anlagen als Finalprodukte (§ 3 Ziff. 1 des Statuts vom 28. Dezember 1984). Die Verantwortung des Betriebes erstreckte sich hiernach auf die
Mitwirkung an der Erarbeitung der volkswirtschaftlichen Aufgabenstellung
Mitarbeit an der Vorbereitung der Grundsatzentscheidung durch Abgabe von verbindlichen Angeboten
Koordinierung der Ausführungsprojekte
Herstellung bzw. Errichtung
Erprobung und
Abnahme und Übergabe
von Investitionsvorhaben, Teilvorhaben und Objekten. Der Betrieb hatte danach die komplexe Aufgabe der Projektierung, Organisation, Leitung und Überwachung der Realisierung von Projekten. Es handelte sich um Einzelprojekte, die individuell auf die Bedürfnisse der Auftraggeber zugeschnitten waren. Sein Betriebszweck war damit nicht die Massenproduktion von Industriegütern oder Bauwerken, sondern die Projektierung größerer Projekte. Dies ergibt sich auch aus dem Kommentar zum Gesetz des Vertragssystems in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. März 1982, § 65 Nr. 2, S. 212 (hrsg. v. Staatlichen Vertragsgericht beim Ministerrat der DDR, Berlin 1989). Hiernach umfasste der Leistungsumfang eines GAN alle Leistungen, die in Übereinstimmung mit der Nomenklatur für die Errichtung oder Rekonstruktion kompletter nutzungsfähiger Produktionsstätten, Anlagen, Umbauwerke oder von Wohnkomplexen als Finalprodukte erforderlich waren. Weiterhin oblag dem GAN die Verantwortung für Forschung und Entwicklung, die Mitwirkung an der Ausarbeitung einer qualifizierten Aufgabenstellung, die Abgabe verbindlicher Angebote sowie Leitung, Koordinierung und Kontrolle der Durchführung des Investitionsvorhabens einschließlich des Probebetriebes bzw. des Leistungsnachweises.
Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den Jahresgeschäftsbericht für das Jahr 1989 des VEB GAN Elektroinvest J. vom 20. Februar 1990, in dem über die genannten Tätigkeitsfelder berichtet wird. Unter Ziff. 2 wird zunächst die Vertrags-, Bilanz- und Preisarbeit des Betriebs dargestellt, wonach u.a. Preisvorschläge und Angebote erarbeitet oder geprüft und eine Investitionsaufwandsreduzierung erreicht wurde. Unter Ziff. 3 werden die Ergebnisse der Investitionsvorbereitungs- und Projektierungsaufgaben sowie unter Ziff. 4 die Ergebnisse der materiellen und finanziellen Leistungen der Investitionsdurchführung mitgeteilt. Hieraus wird deutlich, dass auch der VEB GAN Elektroinvest J. im Sinne der zitierten Definition eines GAN gearbeitet hat. Aus dem Gesellschaftsvertrag der Nachfolgegesellschaft, der Elektroinvest J. GmbH vom 29. Juni 1990 geht ebenfalls hervor, dass das Unternehmen den Betriebszweck einer Projektierungsgesellschaft verfolgte. Hiernach war Gegenstand des Unternehmens die Erarbeitung von Angeboten und Projekten, die Lieferung, Montage, Inbetriebnahme von kompletten Industrieanlagen, Teilanlagen, Produktionsstätten im Bereich Elektrotechnik/Elektronik, Umweltschutz, Fahrzeugindustrie und territoriale Rekonstruktion und Rationalisierung sowie die kundenspezifische Beratung zur Vorbereitung der Investitionsentscheidung (§ 2 Ziff. 1 des Gesellschaftsvertrags).
Der VEB GAN Elektroinvest J. war am 30. Juni 1990 auch kein den Produktionsbetrieben gem. § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellter Betrieb im Sinne eines Konstruktionsbüros. Denn die Konstruktion hatte allenfalls eine untergeordnete Bedeutung. Im Mittelpunkt stand die Projektierung großer Projekte. Es ging um die Erstellung eines Gesamtkonzepts als Generalauftragnehmer und Generallieferant für komplette Anlagen.
