L 3 SB 5632/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 3231/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5632/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers streitig.

Der 1968 geborene türkische Kläger, der im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, stellte am 29.08.2008 beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis/Versorgungsamt (LRA) den Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Nach Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen gelangte Dr. S. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 21.11.2008 zu der Beurteilung, die vorliegenden psychovegetativen Störungen sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Schulter-Arm-Syndrom bedingten jeweils einen GdB von 10. Die geltend gemachten Krampfadern bedingten keinen Teil-GdB von mindestens 10.

Mit Bescheid vom 16.12.2008 lehnte das LRA den Antrag des Klägers auf Feststellung des Grades der Behinderung ab mit der Begründung, eine Feststellung sei nach § 69 Abs. 1 SGB XI nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliege. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen bedingten keinen GdB von wenigstens 20. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 13.03.2009 beantragte der Kläger erneut die Feststellung des GdB. Nach dem Dr. S. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 03.04.2009 unter Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen erneut zu der Beurteilung gelangt war, die geltend gemachten Funktionsbeeinträchtigungen bedingten keinen GdB von wenigstens 20, über die bereits beurteilten Gesundheitsstörungen hinaus bedinge ein Zustand nach Handgelenks-OP rechts keinen Teil-GdB von mindestens 10, lehnte das LRA mit Bescheid vom 06.04.2009 die Feststellung eines GdB erneut ab.

Hiergegen legte der Kläger am 28.04.2009 Widerspruch ein unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 27.04.2009 mit den Diagnosen Tendovaginitis rechtes Handgelenk, Lumboischialgie und variköser Symptomkomplex. Auf Nachfrage des Beklagten teilte Dr. G. mit, die Beschwerden am rechten Handgelenk träten bei Belastung auf, der Kläger sei deshalb nicht voll einsatzfähig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2009 wies der Beklagte, gestützt auf die Auswertung der ärztlichen Unterlagen durch Dr. B. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 16.06.2009, den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 25.09.2009 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei insgesamt drei Mal am Handgelenk operiert worden, trotzdem habe er weiterhin chronische Schmerzen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. H. hat unter dem 04.12.2009 mitgeteilt, beim Kläger bestünden Wirbelsäulenbeschwerden bei Dysfunktionen und degenerativen Veränderungen mit geringen funktionellen Auswirkungen (GdB 10), degenerative Veränderungen der Gelenke (Knie-Handgelenke) mit Chondromalazie bis Stadium II bei anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkungen (GdB 20) sowie Senk-Spreizfüße mit Plantarfasciitis (GdB ( 10).

Der Orthopäde J. hat unter dem 14.12.2009 mitgeteilt, beim Kläger bestehe eine Funktionsbeeinträchtigung der HWS und LWS (GdB 10) sowie ein Senk-Spreiz-Fuß mit chronischer Plantarfasciitis beidseits (GdB 10).

Der Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie/Handchirurgie Dr. M. hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 06.01.2010 mitgeteilt, bis auf den lokalen Druckschmerz am Griffelfortsatz des rechten Radius und die wiederkehrenden belastungsabhängigen Schmerzen am rechten Handgelenk habe er keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen an der rechten Hand festgestellt. Wegen der zum Zeitpunkt der letzten Vorstellung des Klägers am 26.11.2008 geplanten weiteren Operation sei der GdB nicht hinreichend sicher zu beurteilen.

Der Facharzt für Orthopädie/Handchirurgie L. hat unter dem 02.02.2010 angegeben, am 16.12.2009 sei eine Arthroskopie und Resektion des Innenmeniskushinterhorns am rechten Kniegelenk erfolgt, da der Kläger vor seinem Urlaub in der Türkei noch sein rechtes Kniegelenke habe versorgt wissen wollen. Bei seiner Wiedervorstellung am 12.01.2010 habe Druckempfindlichkeit über dem medialen Zugang im Sinne einer mäßigen Narbenbildung bei intakter Sensibilität und Durchblutung bestanden, eine Gehstütze sei nicht verwendet worden. Der Kläger habe ihn zunächst wegen Handgelenksbeschwerden rechts - zur Durchführung einer weiteren Hand-OP - aufgesucht, sei dann jedoch wegen ausgeprägter Beschwerden im rechten Kniegelenk - die Handgelenksbeschwerden seien offensichtlich nicht vorrangig gewesen - vorstellig geworden, woraufhin die genannte OP erfolgt sei. Während der Behandlung und dem Gehen mit den Gehstützen seien vom Kläger ostentativ keine Beschwerden am Handgelenk beklagt worden. Beigefügt war ein Arztbrief an den Hausarzt vom 22.09.2009, in welchem er hinsichtlich der Therapie der Beschwerden des Handgelenks ausgeführt hatte, er werde mit absoluter Sicherheit nicht noch ein viertes Mal dasselbe Problem angehen, da offensichtlich der Grund für die Beschwerden an anderer Stelle zu suchen sei.

Das SG hat den Kläger daraufhin durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. T. gutachterlich untersuchen lassen. Im Gutachten vom 15.03.2010 hat dieser ausgeführt, als nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen bestünden beim Kläger eine Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule sowie psychovegetative Störungen. Diese seien mit einem Teil-GdB von jeweils 10 zu bewerten. Die arthroskopische Innenmeniskus-Teilresektion rechts im Dezember 2009 mit geringer Restbeschwerdesymptomatik sei ohne funktionelle Beeinträchtigung. Ein dreifacher operativer Eingriff am rechten Handgelenk aufgrund einer Tendovaginitis bedinge keine nachweisbare Funktionseinschränkung und auch keine radiologisch nachweisbare Verschleißerkrankung. Ein Schulter-Arm-Syndrom lasse sich nicht nachweisen. Die klinische Untersuchung ergebe einen völlig unauffälligen Befund im Bereich der Schulter- und Ellenbogengelenke.

Der Kläger hat daraufhin ein Schreiben des Orthopäden Dr. H. vom 19.05.2010 vorgelegt, in welchem ein chronifiziertes Schmerzsyndrom des rechten Handgelenkes bei Styloiditis radii rechts und Zustand nach dreimaliger operativer Versorgung einer Tendovaginitis stenosans genannt werden. Es bestehe eine diskrete Umfangsverminderung des rechten Ober- und Unterarmes, eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Handgelenkes sowie eine Minderbelastbarkeit des rechten Handgelenkes.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen bedingten keine Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von mindestens 20 rechtfertigten. Als relevante Erkrankung bestehe lediglich eine Verschleißerscheinung der Halswirbelsäule sowie in untergeordnetem Umfang psychovegetative Störungen. Die beginnende degenerative Verschleißerkrankung der Halswirbelsule führe noch zu keinen funktionellen Beeinträchtigungen oder radikulären Ausfallsymptomen. Im Bereich der Brustwirbelsäule bestünde keine degenerative Verschleißerkrankung. Im Bereich der Kniegelenke bestünden noch Restbeschwerden nach der Arthroskopie, eine funktionelle Beeinträchtigung sei jedoch nicht nachweisbar. Gleiches gelte für den Bereich des rechten Handgelenks. Diese Beurteilung werde gestützt auf die von dem Sachverständigen Dr. T. erhobenen Befunde und dessen Einschätzung, die weitgehend mit der Beurteilung durch die behandelnden Fachärzte Dr. J., M. und Dr. L. übereinstimme. Der Sachverständige habe weiter überzeugend dargelegt, dass auf der Grundlage des vom Kläger geschilderten Tagesablaufs ein strukturierter Tagesablauf vorliege. Es seien weder Rückzugstendenzen noch eine soziale Isolierung feststellbar, auch erfolge keine therapeutische Behandlung. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem Schreiben des Dr. H. vom 19.05.2010, das keine Befunde enthalten, die eine andere Beurteilung rechtfertigten.

Gegen den am 11.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.11.2010 Berufung eingelegt mit der Begründung, die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere die Funktionsbehinderungen der rechten Hand, der Halswirbelsäule und der Kniegelenke, seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Hierdurch sei seine Leistungsfähigkeit bei der Arbeit erheblich eingeschränkt. Auch seien seine Schmerzen nicht hinreichend berücksichtigt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Oktober 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2009 zu verurteilen, den Grad der Behinderung ab Antragstellung mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden sind. Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass aufgrund der beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB von mindestens 20 nicht festgestellt werden kann. Es hat dabei zutreffend die von dem Sachverständigen Dr. T. erhobenen Befunde zugrunde gelegt und sich zudem auf die Auskünfte der behandelnden Ärzten Dr. J., M. und Dr. L. gestützt, die übereinstimmend - auch hinsichtlich der Beurteilung des GdB - zum gleichen Ergebnis gelangt sind. Es hat weiter zutreffend ausgeführt, dass sich den von Dr. H. vorgelegten Unterlagen keine Befunde entnehmen lassen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten. Es wird deshalb auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist folgendes auszuführen: Soweit der Kläger zur Berufungsbegründung vorgetragen hat, seine Schmerzen seien nicht ausreichend berücksichtigt, trifft dies nicht zu. Nach Teil A Gemeinsame Grundsätze Nr. 2i der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VMR -) sind bei der Beurteilung des GdB auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Nach Nr. 2j VMR schließen die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinaus gehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Dies kommt z.B. bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmerzen) in Betracht.

Die beim Kläger vorhandenen Schmerzen sind dem entsprechend bei den einzelnen Gesundheitsbeeinträchtigungen ausreichend berücksichtigt worden.

Eine spezielle schmerztherapeutische Behandlung fand nur ein Mal im Jahr 2008 statt. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse Dr. W. hat hierbei im Arztbrief vom 09.10.2008 jedoch bezeichnender Weise mitgeteilt, der Kläger klage über Wirbelsäulenbeschwerden. Eine Behandlung wegen der Schmerzen an der rechten Hand lässt sich dem Arztbrief nicht entnehmen. Auch soweit Dr. K. im Arztbrief vom 27.05.2009 die Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms gestellt hat, lässt sich hiermit die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 20 nicht begründen. So waren dem Kläger nämlich nach der Meniskusoperation die Benutzung von Gehstützen möglich, ohne dass dem die Schmerzen im rechten Handgelenk entgegengestanden hätten. Auch bedingen die Schmerzen keine durchgehende medikamentenöse Behandlung. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. T. hat der Kläger vielmehr angegeben, derzeit nehme er nur zwei Mal wöchentlich ein Antidepressivum. Die Einnahme von Schmerzmitteln hat er nicht angegeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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