L 6 U 3018/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 U 2969/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3018/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Anerkennung seelischer Beschwerden als Folge einer Berufskrankheit (BK) streitig.

Der 1954 geborene Kläger verpflichtete sich nach dem Abitur von 1974 bis 1976 zur Bundeswehr, wo er zum Krankenpfleger ausgebildet wurde. Von Oktober 1976 bis 1987 studierte er Informatik, Chemie und Pharmazie, ohne einen Studienabschluss zu erreichen. Nach einer kaufmännischen Tätigkeit in den Jahren 1988 bis 1989 war er von Februar 1990 bis Juni 2004 als technischer Angestellter (Laborant) im Bereich Forschung und Entwicklung bei der Firma R. C. AG in M. beschäftigt. Das letzte halbe Jahr hat er das Chemikalienlager verwaltet und musste dann ab Juli 2004 in eine Transfergesellschaft wechseln. Das Arbeitsverhältnis wurde im Zuge des allgemeinen Personalabbaus beendet. Im Juli 2005 wurde er arbeitslos. Ab dem 22. März 2006 war er arbeitsunfähig erkrankt, seit dem 1. Oktober 2006 bezieht er wegen einer paranoiden Schizophrenie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, zunächst bis 31. März 2009.

Sein Antrag vom 12. September 2005 auf die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger blieb erfolglos (Bescheid vom 4. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2007). Im nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren wurde der Kläger nervenärztlich von Dr. Sch. begutachtet (akut behandlungsbedürftige paranoide Schizophrenie mit erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit, eine medizinische Rehabilitation nicht möglich) und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Dezember 2007 (S 5 R 679/07) abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos (Urteil vom 23. September 2008 - L 9 R 49/08).

Ein erstes Verfahren wegen den Folgen eines am 14. Mai 2002 erlittenen Arbeitsunfalls (Tropfen einer kleinen Menge 4-Chlor-3-Nitropyridin auf den linken Sicherheitsstiefel beim Umfüllen unter Säureschutzkleidung) blieb nach Feststellung der folgenlosen Ausheilung eines Erysipels (dermatologisches Gutachten von Prof. Dr. E.) ebenso erfolglos (Bescheid der Beklagten vom 7. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2005) wie das nachfolgende Gerichtsverfahren (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim - SG - vom 31. Mai 2006 - S 6 U 2335/05, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2006 - L 2 U 3398/06 und Rücknahme des "Wiederanrufungsantrags" vom 20. April 2007 - L 2 U 2009/07).

Am 4. Juni 2004 sprach er erneut bei der Beklagten vor und beantragte die Gewährung von Leistungen unter Äußerung der Vermutung, seine Haut- und Herzerkrankung sei auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen im Betriebslabor zurückzuführen. Hinzu kämen starke psychische Belastungen, da er an seinem Arbeitsplatz gemobbt worden sei. Seine Borreliose sei inzwischen vollständig abgeklungen, wobei er mutmaßte, dass die aufgetretenen Beschwerden in einem ursächlichen Zusammenhang zur Arbeit gestanden hätten. Mittlerweile seien seine Leberwerte, die während seiner Tätigkeit immer schlecht gewesen seien, wieder in Ordnung.

Am 4. Mai 2005 führte die Beklagte eine Besichtigung der ehemaligen Arbeitsplätze und Besprechung mit den Betriebsleitern durch. Dabei wurde festgestellt, dass es 1997 oder 1998 durch einen Fehler eines Mitarbeiters zum Austritt von ca. 5 Litern Thionylchlorid aus einer Apparatur gekommen sei. Daran habe sich als zweiter Fehler der Versuch angeschlossen, das Thionylchlorid mit Wasser zu entfernen. Der Kläger sei nach eigenen Bekunden zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht im Hause und deswegen zu keiner Zeit gefährdet gewesen. Es sei richtig, dass im Winter 2002/2003 die Frischluft nicht ausreichend hätte gewärmt werden können und deswegen die Zufuhr von Frischluft gedrosselt worden wäre. Die Abzüge seien aber auch weiterhin funktionsfähig und in Betrieb gewesen. Schließlich sei der Kläger nicht in gesundheitlich relevantem Ausmaß gegen irgendwelche Stoffe exponiert gewesen. Bei Verfahren, bei denen kritische Stoffe - Cyanwasserstoff, Schwefelwasserstoff oder Kohlenmonoxid - entstehen könnten, würden die Konzentrationen mit Monitoren am Mann oder an der Apparatur ständig gemessen. Beim Grenzwert erfolge Alarm. Dann sei Atemschutz zu tragen. Das beigefügte Protokoll über Messungen im Oktober und November 1999 habe keinen Nachweis von Cyanid erbracht und die Konzentrationen seien jedenfalls kleiner als 10 % des Grenzwertes gewesen. Die Messungen habe der Kläger selbst durchgeführt.

Mit Bescheid vom 5. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Verdacht auf das Vorliegen einer BK habe sich nicht bestätigt. Seine dagegen am 4. Januar 2006 erhobene Klage blieb ebenfalls erfolglos (Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2007).

Im anschließenden Berufungsverfahren (L 10 U 3071/07) wurde u. a. der behandelnde Hausarzt Dr. K. als sachverständiger Zeuge gehört. Dieser teilte mit, die Erkrankung der Psyche sei erstmalig 1992 im St. J. Krankenhaus H. (psycho-neurotische Grundhaltung bei Angabe eines abdominellen Fremdkörpergefühls nach Verschlucken eines Zahns vor drei Jahren und der nicht belegten Meinung, er leide an einer akuten Borreliose, Bericht vom 17. September 1992, Bl. 59 der Gerichtsakte) festgestellt worden. Der Verdacht auf eine psycho-neurotische Grundhaltung bestehe. In all den Jahren, in denen der Kläger berufstätig gewesen sei, habe er über Erfindungen, die er im Labor gemacht habe oder habe machen wollen, oder über Patente, die er habe anmelden wollen, berichtet. Es bestehe der Verdacht auf eine Psychose. Nach seiner Kündigung und Scheidung sei er zunehmend depressiv mit all den Problemen, die dabei aufträten, gewesen. Eine medikamentöse Therapie finde nicht statt.

In dem Erörterungstermin vom 18. September 2008 erklärte der Kläger, er habe derzeit keine akut behandlungsbedürftigen Herzprobleme mehr und sein Ziel, die Verhältnisse bei seinem damaligen Arbeitgeber anzuprangern, erreicht. Die Beteiligten schlossen daraufhin einen Vergleich des Inhalts, dass die Beklagte sich verpflichtete, über den Antrag des Klägers, seine psychischen Probleme als Berufskrankheit anzuerkennen, inhaltlich rechtsmittelfähig zu entscheiden.

Die Staatliche Gewerbeärztin E. führte in Auswertung der vorliegenden Unterlagen sowie des Vorbringens des Klägers aus, neuere gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach psychische Störungen durch berufliche Einflüsse verursacht würden, gäbe es nicht. Die von dem Kläger geltend gemachten seelischen Beschwerden führe er nach eigenem Bekunden auf Stressfaktoren an seinem früheren Arbeitsplatz als Chemielaborant zurück, insbesondere auf Probleme mit den Kollegen und "ungerechte" Verwendung der von ihm gemachten Erfindungen. Hierbei handele es sich zweifellos um berufsbedingte Belastungen, von welchen keinesfalls aber nur bestimmte Personengruppen durch ihre Tätigkeit besonders betroffen seien. Schon deshalb sei eine Entschädigung nicht möglich.

Mit Bescheid vom 7. April 2009 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der psychischen Beschwerden des Klägers als BK ab. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass für die Berufstätigkeit in der R. C. AG keine Schadstoffeinwirkungen oder sonstigen Arbeitsplatzverhältnisse bestanden hätten, die das bei ihm vorliegende Beschwerdebild hätten verursachen oder verschlimmern können. Eine Wie-Berufskrankheit läge ebenfalls nicht vor. Insbesondere sei nicht belegt, dass er durch seine Tätigkeit in der R. C. AG einer bestimmten Personengruppe angehöre, die durch die versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die seine seelischen Beschwerden verursacht oder verschlimmert hätten. Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten daher nicht bewilligt werden.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, zwar seien die äußeren Veränderungen und Beschwerden nach Beendigung der Beschäftigung zurückgegangen, er fühle aber die toxischen Belastungen noch in sich und diese hätten sich als enorme psychische Belastung geäußert. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei keiner Gesundheitsgefährdung durch beruflich veranlasste Schadstoffexpositionen ausgesetzt gewesen. Aus diesem Grund seien weitere medizinische Ermittlungen nicht erforderlich.

Mit seiner dagegen am 7. September 2009 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei während seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber verschiedenen Chemikalien exponiert gewesen. Diese seien Ursache für die seelischen Beschwerden. Er hat dafür diverse Zeugen benannt, die ebenfalls bei der Firma R. C. AG gearbeitet hätten und an verschiedenen Erkrankungen leiden würden.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG den Neurologen und Psychiater S. als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat unter Beifügung eines Befundberichtes im Rahmen des Rentenverfahrens (Persönlichkeitsstörung mit zum Teil paranoiden Zügen, der Kläger strenge ständig Gerichtsprozesse an, es bestehe keine Krankheitseinsicht, kaum Compliance, geringe Frustrationstoleranz) ausgeführt, dass er den Kläger seit Oktober 2005 behandle, zuletzt vor einem Jahr. Er leide an der wahnhaften Störung, er sei vergiftet worden. Solange die Persönlichkeitsstörung anhalte und der Kläger jegliche Behandlung ablehne, sei er auf Dauer funktionsbeeinträchtigt. Leiden, die auf die berufliche Tätigkeit als Laborant zurückgingen, sehe er nicht.

Nach vorangegangener Anhörung (Schreiben vom 14. Januar 2010) hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2010, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 2. Juni 2010, abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es könne nicht bewiesen werden, dass der Kläger an einer durch chemische Einwirkung verursachten Berufskrankheit leide. Ob und wenn ja in welcher Konzentration der Kläger bestimmten Metallen oder Stoffen ausgesetzt gewesen sei, lasse sich nicht mehr aufklären. Es sei somit nicht erwiesen, dass der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Ziff. 1101 ff. der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) erfülle. Der vorgebrachten Behauptung einer unfallversicherungsrechtlich relevanten Exposition stehe der Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 4. Mai 2005 entgegen. Danach sei der Kläger keinen Gefahrstoffen in gesundheitlich relevantem Ausmaß ausgesetzt worden. Darüber hinaus ließe sich auch nicht mehr konkret ermitteln, über welche Substanzen in welcher Konzentration er exponiert gewesen sei. Die vom Kläger zum Beweis angebotenen Zeugen seien nicht in der Lage, dies konkret zu bekunden, weshalb sie als ungeeignetes Beweismittel nicht anzuhören wären. Mess- oder Unfallprotokolle, die als Beweismittel dienen könnten, lägen nicht vor, sodass es an objektiven Belegen für die Behauptung der Klägers mangele. Die Nichterweislichkeit der Schadstoffexposition, also des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK, gehe nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers. Der Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Anhörung von Prof. Dr. Brecht sei ebenfalls abzulehnen gewesen. Da es an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit fehle, komme es auf eine medizinische Sachverhaltsermittlung nicht mehr an. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Wie-Berufskrankheit seien weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Mit seiner dagegen am 29. Juni 2010 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, dass er konkret vorgetragen habe, welchen toxischen Stoffen er ausgesetzt gewesen sei. Dies habe er auch unter Beweis gestellt. Völlig unverständlich sei, dass das Erstgericht zunächst einen Vorschuss angefordert und dann trotz ausdrücklicher Antragstellung den benannten Arzt nicht mit der Untersuchung und gutachterlicher Stellungnahme beauftragt habe. Die früheren toxischen Belastungen äußerten sich in enormen seelischen Beschwerden, die auch zu kumulierenden Traumata geführt hätten. Er sei in einem erheblich höheren Grad als die übrige Bevölkerung diesen toxischen Belastungen ausgesetzt gewesen. Dies könne durch Sachverständigenbeweis nachgewiesen werden. Er hat hierzu weiter zu seinem damaligen Arbeitsplatz vorgetragen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Mai 2010 sowie den Bescheid vom 7. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine seelischen Beschwerden als Folge einer Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet an Depression und Persönlichkeitsstörung leide. Dies habe der behandelnde Arzt S. angegeben. Diese Erkrankungen würden gegenwärtig nicht als Berufskrankheiten anerkannt. Insoweit erübrigen sich Erhebungen, insbesondere zu Expositionen gegenüber durch chemische Einwirkungen verursachte Erkrankungen. Folglich ließen sich die vom Kläger gemachten beruflichen Einwirkungen nicht unter eine Berufskrankheit fassen. Auch müsse die Anerkennung seelischer Gesundheitsstörungen wie eine Berufskrankheit verwehrt bleiben. Medizinische Erkenntnisse dafür, wonach Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen im Sinne einer Wie-Berufskrankheit bedingt werden könnten, seien derzeit nicht bekannt. Daher könnten solche Erkenntnisse über mögliche Gefährdungen nicht für die Tätigkeiten des Klägers im Unternehmen abgeklärt werden. Die vom Kläger beschriebenen Tätigkeiten, Chemikalienkontakte oder Arbeitsplatzverhältnisse stellten Gefährdungen im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung einer seelischen Erkrankung, die wie eine Berufskrankheit anzuerkennen wäre, nicht dar. Es sei daher nicht nur nachvollziehbar, sondern auch sachgerecht, dass das SG von einer nochmaligen Prüfung der erstinstanzlich erneut vorgetragenen beruflichen Einwirkungen abgesehen habe. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass ein Gutachten weder nach § 106 SGG noch nach § 109 SGG in Auftrag gegeben worden sei. Schließlich liege eine Schadstoffeinwirkung, mit der eine Krebsgefährdung verbunden sein könne, zu keiner Zeit vor, sodass die klägerische Befürchtung, er könne zukünftig an einem Tumor erkranken, jeglicher Grundlage entbehre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten L 9 R 49/08, S 1 U 28/06, L 2 U 3398/06, L 2 U 2009/07 und L 10 U 3071/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG und damit insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn die beim Kläger bestehenden seelischen Beschwerden sind nicht als Folge einer Berufskrankheit anzuerkennen.

Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Weder war das vom Kläger beantragte Gutachten bei Prof. Dr. Brecht nach § 109 SGG einzuholen, noch waren die vom Kläger benannten Zeugen zu hören, weil es bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung der BKen Nrn. 1101 ff. fehlt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2005 (§ 77 SGG) hat die Beklagte die Anerkennung einer BK abgelehnt, sodass es auch an den seelischen Folgen einer BK fehlt. Der Kläger selbst hat seine Probleme auch zunächst nur auf Stress am Arbeitsplatz, Schwierigkeiten mit Kollegen und ungerechtes Verwenden der von ihm gemachten Erfindungen zurückgeführt.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz SGB VII). Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind und in ihrer Anlage 1 die BKen Nrn. 1101 ff. enthält.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis erwiesen sein, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , zit. nach juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt jeweils das Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit. Danach muss bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R - SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Dass der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach Nrn. 1101 ff. der Anlage 1 zur BKV nicht erfüllt, hat das SG ausführlich begründet und nachvollziehbar dargelegt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Überprüfung an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG ab. Auch aus Sicht des Senats steht der Behauptung des Klägers, er sei einer unfallversicherungsrechtlich relevanten Exposition ausgesetzt gewesen, der Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 4. Mai 2005 entgegen. Danach ist der Kläger keinen Gefahrstoffen in gesundheitlich relevantem Ausmaß ausgesetzt worden.

Aus den im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich insofern nichts Neues. Sie wurden im Übrigen bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt. Dass die Heizung zeitweise nicht funktionierte, wie dies aus den E-Mails von Herrn H. hervorgeht, ist bei der Entscheidung der Beklagten vom 5. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2005 bekannt und unstreitig gewesen, beweist aber nicht, dass der Kläger in gesundheitlich relevantem Ausmaß gegen irgendwelche Stoffe exponiert gewesen war. Denn die Abzüge waren weiterhin funktionsfähig und in Betrieb. Schließlich haben auch die vom Kläger selbst durchgeführten Messungen keinen Nachweis von Cyanid erbracht. Lediglich eine Zufuhr von Frischluft war frostbedingt nicht möglich, wie dies auch Herr S. bestätigt hat.

Soweit es zweimal zu Vorfällen in dem Gebäude gekommen ist, wie dies Herr D. am 18. Oktober 2007 ausführte, so hat hierzu der Technischen Aufsichtsdienst festgehalten, dass der Kläger jeweils an diesen Tagen nicht gearbeitet hat, also ebenfalls keiner Schadstoffexposition ausgesetzt war.

Auch die vom Kläger beschriebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Herzinfarkte, kritische Leberwerte während der Tätigkeit und die Hautveränderungen am Fuß (zwischenzeitlich abgeheilt, vgl. Bescheid der Beklagten vom 7. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2005) erfüllen, abgesehen davon, dass sie in der vom Kläger beschriebenen Form nicht vorliegen, nicht die medizinischen Voraussetzungen einer BK (vgl. dazu im Einzelnen Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung, M 1101 bis M 1315). Soweit der Kläger seine Intoxikation auf Schwefelwasserstoff (M 1202) und Cyanat (M 1315) konkretisiert hat, müsste er nämlich an einer obstruktiven Lungenerkrankung oder Schäden des Zentralnervensystems leiden.

Dass der Kläger, wie er behauptet, aufgrund der Schadstoffexposition zwei Herzinfarkte erlitten hat, wird bereits durch die vorgelegten Entlassungsberichte des Universitätsklinikums H. widerlegt (Bl. 50 ff. L 10 U 3071/07). Danach fand sich 2002 kein Anhalt für eine koronare Herzerkrankung. 2003 wurde dann eine koronare 1-Gefäßerkrankung diagnostiziert, die im Wesentlichen auf die kardiovaskulären Risikofaktoren geringfügiger Nikotinabusus, arterielle Hypertonie und Hyperlipoproteinämie zurückgeführt wurde. Hinweise für eine Vergiftung durch chemische Substanzen fanden sich nicht. Die stationäre Aufnahme 2004 fand schließlich statt, weil der Kläger zu Hause versehentlich einen Schluck Domestos zu sich genommen hatte, also ebenfalls ohne beruflichen Bezug.

Was die Erkrankung der Leber anbelangt, so hat Dr. K. hierzu ausgeführt, dass am ehesten eine Medikamentennebenwirkung wegen Borreliose unklarer Genese in Betracht kommt. Das wurde auch anlässlich der stationären Behandlung im St. J.-Krankenhaus bestätigt (berichteter Zeckenbiss 1990). Anhaltspunkte für eine berufliche Exposition bestehen daher ebenfalls nicht.

Soweit der Kläger weitere Einzelheiten zu dem Arbeitsunfall vom 14. Mai 2002 vorgetragen und hierzu Fotos vorgelegt hat, so hat dieser unstreitig stattgefunden und ist von der Beklagten auch anerkannt worden (Bescheid der Beklagten vom 7. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2005). Lediglich die Folgen dieses Arbeitsunfalls waren streitig, was aber mit dem Verfahren auf Feststellung einer BK nichts zu tun hat, sodass auch insoweit kein weiterer Klärungsbedarf besteht.

Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass die berufliche Tätigkeit die seelischen Beschwerden des Klägers verursacht hat. Psychische Beschwerden des Klägers wurden erstmals 1992 im St. J.-Krankenhaus als unabhängig von der beruflichen Tätigkeit beschrieben und haben dann ab 2005 zu den Behandlungen bei dem Neurologen und Psychiater S. geführt. Dieser hat eine wahnhafte Störung des Klägers, vergiftet worden zu sein, beschrieben, also eine eigentliche Vergiftung und damit eine berufliche Ursache der psychischen Beschwerden ausgeschlossen.

Der Kläger hat – wie das SG und die Beklagte zutreffend ausgeführt haben – auch keinen Anspruch auf Anerkennung seiner psychischen Beschwerden als Wie-BK.

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl. zum Folgenden BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R -). Denn die Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel (vgl. BSG, Urteil vom 12.01.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 17). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77 f).

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein (zu den einzelnen Prüfungsschritten nachfolgend):

(1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein (3.1), und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen (3.2).

(4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

ad (1) Die versicherte Tätigkeit, auf die abzustellen ist, ist die eines Laboranten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Der Kläger hat mit den psychischen Folgen eine bestimmte Krankheit benannt, deren Anerkennung als Wie-BK er begehrt. Diese psychischen Folgen sind näher zu konkretisieren. Als Krankheit, die der BK-Bezeichnung i.S. des § 9 Abs. 1 SGB VII zu Grunde zu legen wäre, kommt eine paranoide Schizophrenie in Betracht. Der Senat entnimmt dies dem Gutachten des Dr. Sch., das im Rentenverfahren erstattet wurde und das er im Wege des Urkundsbeweises verwertet, wie der sachverständigen Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters S ... Zum anderen hat der Kläger vorgetragen, er sei gemobbt worden.

ad (2) Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt (s.o.).

ad (3) Nach § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist (3.1). Die Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergibt sich die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkungen kommt praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es - auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt - möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1981 - 8/8a RU 82/80 - SozR 2200 § 551 Nr. 20) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (z.B. nicht gemeinsamer Beruf, vgl. Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Kommentar, Stand Mai 2010, § 9 RdNr. 55).

(3.2) Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt. Bei der Erstellung und der gerichtlichen Überprüfung der Gutachten, die zur Ermittlung des Stands der Wissenschaft einzuholen sind, können z.B. auch Erkenntnisse der "militärischen" Forschung (Knickrehm, SGb 2010, 381, 388; Biesold, MedSach 2010, 23 ff) und die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.).

An solchen Erkenntnissen zum Mobbing (vgl. dazu Hessisches LSG, Urteil vom 01.12.2009 - L 3 U 157/07, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.08.2001 - L 7 U 18/01, jeweils zit. nach Juris, Schönberger,. S. 159) oder einer paranoiden Schizophrenie fehlt es vorliegend. Zwar ist es, auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt, die auf rein psychische Einwirkungen abstellt, denkgesetzlich nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine solche Listen-BK einführen kann (BSG, Urteil vom 27.04.2010 - B 2 U 13/09 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 18 ).

Im Falle des Klägers hat aber, wie oben ausgeführt, bereits der Neurologe und Psychiater S. ausgeführt, dass der Kläger allein an der wahnhaften Vorstellung leidet, er sei vergiftet worden. Ein genereller Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen Laboranten im Rahmen ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind, und psychischen Erkrankungen ist demnach zu verneinen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen die Ausgestaltung der Berufsgruppe der Laboranten bei ihrer Tätigkeit ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko hat, psychisch zu erkranken, hat der Kläger nicht behauptet und sind auch nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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