L 6 VG 4675/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 6675/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4675/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts S. vom 15. August 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Beschädigtenversorgung wegen eines tätlichen Angriffs zusteht.

Die 1968 in Deutschland geborene Klägerin, vormals jugoslawischer und jetzt kroatischer Staatsangehörigkeit, lebte etwa bis zu ihrem 5./6. Lebensjahr in Deutschland und anschließend bis zu ihrem 20./21. Lebensjahr mit ihrer Mutter und ihren Brüdern in Kroatien, wo sie ihren Schulabschluss und im Anschluss an eine Ausbildung zur Frisörin in diesem Beruf wegen der dortigen Arbeitslosigkeit lediglich gelegentlich beziehungsweise aushilfsweise arbeitete. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland besuchte die Klägerin einen Deutschkurs. Wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis konnte die Klägerin in Deutschland nicht als Frisörin arbeiten. Nach eigenen Angaben wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis erstmals 1991 erteilt (vgl. Protokoll vom 15.08.2007).

Die Klägerin wurde in der Nacht vom 25.02.1990 auf 26.02.1990 Opfer eines Sexualdelikts. Sie wurde von drei Tätern unter Beihilfe eines weiteren Täters rund vier Stunden lang geschlagen, gewürgt, vergewaltigt und gezwungen, weitere sexuelle Handlungen an ihnen durchzuführen sowie über sich ergehen zu lassen. Sie wurde am 26.02.1990 in der Abteilung für Unfallchirurgie des Marienhospitals S. behandelt. Es wurden eine Schädelprellung und Würgemale an der linken Halsseite diagnostiziert (Befundbericht vom 17.08.1990). Ab 08.03.1990 begab sie sich in die Behandlung des Neurologen und Psychiaters Dr. P ... Dieser beschrieb im psychsichen Befund keine produktiv-psychotischen Phänomene und diagnostizierte multiple körperliche Prellungen einschließlich eines Kopftraumas sowie orbital-hämatome und oro-genito-anale Verletzungen. Im Rahmen der ambulanten Gesprächstherapie beobachtete er bei der Klägerin eine flukturierende depressive Symptomatik im Wechsel zu gelegentlichen Wutausbrüchen und Aggressivitäten bis hin zu paranoid gefärbten überzogenen Denkweisen bezüglich der sexuellen Straftäter (Befundbericht vom 08.09.1990). Ferner wurde die Klägerin vom 01.05.1990 bis zum 02.05.1990 wegen einer Tablettenintoxikation in der Medizinischen Klinik des Diakonissenkrankenhauses S. stationär behandelt (Arztbrief vom 15.05.1990).

Die Klägerin beantragte am 05.03.1990 Beschädigtenversorgung. Das damalige Versorgungsamt S. zog die Befundberichte des Dr. D., Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie des Marienhospitals S., vom 17.08.1990 und des Dr. P. vom 08.09.1990 sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei. Mit Urteil des Landgerichts S. vom 09.11.1990 (4 KLS 78/90) wurden zwei Täter der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, ein Täter der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung sowie ein Täter der Beihilfe zur Vergewaltigung in Tateinheit mit Beihilfe zur sexuellen Nötigung schuldig gesprochen und die Täter zu Freiheitsstrafen zwischen 2 ½ und 10 Jahren verurteilt.

Nach Erteilung einer Arbeitserlaubnis arbeitete die Klägerin noch zweimal als Putzhilfe. Seither ist sie nicht mehr berufstätig gewesen.

Das Versorgungsamt ließ die Klägerin untersuchen und begutachten. Prof. Dr. T., Direktor der Psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals S., führte in seinem Gutachten vom 04.03.1991 aus, die Klägerin habe in der ersten Zeit nach der Straftat an einer ängstlich-paranoiden Veränderung, die auch in eine depressive Richtung gegangen sei, gelitten. Dieser, von Misstrauen sowie dem Gefühl der Demütigung, des Zurückgesetztseins, der Isolierung und von Scham geprägte Zustand sei in einer Weise ausgeprägt gewesen, der einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v. H.) entsprochen habe. Im darauffolgenden Halbjahr habe sich das Ausmaß der Veränderung auf eine MdE um 20 v. H. vermindert. Seit 01.03.1991 sei keine messbare MdE mehr festzustellen, da die Klägerin die Folgen der Gewalttat weitgehend überstanden habe. Sie habe es fertig gebracht, die negative Erfahrung in einen Reifeprozess einzubringen. Sie habe das Ereignis verarbeitet und sie sei heute imstande, in distanzierter Form über die Dinge zu sprechen, so dass bei ihr von einer bleibenden Dauerveränderung nicht zu sprechen sein dürfte. Unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. Ch. vom 22.04.1991, die von einer erlebnisreaktiven Störung für die Dauer eines Jahres nach der Gewalttat ausging, und des Aktenvermerks des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg zu der Frage, ob die Gegenseitigkeit im Sinne des § 1 Abs. 4 Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Verhältnis zu Jugoslawien auch zukünftig gewährleistet sei, stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 12.11.1991 als Schädigungsfolge eine erlebnisreaktive Störung fest und bewilligte Grundrente nach einer MdE um 30 v. H. vom 01.02.1990 bis zum 31.01.1991. Nach erfolgter Anhörung (Schreiben vom 13.02.1992) hob das Versorgungsamt mit Bescheid vom 14.04.1992 den Bescheid vom 12.11.1991 mit Wirkung für die Zukunft, das heißt ab Bekanntgabe des Rücknahmebescheides, auf und führte zur Begründung aus, mit Jugoslawien habe keine Gegenseitigkeit bestanden, so dass die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung habe.

Die Klägerin, die zuvor vom 11.04.1995 bis zum 03.05.1995 in der Klinik der offenen Tür stationär behandelt und mit der Diagnose einer depressiven Entwicklung bei Verdacht auf eine paranoide Psychose mit latenter Suizidalität entlassen worden war, wurde aufgrund einer Zwangseinweisung wegen des Verdachts auf eine paranoide Psychose vom 17.11.1995 bis zum 21.11.1995 in der Psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals S. stationär behandelt. Dort ergaben sich keine Hinweise für eine produktiv-psychotische Symptomatik. Diagnostiziert wurde eine längerdauernde depressive Reaktion (Befundbericht vom 08.11.1996). Außerdem stellte sich die Klägerin am 30.11.1995 beim Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten Dr. P. vor und berichtete über ihre seit der Gewalttat bestehenden Probleme mit ihrer psychischen Identität sowie über die durch den Suizid ihres Bruders im Jahr 1993 herrührende psychische Belastung. Der Neuropsychiater Prof. Dr. U. beschrieb am 29.06.2000 einen auf eine psychische Störung hindeutenden Zustand mit Elementen paranoider Erlebnisse. Am 11.04.2001 befundete Dr. P., nachdem die Klägerin ihm gegenüber angegeben hatte, ihr gehe es seit Sommer 2000 wieder schlecht, im Wesentlichen eine Logorrhoe mit Verfolgungsgedanken sowie eine affektiv depressive Stimmungslage und gelangte zu der Einschätzung, es bestehe bei ihr wenig Krankheitseinsicht in die bestehende paranoide Psychose. Am 06.11.2001 erhob er einen unauffälligen neurologischen Befund (Befundbericht vom 25.11.2002).

Mit Schreiben vom 13.09.2002 teilte die Klägerin mit, sie leide immer noch sehr unter den Folgen der Gewalttat. Sie legte dabei ihren bis zum 23.10.2004 geltenden Aufenthaltstitel vor. Aktenkundig wurden der Arztbrief des Prof. Dr. H., Ärztlicher Leiter der Medizinischen Klinik des Diakonissenkrankenhauses S., vom 15.05.1990, der Befundbericht des Prof. Dr. T. vom 08.11.1996, die Bescheinigung des Prof. Dr. U. vom 29.06.2000 und der Befundbericht des Dr. P. vom 25.11.2002. Dr. G. führte in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 08.01.2003 und 20.01.2003 aus, die lange Latenz und fehlenden Brückensymptome sowie die allgemeine Wahnthematik sprächen gegen eine wahnhafte Persönlichkeitsentwicklung aufgrund der Gewalttat. Neben persönlichkeitseigenen Faktoren scheine auch eine chronische familiäre Konfliktsituation für die seit 1995 aufgetretene psychische Erkrankung maßgebend zu sein. Zeichen einer chronischen P.traumatischen Belastungsstörung bestünden nicht. Der Grad der Behinderung (GdB) bewege sich vermutlich zwischen 30 und 50. Mit Bescheid vom 03.02.2003 lehnte das Versorgungsamt Beschädigtenversorgung ab. Es führte zur Begründung aus, eine Schwerbeschädigung alleine wegen der Gewalttat liege nicht vor. Darüber hinaus lägen gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, die schädigungsunabhängig seien.

Hiergegen legte die Klägerin am 17.02.2003 Widerspruch ein. Sie hatte sich bei Dr. P. letztmals am 28.03.2003 in Behandlung befunden. Dieser diagnostizierte einen Impulskontrollverlust, eine leichtgradige Intelligenzbeeinträchtigung, eine schizomanische Störung, eine pseudoretardierte Persönlichkeitsaberatio sowie eine fanatisch-expansive paranoide Persönlichkeitsstörung und beschrieb eine konflikthafte familiäre Konstellation, einen status P. stuprum sowie einen Verlust an sozialen Beziehungen (Befundberichte vom 20.11.2003 und 21.07.2004). Dr. H. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.06.2003 aus, zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. T. habe sich der psychische Zustand der Klägerin soweit stabilisiert gehabt, dass von einer bleibenden Dauerveränderung nicht mehr habe gesprochen werden können. Nach den Ausführungen des Gutachters sei mit einem reaktiven Persönlichkeitswandel nur dann zu rechnen, wenn ein absolut lebensbedrohliches Verfolgungsschicksal über eine längere Zeit auf die Opfer einwirke. Bei einem einmaligen, über Stunden hinweg andauernden Ereignis seien kaum Dauerveränderungen zu erwarten. Die bei der Klägerin diagnostizierte seelische Erkrankung gehe mit Wahnvorstellungen einher, die eine allgemeine Thematik hätten, und sich nicht speziell auf die MissbR.ssituation bezögen. Außerdem bestehe seit Jahren eine familiäre Konfliktsituation. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2003 wies das ehemalige Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch zurück. Es sei nicht wahrscheinlich, dass allein aus der Gewalttat eine MdE um 50 v. H. resultiere.

Hiergegen erhob die Klägerin am 08.12.2003 Klage beim Sozialgericht S ...

Dr. R. schlug in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.04.2004 die Einholung eines Gutachtens vor.

Sodann holte das Sozialgericht von Amts wegen das Gutachten der Psychotherapeutin Dipl.-Psych. B. vom 24.11.2004 ein. Die Gutachterin beschrieb ausgeprägte Druck- und Spannungsgefühle, insbesondere im Brust- und Bauchraum, starke Rückzugstendenzen bei einer insgesamt depressiven Grundstimmung mit affektiven Impulsdurchbrüchen, Reizbarkeit und Misstrauen, eher manisch und agitiert wirkend, sowie eine ausgeprägte Beeinträchtigung im Zusammenhang mit der sexuellen Identität und Integrität, insbesondere Ängste und mögliche Auslöser für Panikattacken im Sinne von auf die Vergewaltigung bezogenen Intrusionen und flashbacks. Diese Gesundheitsstörungen wirkten sich vor allem dahingehend aus, dass die Klägerin über die ganzen Jahre weder in einen kontinuierlichen Arbeitsprozess habe eingebunden werden können, noch eine altersgemäße, erwachsene Persönlichkeitsentwicklung mit eigener Wohnung, Außenkontakten und Partnerschaften habe erreichen können. Nachdem im Verlauf des ersten Jahres nach der Gewalttat deutliche Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung und selbstschädigenden Verhaltens wie Waschzwang und Suizidversuch vorhanden gewesen seien, habe sich im weiteren Verlauf das gegenwärtige Zustandsbild der Klägerin entwickelt. Ihre besondere Familiensituation, die schambesetzte Haltung der Familie sowie weitere tragische Ereignisse wie der Suizid ihres Bruders hätten ein Verharren und ein Sich-in-dieser-Hilflosigkeit-Niederlassen befördert und verstärkt. Die Gutachterin führte ferner aus, die Forderung nach sogenannten Brückensymptomen, nämlich dass die Störung in ihrem zeitlichen Verlauf kein symptomfreies Intervall aufweisen solle, sondern persistieren oder zumindest über wechselnde Symptome kontinuierlich verlaufen solle, werde inzwischen als veraltet angesehen. Bei der Klägerin habe sich im Laufe der Jahre ein traumakompensatorisches Schema entwickelt, dem eher Rückzugstendenzen, angstbesetzte Außenkontakte sowie Verharren in Hilflosigkeit und in dem Sich-Versorgen-Lassen gefolgt seien, wobei die depressive Grundstimmung mit Impulsdurchbrüchen das Verhalten der Klägerin charakterisierten. Alle bei der Klägerin festgestellten psychischen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen seien miteinander verflochten und bedingten sich gegenseitig. Die MdE um 30 v. H. sei vollumfänglich schädigungsbedingt.

Dr. Sch. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.12.2004 aus, die Ausführungen der Gutachterin seien im Wesentlichen nachvollziehbar, es solle jedoch eine ergänzende Stellungnahme zu den vorzuschlagenden Funktionseinschränkungen eingeholt werden.

Dipl.-Psych. B. führte in ihrer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 23.01.2005 aus, bei der Klägerin sei die Diagnose einer Persönlichkeitsänderung im Sine einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen. Bei dem Zustandsbild der Klägerin handle es sich um mittelgradige Anpassungsstörungen mit einer MdE um 50 bis 70 v. H. Diese Anpassungsschwierigkeiten könnten aber nicht alleine ursächlich mit der Gewalttat in Verbindung gebracht werden, da der kulturelle und familiäre Kontext mit seiner besonderen Problematik hierfür mitbedingend gewesen sei. Dabei werde sehr wohl erkannt, dass vorliegend die Anerkennung einer MdE um 30 bis 40 v. H. sehr schwierig sei.

Daraufhin schlug Dr. Sch. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.02.2005 die Anerkennung psychoreaktiver Störungen als schädigungsbedingt mit einer MdE um 30 v. H. vor. Der Beklagte hielt an seinem Antrag auf Klageabweisung fest und legte das in der Verfügung des Landesversorgungsamts vom 26.09.1996 wiedergegebene unter dem Aktenzeichen VI 1-52038-1 ergangene Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 22.08.1996 vor. Danach sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteile vom 06.03.1996 - 9 RVg 3/95, 9 RVg 10/95, 9 RVg3/94 und 9 RVg 4/95) in Fällen, in denen Ausländer eine Gewalttat vor dem 01.07.1990 erlitten hätten, die Regelung des § 10a OEG, wonach bei einer MdE um 50 v. H., Bedürftigkeit und Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland Grundrente gewährt werden könne, anwendbar.

Die mit Beschluss vom 29.08.2006 beigeladene Bundesrepublik Deutschland ließ durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ausführen, die Einfügung des § 10 Satz 3 Abs. 2 OEG diene der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgend dazu, eine Entschädigungsmöglichkeit im Wege einer Härteregelung für die vor dem 01.07.1990 gegenüber Ausländern begangenen Taten zu schaffen. Vorliegend betrage die schädigungsbedingte MdE aber nicht mindestens 50 v. H. Ferner fehle es vorliegend an den Voraussetzungen eines Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), da § 10a OEG bereits eine auf den Einzelfall bezogene Härtefallregelung enthalte und es deshalb an der erforderlichen Gesetzeslücke fehle. Im Übrigen handele es sich bei § 10a OEG um eine im Verhältnis zu § 89 Abs. 1 BVG vorrangig anzuwendende spezialgesetzliche Vorschrift.

Die Klägerin wurde am 25.10.2005 in das Zentrum für seelische Gesundheit des Bürgerhospitals S. eingewiesen. Die Einweisung dauerte auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts S. vom 28.10.2005 bis zum 18.11.2005 an. Diagnostiziert wurde eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie. Ferner wurde damals von der Klägerin angegeben, sie habe vor rund vier Jahren vermehrt Alkohol getrunken (Arztbrief vom 08.12.2005 mit Kurzarztbrief vom 18.11.2005). Die Weiterbehandlung erfolgte durch Dr. P., der von den Diagnosen paranoid-halluzinatorische Psychose, rezidivierende Dekompensationen, chronisches Schmerzsyndrom und postraumatische Belastungsstörung ausging (Befundbericht vom 02.08.2006).

Mit Urteil vom 15.08.2007 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 03.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2003 auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Versorgungsleistungen entsprechend einer MdE um 50 v. H. in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Dabei beginne die Leistungspflicht der Beklagten ab 01.09.2002 (Seite 10 des Urteils). Die Klägerin sei bedürftig. Es seien keine zwingenden sachlichen Gesichtspunkte dafür erkennbar, dass sich die Klägerin im Tatzeitpunkt unrechtmäßig in Deutschland aufgehalten habe. Vielmehr habe sie sich damals besuchsweise und zum Zwecke der Teilnahme an einem deutschen Sprachkurs bei ihren Eltern in Deutschland aufgehalten. Trotz des besuchsweisen Aufenthalts sei sie nicht vom Versorgungsrechtsschutz ausgeschlossen. Hinzu trete auch, dass die Klägerin damals über ihren sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden und sozialversicherungspflichtig arbeitenden Vater familienkrankenversichert gewesen sei. Die Klägerin sei auch schwerbeschädigt. Die vorliegend mit 50 v. H. zu bewertende MdE gründe sich in erster Linie auf eine Beurteilung des medizinischen Sachverhaltes. Die bei der Klägerin zusätzlich vorhandenen sozialen Anpassungsstörungen, die ihrerseits im unteren Bereich der Mittelgradigkeit liegen dürften, seien noch dem Schädigungsleiden zuzuordnen. Hieraus folge, dass der niedrige MdE-Betrag für stärker behindernde Störungen von 40 v. H. nach obenhin überschritten werde und bei rundender Betrachtung eine Einstufung mit 50 v. H. erfolge. In diese Bewertung fließe zugleich auch noch die Berücksichtigung einer gewissen besonderen beruflichen Betroffenheit ein. Denn die als Frisörin gelernte Klägerin habe jedenfalls nach der Gewalttat im erlernten Beruf nicht Tritt fassen können. Die Klägerin wäre bei normalem Gang der Dinge und auch bei Wiederherstellung geordneter politischer Verhältnisse in ihrem Heimatland im Rahmen des ausländerrechtlich Möglichen und auch nach entsprechender Absolvierung des begonnenen deutschen Sprachkurses zu ihren Eltern und Geschwistern nach Deutschland gezogen und hätte dort in üblicher und geordneter Weise im erlernten Beruf gearbeitet, was ihr dann jedoch durch die Folgen der an ihr verübten Gewalttat nicht mehr möglich gewesen sei.

Gegen das ihm am 13.09.2007 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Beklagte am 26.09.2007 Berufung eingelegt und darauf hingewiesen, dass über die besondere berufliche Betroffenheit bisher nicht entschieden worden sei. Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 18.09.2007, wonach die Urteilsbegründung jegliche Auseinandersetzung mit dem Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung vermissen lasse, vorgelegt.

Der Beklagte hat die Schwerbehinderten-Akte der Klägerin vorgelegt. Daraus geht hervor, dass das Versorgungsamt S. mit Abhilfebescheid vom 03.09.2004 unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. M., in der diese die seelische Krankheit der Klägerin mit einem GdB von 80 berücksichtigt hatte, den GdB der Klägerin mit 80 seit 09.01.2004 festgestellt hatte. Eingeholt worden waren die Befundberichte des Internisten und Kardiologen Dr. Dr. K. vom 28.11.2003, der Allgemeinmedizinerin T.-C. vom 08.04.2004, des Dr. P. vom 20.11.2003 und 21.07.2004, des Prof. Dr. T. vom 08.12.2005 mit Kurzarztbrief vom 18.11.2005 sowie des Dr. P. vom 02.08.2006. Außerdem war der Einweisungs-Beschluss des Amtsgerichts S. vom 28.10.2005 aktenkundig.

Ferner hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 20.09.2007 vorgelegt. Danach bestehe zwischen der Gewalttat und dem Auftreten der mit einem GdB von 80 beurteilten paranoiden halluzinatorischen Psychose kein enger zeitlicher Zusammenhang. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Gutachten des Prof. Dr. T., in dem ausdrücklich festgestellt worden sei, dass krankhafte Denkstörungen inhaltlicher oder auch formaler Art nicht zu finden seien, und daraus, dass erste Hinweise für eine paranoide Psychose nach Aktenlage erstmals aus dem Befundbericht des Bürgerhospitals vom 08.11.1996 zu folgern seien. Mithin seien die Voraussetzungen für eine Kannversorgung nicht gegeben. Ob sich unabhängig von der schizophrenen Psychose eine psychoreaktive Störung als Folge der Gewalttat als eigenständige Gesundheitsstörung entsprechend einer MdE um 30 v. H. abgrenzen lasse, müsse durch ein weiteres psychiatrisches Gutachten geklärt werden. Ferner wendet sich der Beklagte gegen die Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit bei der MdE-Bewertung. Es sei davon auszugehen, dass die schlechte Arbeitsmarktlage und ausländerrechtliche Hindernisse im Vordergrund gestanden hätten. Auch in ihrem Heimatland habe die Klägerin wegen der dort bestehenden hohen Arbeitslosigkeit nach dem Ausbildungsabschluss im Jahr 1988 sowie auch nach einer späteren Rückkehr keine feste Anstellung erlangen können.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts S. vom 15. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihre Schwierigkeiten im familiären und sozialen Umfeld, insbesondere ihr Verhalten gegenüber anderen Menschen, sei in erster Linie auf ihre Vergewaltigung zurückzuführen. Vorher sei sie kontaktfreudig gewesen und habe keinerlei Probleme im Umgang mit anderen Menschen gehabt. Wäre sie nicht Oper einer Vergewaltigung geworden, hätte sie den bereits begonnenen Sprachkurs abgeschlossen und wäre in Deutschland geblieben, um im erlernten Beruf zu arbeiten. Bereits aus dem von Prof. Dr. T. anlässlich seines Gutachtens erhobenen psychischen Befund ergebe sich, dass sie in der ersten Zeit nach der Straftat eine ängstlich-paranoide Veränderung, die auch in eine depressive Richtung gegangen sei, erlitten habe.

Der Senat hat von Amts wegen das Gutachten des Prof. Dr. F., Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T., vom 04.12.2008 eingeholt. Der Sachverständige, dem gegenüber die Klägerin unter anderem ausgeführt hat, sie habe in den ersten Jahren nach der Gewalttat eher zu viel Alkohol getrunken, hat dargelegt, in den ersten beiden Jahren nach der Gewalttat habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen sei. Die im weiteren Verlauf entwickelte und nunmehr als Schizophrenie, episodisch, mit stabilem Residuum zu diagnostizierende Erkrankung sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen. Festzuhalten sei, dass die Schizophrenie eine Hirnentwicklungsstörung sei, die auf einer Interaktion von risikomodulierenden Dispositionsgenen und Umwelteinflüssen beruhe. Die Erkrankung der Schizophrenie werde durch eine zugrunde liegende psychobiologische Vulnerabilität verursacht, die schon früh im Leben durch genetische Faktoren und frühe Umweltfaktoren festgelegt werde. Sobald die Vulnerabilität hergestellt sei, werde Krankheitsbeginn und -verlauf, einschließlich von Rückfallen, durch die dynamische Wechselwirkung von biologischen und psychosozialen Faktoren determiniert. Unter den biologischen Faktoren seien Medikation und Substanzabusus die kritischsten. Antipsychotische Medikamente könnten den Schweregrad von Symptomen und die Anfälligkeit für Rückfälle verringern, während SubstanzmissbR. die Symptome verschlechtern und zu Rückfällen beitragen könne. Unter den psychosozialen Faktoren seien Stress, Copingfähigkeiten und soziale Unterstützung am Wichtigsten. Stress, insbesondere im Sinne kritischer "life-events", könne die biologische Vulnerabilität beeinflussen, Symptome verschlechtern und Rückfälle auslösen. Die Gewalttat sei zu den psychosozialen Belastungsfaktoren im Sinne eines kritischen "life-events" zu rechnen. Auch das Aufwachsen in zwei Kulturkreisen, die chronische familiäre Konfliktsituation und der Suizid des Bruders seien in diesem Kontext kritische "life-events" mit unterschiedlicher Schwere. Nach heutigen wissenschaftlichen Kenntnissen sei die Erkrankung der Schizophrenie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Gewalttat zurückzuführen. Der von Dipl.-Psych. B. gestellten Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung sei nicht zu folgen, da diese Diagnose nur gestellt werden dürfe, wenn es sich um eine andauernde Persönlichkeitsänderung als Folge verheerender traumatischer Erfahrungen im Sinne von Erlebnissen in einem Konzentrationslager, Folter, Katastrophen oder andauernden lebensbedrohlichen Situationen handle, was bei der Klägerin nicht zutreffe. Die Klägerin habe bis Dezember 1992 an einem Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten, die im Zeitraum von Februar 1990 bis Dezember 1992 mit 80 v. H. bewertet werden müsse, da schwere soziale Anpassungsstörungen bestanden hätten.

Prof. Dr. F. hat in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 14.09.2009 ausgeführt, die Krankheitssymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung hätten bis maximal Ende 1992 eruiert werden können. Die von Dr. P. in seinem Befundbericht vom 08.09.1990 geschilderten Symptome gäben die Krankheitssymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wieder, die zu diesem Zeitpunkt bestanden habe. Aufgrund dieser Symptomatik könne zum damaligen Zeitpunkt nicht auf das Bestehen einer paranoiden Schizophrenie geschlossen werden. Die Gewalttat sei sicher als ein psychosozialer Belastungsfaktor zu werten, könne aber nicht als wesentlich ursächlich für die fünf Jahre spätere Erkrankung der paranoiden Schizophrenie gewertet werden.

Sodann hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. L., Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in M., vom 08.11.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ein schizophrenes Residuum nach paranoid-halluzinatorischer Psychose im episodischem Verlauf und eine posttraumatische Belastungsstörung mit Erstmanifestation nach dem gewalttätigen Übergriff diagnostiziert. Die posttraumatische Belastungsstörung stehe in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Gewalttat. Die dominierende Erkrankung eines Residualzustandes einer Schizophrenie sei als eine mittelbare Traumafolgestörung zu werten. Die Kriterien der sogenannten Kannversorgung träfen auf diese Krankheit zu. Über Ätiologie und Pathogenese bestehe insofern Ungewissheit, in wieweit psychosozialer Stress die Ausbildung von schizophrenen Symptomen mitverursache. Für den Ausbruch und den Verlauf der Erkrankung der Klägerin habe die Gewalttat eine essentielle Rolle gespielt, indem bei vorhandener Prädisposition die Erkrankung initiiert worden sei. Je nachdem, ob man das unspezifische Prodromalstadium zu der Erkrankung hinzurechne oder die posttraumatische Reaktion als weiteren Stressor bewerte, lasse sich feststellen, dass ein ursächlicher Einfluss der vorliegenden Umstände in wissenschaftlichen Arbeitshypothesen zumindest als theoretisch begründet und aus klinischer als auch wissenschaftlicher Einschätzung als überaus wahrscheinlich einzuschätzen sei. Die hohe Bedeutung der sexuellen Traumatisierung spiegele sich auch im Wahnsystem der Klägerin bis heute wieder. Hier herrsche eine deutliche Präokkupation mit sexuellen Themen und Angst vor schädigenden Einflüssen durch Personen vor. Eine enge zeitliche Verbindung des ersten Auftretens unspezifischer ängstlich paranoider Symptome beziehungsweise seelischer Erkrankungssymptome generell mit dem schädigenden Ereignis sei gegeben. Nachdem die Klägerin zuvor psychisch unauffällig gewesen sei, hätten sich bereits im Rahmen der akuten Belastungsreaktion paranoide Befürchtungen gezeigt. Mit der Feststellung eines kausalen Zusammenhangs der Hauptdiagnosen mit dem kritischen Lebensereignis müssten auch die komorbiden Diagnosen in ursächlichem Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis bewertet werden, so dass dieses aus den Überlegungen zur Krankheitsentwicklung nicht wegzudenken sei. Beide Hauptdiagnosen gingen regelhaft mit Begleiterkrankungen wie Angst, Somatisierung und Suchtmittelgebrauch. einher. Mithin seien schädigungsbedingt die Initiierung des Ausbruchs beziehungsweise die ungünstige Einflussnahme auf den Verlauf der paranoiden Psychose, welche sich gegenwärtig mit dem Bild eines Residualzustandes in schwerer Ausprägung präsentiere, die Verursachung einer posttraumatischen Belastungsstörung in gegenwärtig leichterer Ausprägung sowie die mittelbare Verursachung einer Somatisierungsstörung, einer Panikstörung und eines Suchtmittelmissbrauchs in leichterer Ausprägung. Insgesamt handele es sich um ein Krankheitsbild mit schweren sozialen Anpassungsstörungen, dessen schädigungsbedingter Anteil mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 einzuschätzen sei. Die Klägerin sei seit dem schädigenden Ereignis krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Frisörin auszuüben.

Dr. G. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.01.2011 dargelegt, eine enge zeitliche Verbindung zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Ausbruch der schizophrenen Psychose sei weiterhin nicht überzeugend belegt. Die von Dr. P. in seinem Befundbericht vom 08.09.1990 angegebenen paranoid gefärbten überzogenen Denkweisen bezüglich der sexuellen Straftäter seien letztendlich zu wenig spezifisch und könnten ebenso als Symptome einer zum damaligen Zeitpunkt bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung gewertet werden. In dem Gutachten des Prof. Dr. T. würden krankhafte inhaltliche oder formale Denkstörungen verneint, so dass eine psychische Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt worden sei.

Prof. Dr. F. hat in seiner weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18.04.2011 ausgeführt, eine länger bestehende posttraumatische Belastungsstörung habe eine genaue Eruierung nicht erbracht. Ein einmaliges Erlebnis könne nicht in unidirektionaler Beziehung zum Ausbruch der Erkrankung der Schizophrenie gesetzt werden. In dem Gutachten des Dr. L. seien wissenschaftliche Hypothesen aufgeworfen worden, welche nicht geeignet seien, im Rechtssinne eine Kausalität zu belegen. Für die Erkrankung der Schizophrenie treffe es nicht zu, dass über die Ätiologie und Pathogenese dieser Gesundheitsstörung medizinisch-wissenschaftliche Ungewissheit bestehe. Zudem bestehe keine enge zeitliche Verbindung zwischen der Einwirkung der als krankmachend angesehenen Umstände und der Manifestation der Erkrankung der Schizophrenie.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat ab der hier allein maßgebenden Antragstellung (vgl. hierzu das erstinstanzliche Urteil) keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung, insbesondere weder auf Heilbehandlung noch auf Grundrente.

Das Begehren der Klägerin richtet sich nach §§ 1, 10, 10a und 10b OEG in Verbindung mit §§ 1, 10, 30 und 31 BVG.

Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).

Ausländer haben einen Anspruch auf Versorgung, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind oder soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind oder wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist (§ 1 Abs. 4 OEG). Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten Versorgung nach folgenden Maßgaben: Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten (§ 1 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OEG). Versorgung wie die in § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 OEG genannten Ausländer erhalten auch ausländische Geschädigte, die sich rechtmäßig für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie mit einem Deutschen oder einem Ausländer, der zu den in § 1 Abs. 4 oder 5 OEG bezeichneten Personen gehört, bis zum dritten Grade verwandt sind oder in einem den Personenkreisen des § 1 Abs. 8 OEG entsprechenden Verhältnis zu ihm stehen oder wenn sie Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Übereinkommens vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten sind, soweit dieser keine Vorbehalte zum Übereinkommen erklärt hat (§ 1 Abs. 6 Nrn. 1 und 2 OEG).

In den Fällen des § 1 Abs. 5 und 6 OEG findet das OEG nur Anwendung auf Taten, die nach dem 30.06.1990 begangen worden sind (§ 10 Satz 3 Halbsatz 1 OEG); für Taten, die vor dem 01.07.1990 begangen worden sind, findet § 10a OEG unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 7 OEG entsprechende Anwendung (§ 10 Satz 3 Halbsatz 2 OEG). Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 15.05.1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 10a Abs. 1 Satz 1 OEG). Soweit sich im Einzelfall aus der Anwendung des § 1 Abs. 5 und 6 OEG eine besondere Härte ergibt, kann mit Zustimmung der obersten Landesbehörde im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Härteausgleich als einmalige Leistung bis zur Höhe des Zwanzigfachen der monatlichen Grundrente entsprechend einem GdS von 70 gewährt werden (§ 10b Satz 1 OEG). Das gilt für einen Geschädigten nur dann, wenn er durch die Schädigung schwerbeschädigt ist (§ 10b Satz 2 OEG).

Heilbehandlung wird Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BVG). Heilbehandlung wird Schwerbeschädigten auch für Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind (§ 10 Abs. 2 BVG).

Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem GdS ab 30 (§ 31 Abs. 1 BVG). Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist (§ 31 Abs. 2 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).

Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).

Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).

Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).

Die Gewährung einer Kannversorgung setzt unter anderem voraus, dass über die Ätiologie und Pathogenese des Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht. Eine von der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung abweichende persönliche Ansicht einer sachverständigen Person erfüllt nicht den Tatbestand einer Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft (VG Teil C Nr. 4 b aa Sätze 1 und 2).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung hat.

Weder liegt bei der Klägerin eine über die Dauer von einem Jahr nach der Gewalttat fortdauernde posttraumatische Belastungsstörung oder eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vor noch ist die Schizophrenie der Klägerin ursächlich auf die erlittene Gewalttat zurückzuführen.

Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Klägerin über den 31.01.1991 hinaus an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten hat.

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.

Nach ICD-10 F 43.1 gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wob
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