Ein Projektierungsbetrieb erfüllt allgemein nicht die Voraussetzungen eines Konstruktionsbüros. Im Ökonomischen Lexikon der DDR (Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1967) wird als Konstruktionsbüro eine Einrichtung bezeichnet, die die Aufgabe hat, im Prozess der technischen Vorbereitung der Produktion die konstruktive Gestaltung der Erzeugnisse auszuarbeiten, die Konstruktionszeichnungen anzufertigen, die Materialstücklisten aufzustellen und die Funktion der Neukonstruktion zu erproben. Unter Projektierung versteht man dagegen nach den Eintragungen im Ökonomischen Lexikon alle Leistungen, die von einem Projektierungsbetrieb oder einer Einrichtung für die Investitionstätigkeit erbracht wurden (Ausarbeitung von Aufgabenstellungen und Projekten, Koordinierung von kooperierten Projektierungsleistungen, Ausarbeitung von Studien und Varianten bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung von Investitionen). Diese Aufgabe ist nicht auf technische Inhalte beschränkt, sondern schließt die wirtschaftliche Entscheidungsvorbereitung mit ein. Komplexe Projektierungen umfassten zudem sogar die städtebauliche und architektonische Gestaltung einschließlich Verkehrsführung, Grünanlagen und Erarbeitung eines Bestands- und Vermessungsplanes mit Angaben über die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken (vgl. Anordnung über die Durchführung komplexer Projektierungen vom 8. Dezember 1955, GBl. 1955, S. 989). Die Unterschiedlichkeit von Konstruktion und Projektierung folgt auch unmittelbar aus der Anordnung über die allgemeinen Bedingungen für Entwurfs- und Konstruktionsleistungen vom 1. Februar 1958 (GBl. II S. 14). In § 2 der Anlage 1 zu dieser Verordnung werden Konstruktionsleistungen von Projektierungen ausdrücklich unterschieden und gegenüber bautechnischen Projektierungen sogar unterschiedlich behandelt. Hieraus folgt, dass der Begriff der Projektierung nicht nur weiter ist als der der Konstruktion, sondern diese als anderer Begriff nur als notwendige Unterfunktion einer übergeordneten Aufgabe umfasst (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 23 f.).
Der VEB GAN Elektroinvest J. war am 30. Juni 1990 auch keine Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) i.S.d. § 1 Abs. 2 der 2. DB. Bereits nach dem Vortrag des Klägers existierte diese nur bis 1974/75, also nicht am entscheidenden Stichtag. Am 30. Juni 1990 war der VEB GAN Elektroinvest J. ein rechtlich selbständiger volkseigener Betrieb.
Die Entscheidung wird auch nicht dadurch zugunsten des Klägers beeinflusst, dass die Beklagte möglicherweise in gleichgelagerten Fällen Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festgestellt hat. Darauf kann sich der Kläger selbst bei gleicher Sachlage nicht berufen. Denn auf eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung kann ein Dritter wegen der vorrangigen Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG) kein schutzwürdiges Vertrauen in dem Sinne gründen, dass bei gleicher Sachlage wiederum in gleicher (rechtswidriger) Weise entschieden werden müsste. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt die Rechtsordnung nicht (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77 – BVerfGE 50, 142, 166).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe i. S. von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz mit den dabei erzielten Entgelten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.
Der am ... 1946 geborene Kläger war nach der Urkunde der Ingenieurschule für Schwermaschinenbau R. vom 1975 berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur zu führen. Er war danach als Kontrollingenieur im VEB Geräte- und Reglerwerke Teltow - Betriebsteil Leipzig und ab dem 1. Januar 1977 als Schweißingenieur im VEB Wärmeanlagenbau Deutsch-Sowjetische-Freundschaft - Betriebsteil Leipzig tätig. Ab dem 1. November 1979 arbeitete er bis zum 30. Mai 1983 ebenfalls als Schweißingenieur im VEB Starkstrom-Anlagenbau Leipzig-Halle - Stammbetrieb des VEB Kombinats Elektroenergieanlagenbau. Ab dem 31. Mai 1983 bis zum 30. Juni 1990 war er Objektleiter im VEB Generalauftragnehmer (GAN) Elektroinvest J ... Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung entrichtete er ab dem 1. Juli 1976. Eine schriftliche Versorgungszusage über eine Zusatzversorgung erhielt er in der DDR nicht.
Einen Antrag des Klägers auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2004 ab. Am 7. März 2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Diesen Antrag wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und lehnte ihn mit Bescheid vom 5. Juli 2006 ab. Die betriebliche Voraussetzung sei nicht erfüllt. Hiergegen legte der Kläger am 12. Juli 2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2007 zurückwies.
Daraufhin hat der Kläger am 25. Juli 2007 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und u.a. ausgeführt, der VEB GAN Elektroinvest J. sei den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt gewesen. Aus der Betriebschronik lasse sich zudem ableiten, dass er industriell Sachgüter oder Bauwerke gefertigt habe. Das SG hat den Beteiligten eine Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. Juni 2007 übersandt, wonach der VEB GAN Elektroinvest J. nicht die betriebliche Voraussetzung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfüllt (Urteil vom 25. Juni 2007 – L 6 R 1003/06 – juris). Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die betriebliche Voraussetzung sei nicht erfüllt.
Gegen den am 5. August 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. September 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und u.a. vorgetragen, der VEB GAN Elektroinvest J. sei bis 1974/75 eine Vereinigung volkseigener Betriebe gewesen und damit den produzierenden Betrieben gleichgestellt gewesen. Andere Kollegen hätten eine Zusage von der Beklagten erhalten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 22. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2006 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2007 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 21. Dezember 2004 aufzuheben und die Zeit vom 29. Januar 1975 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz mit den entsprechenden Entgelten festzustellen.
Die Beklagte verteidigt ihre Verwaltungsentscheidung und beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 22. Juli 2009 zurückzuweisen.
Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist unbegründet, weil die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage deshalb zu Recht abgewiesen.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 21. Dezember 2004 weder das Recht unrichtig angewendet noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVItech, Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 11).
Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.
Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).
I.
Der Senat ist zum einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12; nunmehr BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22, 23). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das Bundessozialgericht wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom Bundessozialgericht vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R – juris, Rdnr. 19).
Die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hat sich am Wortlaut, dem Sinn und Zweck, der Entstehungsgeschichte und der Systematik zu orientieren (siehe zu den Auslegungskriterien z. B. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1999 – 1 BvL 25/97 – juris). Zwar mag man bei alleiniger Anknüpfung an den Wortlaut wegen des verwendeten Begriffs "Zugehörigkeit" zu einem Verständnis der Norm gelangen können, welches nicht allein auf die tatsächliche Einbeziehung abstellt. Bei Berücksichtigung der weiteren Auslegungskriterien verbietet sich dieses Ergebnis aber.
Bereits nach der Auffassung des früheren 4. Senats des BSG waren dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG nur zwei Tatbestände zu entnehmen, die zu einer Anwendbarkeit des AAÜG führen. Entweder war der Betreffende tatsächlich Inhaber einer Versorgungsanwartschaft oder er hatte diese durch Ausscheiden vor dem Leistungsfall wieder verloren (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – juris, Rdnr. 17, 16; davon abweichend begründet nunmehr der 5. Senat die fiktive Einbeziehung bereits mit dem Wortlaut, siehe BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 23, 24, 27).
In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).
Es trifft auch nicht zu, dass bereits durch den EVertr das Neueinbeziehungsverbot modifiziert worden ist (so aber BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22). In Art. 17 EVertr wurde die Absicht bekräftigt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Personen, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind, rehabilitieren zu können. Hier ist schon fraglich, ob einer bloßen Absichtserklärung überhaupt ein Regelungsinhalt entnommen werden kann. Darüber hinaus ist dem Wortlaut von Art. 17 EVertr nicht zu entnehmen, wie die Rehabilitierung im Einzelfall erfolgen sollte und insbesondere auch nicht, dass diese unter Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbotes durch Einbeziehung in ein Versorgungssystem möglich sein sollte. Dementsprechend ergeben sich aus dem Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (RehabG, GBl. I S. 1459) Hinweise, dass das Neueinbeziehungsverbot auch bei Rehabilitierungsmaßnahmen zu berücksichtigen war (zur Heranziehung des RehabG zum Verständnis des Art. 17 EVertr siehe Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Januar 1999 – 3 C 5/98 – juris, dort Rdnr. 21). Nach § 9 Nr. 2 RehabG waren nämlich Zeiten des Freiheitsentzuges bei einem Rehabilitierten nur dann als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem anzurechnen, wenn er vor Beginn des Freiheitsentzuges dem Zusatzversorgungssystem angehörte. Es geht also nicht um eine Neueinbeziehung, sondern um die Feststellung weiterer Zeiten, vergleichbar der Regelung des § 5 Abs. 2 AAÜG. Auch dem Wortlaut von Art. 19 Satz 2 EVertr ist eine Modifizierung des Neueinbeziehungsverbots nicht zu entnehmen. Darüber hinaus behandelt er, soweit danach untergegangene Versorgungszusagen wieder aufleben können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – a.a.O.), keine Fälle der Neu-, sondern der Wiedereinbeziehung. Art. 17 EVertr und Art. 19 EVertr lassen damit nur Schlussfolgerungen für die Fälle zu, in denen bereits, im Gegensatz zu der fiktiven Einbeziehung nach der Rechtsprechung des BSG, eine durch Zusage oder dergleichen dokumentierte Beziehung zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem vorlag.
Den Senat überzeugt nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a.a.O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".
Der Gesetzgeber ging auch nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.
Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009).
Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – juris, Rdnr. 36).
Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.
Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.
Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a.a.O., Rdnr. 45):
"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."
Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.
II.
Nach der Rechtsprechung des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. I S. 487, 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für
Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.
Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt ist. Eine Versorgungsanwartschaft konnte nur bei einer Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb in der Industrie oder im Bauwesen oder in einem gleichgestellten Betrieb erworben werden (BSG, Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 10/02 R – SozR 3–8570 § 1 Nr. 5, S. 30). Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nach der Rechtsprechung des BSG nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 47; Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – juris). Das BSG setzt industriell und serienmäßig wiederkehrend ausdrücklich gleich (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 14/03 R – juris, dort Rdnr. 28). Schließlich muss die industrielle Serienproduktion dem Betrieb das Gepräge gegeben haben.
Bei dem VEB GAN Elektroinvest J. handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens, sondern um einen sogenannten Projektierungsbetrieb. Anhaltspunkte dafür, dass der Hauptzweck des VEB GAN Elektroinvest J. die Massenproduktion von Bauwerken war, ergeben sich nicht. Soweit der Betrieb sich zur Durchführung seiner Aufgaben anderer (vertraglich gebundener) Betriebe bediente, ist dies nicht erheblich. Der Hauptzweck des VEB GAN Elektroinvest J. als Generalaufragnehmer änderte sich hierdurch nicht (Thüringer LSG, a.a.O.). Soweit der Beschäftigungsbetrieb den Betriebszweck der Projektierung von Bauinvestitionen verfolgte, handelte es sich nicht um eine Tätigkeit, deren Schwerpunkte auf der industriellen Fertigung, Fabrikation, Herstellung oder Produktion von Sachgütern lag (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – juris). Der "Massenausstoß standardisierter Produkte" im Bereich des Bauwesens und nicht das Erbringen von Bauleistungen jeglicher Art war für die Einbeziehung in das Versorgungssystem von maßgeblicher Bedeutung (BSG. a.a.O.). Der VEB GAN Elektroinvest J. errichtete und rekonstruierte für die Investitionsauftraggeber der Kombinate und Betriebe im Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik komplette nutzungsfähige Produktionsstrecken, technologische Anlagen, Gebäude und bauliche Anlagen als Finalprodukte (§ 3 Ziff. 1 des Statuts vom 28. Dezember 1984). Die Verantwortung des Betriebes erstreckte sich hiernach auf die
Mitwirkung an der Erarbeitung der volkswirtschaftlichen Aufgabenstellung
Mitarbeit an der Vorbereitung der Grundsatzentscheidung durch Abgabe von verbindlichen Angeboten
Koordinierung der Ausführungsprojekte
Herstellung bzw. Errichtung
Erprobung und
Abnahme und Übergabe
von Investitionsvorhaben, Teilvorhaben und Objekten. Der Betrieb hatte danach die komplexe Aufgabe der Projektierung, Organisation, Leitung und Überwachung der Realisierung von Projekten. Es handelte sich um Einzelprojekte, die individuell auf die Bedürfnisse der Auftraggeber zugeschnitten waren. Sein Betriebszweck war damit nicht die Massenproduktion von Industriegütern oder Bauwerken, sondern die Projektierung größerer Projekte. Dies ergibt sich auch aus dem Kommentar zum Gesetz des Vertragssystems in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. März 1982, § 65 Nr. 2, S. 212 (hrsg. v. Staatlichen Vertragsgericht beim Ministerrat der DDR, Berlin 1989). Hiernach umfasste der Leistungsumfang eines GAN alle Leistungen, die in Übereinstimmung mit der Nomenklatur für die Errichtung oder Rekonstruktion kompletter nutzungsfähiger Produktionsstätten, Anlagen, Umbauwerke oder von Wohnkomplexen als Finalprodukte erforderlich waren. Weiterhin oblag dem GAN die Verantwortung für Forschung und Entwicklung, die Mitwirkung an der Ausarbeitung einer qualifizierten Aufgabenstellung, die Abgabe verbindlicher Angebote sowie Leitung, Koordinierung und Kontrolle der Durchführung des Investitionsvorhabens einschließlich des Probebetriebes bzw. des Leistungsnachweises.
Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den Jahresgeschäftsbericht für das Jahr 1989 des VEB GAN Elektroinvest J. vom 20. Februar 1990, in dem über die genannten Tätigkeitsfelder berichtet wird. Unter Ziff. 2 wird zunächst die Vertrags-, Bilanz- und Preisarbeit des Betriebs dargestellt, wonach u.a. Preisvorschläge und Angebote erarbeitet oder geprüft und eine Investitionsaufwandsreduzierung erreicht wurde. Unter Ziff. 3 werden die Ergebnisse der Investitionsvorbereitungs- und Projektierungsaufgaben sowie unter Ziff. 4 die Ergebnisse der materiellen und finanziellen Leistungen der Investitionsdurchführung mitgeteilt. Hieraus wird deutlich, dass auch der VEB GAN Elektroinvest J. im Sinne der zitierten Definition eines GAN gearbeitet hat. Aus dem Gesellschaftsvertrag der Nachfolgegesellschaft, der Elektroinvest J. GmbH vom 29. Juni 1990 geht ebenfalls hervor, dass das Unternehmen den Betriebszweck einer Projektierungsgesellschaft verfolgte. Hiernach war Gegenstand des Unternehmens die Erarbeitung von Angeboten und Projekten, die Lieferung, Montage, Inbetriebnahme von kompletten Industrieanlagen, Teilanlagen, Produktionsstätten im Bereich Elektrotechnik/Elektronik, Umweltschutz, Fahrzeugindustrie und territoriale Rekonstruktion und Rationalisierung sowie die kundenspezifische Beratung zur Vorbereitung der Investitionsentscheidung (§ 2 Ziff. 1 des Gesellschaftsvertrags).
Der VEB GAN Elektroinvest J. war am 30. Juni 1990 auch kein den Produktionsbetrieben gem. § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellter Betrieb im Sinne eines Konstruktionsbüros. Denn die Konstruktion hatte allenfalls eine untergeordnete Bedeutung. Im Mittelpunkt stand die Projektierung großer Projekte. Es ging um die Erstellung eines Gesamtkonzepts als Generalauftragnehmer und Generallieferant für komplette Anlagen.
Ein Projektierungsbetrieb erfüllt allgemein nicht die Voraussetzungen eines Konstruktionsbüros. Im Ökonomischen Lexikon der DDR (Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1967) wird als Konstruktionsbüro eine Einrichtung bezeichnet, die die Aufgabe hat, im Prozess der technischen Vorbereitung der Produktion die konstruktive Gestaltung der Erzeugnisse auszuarbeiten, die Konstruktionszeichnungen anzufertigen, die Materialstücklisten aufzustellen und die Funktion der Neukonstruktion zu erproben. Unter Projektierung versteht man dagegen nach den Eintragungen im Ökonomischen Lexikon alle Leistungen, die von einem Projektierungsbetrieb oder einer Einrichtung für die Investitionstätigkeit erbracht wurden (Ausarbeitung von Aufgabenstellungen und Projekten, Koordinierung von kooperierten Projektierungsleistungen, Ausarbeitung von Studien und Varianten bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung von Investitionen). Diese Aufgabe ist nicht auf technische Inhalte beschränkt, sondern schließt die wirtschaftliche Entscheidungsvorbereitung mit ein. Komplexe Projektierungen umfassten zudem sogar die städtebauliche und architektonische Gestaltung einschließlich Verkehrsführung, Grünanlagen und Erarbeitung eines Bestands- und Vermessungsplanes mit Angaben über die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken (vgl. Anordnung über die Durchführung komplexer Projektierungen vom 8. Dezember 1955, GBl. 1955, S. 989). Die Unterschiedlichkeit von Konstruktion und Projektierung folgt auch unmittelbar aus der Anordnung über die allgemeinen Bedingungen für Entwurfs- und Konstruktionsleistungen vom 1. Februar 1958 (GBl. II S. 14). In § 2 der Anlage 1 zu dieser Verordnung werden Konstruktionsleistungen von Projektierungen ausdrücklich unterschieden und gegenüber bautechnischen Projektierungen sogar unterschiedlich behandelt. Hieraus folgt, dass der Begriff der Projektierung nicht nur weiter ist als der der Konstruktion, sondern diese als anderer Begriff nur als notwendige Unterfunktion einer übergeordneten Aufgabe umfasst (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 23 f.).
Der VEB GAN Elektroinvest J. war am 30. Juni 1990 auch keine Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) i.S.d. § 1 Abs. 2 der 2. DB. Bereits nach dem Vortrag des Klägers existierte diese nur bis 1974/75, also nicht am entscheidenden Stichtag. Am 30. Juni 1990 war der VEB GAN Elektroinvest J. ein rechtlich selbständiger volkseigener Betrieb.
Die Entscheidung wird auch nicht dadurch zugunsten des Klägers beeinflusst, dass die Beklagte möglicherweise in gleichgelagerten Fällen Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festgestellt hat. Darauf kann sich der Kläger selbst bei gleicher Sachlage nicht berufen. Denn auf eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung kann ein Dritter wegen der vorrangigen Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG) kein schutzwürdiges Vertrauen in dem Sinne gründen, dass bei gleicher Sachlage wiederum in gleicher (rechtswidriger) Weise entschieden werden müsste. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt die Rechtsordnung nicht (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77 – BVerfGE 50, 142, 166).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe i. S. von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
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