Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 103/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Bei ihr wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Am 22.06.2010 verordnete der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. der Klägerin 20 Stunden ambulante Kunsttherapie. Als Diagnose gab er eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD 10 GM F 33.1), eine Somatisierungsstörung (ICD 10 GM F 45.0) sowie eine Panikstörung (ICD 10 GM F 41.0) an. Mit Telefax vom 23.06.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für die verordnete Kunsttherapie. Mit Bescheid vom 14.07.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung verwies sie darauf, bei der Kunsttherapie handele sich um ein anthroposophisches Heilmittel, welches nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehöre.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.08.2010 Widerspruch mit der Begründung ein, es handele sich bei der Kunsttherapie nicht um eine neue Behandlungsmethode. Sie sei bereits seit langem erprobt und zudem effektiv. Darüber hinaus sei sie auch vom Arzt verordnet worden. Das Bundessozialgericht habe schließlich die GKV zur Kostenübernahme ermächtigt.
Die Beklagte holte daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe ein, in der ausgeführt wurde, es stünden im Hinblick auf die bei der Klägerin vorliegenden Diagnosen umfangreiche Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der vertraglichen Versorgung zur Verfügung. Eine Übernahme der Kosten für eine ambulante Kunsttherapie komme aus sozialmedizinischer Sicht nicht in Betracht. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13.04.2011 erhobenen Klage. Sie führt an, die DAK und die Barmer GEK würden für Kunsttherapie eine Kostenpauschale übernehmen. Es bestehe ihrer Ansicht durchaus Chancen für einen Heilerfolg bei der Kunsttherapie.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2011 zu verurteilen, die Kosten für 20 Stunden ambulanter Kunsttherapie zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundbericht Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L., des Allgemeinmediziners Dr. O., der Dipl-Psychologin X. und des Neurologen und Psychiaters Dr. S ... Daneben hat es eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses Abteilung Methodenbewertung zur Kunsttherapie eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine ambulante Kunsttherapie.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) reicht nämlich in keinem Fall weiter als der primär bestehende Sachleistungsanspruch. Er setzt also voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zur den Leistungen gehört, die die Beklagte zu erbringen hätte (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.1996, 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 ff; Urteil vom 22.03.2005, B 1 KR 11/03 R, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.).
Ein solcher Anspruch bestand für die Klägerin aber nicht.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheiten oder Krankheitsbeschwerde zu lindern. Aufgrund der bei der Klägerin unstreitig rezidivierende depressiven Störung (ICD 10 GM F 33.1), der Somatisierungsstörung (ICD 10 GM F 45.0) sowie der Panikstörung (ICD 10 GM F 41.0) ist die Beklagte zweifelsohne zur Krankenbehandlung der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch der Klägerin unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen der Zweckmäßig- und Wirtschaftlichkeit. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine bestimmte Therapie - im vorliegenden Fall die ambulante Kunsttherapie - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein.
Im vorliegenden Fall handelt es sich im GKV-rechtlichen Sinne um eine neue Behandlungsmethode. Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, aber auch der Einschätzung des Gemeinsamen Bundessausschusses an. Zwar ist die Kunsttherapie nach Auffassung der Kammer in gewisser Weise vergleichbar mit der - entsprechend dem Heilmittelkatalog bei neurotischen, Persönlichkeit und Verhaltensstörungen grundsätzlich als Heilmittel anzuwendenden - Ergotherapie. Bei der Kunsttherapie handelt es sich indes – auch nach deren Selbstverständnis - um etwas anderes als die Ergotherapie, da zwar bei beiden die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt berücksichtigt wird, jedoch jeweils mit anderen Mitteln (vgl. dazu Menzen, Grundlagen der Kunsttherapie, 3. Aufl. 2009, S. 13 ff.; Scheepers/Steding-Albrecht/Jehn (Hrsg.), Ergotherapie – Vom Behandeln zum Handeln, 2066, S 488 f.; Alles, Kunsttherapie bei ADS, Diss. 2004, S. 92 f. – abrufbar unter http://kups.ub.uni-koeln.de/1398/; die von Alles durchgeführte Studie wurde mit 28 Kindern mi einem Durchschnittsalter von zehn Jahren durchgeführt, vgl. Alles, a.a.O. S. 102). Es handelt sich nach alledem um eine neue Behandlungsmethode.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Erbringung vertragsärztlicher Versorgung. Durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird aber darüber hinaus auch allgemein der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95 = BSGE 81,54 ff.; Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.; K. Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 135 SGB V Rn. 19). Zur Kunsttherapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss indes bislang keine Empfehlung - weder positiv noch negativ - abgegeben (vgl. dazu die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung). Es wurde bislang von keiner Seite ein entsprechender Antrag nach § 135 SGB V gestellt, wie sich aus der im Verfahren eingeholten Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 08.06.2011 ergibt. Auch liegen dem Gemeinsamen Bundesausschuss nach eigenen Aussagen keinen Informationen vor, die nahelegen, dass es sich bei der Kunsttherapie um eine medizinische Methode handelt, die die für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegeben Kriterien "diagnostischer oder therapeutischer Nutzen", "medizinische Notwendigkeit" und "Wirtschaftlichkeit" erfüllen würden. Auch die befragten Ärzte sowie die die Klägerin behandelnde Dipl.-Psychologin konnten keine Angaben zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Einsatz der Kunsttherapie machen. Frau Wolff führte freilich aus, dass ihres Wissens und ihrer Erfahrung nach die Kunsttherapie häufig und erfolgreich – auch in Kombination mit anderen Verfahren – angewandt werde. Die Kammer konnte aber ebenfalls keine belastbaren wissenschaftlichen Studien über die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Kunsttherapie – insbesondere bei den bei der Klägerin vorhandenen Erkrankungen - ermitteln.
