L 8 AL 2005/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 394/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 2005/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1954 geborene Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Zahlung von Arbeitslosengeld I (Alg).

Der Antragsteller bezog von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft bis 10.11.2010 Verletztengeld. Er meldete sich bei der Agentur für Arbeit R. (AA) zum 10.11.2010 arbeitslos und beantragte Alg, das ab 11.11.2010 bewilligt wurde. Mit - inhaltsgleichen - Bescheiden vom 27.12.2010/05.01.2011 hob die AA die Bewilligung von Alg ab dem 22.12.2010 auf, da der Antragsteller aufgrund eines Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom 15.12.2010 (Dr. R. , der beim Antragsteller ein tägliches Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden voraussichtlich bis zu sechs Monaten annahm) aus gesundheitlichen Gründen der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, es sei falsch, dass die Dauer der Leistungsunfähigkeit nur vorübergehend sei.

Mit Bescheid vom 20.01.2011 bewilligte die AA dem Antragsteller für die Zeit ab 22.12.2010 (bis 10.05.2012) Alg in Höhe von täglich 37,96 EUR. Mit Bescheid vom 28.01.2011 hob die AA die Bewilligung ab 01.02.2011 wegen Wegfall der Verfügbarkeit auf. Hiergegen legte der Antragsteller am 11.02.2011 wiederum Widerspruch ein. Er habe bei der Knappschaft Bahn See der Deutschen Rentenversicherung Antrag auf Versichertenrente gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2011 wurden die Widersprüche des Antragsteller gegen die Bescheide vom 27.12.2010, 05.01.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.01.2011 und vom 28.01.2011 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen sei der Antragsteller voraussichtlich für einen Zeitraum von weniger als sechs Monate nicht in der Lage, eine versicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufzunehmen und auszuüben. Die vom Antragsteller geklagten Beschwerden würden derzeit behandelt, weshalb eine nur vorübergehende Leistungsunfähigkeit vorliege. Den Vermittlungsbemühungen der AA stehe der Antragsteller wegen der Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht zur Verfügung, weshalb er nicht arbeitslos sei und daher keinen Leistungsanspruch habe. Die Entscheidung über die Bewilligung von Alg sei somit zutreffend ab dem 22.12.2010 aufgehoben worden. Aufgrund eines IT-Fehlers habe der Antragsteller vom 22.12.2010 bis 31.01.2011 Leistungen erhalten, die zu Lasten der AA gingen.

Inzwischen hatte der Antragsteller am 11.02.2011 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt und am 21.03.2011 Klage erhoben (S 5 AL 835/11). Er machte zur Begründung geltend, er sei nicht arbeitsfähig. Sein Rentenantrag sei bislang nicht beschieden. Er habe Anspruch auf Alg gemäß § 125 SGB III. Es sei unzutreffend, dass seine Leistungsunfähigkeit nur vorübergehend bestehe. Er stehe dem Arbeitsmarkt jedenfalls in seinem Beruf nicht zur Verfügung. Er stehe ohne Einkünfte da. Sein Arbeitsverhältnis sei gekündigt worden. Der Antragsteller legte medizinische Berichte vor.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Es bestehe kein Anordnungsanspruch. Aufgrund der nicht unfallbedingten Beeinträchtigungen des Antragstellers bestehe derzeit Arbeitsunfähigkeit. Da die Beschwerden einer Behandlung zugänglich seien, werde eine Arbeitsunfähigkeit mit einer Dauer von bis zu sechs Monaten prognostiziert. Der Antrag sei nicht nachvollziehbar, da dem Antragsteller Krankengeld zustehe. Aufgrund des Bescheids vom 20.01.2011 habe der Antragsteller vom 22.12.2010 bis 31.01.2011 Leistungen nach § 126 SGB III bezogen. Zutreffend möge sein, dass der Antragsteller dem Arbeitsmarkt in seinem Beruf nicht zur Verfügung stehe. Er werde jedoch nach Abschluss der erforderlichen medizinischen Behandlung in anderen Tätigkeiten leistungsfähig sein. Ein Anspruch auf Alg gemäß § 125 SGB III bestehe nicht.

Mit Beschluss vom 06.04.2011 wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Anordnungsgrund bestehe nicht. Dem Antragsteller sei zuzumuten, sowohl einen Antrag auf Krankengeld als auch einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu stellen, wodurch sein Existenzminimum gewahrt werden könne.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Antragsteller am 14.04.2011 zugestellten Beschluss hat er am 16.05.2011 (einem Montag) Beschwerde eingelegt. Er hat zur Begründung unter Bezug auf sein bisheriges Vorbringen ergänzend vorgetragen, das SG habe übersehen, dass er in der Krankenversicherung lediglich familienversichert sei, weshalb ein Anspruch auf Krankengeld nicht bestehe. Leistungen nach dem SGB II schieden aus.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. April 2011 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2011 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat zur Begründung vorgetragen, der Beschluss des SG sei nicht zu beanstanden. Ein Fall des § 125 SGB III habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. In einem Beratungsgespräch am 15.06.2011 habe sich der Antragsteller ab sofort für 30 Stunden wöchentlich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt, nachdem die beantragte Rente abgelehnt worden sei, weshalb ihm Alg zustehe. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hätten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die Antragsgegnerin hat hierzu Beratungsvermerke vorgelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig; sie ist insbesondere statthaft. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, weil auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre, da der Beschwerdewert über 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Der Senat hat den Beschwerdeantrag des Antragstellers nach seinem erkennbaren Begehren im Wege der Auslegung sachdienlich gefasst. Der vom Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht statthaft, da ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt. Dem Antragsteller kann vorläufiger Rechtsschutz - bereits - dadurch gewährt werden, dass die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 28.01.2011, mit dem der Bewilligungsbescheid vom 20.01.2011 aufgehoben wurde, angeordnet wird. In diesem Fall scheidet gemäß § 86b Abs. 2 SGG der Erlass einer einstweiligen Anordnung aus. Dem entsprechend hat der Senat den Beschwerdeantrag des Antragstellers (mit telefonischer Zustimmung seines Prozessbevollmächtigten) gefasst.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Zwar haben nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen (§ 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG). Ein solcher Fall ist hier gegeben, da die Antragsgegnerin - zuletzt - mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.01.2011 (Widerspruchsbescheid vom 18.02.2011) das dem Antragsteller mit Bescheid vom 20.01.2011 ab 22.12.2010 bis 10.05.2012 bewilligte Alg ab 01.02.2011 aufgehoben und damit im Sinne des § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG entzogen hat. Unter Entziehung der laufenden Leistung ist die ganze oder teilweise Beseitigung von Bescheiden über die Bewilligung von Leistungen zu verstehen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 86a RdNr. 14). Im vorliegenden Fall wurde mit dem Bescheid vom 28.01.2011 der Bewilligungsbescheid vom 20.01.2011 für die Zeit ab 01.02.2011 beseitigt, so dass eine teilweise Entziehung der bewilligten Leistung vorliegt.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage aufgrund von § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, RdNr. 195).

Im vorliegenden Fall ergibt die nach den oben dargestellten Grundsätzen vorzunehmende Abwägung, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides vom 28.01.2011 das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid überwiegt.

Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers beim SG (S 5 AL 835/11) ist allein der Bescheid vom 28.01.2011. Dieser Bescheid hat den Aufhebungsbescheiden vom 27.12.2010/05.01.2011 die Grundlage entzogen und diese damit erledigt.

Die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 28.01.2011 ist einerseits nicht überwiegend erfolgversprechend.

Der Bescheid vom 28.01.2011 ist nicht - unheilbar - formell rechtswidrig. Nach § 24 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, wie dies bei dem Bescheid vom 28.01.2011 zutrifft, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller vor Erlass des Bescheides vom 28.01.2011 diese Gelegenheit eingeräumt worden ist. Erheblichen Zweifeln begegnet auch, ob die unterbliebene Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist. Im Bescheid vom 28.01.2011 ist als Grund lediglich "wegen Verfügbarkeit" genannt. Nähere Tatsachen, zu denen sich der Antragsteller hätte äußern können, weshalb die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass ein Anspruch auf Alg "wegen Verfügbarkeit" ab dem 01.02.2011 nicht gegeben ist, enthält der Bescheid nicht. Ebenso ist die Anhörung während des Widerspruchsverfahrens nicht nachgeholt worden. Dies führt jedoch, selbst wenn von einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung ausgegangen wird, nicht zwingend dazu, dass der Bescheid auf die Klage des Antragstellers aufzuheben ist. Vielmehr kann der Anhörungsfehler gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X i.V.m. § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG noch im Klageverfahren geheilt werden.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers besteht ein Anspruch auf Alg nach § 125 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit nicht. Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III besteht ein Anspruch auf Alg auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Die Anwendung (der Nahtlosigkeitsregelung) des § 125 SGB III setzt jedoch voraus, dass die Bundesagentur für Arbeit die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm selbst ermittelt und feststellt. Dies macht es erforderlich, in eigener Verantwortung Ermittlungen zur prognostischen Betrachtung des gesundheitlichen Zustandes des Arbeitslosen anzustellen. Denn nicht jede Leistungsminderung soll die Fiktion der Arbeitsfähigkeit nach § 125 SGB III erzeugen, sondern nur eine Leistungsminderung auf weniger als 15 Stunden wöchentlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2007 - B 7a AL 30/06 R -). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III dürfte von der Antragsgegnerin auf der Grundlage des Gutachtens (nach Aktenlage) von Dr. R. vom 15.12.2010 zutreffend verneint worden sein. Dafür, dass beim Antragsteller - entgegen seinem Widerspruchsvorbringen - eine Leistungsminderung von weniger als 15 Stunden wöchentlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten nicht vorgelegen hat, spricht, dass sich der Antragsteller nach dem unbestrittenen Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin am 15.06.2011 den Vermittlungsbemühungen der Antragsgegnerin, wenn auch eingeschränkt auf 30 Stunden wöchentlich ohne Tätigkeiten in seinem bisherigen Beruf, zur Verfügung gestellt hat, nachdem sein Rentenantrag vom Rentenversicherungsträger abgelehnt worden war (Vermerk vom 15.06.2011, dem der Antragsteller nicht widersprochen hat). Damit hat sich die Prognose von Dr. R. in ihrem Gutachten vom 15.12.2010 hinsichtlich der Dauer der Leistungsminderung des Antragstellers als zutreffend erwiesen.

Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers sind andererseits auch nicht als wenig wahrscheinlich anzusehen.

Zweifelhaft ist, welche Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 28.01.2011 besteht (§ 45 SGB X oder § 48 SGB X). Im Widerspruchsbescheid vom 18.02.2011 geht die Antragsgegnerin einerseits davon aus, dass der Bewilligungsbescheid vom 20.01.2011 auf einem zu ihren Lasten gehenden "IT-Fehler" beruht. Dies, wie auch die übrige Begründung im Widerspruchsbescheid, spricht dafür, dass der Bescheid vom 20.01.2011 von der Antragstellerin als von Anfang an rechtwidrig angesehen wird, mithin dafür, dass nicht § 48 SGB X sondern § 45 SGB X anwendbar ist. Ob § 45 SGB X den Bescheid vom 28.01.2011 rechtfertigt, ist aber zweifelhaft. Denn nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), wie dies beim Bescheid vom 20.01.2011 der Fall ist, soweit er rechtswidrig ist, mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen. Dies ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist (Satz 3 Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Satz 3 Nr. 2), oder wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Satz 3 Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Ob diese Voraussetzungen beim Antragsteller zutreffen, steht nicht fest. Andererseits geht die Antragsgegnerin nach ihrem Vorbringen im Eilverfahren vor dem SG davon aus, dass der Bescheid vom 20.01.2011 auf § 126 SGB III beruht hat. § 126 SGB III sieht einen Anspruch auf Leistungsfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen vor. Diese Vorschrift kommt hier hinsichtlich des Bescheides vom 20.01.2011 in Betracht, so dass der Aufhebungsbescheid auch eine hinreichende Rechtsgrundlage in § 48 SGB X finden könnte. Damit sind die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers beim SG derzeit als offen zu bewerten.

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden (Krodel a.a.O. RdNr. 205). Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (st. Rspr des BVerfG; vgl. BVerfG NJW 2003, 2598, 2599 m.w.N.). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich zudem aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928)

Bei Abwägung der Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre, überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Antragsgegnerin hat sich der Antragsteller am 15.06.2011 ab sofort (für 30 Stunden wöchentlich) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt. Damit ist davon auszugehen, dass der Antragsteller ab dem 15.06.2011 wieder im Bezug von Alg steht, so dass es der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat berücksichtigt dabei entscheidend, dass sich der Antragsteller, entgegen seiner im Widerspruchsverfahren eingenommenen Haltung, ohne Änderung der Sach- und Rechtslage am 15.06.2011 den Vermittlungsbemühungen der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellt hat.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved