L 10 R 2219/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 5773/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2219/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer großen Witwenrente.

Die am 1938 geborene Klägerin heiratete am 12. Januar 1957 in M. (H.; P.) den am 12. Mai 1937 geborenen B. L. (nachfolgend: Versicherter). Die Ehe, aus der vier Kinder (geboren - Zwillinge - 1957, 1958 und 1960) hervorgingen, wurde am 31. Juli 1985 (Rechtskraft des Urteils) durch das Kreisgericht D.-Nord geschieden. Die Klägerin reiste im September 1987 aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Versicherte folgte im Jahr 1989. Er erhielt ab 4. Januar 1991 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, später Altersrente (Auszahlungsbetrag 1035,34 EUR, Stand 1. Juli 2002). Er war mit einem Grad der Behinderung von 80 als Schwerbehinderter anerkannt. Die Klägerin erhielt von der Bundesknappschaft Altersrente (Auszahlungsbetrag 755,06 EUR, Stand 1. Juli 2002). Im Januar wurde bei dem Versicherten ein Bronchialkarzinom Stadium IV mit Lungenmetastasen diagnostiziert, im April 2002 wurde eine (palliative) Chemotherapie eingeleitet. Ende Juni 2002 wurde nach Komplikationen bei dieser Therapie eine Chemotherapie-Pause eingelegt. Danach wurde diese Therapie nicht mehr fortgeführt. Im Oktober 2002 erfolgte eine Strahlentherapie. Im Juli 2002 wurde das Aufgebot bestellt, am 24. September 2002 heirateten die Klägerin und der Versicherte erneut. Am 6. März 2003 verstarb der Versicherte an den Folgen des Bronchialkarzinoms. Bis zu seinem Tod war der Versicherte mit Wohnsitz in F. gemeldet gewesen, die Klägerin mit Wohnsitz in S ... In der Zeit von 1990 bis zur Eheschließung war keines der Kinder und keiner der Enkel und Urenkel bzw. deren Ehegatten in einer der Wohnungen der Klägerin oder des Versicherten in S. gemeldet.

Am 14. März 2003 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente. Mit Bescheid vom 14. April 2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Hinterbliebenenrente ab, da es sich um eine sogenannte Versorgungsehe gehandelt habe.

Die Klägerin erhob hiergegen fristgerecht Widerspruch. Sie brachte vor, sich von dem Versicherten nur habe scheiden zu lassen, um die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, wo ihre Angehörigen lebten, zu ermöglichen. Der Versicherte habe alle Angehörigen in der DDR gehabt und seinen Wohnort deswegen nicht verlassen wollen. Sein Tod sei für sie plötzlich gekommen. Er sei seit vielen Jahren schwerbehindert und ein Leben lang von Krankheiten gezeichnet gewesen, jedoch hätten nach ärztlicher Ansicht Chancen auf Besserung bestanden. Sie legte (u. a.) Arztbriefe von Dr. K. und Prof. Dr. D. , Klinik S. , vor. Auf Anfrage der Beklagten gab die Klägerin an, sie habe den Versicherten nach dessen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland 1989 nicht unmittelbar aufnehmen können, weil sie nur in einer Einzimmerwohnung gewohnt habe. Der Versicherte habe sich daraufhin ebenfalls eine Einzimmerwohnung in F. genommen. Beide hätten Kredite zur Wohnungseinrichtung aufgenommen, die bis vor kurzem noch abbezahlt worden seien. Man habe im Wechsel in den beiden Wohnungen gewohnt. Aus finanziellen Gründen habe man erst vor der Heirat, als die Kredite abbezahlt gewesen seien, einen Antrag auf eine größere Wohnung bei der Wohnbaugenossenschaft gestellt. Bei der stationären Behandlung des Versicherten in der Klinik S. habe man ihr gesagt, der Versicherte habe noch mindestens fünf bis zehn Jahre zu leben.

Der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde K. teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die Frage, ob zum Zeitpunkt der Heirat der Klägerin und des Versicherten mit einem unmittelbaren Ableben des Versicherten zu rechnen gewesen sei, sei zu verneinen. Mit einem Ableben innerhalb eines Jahres sei zu rechnen gewesen, jedoch nicht mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit. Prof. Dr. D. und Dr. K. teilten mit, der Versicherte habe während der stationären Aufenthalte bis zum 28. Juni 2002 (letzte Behandlung in der Klinik S. ) eine palliative Chemotherapie im Rahmen einer mäßig fortgeschrittenen Tumorerkrankung erhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung in diesem Stadium liege unter drei Jahren. Zum Zeitpunkt der Heirat sei weder ein naher Tod absehbar noch eine Überlebensdauer von fünf bis zehn Jahren wahrscheinlich gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod innerhalb eines Jahres nach Heirat eine Versorgungsehe bestehe, sei auf Grund der ärztlichen Aussagen und des besonderen Umstandes, dass über einen Zeitraum von ca. 12 Jahren getrennte Wohnungen geführt worden seien, nicht glaubhaft widerlegt.

Die Klägerin hat hiergegen am 29. Oktober 2003 Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart erhoben. Zur Begründung hat sie (weitergehend) vorgetragen, zwei Wohnsitze seien in der modernen Gesellschaft durchaus üblich. Sie und der Versicherte hätten ihre Wohnungen behalten, da öfters Kinder oder Enkelkinder aufgenommen worden seien. Sie hätten eigentlich in einer Wohnung zusammengelebt; die andere Wohnung sei von den Kindern und Enkeln bzw. deren Frauen benutzt worden, solange diese noch keine eigene Wohnung gehabt bzw. ihre Ausbildung gemacht hätten. Eine größere Wohnung sei deswegen nicht gesucht worden, weil der Versicherte einen Hund gehabt und sie einen Balkon gewollt habe. Auch sei es damals für sie als DDR-Bürger schwierig gewesen, eine Wohnung in S. zu bekommen. Sie hätten sich über die ganzen Jahre geholfen und seien auch der Meinung gewesen, wenn sie zusammenlebten, hätten sie gegenseitige Rechte und Pflichten. Bei der Eheschließung sei es dem an Krebs erkrankten Versicherten um seine möglicherweise erforderliche Betreuung und Pflege durch sie gegangen. Für ihre vier Kinder und fünfzehn Enkel und Urenkel seien sie ohnehin nie geschieden gewesen. Die amtliche Bekräftigung sei für sie nur eine Formsache gewesen. Die Heirat sei die formelle Wiederherstellung der Familie gewesen. Sie und der Versicherte hätten häufig an eine Hochzeit gedacht, aber es sei immer wieder etwas dazwischen gekommen, vor allem mit den Kindern, Enkeln und Urenkeln. Der Wunsch nach einer Heirat sei nicht zuletzt auch von den Kindern gekommen. Den Entschluss zu heiraten hätten sie im Laufe des ersten Halbjahres 2002 gefasst. Zum Zeitpunkt der Heirat sei der Versicherte in einem guten Allgemeinzustand gewesen.

Das Sozialgericht hat Prof. Dr. D. , den Lungenarzt K. und die Ärztin für Allgemeinmedizin F. als sachverständige Zeugen befragt.

Prof. Dr. D. hat sich dahingehend geäußert, dass bei einem Bronchialkarzinom Stadium IV mit einer Fünf-Jahres-Überlebensrate von 2% auszugehen sei. Im Falle des Versicherten habe im Sommer 2002 eine Lebenserwartung von zwei bis drei Jahren veranschlagt werden können; diese Zeitangabe sei aber sehr ungenau; in Anbetracht des guten Zustandes bei der Entlassung am 28. Juni 2002 hätte er eher mit einer längeren Überlebenszeit gerechnet. Der Versicherte sei über seinen Gesundheitszustand informiert gewesen. Welche Informationen er zur Lebenserwartung gehabt habe, sei nicht mehr zu rekonstruieren. Üblich sei die allgemeine Mitteilung der eingeschränkten Lebenserwartung.

Der Lungenarzt K. hat mitgeteilt, die Fünf-Jahres-Überlebensrate eines Bronchialkarzinoms Stadium IV werde in der Literatur mit 1% angegeben. Bei günstigem Verlauf habe man im Sommer 2002 bei dem Versicherten mit einer Lebenserwartung von ca. einem Jahr rechnen können. Im September 2002 sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass der Versicherte das erste Jahr der Ehe überleben werde. Im Juli 2002 sei der Allgemeinzustand erheblich reduziert und der Gesundheitszustand durch die Chemotherapie und eine Lungenentzündung erheblich beeinträchtigt, danach bis Oktober 2002 relativ stabil, im November 2002 deutlich verschlechtert gewesen. Der Versicherte sei über seinen Gesundheitszustand informiert worden, jedoch nicht über seine verbleibende Lebenserwartung.

Die Ärztin für Allgemeinmedizin F. (Behandlung bis zum 6. März 2003) hat erklärt, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten im Juli und August 2002 stabilisiert habe, er guter Dinge gewesen sei und geglaubt habe, noch längere Zeit mit der Erkrankung leben zu können. Der Allgemeinzustand sei bis September 2002 nur leicht reduziert gewesen; nach dem 9. Januar 2003 habe sich der Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Die Chemotherapie sei normal vertragen worden. Im September 2002 habe man nicht davon ausgehen können, dass der Versicherte das erste Ehejahr nicht überlebe. Der Versicherte sei nicht über seine Lebenserwartung informiert gewesen; er habe dies auch nicht wissen wollen und bis zuletzt verdrängt.

Mit Urteil vom 20. April 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei unter Berücksichtigung und Würdigung der äußeren Gesamtumstände der Verhältnisse der Klägerin und des Versicherten nicht widerlegt. Die vorgebrachten Gründe, weswegen es in der Zeit nach der Übersiedlung des Versicherten in den Stuttgarter Raum nicht zu einer Eheschließung bzw. einem gemeinsam gemeldeten Wohnsitz gekommen sei, seien nicht in ausreichendem Maße nachvollziehbar und überzeugend, vielmehr widersprüchlich - was im Einzelnen ausgeführt worden ist. Insbesondere unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes und der gesundheitlichen Entwicklung des Versicherten sei nachvollziehbar, dass erst im September 2002 alle Voraussetzungen für die Heirat vorgelegen hätten. Es sei auch nicht überzeugend, dass der Versicherte mit der Heirat seine Pflege habe sichern wollen, da er nicht pflegebedürftig gewesen sei.

Gegen das ihr am 2. Mai 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Juni 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag. Darüber hinaus bringt sie im Wesentlichen vor, sie sei mit einer monatlichen Rente ausreichend versorgt gewesen. Das Ableben des Versicherten sei im Sommer 2002 nicht absehbar gewesen. Auf die Vorstellungen zur Lebenserwartung für die Zeit über das erste Ehejahr hinaus komme es nicht an. Sie und der Versicherte seien in der Zeit von September 1990 bis Oktober 2002 auf vielen Familienfesten und -zu¬sammenkünften gewesen und hätten viele gemeinsame Stunden verbracht. Die Klägerin legt hierzu Fotografien vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. April 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2003 zu verurteilen, ihr ab 1. April 2003 eine große Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Unerheblich sei, ob die Witwe auch ohne die Witwenrente in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Entscheiden sei, ob vorhersehbar gewesen sei, dass der Versicherte aufgrund der Krebserkrankung in absehbarer Zeit - die nicht auf die nächsten zwölf Monate beschränkt sei - wahrscheinlich sterben werde. Dies sei aufgrund der gesundheitlichen Umstände und der ärztlichen Prognosen auch für einen medizinischen Laien eindeutig absehbar gewesen. Die Eheleute hätten damit rechnen müssen, dass der Versicherte vorzeitig, d. h. deutlich vor Ablauf seiner statistischen Lebenserwartung ohne die Krebserkrankung, sterben würde. Nicht nachvollziehbar sei, warum die Eheschließung erst 13 Jahre nach dem Zuzug des Versicherten ins Bundesgebiet erfolgt sei. Finanzielle Gründe könnten hierfür nicht ausschlaggebend gewesen sein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Anspruch auf Witwenrente, deren nähere Voraussetzungen in § 46 Abs. 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelt sind, besteht nach § 46 Abs. 2a SGB VI nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Vorschrift findet hier Anwendung, da die (zweite) Ehe des Versicherten und der Klägerin nicht vor dem 1. Januar 2002 geschlossenen wurde (§ 242a Abs. 3 SGB VI) und die Ehe weniger als ein Jahr dauerte.

Die gesetzliche Vermutung ist widerlegbar, wobei nach § 202 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) der volle Beweis des Gegenteils notwendig ist (BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84 - SozR 3100 § 38 Nr. 5 zur Parallelvorschrift des § 38 Bundesversorgungsgesetz). Als besondere Umstände sind alle Umstände des Einzelfalles anzusehen, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst und die geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen (BSG, Urteil vom 28. März 1973 - 5 RKnU 11/71 -SozR Nr 2 zu § 594 RVO zur Parallelvorschrift des § 594 RVO, heute § 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch). Die Vermutung gilt als widerlegt, wenn nachweislich für einen Ehegatten die Absicht, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, nicht maßgeblich war (BSG, Urteil vom 3. September 1986, a.a.O. m. Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zur beamtenrechtlichen Parallelvorschrift).

Nach Maßgabe dieser Vorgaben ist die gesetzliche Vermutung im Fall der Klägerin nicht als widerlegt anzusehen. Der Senat mag ein von der Versorgungsabsicht verschiedenes Motiv nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu erkennen.

Der Senat unterstellt es als wahr, dass bei der Klägerin und dem Versicherten schon vor der Diagnose des Bronchialkarzinoms die Absicht bestand, irgendwann wieder zu heiraten, um dem als faktische Lebensgemeinschaft empfundenen Verhältnis eine rechtliche Form zu geben. Der Senat unterstellt es ebenfalls als wahr, dass die Klägerin und der Versicherte nach der Einreise des Versicherten in die Bundesrepublik Deutschland zumindest zeitweise in einer Wohnung lebten, auch wenn beide unter verschiedenen Wohnadressen gemeldet waren. Auf die Frage, ob die jeweils andere Wohnung (auch) von Kindern, Enkeln oder Urenkeln bzw. deren Ehegatten genutzt wurde, kommt es nicht an.

Dieser allgemeine Entschluss, wieder zu heiraten, hatte sich jedoch vor der Diagnose des Bronchialkarzinom nicht in objektivierbarer Weise verfestigt und konkretisiert. Dass die Klägerin und der Versicherte durch äußere, von ihnen nicht zu beeinflussenden Umstände an der Eheschließung gehindert waren (vgl. den Sachverhalt im Fall des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Oktober 2001 - S 36 U 158/00 - HVBG-Info 2003, 593, wo vor Diagnose der todbringenden Krankheit die unmittelbar bevorstehende Eheschließung auf dem Standesamt an fehlenden Scheidungspapieren scheiterte), ist nicht erkennbar. Allein die Angabe, dass wegen Ereignissen, die Kinder, Enkel und Urenkel betreffend, irgendetwas dazwischenkam, reicht als nachvollziehbare Erklärung dafür, dass es in den über zwölf Jahren nach dem Zuzug des Versicherten nicht zur erneuten Heirat kam, nicht aus.

Vielmehr spricht mehr dafür, dass erst die Diagnose des Bronchialkarzinoms mit der Erwartung eines baldigen Ablebens des Versicherten Anlass gab, die allgemeine Heiratsabsicht auch zu konkretisieren. Die Klägerin hat selbst angegeben, der Entschluss zur Heirat sei im ersten Halbjahr 2002 gefasst worden, also nachdem die Diagnose Bronchialkarzinom gestellt worden war.

Der Versicherte litt an einer schweren Krebserkrankung, die seine Lebenserwartung deutlich herabsetzte. Nach den Angaben des behandelnden Lungenarztes K. ist bei einem Bronchialkarzinom Stadium IV von einer 5-Jahres-Überlebensrate von 1%, nach den Angaben von Prof. Dr. D. von 2% auszugehen. Die konkrete Lebenserwartung des Versicherten im Sommer 2002 ist von Prof. Dr. D. bei seiner sachverständigen Zeugenaussage vor dem Sozialgericht mit zwei bis drei Jahren veranschlagt worden, wobei er auf erhebliche Unsicherheiten hingewiesen hat. Dies entspricht auch der im Widerspruchsverfahren geäußerten Einschätzung des Lungenarztes K ... Der Versicherte erhielt lediglich noch eine palliative Chemo- und später Strahlentherapie. Unerheblich ist, dass der Allgemeinzustand des Versicherten im Sommer 2002 verhältnismäßig gut war und nach den Angaben der behandelnden Ärzte im Verlauf des Jahres 2002 niemals ein unmittelbar lebensbedrohlicher Zustand eintrat. Denn dies ändert an dem Umstand nichts, dass der in baldiger Zeit höchstwahrscheinliche Tod des Versicherten vorgezeichnet war.

Der Versicherte und die Klägerin wussten auch von diesem Gesundheitszustand. Es ist weiterhin auch medizinischen Laien bekannt, dass bei einem Bronchialkarzinom mit Metastasen mit einer deutlich verkürzten Lebenserwartung zu rechnen ist. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass auch der Versicherte und die Klägerin diese Schlussfolgerung zogen. Zwar ist nach den Angaben des Lungenarztes K. und der Ärztin für Allgemeinmedizin F. die genaue Lebenserwartung nicht mitgeteilt worden. Die Angaben der Klägerin im Widerspruchsverfahren, in der Klinik S. habe man von einer Lebenserwartung von fünf bis zehn Jahren gesprochen, lässt sich nach der sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. D. nicht bestätigen. Danach lassen sich die einzelnen Gespräche mit dem Versicherten nicht mehr rekonstruieren. Wenn, wie von Prof. Dr. D. als üblich dargestellt, (nur) auf das Drängen eines Patienten konkrete Zahlen zur Überlebensrate gegeben werden, ist aber nicht zu erwarten, dass zu einer (lediglich) möglichen Lebenserwartung von fünf bis zehn Jahren nicht gesagt wird, dass dies extrem unwahrscheinlich sei. Jedenfalls war in der Klinik S. - so die Auskunft von Prof. Dr. D. - die Information über eine eingeschränkte Lebenserwartung üblich. Dass der Versicherte nach dem Eindruck der Allgemeinärztin F. sein zu erwartendes alsbaldiges Ableben nicht wahrhaben wollte, ist dabei unerheblich. Denn dies beweist nicht, dass er mit der Heirat nicht doch die vom Gesetz vermutete Vorsorge zugunsten der Klägerin treffen wollte.

Für die Klägerin und den Versicherten musste sich die Diagnose des Bronchialkarzinom als schweren Einschnitt in die weitere Lebensplanung darstellen. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Versicherte schon zuvor krank war. In seiner Lebensbedrohlichkeit war das Bronchialkarzinom mit den sonstigen Erkrankungen des Versicherten, wie sie aus dem Bescheid des Versorgungsamtes Stuttgart ersichtlich sind (Asthma bronchiale mit kombinierter Lungenfunktionseinschränkung; Bauchfellverwachsungen, Bauchnarbenbruch; chronische Gastritis, Geschwürsleiden; rezidivierende Analfistel; Prostatitis; Wirbelsäulenbeschwerden), nicht vergleichbar.

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Bestellung des Aufgebots zeigten sich zudem Komplikationen in der Chemotherapie, die die Schwere der Erkrankung auch für die Klägerin und den Versicherten unmittelbar zum Ausdruck bringen mussten. In dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Arztbrief von Prof. Dr. D. vom 22. Juli 2002 über den stationären Aufenthalt des Versicherten in der Zeit vom 21. April bis 28. Juni 2002 wurde über Komplikationen - Schüttelfrost und Fieber - im Rahmen der Chemotherapie berichtet. Die Entscheidung über die Fortsetzung der Chemotherapie wurde auf eine Wiedervorstellung in vier bis fünf Wochen verschoben. In der sachverständigen Zeugenaussagen vor dem Sozialgericht hat Prof. Dr. D. über Schüttelfrost, Durchfall, Schwäche, Kopfschmerzen und schwarze Stellen auf der Zunge bei der stationären Aufnahme des Versicherten am 3. Juni 2002 berichtet. Die Chemotherapie sei auf Wunsch des Versicherten unterbrochen worden. Erst nach Durchführung einer antibiotischen Therapie konnte der Versicherte am 28. Juni 2002 stabilisiert aus der stationären Behandlung entlassen werden. Auch der Lungenarzt K. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vor dem Sozialgericht mitgeteilt, der Allgemeinzustand des Versicherten sei im Juli 2002 erheblich reduziert und sein Gesundheitszustand durch die Chemotherapie und eine Lungenentzündung erheblich beeinträchtigt gewesen. In dieser Situation wurde das Aufgebot bestellt. Dass sich der Zustand des Versicherten im Verlaufe des Sommers 2002 wieder besserte ändert hieran und an dem Umstand, dass erkennbar mit einem baldigen Tod des Versicherten zu rechnen war, nichts.

Zwar ist es denkbar, dass die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung, einen Anlass darstellt, einen schon länger gehegten Heiratwunsch nunmehr zu konkretisieren, ohne dass hierbei die Motivation der Vorsorge für den Hinterbliebenen eine Rolle spielt. Anhaltspunkte hierfür, die zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung notwendig sind, bestehen aber nicht. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, gerade wegen der Diagnose der Krebserkrankung geheiratet zu haben. Dies ist dem Senat auch nicht aus sonstigen Umständen erkennbar. Den erst nach Eintritt ihres Prozessvertreters im Klageverfahren vorgebrachten Umstand, der Versicherte habe nach der Diagnose der Erkrankung sicherstellen wollen, dass die Klägerin verpflichtet sei, ihn zu pflegen, ist zwar grundsätzlich geeignet, der Vermutung einer Versorgungsehe entgegengehalten zu werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 1986, a.a.O.). Im Fall der Klägerin hält der Senat dies aber nicht für ein wesentliches Motiv. Zum einen hat die Klägerin selbst vorgetragen, man habe sich auch ohne Eheschließung umeinander gekümmert. Zum anderen war der Versicherte im Zeitpunkt der Bestellung des Aufgebots und der Heirat nicht pflegebedürftig. Wie von der Klägerin im Sozialgerichtsverfahren vorgetragen, trat die Pflegebedürftigkeit auch erst in den letzten Wochen vor dem Tod des Versicherten ein. Bei dem diagnostizierten Bronchialkarzinom ist auch typischerweise nicht mit einer längeren Pflegezeit zu rechnen, sondern eher mit einem schnellen Ableben im letzten Stadium der Erkrankung. Auch der Grund einer besonderen Religiosität eines der Ehegatten, der die Heirat überwiegend motivierte (so im Fall des Hamburgischen OVG, Beschluss vom 28. Oktober 2004 - 1 Bf 189/04 - IÖD 2005, 79), ist hier nicht erkennbar.

Dass die Klägerin und der Versicherte in gutem Verhältnis zueinander standen, gemeinsam auf Familienfesten waren und nach eigenem Verständnis als nichteheliche Lebensgemeinschaft lebten, steht der Motivation, durch die Heirat eine Versorgung der Klägerin sicherzustellen, nicht entgegen, sondern kann diese gerade begründen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Januar 2001 - L 15 U 27/99 - HVBG-Info 2001, 1454).

Gegen eine durch den Versorgungsgesichtpunkt zumindest überwiegend motivierte Heirat spricht auch nicht, dass die Klägerin eine eigene Rente erhielt und erhält. Dabei kann der Senat offen lassen, ob eine eigene Versorgung des Hinterbliebenen grundsätzlich geeignet ist, die Rechtsvermutung zu widerlegen (so SG Würzburg, Urteil vom 15. September 2004 - S 8 RJ 697/02). Entscheidend sind immer die konkreten Umstände des Einzelfalls. Der Versorgungsbedarf wird jedenfalls hier durch die Rentenzahlungen an die Klägerin nicht ausgeschlossen, wie schon der Umstand zeigt, dass die Klägerin für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen musste, dem auch stattgegeben worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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