Es ist freilich in der Rechtsprechung des Bundessozialgericht anerkannt, dass trotz der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen kann, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R; K. Schneider, a.a.O., § 135 Rn. 19; sog. "Systemversagen"). Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist bislang noch nicht einmal ein entsprechender Antrag gestellt.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = BverfGE 115, 25 ff.) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.) es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht 2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht 3.) eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Bei der Klägerin liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Des Weiteren stehen zur Behandlung der bei der Klägerin vorhandenen Erkrankungen auch allgemein anerkannte und medizinischem Standard entsprechende Behandlungen – bspw. fachpsychiatrische Behandlung, Psychotherapie, Verhaltenstherapie – zur Verfügung, die nach Feststellungen des MDK aber auch der Behandler Dr. L. und X. bislang von der Klägerin nicht ausgeschöpft worden sind. Die von der Klägerin benannte Entscheidung des Bundessozialgerichts führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG.
Tatbestand:
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Bei ihr wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Am 22.06.2010 verordnete der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. der Klägerin 20 Stunden ambulante Kunsttherapie. Als Diagnose gab er eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD 10 GM F 33.1), eine Somatisierungsstörung (ICD 10 GM F 45.0) sowie eine Panikstörung (ICD 10 GM F 41.0) an. Mit Telefax vom 23.06.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für die verordnete Kunsttherapie. Mit Bescheid vom 14.07.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung verwies sie darauf, bei der Kunsttherapie handele sich um ein anthroposophisches Heilmittel, welches nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehöre.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.08.2010 Widerspruch mit der Begründung ein, es handele sich bei der Kunsttherapie nicht um eine neue Behandlungsmethode. Sie sei bereits seit langem erprobt und zudem effektiv. Darüber hinaus sei sie auch vom Arzt verordnet worden. Das Bundessozialgericht habe schließlich die GKV zur Kostenübernahme ermächtigt.
Die Beklagte holte daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe ein, in der ausgeführt wurde, es stünden im Hinblick auf die bei der Klägerin vorliegenden Diagnosen umfangreiche Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der vertraglichen Versorgung zur Verfügung. Eine Übernahme der Kosten für eine ambulante Kunsttherapie komme aus sozialmedizinischer Sicht nicht in Betracht. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13.04.2011 erhobenen Klage. Sie führt an, die DAK und die Barmer GEK würden für Kunsttherapie eine Kostenpauschale übernehmen. Es bestehe ihrer Ansicht durchaus Chancen für einen Heilerfolg bei der Kunsttherapie.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2011 zu verurteilen, die Kosten für 20 Stunden ambulanter Kunsttherapie zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundbericht Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L., des Allgemeinmediziners Dr. O., der Dipl-Psychologin X. und des Neurologen und Psychiaters Dr. S ... Daneben hat es eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses Abteilung Methodenbewertung zur Kunsttherapie eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine ambulante Kunsttherapie.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) reicht nämlich in keinem Fall weiter als der primär bestehende Sachleistungsanspruch. Er setzt also voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zur den Leistungen gehört, die die Beklagte zu erbringen hätte (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.1996, 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 ff; Urteil vom 22.03.2005, B 1 KR 11/03 R, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.).
Ein solcher Anspruch bestand für die Klägerin aber nicht.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheiten oder Krankheitsbeschwerde zu lindern. Aufgrund der bei der Klägerin unstreitig rezidivierende depressiven Störung (ICD 10 GM F 33.1), der Somatisierungsstörung (ICD 10 GM F 45.0) sowie der Panikstörung (ICD 10 GM F 41.0) ist die Beklagte zweifelsohne zur Krankenbehandlung der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch der Klägerin unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen der Zweckmäßig- und Wirtschaftlichkeit. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine bestimmte Therapie - im vorliegenden Fall die ambulante Kunsttherapie - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein.
Im vorliegenden Fall handelt es sich im GKV-rechtlichen Sinne um eine neue Behandlungsmethode. Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, aber auch der Einschätzung des Gemeinsamen Bundessausschusses an. Zwar ist die Kunsttherapie nach Auffassung der Kammer in gewisser Weise vergleichbar mit der - entsprechend dem Heilmittelkatalog bei neurotischen, Persönlichkeit und Verhaltensstörungen grundsätzlich als Heilmittel anzuwendenden - Ergotherapie. Bei der Kunsttherapie handelt es sich indes – auch nach deren Selbstverständnis - um etwas anderes als die Ergotherapie, da zwar bei beiden die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt berücksichtigt wird, jedoch jeweils mit anderen Mitteln (vgl. dazu Menzen, Grundlagen der Kunsttherapie, 3. Aufl. 2009, S. 13 ff.; Scheepers/Steding-Albrecht/Jehn (Hrsg.), Ergotherapie – Vom Behandeln zum Handeln, 2066, S 488 f.; Alles, Kunsttherapie bei ADS, Diss. 2004, S. 92 f. – abrufbar unter http://kups.ub.uni-koeln.de/1398/; die von Alles durchgeführte Studie wurde mit 28 Kindern mi einem Durchschnittsalter von zehn Jahren durchgeführt, vgl. Alles, a.a.O. S. 102). Es handelt sich nach alledem um eine neue Behandlungsmethode.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Erbringung vertragsärztlicher Versorgung. Durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird aber darüber hinaus auch allgemein der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95 = BSGE 81,54 ff.; Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.; K. Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 135 SGB V Rn. 19). Zur Kunsttherapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss indes bislang keine Empfehlung - weder positiv noch negativ - abgegeben (vgl. dazu die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung). Es wurde bislang von keiner Seite ein entsprechender Antrag nach § 135 SGB V gestellt, wie sich aus der im Verfahren eingeholten Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 08.06.2011 ergibt. Auch liegen dem Gemeinsamen Bundesausschuss nach eigenen Aussagen keinen Informationen vor, die nahelegen, dass es sich bei der Kunsttherapie um eine medizinische Methode handelt, die die für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegeben Kriterien "diagnostischer oder therapeutischer Nutzen", "medizinische Notwendigkeit" und "Wirtschaftlichkeit" erfüllen würden. Auch die befragten Ärzte sowie die die Klägerin behandelnde Dipl.-Psychologin konnten keine Angaben zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Einsatz der Kunsttherapie machen. Frau Wolff führte freilich aus, dass ihres Wissens und ihrer Erfahrung nach die Kunsttherapie häufig und erfolgreich – auch in Kombination mit anderen Verfahren – angewandt werde. Die Kammer konnte aber ebenfalls keine belastbaren wissenschaftlichen Studien über die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Kunsttherapie – insbesondere bei den bei der Klägerin vorhandenen Erkrankungen - ermitteln.
Es ist freilich in der Rechtsprechung des Bundessozialgericht anerkannt, dass trotz der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen kann, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R; K. Schneider, a.a.O., § 135 Rn. 19; sog. "Systemversagen"). Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist bislang noch nicht einmal ein entsprechender Antrag gestellt.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = BverfGE 115, 25 ff.) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.) es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht 2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht 3.) eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Bei der Klägerin liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Des Weiteren stehen zur Behandlung der bei der Klägerin vorhandenen Erkrankungen auch allgemein anerkannte und medizinischem Standard entsprechende Behandlungen – bspw. fachpsychiatrische Behandlung, Psychotherapie, Verhaltenstherapie – zur Verfügung, die nach Feststellungen des MDK aber auch der Behandler Dr. L. und X. bislang von der Klägerin nicht ausgeschöpft worden sind. Die von der Klägerin benannte Entscheidung des Bundessozialgerichts führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved