Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 1008/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 2/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 2007 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die 1955 geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Finanzkauffrau, erwarb die Berufsbezeichnung eines Ökonoms und arbeitete in einer Sparkasse, zuletzt als Kundenberaterin. Am 15. März 2004 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog einen Entlassungsbericht der Moritz-Klinik B. Klosterlausnitz vom 28. August 2003 bei, in der die Klägerin vom 15. Juli 2003 bis zum 19. August 2003 eine Rehabilitationsmaßnahme (Anschlussheilbehandlung, Antrag am 8. Juli 2003) durchgeführt hatte. In dem Bericht wurde unter Zugrundelegung der Diagnosen
gutartige Neubildung der Meningen und
Anpassungsstörungen
eingeschätzt, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Bürofachkraft noch sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne. Im Übrigen sei sie in der Lage, leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschicht auszuüben. Vom 13. April 2004 bis zum 21. Mai 2004 führte sie eine weitere Rehabilitationsmaßnahme in der Rhön-Rehabilitationsklinik B. K. durch. Im Entlassungsbericht vom 27. Mai 2004 wurde unter Zugrundelegung der Diagnosen
rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig mittelgradig,
generalisierte Angststörung,
anhaltende somatoforme Schmerzstörung und
Zustand nach Operation eines Falx-Meningioms
eingeschätzt, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Sparkassenfachwirtin nur noch unter drei Stunden täglich verrichten könne. Ansonsten könne sie noch leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegenden Sitzen in Tagesschicht ausüben. Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen und mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen, Zwangshaltungen, Bücken und Tätigkeiten mit Absturzgefahr seien nicht möglich. Die Beklagte holte außerdem einen Befundbericht von der Moritz-Klinik B. Klosterlausnitz von Oktober 2004 ein.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2003. Gegen die Ablehnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung erhob die Klägerin am 10. Februar 2005 Widerspruch, den sie u. a. damit begründete, dass sie maximal bis anderthalb Stunden täglich belastbar sei. Aufgrund weiterer bei ihr bestehender Probleme sehe sie für sich keine Chancen mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 24. März 2005 ein und beauftragte Dr. S., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. In dem Gutachten vom 16. Juni 2005 kam die Ärztin unter Zugrundelegung der Diagnose
Falxmeningiom WHO Grad I
zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich im erlernten Beruf tätig sein könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 11. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Das Gericht hat Befundberichte von Dr. M. vom 14. Dezember 2005 und von Dr. S., Diplompsychologe/Psychotherapeut, vom 5. Januar 2006 eingeholt und Dr. P., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf psychiatrischem Gebiet beauftragt. In seinem Gutachten vom 23. April 2007 ist der Arzt unter Zugrundelegung der Diagnosen
undifferenzierte Somatisierungsstörung,
kombinierte Persönlichkeitsstörung und
asymptomatischer bzw. oligosymptomatischer Zustand nach Exstirpation eines Falxmeningioms frontal rechts paramedian 7/03
zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin noch vollschichtig an fünf Tagen in der Woche arbeiten könne. Eingeschränkt seien das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, die nervliche Belastbarkeit, die Ausübung komplexer Verantwortung und die Personenführung und koordination. Arbeiten mit mittleren intellektuellen Anforderungen könne die Klägerin bewältigen. Das Konzentrationsvermögen sei nicht relevant eingeschränkt. Zu vermeiden seien Arbeiten unter Termin- und Zeitdruck und mit Publikumsverkehr. Mit Urteil vom 14. November 2007 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vorlägen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten könne.
Gegen das ihr am 13. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Januar 2008 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt. Ihre Leiden hätten sich verschlimmert. Sie habe häufiger als bisher Migräneanfälle und müsse sich öfter übergeben. Bei geringster Belastung habe sie mehrmals am Tag Schwächeanfälle verbunden mit starken Schweißausbrüchen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 1. Juli 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 2007 zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat Befundberichte eingeholt (Dr. K., Fachärztin für Innere Medizin, vom 18. Februar 2008; Dr. M. vom 26. Februar 2008; Dipl.-Med. Strunk-Prötzig vom 3. März 2008; Dr. S. vom 5. März 2008) und medizinische Unterlagen aus einem Parallelverfahren der Klägerin bei dem Landessozialgericht (L 7 SB 49/05) beigezogen. Außerdem hat es Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und sozialmedizinischer Gutachter mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 27. April 2009 kommt der Gutachter unter Zugrundelegung der Diagnosen
undifferenzierte Somatisierungsstörung mit neurasthenischer Begleitsymptomatik,
akzentuierte Persönlichkeit mit ausgeprägter Leistungs- und Erfolgsorientierung mit perfektionistischen Zügen und histrionischen Elementen,
durchschnittliches intellektuelles Leistungsvermögen und
Zustand nach operativer Entfernung einer gutartigen Geschwulst der Hirnhaut ohne Hirnschädigung und Rezidiv
zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausschließlich in Tagschicht verrichten könne. Zu vermeiden seien häufiges Bücken, Zwangshaltungen sowie häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, wobei gelegentliches Heben von Lasten bis 10 kg zumutbar sei. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei wie auch das Seh- und Hörvermögen nicht beeinträchtigt. Andauernde Bildschirmarbeit sei nicht möglich. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten an laufenden Maschinen, unter Zeitdruck sowie auf Leitern und Gerüsten, mit erhöhten Anforderungen an die geistige Flexibilität und ohne konzentrative Daueranspannung, ohne Einwirkungen von Zugluft und Nässe. Tätigkeiten im Freien bei angemessener Kleidung seien jedoch möglich.
Auf Antrag der Klägerin ist gemäß § 109 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Dipl.-Med. S., Facharzt für Nervenheilkunde, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. In seinem Gutachten aus dem Juni 2010 kommt dieser unter Zugrundelegung der Diagnosen
andere gemischte Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörungen,
anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung,
Zustand nach Operation eines gutartigen Tumors der Hirnhäute und
Kombinationskopfschmerz, Migräne und Spannungskopfschmerz
zu der Einschätzung, dass die Klägerin nur noch drei Stunden täglich arbeiten könne. Dipl.-Med. S. ist vom Gericht zur Erläuterung seines Gutachtens in einem Termin am 20. Januar 2011 befragt worden. Außerdem hat Dr. S. unter Vorlage des Gutachtens von Dipl.-Med. S. unter dem 7. Februar 2011 ergänzend Stellung genommen.
Wegen des weiteren Inhalts der Gutachten und Befundberichte und der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten ergänzend verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, soweit damit ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI, in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 19. Februar 2002, BGBl. I S. 754) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Fassung ab 1. Januar 2008: bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (siehe Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, RV – Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I S. 554)) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie u. a. voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist jedoch nach § 43 Abs. 3 Erster Halbsatz SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Bei der Klägerin liegt ungeachtet der anderen Voraussetzungen keine volle Erwerbsminderung vor. Für das Gericht steht aufgrund der eingeholten Gutachten fest, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen leichte körperliche Arbeiten mit mittleren intellektuellen Anforderungen, zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht verrichten kann. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, andauernde Bildschirmarbeit, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen, in Zwangshaltungen und im Bücken, in Zugluft und unter Witterungseinflüssen, das häufige Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Tätigkeiten mit Absturzgefahr, auf Leitern, Gerüsten und an Maschinen, unter Termin- und Zeitdruck sowie mit Publikumsverkehr.
In dem Rehabilitationsentlassungsbericht der M.klinik B. K. werden keine auffälligen organische Befunde bei der Klägerin mitgeteilt. Es fand sich bei ihr nur eine subdepressive Stimmungslage, ohne dass eine entsprechende Diagnose gestellt wurde. Durchgeführte psychologische Tests erbrachten Ergebnisse im Normbereich. Die Klägerin gab selbst an, zum Ende der Rehabilitation bei sich eine Verbesserung der konzentrativen Belastbarkeit und der Daueraufmerksamkeit festgestellt zu haben. Die Einschätzung, dass die Klägerin mindestens noch sechs Stunden leichte Tätigkeiten verrichten kann, ist deshalb nachvollziehbar. Bei dem Aufenthalt in der Rhön-Rehabilitationsklinik sind bei der Klägerin, abgesehen von einer eingeschränkten Beweglichkeit der linken Schulter, keine auffälligen körperlichen Befunde mitgeteilt worden. Der psychische Befund hatte sich nach dem Klinikaufenthalt verbessert. Auch Dr. S. teilt in ihrem Gutachten keine Befunde mit, die sich nicht mit ihrer Leistungseinschätzung für eine mindestens sechsstündige Tätigkeit in Einklang bringen lassen.
Dr. P. hat die Klägerin umfassend untersucht und sie mehrere psychologische Tests durchführen lassen. Ein hirnorganisches Psychosyndrom im Zusammenhang mit der Tumoroperation hat er ausdrücklich ausgeschlossen. Nach seiner nachvollziehbaren Einschätzung sind qualitative Einschränkungen bei dem Leistungsvermögen der Klägerin feststellbar, aber keine quantitativen. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass sie noch einer vollschichtigen Tätigkeit nachgehen kann, sofern sie die bei ihr bestehenden qualitativen Einschränkungen berücksichtigt. Auch Dr. S. hat eingeschätzt, dass die Klägerin noch einer sechsstündigen Tätigkeit nachgehen kann. Er hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin wegen hoher Eigenerwartungen eine qualitativ einfachere Tätigkeit für sich ablehnen würde. Der Senat schließt daraus, dass sich die Schilderungen der Klägerin zu ihrem subjektiv empfundenen Leistungsvermögen auf die Tätigkeit als Bankangestellte beziehen. Diese Tätigkeit entspricht jedoch nicht mehr ihrem Leistungsvermögen.
Nicht nachvollziehbar ist hingegen das Gutachten von Dipl.-Med. S ... Schon die Diagnosestellung ist in Teilen nicht schlüssig. Eine anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung wird zum Beispiel bei Persönlichkeitsänderungen nach andauerndem Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus, andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr, Folter, Katastrophen oder Konzentrationslagererfahrungen diagnostiziert (ICD 10 F 62.0). Die Persönlichkeitsstörung beruht somit auf einer dauerhaften Einwirkung auf den Kranken. Nach der Sozialanamnese der Klägerin lassen sich zwar extreme, aber nur singuläre Ereignisse feststellen (Suizid des Ehemannes, des Sohnes). Die Krankheitsmerkmale selbst (feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, sozialer Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl) hat keiner der anderen Gutachter bei der Klägerin beobachten können. Auch die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1) hat Dipl.-Med. S. nicht näher belegt. Die Leistungseinschätzung der Vorgutachter teilt er nicht, da diese unter anderem den (subjektiven eigenen) Angaben der Klägerin zu ihrer Belastbarkeit widersprechen würden. Die von ihm erhobenen Befunde lassen den Schluss auf eine quantitative Leistungsminderung nicht zu. Die auffälligen psychischen Befunde (Panikstörungen, Selbstmordgedanken) können nur auf Berichten der Klägerin beruhen. Die Befunde, die Dipl.-Med. S. in der Untersuchungssituation selbst erheben konnte, sind weitestgehend unauffällig. Letztendlich gibt er keine überzeugende Begründung für eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit an.
Dr. S. hat an seiner Einschätzung nach Vorlage des Gutachtens von Dipl.-Med. S. ausdrücklich festgehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die 1955 geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Finanzkauffrau, erwarb die Berufsbezeichnung eines Ökonoms und arbeitete in einer Sparkasse, zuletzt als Kundenberaterin. Am 15. März 2004 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog einen Entlassungsbericht der Moritz-Klinik B. Klosterlausnitz vom 28. August 2003 bei, in der die Klägerin vom 15. Juli 2003 bis zum 19. August 2003 eine Rehabilitationsmaßnahme (Anschlussheilbehandlung, Antrag am 8. Juli 2003) durchgeführt hatte. In dem Bericht wurde unter Zugrundelegung der Diagnosen
gutartige Neubildung der Meningen und
Anpassungsstörungen
eingeschätzt, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Bürofachkraft noch sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne. Im Übrigen sei sie in der Lage, leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschicht auszuüben. Vom 13. April 2004 bis zum 21. Mai 2004 führte sie eine weitere Rehabilitationsmaßnahme in der Rhön-Rehabilitationsklinik B. K. durch. Im Entlassungsbericht vom 27. Mai 2004 wurde unter Zugrundelegung der Diagnosen
rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig mittelgradig,
generalisierte Angststörung,
anhaltende somatoforme Schmerzstörung und
Zustand nach Operation eines Falx-Meningioms
eingeschätzt, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Sparkassenfachwirtin nur noch unter drei Stunden täglich verrichten könne. Ansonsten könne sie noch leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegenden Sitzen in Tagesschicht ausüben. Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen und mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen, Zwangshaltungen, Bücken und Tätigkeiten mit Absturzgefahr seien nicht möglich. Die Beklagte holte außerdem einen Befundbericht von der Moritz-Klinik B. Klosterlausnitz von Oktober 2004 ein.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2003. Gegen die Ablehnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung erhob die Klägerin am 10. Februar 2005 Widerspruch, den sie u. a. damit begründete, dass sie maximal bis anderthalb Stunden täglich belastbar sei. Aufgrund weiterer bei ihr bestehender Probleme sehe sie für sich keine Chancen mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 24. März 2005 ein und beauftragte Dr. S., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. In dem Gutachten vom 16. Juni 2005 kam die Ärztin unter Zugrundelegung der Diagnose
Falxmeningiom WHO Grad I
zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich im erlernten Beruf tätig sein könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 11. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Das Gericht hat Befundberichte von Dr. M. vom 14. Dezember 2005 und von Dr. S., Diplompsychologe/Psychotherapeut, vom 5. Januar 2006 eingeholt und Dr. P., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf psychiatrischem Gebiet beauftragt. In seinem Gutachten vom 23. April 2007 ist der Arzt unter Zugrundelegung der Diagnosen
undifferenzierte Somatisierungsstörung,
kombinierte Persönlichkeitsstörung und
asymptomatischer bzw. oligosymptomatischer Zustand nach Exstirpation eines Falxmeningioms frontal rechts paramedian 7/03
zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin noch vollschichtig an fünf Tagen in der Woche arbeiten könne. Eingeschränkt seien das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, die nervliche Belastbarkeit, die Ausübung komplexer Verantwortung und die Personenführung und koordination. Arbeiten mit mittleren intellektuellen Anforderungen könne die Klägerin bewältigen. Das Konzentrationsvermögen sei nicht relevant eingeschränkt. Zu vermeiden seien Arbeiten unter Termin- und Zeitdruck und mit Publikumsverkehr. Mit Urteil vom 14. November 2007 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vorlägen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten könne.
Gegen das ihr am 13. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Januar 2008 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt. Ihre Leiden hätten sich verschlimmert. Sie habe häufiger als bisher Migräneanfälle und müsse sich öfter übergeben. Bei geringster Belastung habe sie mehrmals am Tag Schwächeanfälle verbunden mit starken Schweißausbrüchen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 1. Juli 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. November 2007 zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat Befundberichte eingeholt (Dr. K., Fachärztin für Innere Medizin, vom 18. Februar 2008; Dr. M. vom 26. Februar 2008; Dipl.-Med. Strunk-Prötzig vom 3. März 2008; Dr. S. vom 5. März 2008) und medizinische Unterlagen aus einem Parallelverfahren der Klägerin bei dem Landessozialgericht (L 7 SB 49/05) beigezogen. Außerdem hat es Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und sozialmedizinischer Gutachter mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 27. April 2009 kommt der Gutachter unter Zugrundelegung der Diagnosen
undifferenzierte Somatisierungsstörung mit neurasthenischer Begleitsymptomatik,
akzentuierte Persönlichkeit mit ausgeprägter Leistungs- und Erfolgsorientierung mit perfektionistischen Zügen und histrionischen Elementen,
durchschnittliches intellektuelles Leistungsvermögen und
Zustand nach operativer Entfernung einer gutartigen Geschwulst der Hirnhaut ohne Hirnschädigung und Rezidiv
zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausschließlich in Tagschicht verrichten könne. Zu vermeiden seien häufiges Bücken, Zwangshaltungen sowie häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, wobei gelegentliches Heben von Lasten bis 10 kg zumutbar sei. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei wie auch das Seh- und Hörvermögen nicht beeinträchtigt. Andauernde Bildschirmarbeit sei nicht möglich. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten an laufenden Maschinen, unter Zeitdruck sowie auf Leitern und Gerüsten, mit erhöhten Anforderungen an die geistige Flexibilität und ohne konzentrative Daueranspannung, ohne Einwirkungen von Zugluft und Nässe. Tätigkeiten im Freien bei angemessener Kleidung seien jedoch möglich.
Auf Antrag der Klägerin ist gemäß § 109 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Dipl.-Med. S., Facharzt für Nervenheilkunde, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. In seinem Gutachten aus dem Juni 2010 kommt dieser unter Zugrundelegung der Diagnosen
andere gemischte Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörungen,
anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung,
Zustand nach Operation eines gutartigen Tumors der Hirnhäute und
Kombinationskopfschmerz, Migräne und Spannungskopfschmerz
zu der Einschätzung, dass die Klägerin nur noch drei Stunden täglich arbeiten könne. Dipl.-Med. S. ist vom Gericht zur Erläuterung seines Gutachtens in einem Termin am 20. Januar 2011 befragt worden. Außerdem hat Dr. S. unter Vorlage des Gutachtens von Dipl.-Med. S. unter dem 7. Februar 2011 ergänzend Stellung genommen.
Wegen des weiteren Inhalts der Gutachten und Befundberichte und der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten ergänzend verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, soweit damit ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI, in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 19. Februar 2002, BGBl. I S. 754) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Fassung ab 1. Januar 2008: bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (siehe Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, RV – Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I S. 554)) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie u. a. voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist jedoch nach § 43 Abs. 3 Erster Halbsatz SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Bei der Klägerin liegt ungeachtet der anderen Voraussetzungen keine volle Erwerbsminderung vor. Für das Gericht steht aufgrund der eingeholten Gutachten fest, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen leichte körperliche Arbeiten mit mittleren intellektuellen Anforderungen, zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht verrichten kann. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, andauernde Bildschirmarbeit, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen, in Zwangshaltungen und im Bücken, in Zugluft und unter Witterungseinflüssen, das häufige Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Tätigkeiten mit Absturzgefahr, auf Leitern, Gerüsten und an Maschinen, unter Termin- und Zeitdruck sowie mit Publikumsverkehr.
In dem Rehabilitationsentlassungsbericht der M.klinik B. K. werden keine auffälligen organische Befunde bei der Klägerin mitgeteilt. Es fand sich bei ihr nur eine subdepressive Stimmungslage, ohne dass eine entsprechende Diagnose gestellt wurde. Durchgeführte psychologische Tests erbrachten Ergebnisse im Normbereich. Die Klägerin gab selbst an, zum Ende der Rehabilitation bei sich eine Verbesserung der konzentrativen Belastbarkeit und der Daueraufmerksamkeit festgestellt zu haben. Die Einschätzung, dass die Klägerin mindestens noch sechs Stunden leichte Tätigkeiten verrichten kann, ist deshalb nachvollziehbar. Bei dem Aufenthalt in der Rhön-Rehabilitationsklinik sind bei der Klägerin, abgesehen von einer eingeschränkten Beweglichkeit der linken Schulter, keine auffälligen körperlichen Befunde mitgeteilt worden. Der psychische Befund hatte sich nach dem Klinikaufenthalt verbessert. Auch Dr. S. teilt in ihrem Gutachten keine Befunde mit, die sich nicht mit ihrer Leistungseinschätzung für eine mindestens sechsstündige Tätigkeit in Einklang bringen lassen.
Dr. P. hat die Klägerin umfassend untersucht und sie mehrere psychologische Tests durchführen lassen. Ein hirnorganisches Psychosyndrom im Zusammenhang mit der Tumoroperation hat er ausdrücklich ausgeschlossen. Nach seiner nachvollziehbaren Einschätzung sind qualitative Einschränkungen bei dem Leistungsvermögen der Klägerin feststellbar, aber keine quantitativen. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass sie noch einer vollschichtigen Tätigkeit nachgehen kann, sofern sie die bei ihr bestehenden qualitativen Einschränkungen berücksichtigt. Auch Dr. S. hat eingeschätzt, dass die Klägerin noch einer sechsstündigen Tätigkeit nachgehen kann. Er hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin wegen hoher Eigenerwartungen eine qualitativ einfachere Tätigkeit für sich ablehnen würde. Der Senat schließt daraus, dass sich die Schilderungen der Klägerin zu ihrem subjektiv empfundenen Leistungsvermögen auf die Tätigkeit als Bankangestellte beziehen. Diese Tätigkeit entspricht jedoch nicht mehr ihrem Leistungsvermögen.
Nicht nachvollziehbar ist hingegen das Gutachten von Dipl.-Med. S ... Schon die Diagnosestellung ist in Teilen nicht schlüssig. Eine anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung wird zum Beispiel bei Persönlichkeitsänderungen nach andauerndem Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus, andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr, Folter, Katastrophen oder Konzentrationslagererfahrungen diagnostiziert (ICD 10 F 62.0). Die Persönlichkeitsstörung beruht somit auf einer dauerhaften Einwirkung auf den Kranken. Nach der Sozialanamnese der Klägerin lassen sich zwar extreme, aber nur singuläre Ereignisse feststellen (Suizid des Ehemannes, des Sohnes). Die Krankheitsmerkmale selbst (feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, sozialer Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl) hat keiner der anderen Gutachter bei der Klägerin beobachten können. Auch die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1) hat Dipl.-Med. S. nicht näher belegt. Die Leistungseinschätzung der Vorgutachter teilt er nicht, da diese unter anderem den (subjektiven eigenen) Angaben der Klägerin zu ihrer Belastbarkeit widersprechen würden. Die von ihm erhobenen Befunde lassen den Schluss auf eine quantitative Leistungsminderung nicht zu. Die auffälligen psychischen Befunde (Panikstörungen, Selbstmordgedanken) können nur auf Berichten der Klägerin beruhen. Die Befunde, die Dipl.-Med. S. in der Untersuchungssituation selbst erheben konnte, sind weitestgehend unauffällig. Letztendlich gibt er keine überzeugende Begründung für eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit an.
Dr. S. hat an seiner Einschätzung nach Vorlage des Gutachtens von Dipl.-Med. S. ausdrücklich festgehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved