L 1 R 288/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 547/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 288/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz mit den dabei erzielten Entgelten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) festzustellen sind.

Der am ... 1942 geborene Kläger ist nach der Urkunde der Fakultät für Stoffwirtschaft der Technischen Hochschule für Chemie "C. Sch." L.-M. vom 26. September 1967 berechtigt, den Grad eines Diplom-Chemikers zu führen. Er war vom 5. Oktober 1967 bis zum 30. Juni 1990 zunächst als Ingenieur und danach als Gruppenleiter für Korrosionsschutz beim VEB Waggonbau D. beschäftigt. In dieser Zeit erwarb er nach einem zweisemestrigen Fernstudium das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung Fachchemiker für Korrosionsschutz. Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung entrichtete er ab dem 1. Januar 1990 bis zum 30. Juni 1990. Eine schriftliche Versorgungszusage über eine Zusatzversorgung erhielt er in der DDR nicht.

Einen Antrag des Klägers auf eine Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juni 2001 ab. Am 9. März 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Diesen Antrag wertete diese als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und lehnte ihn mit Bescheid vom 28. Juni 2007 ab. Sie habe in ihrem Bescheid vom 22. Juni 2001 weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Abschluss als Diplom-Chemiker entspreche nicht dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der Versorgungsverordnung. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juni 2001 (B 4 RA 107/00 R – juris) beziehe sich auf die Beschäftigung als Diplom-Chemiker und gelte gleichermaßen für alle anderen Beschäftigten, die nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers hätten führen dürfen. Ausgenommen seien Konstrukteure, Architekten, Statiker, Werkdirektoren und Lehrer technischer Fächer. Die ausgeübte Beschäftigung könne lediglich zu den Ermessensfällen gerechnet werden. Eine bis zur Schließung der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 nicht getroffene Ermessensentscheidung der damals dazu berufenen Stellen könne nicht durch eine Ermessensentscheidung des bundesdeutschen Versorgungsträgers nachgeholt bzw. ersetzt werden. Hiergegen legte der Kläger am 17. Juli 2007 Widerspruch ein und übersandte Funktionspläne vom 4. Dezember 1975 und vom 6. Februar 1980, Aktennotizen vom 30. Dezember 1976 und vom 10. Januar 1978 sowie ein Zeugnis der WBD Waggonbau D. GmbH vom 30. Juni 1995. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2007 den Widerspruch zurück und verwies u. a. darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde einer Diplom-Chemikerin nicht zur Entscheidung angenommen habe.

Daraufhin hat der Kläger am 8. November 2007 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben und ausgeführt, er habe in seiner Funktion Korrosionsschutzbeauftragter überwiegend als Konstrukteur gearbeitet. Zur Begründung hat er Originale seiner Sozialversicherungsausweise und verschiedene andere Unterlagen übersandt, die ihm nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zurückgesandt worden sind. Zum Beleg dafür, dass er die Belange des Korrosionsschutzes wahrgenommen und damit eine "konstruktive Aufgabe" erfüllt habe, hat er Aktennotizen vom 5. März 1971 und vom 10. Januar 1978 sowie Lohnvereinbarungen vom 19. Juli 1984 und vom 26. September 1985 übersandt. Mit Urteil vom 29. Juli 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, das AAÜG sei nur anwendbar, wenn eine konkrete Zusage auf Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem vorliege, und sich auf eine Entscheidung des erkennenden Senats bezogen.

Der Kläger hat gegen das am 12. August 2009 zugestellte Urteil am 26. August 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er bemängelt, dass das SG von der Rechtsprechung des BSG abweiche. Er sei als Korrosionsschutzbeauftragter eingesetzt gewesen und habe damit überwiegend Konstruktionstätigkeiten ausgeführt. Diesbezüglich hat er weitere Kopien beruflicher Unterlagen, u. a. Personalkarten, übersandt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2007 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2007 aufzuheben und

die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 22. Juni 2001 aufzuheben und die Zeit vom 5. Oktober 1967 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz mit den dabei erzielten Entgelten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juli 2009 zurückzuweisen.

Sie teile zwar nicht die von der Rechtssprechung des BSG abweichende Rechtsauffassung des SG. Aber auch unter Zugrundelegung der Rechtssprechung des BSG sei die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz nicht gegeben. Der Kläger sei als Diplom-Chemiker nicht einzubeziehen und habe die behauptete Tätigkeit als Konstrukteur nicht mit entsprechenden arbeitsvertraglichen Unterlagen nachgewiesen.

Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, es müsse sich aus den arbeitsvertraglichen Unterlagen ergeben, dass er als Konstrukteur eingestellt worden sei. Diesbezüglich ist dem Kläger eine Entscheidung des Senats (Urteil vom 18. November 2009 – L 1 R 443/06 –) übersandt worden. Im Erörterungstermin am 3. November 2010 hat der Kläger mitgeteilt, dass es Arbeitsverträge von ihm mit der Bezeichnung "Konstrukteur" nicht gebe. In diesem Termin hat der Kläger auch seinen Sozialversicherungsausweis im Original vorgelegt. Es ist festgestellt worden, dass dort durchgehend seit dem 1. Januar 1981 bis zum 1. Januar 1991 die Tätigkeit "Gruppenleiter" aufgeführt wird.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gem. den §§ 124 Absatz 2, 153 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten rechtmäßig sind und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Absatz 2 Satz 1 SGG beschweren.

Die Voraussetzungen des § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 22. Juni 2001 weder das Recht unrichtig angewendet noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass gem. § 8 Absatz 3 Satz 1 i. V. m. Absatz 2 und § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVItech, Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.

Nach § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG nicht folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

I.

Der Senat ist zum einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12; nunmehr BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22, 23). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Absatz 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das Bundessozialgericht wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom Bundessozialgericht vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Absatz 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der Wortlaut des § 1 Absatz 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht nahelegt. Es ist deshalb nicht notwendig, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R – juris, Rdnr. 19).

Selbst wenn man bei Anknüpfung an den Wortlaut wegen des verwendeten Begriffs "Zugehörigkeit" zu einem Verständnis der Norm gelangen würde, welches nicht allein auf die tatsächliche Einbeziehung abstellt (so nunmehr der 5. Senat des BSG, der die fiktive Einbeziehung bereits mit dem Wortlaut begründet, siehe Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 23, 24, 27), verbietet sich dieses Ergebnis bei Berücksichtigung der weiteren Auslegungskriterien (Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Systematik, siehe zu den Auslegungskriterien z. B. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1999 – 1 BvL 25/97 – juris). Bereits nach der Auffassung des früheren 4. Senats des BSG waren dem Wortlaut des § 1 Absatz 1 AAÜG nur zwei Tatbestände zu entnehmen, die zu einer Anwendbarkeit des AAÜG führen. Entweder war der Betreffende tatsächlich Inhaber einer Versorgungsanwartschaft oder er hatte diese durch Ausscheiden vor dem Leistungsfall wieder verloren (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R – juris, Rdnr. 17, 16).

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Es trifft auch nicht zu, dass bereits durch den EVertr das Neueinbeziehungsverbot modifiziert worden ist (so aber BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – juris, Rdnr. 22). In Art. 17 EVertr wurde die Absicht bekräftigt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Personen, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind, rehabilitieren zu können. Hier ist schon fraglich, ob einer bloßen Absichtserklärung überhaupt ein Regelungsinhalt entnommen werden kann. Darüber hinaus ist dem Wortlaut von Art. 17 EVertr nicht zu entnehmen, wie die Rehabilitierung im Einzelfall erfolgen sollte und insbesondere auch nicht, dass diese unter Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbotes durch Einbeziehung in ein Versorgungssystem möglich sein sollte. Dementsprechend ergeben sich aus dem Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (RehabG, GBl. I S. 1459) Hinweise, dass das Neueinbeziehungsverbot auch bei Rehabilitierungsmaßnahmen zu berücksichtigen war (zur Heranziehung des RehabG zum Verständnis des Art. 17 EVertr siehe Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Januar 1999 – 3 C 5/98 – juris, dort Rdnr. 21). Nach § 9 Nr. 2 RehabG waren nämlich Zeiten des Freiheitsentzuges bei einem Rehabilitierten nur dann als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem anzurechnen, wenn er vor Beginn des Freiheitsentzuges dem Zusatzversorgungssystem angehörte. Es geht also nicht um eine Neueinbeziehung, sondern um die Feststellung weiterer Zeiten, vergleichbar der Regelung des § 5 Absatz 2 AAÜG. Auch dem Wortlaut von Art. 19 Satz 2 EVertr ist eine Modifizierung des Neueinbeziehungsverbots nicht zu entnehmen. Darüber hinaus behandelt er, soweit danach untergegangene Versorgungszusagen wieder aufleben können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 5 RS 3/09 R – a. a. O.), keine Fälle der Neu-, sondern der Wiedereinbeziehung. Art. 17 EVertr und Art. 19 EVertr lassen damit nur Schlussfolgerungen für die Fälle zu, in denen bereits, im Gegensatz zu der fiktiven Einbeziehung nach der Rechtsprechung des BSG, eine durch Zusage oder dergleichen dokumentierte Beziehung zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem vorlag.

Den Senat überzeugt nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch nicht davon aus, dass die in § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.

Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009).

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Absatz 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12).

Art. 3 Absatz 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Absatz 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

II.

Nach der Rechtsprechung des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Absatz 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. I S. 487, 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für

Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und

die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar

in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.

Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt ist.

Das BSG hat wiederholt entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht obligatorisch in die AVItech einbezogen waren (z.B. Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8; Urteil vom 18. Oktober 2007 – B 4 RS 25/07 R – SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 13). Auch der erkennende Senat hat mehrfach in diesem Sinne entschieden (z. B. Urteile vom 11. Oktober 2007 – L 1 RA 96/05 –; 17. Juli 2008 – L 1 R 115/07 –; 12. März 2008 – L 1 RA 71/05 –; 6. November 2008 – L 1 R 501/06 –; 16. Dezember 2009 – L 1 R 135/07 – und vom 18. März 2010 – L 1 R 131/07 –). Diese Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen das GG (BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – juris, Rdnr. 6).

Soweit der Kläger angibt, er sei als Korrosionsschutzbeauftragter eingesetzt gewesen und habe damit überwiegend Konstruktionstätigkeiten ausgeführt, vermag er auch daraus keinen Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz herzuleiten. Die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Konstrukteur führen zu dürfen, wurde nicht wie bei den Berufen Ingenieur und Techniker staatlich verliehen, sondern war durch die Wahrnehmung einer konkreten Arbeitsaufgabe in dem Arbeitsbereich Konstruktion bestimmt. Mangels eines spezifischen Berufsabschlusses und als Folge der Anknüpfung der Berufsbezeichnung Konstrukteur an die tatsächlich wahrgenommene Arbeitsaufgabe überschneiden sich bei diesem Berufsbild die persönliche und die sachliche Voraussetzung für den sogenannten fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage (so BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 1/06 R – juris). Die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Konstrukteur zu führen, knüpft danach maßgeblich an die Ausübung einer konstruktiven Tätigkeit an (Tätigkeitsbezeichnung). Von einer solchen Tätigkeit kann dann ausgegangen werden, wenn der Betreffende arbeitsrechtliche Unterlagen vorlegen kann, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass er als Konstrukteur eingestellt worden ist und diese arbeitsvertragliche Abrede auch noch am 30. Juni 1990 bestanden hat (vgl. BSG a. a. O.; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. November 2009 – L 1 R 443/06 –).

Der Kläger war weder berechtigt, die Berufsbezeichnung Konstrukteur zu führen noch war er am 30. Juni 1990 als solcher beschäftigt. Er ist bereits nicht als Konstrukteur eingestellt worden. In seinem Sozialversicherungsausweis ist durchgehend vom 1. Januar 1981 bis zum 1. Januar 1991 die Tätigkeit "Gruppenleiter" aufgeführt. Gemäß § 286c Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – beinhalten Eintragungen im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit. Diese Vermutung hat der Kläger zur Gewissheit des Senats nicht widerlegen können. Er hat vielmehr ausdrücklich mitgeteilt, dass es Arbeitsverträge von ihm mit der Bezeichnung "Konstrukteur" nicht gebe. Auch aus den übrigen Unterlagen lässt sich nicht darauf schließen, dass der Kläger jemals als Konstrukteur beschäftigt worden war. In den arbeitsrechtlichen Unterlagen, die der Kläger im Laufe des Verfahrens eingereicht hat, wird seine Tätigkeit nicht als die eines Konstrukteurs beschrieben. Vielmehr sprechen auch diese dafür, dass er mit einer anderen Tätigkeitsbezeichnung beschäftigt wurde. Die von ihm ausgeübte Tätigkeit als "Gruppenleiter Entwicklungstechnologie" ist nicht die Tätigkeit eines Konstrukteurs. Auch aus seiner Verantwortlichkeit für den Korrosionsschutz folgt nicht, dass er als Konstrukteur arbeitete. Eine Konstruktionstätigkeit des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem Funktionsplan vom 28. November 1979 und nicht aus dem Zeugnis vom 30. Juni 1995. In dem Funktionsplan wird die Funktion als "Gruppenleiter Entwicklungstechnologie, Fachgebiete Korrosionsschutz, Plasteverarbeitung, Beauftragter für Korrosionsschutz des Betriebes" beschrieben und als Qualifikation der Hochschulabschluss in der Fachrichtung Chemie, Diplom-Chemiker, Korrosionsschutz-Ingenieur und der Befähigungsnachweis GAB genannt. Aus dem Zeugnis ergibt sich, dass der Kläger sein hohes Fachwissen als Diplom-Chemiker und Fachchemiker für Korrosionsschutz einsetzen konnte; daraus lässt sich ebenfalls nicht auf eine Beschäftigung als Konstrukteur schließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtssprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
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