L 7 AS 5727/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1980/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 5727/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts; vornehmlich sind Fragen des Prozessrechts zu klären.

Der 1986 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt; eine Ausbildung im Straßenbau brach er seinem Vorbringen zufolge bereits nach zehn Monaten ab. Auf Kosten des Beklagten durchlief er bei der D. eine Qualifizierung zur Lagerfachkraft; außerdem hatte er auf der Grundlage von zwei Eingliederungsvereinbarungen zuletzt bis Dezember 2008 an Bewerbungs- und Motivationsmaßnahmen teilgenommen. Der Kläger lebt mit seinem Vater in einem gemeinsamen Haushalt. Er bezog zunächst zusammen mit diesem als Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); diese waren mit Bescheid vom 2. April 2009 für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2009 bewilligt worden.

Zu einem persönlichen Gespräch beim Beklagten am 9. April 2009 erschien der Kläger wegen geltend gemachter Verhinderung nicht; er wurde darauf zu einem weiteren Beratungsgespräch auf den 6. Mai 2009 eingeladen. Im Rahmen dieses Termins bot der Beklagte ihm den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel der Integration in Arbeit durch Teilnahme an einer in R. in der Zeit vom 2. Juni bis 1. Dezember 2009 durchgeführten Qualifizierungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose an. Eine solche Eingliederungsvereinbarung kam indes nicht zustande, weil der Kläger die angebotene Maßnahme offenbar zur Eingliederung in Arbeit für ungeeignet hielt. Durch den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 13. Mai 2009 (Laufzeit 13. Mai bis 5. November 2009) verpflichtete der Beklagte den Kläger darauf zur Teilnahme an der vorbezeichneten Maßnahme, beginnend am 2. Juni 2009 bis 1. Dezember 2009. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Bescheid sei nicht bindend, weil er keine überprüfbaren Paragraphen enthalte, die eine Teilnahme an der Maßnahme rechtfertigen würden. Unter dem 27. Juli 2009 erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid. Die deswegen erst am 1. September 2009 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 6 AS 3842/09) wurde am 20. April 2010 wegen Nichtbetreibens des Verfahrens aufgrund fiktiver Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erledigt.

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte den dem Kläger zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2009 auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt (Absenkungsbescheid vom 30. Juli 2009, Änderungsbescheid vom 30. Juli 2009). Auch der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009). Die Sanktionsentscheidung wurde auch im nachfolgenden Bewilligungszeitraum berücksichtigt (Bescheide vom 3. November und 2. Dezember 2009). Mit seiner am 7. Oktober 2009 erneut zum SG erhobenen Klage (S 9 AS 4393/09) wandte sich der Kläger u.a. gegen die Sanktionsentscheidung vom 30. Juli 2009. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 4. März 2010 schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich, in welchem sich der Beklagte verpflichtete, die Klage vom 7. Oktober 2009 als Antrag auf Überprüfung des Ersetzungsbescheids vom 13. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2009 zu behandeln.

Am 10. Mai 2010 hat der Kläger beim SG eine Untätigkeitsklage (S 6 AS 1980/10) erhoben, weil der Beklagte seiner Verpflichtung aus dem oben bezeichneten gerichtlichen Vergleich nicht nachgekommen sei. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte den Bescheid vom 10. Juni 2010 erlassen, mit dem er eine Rücknahme des Bescheids vom 13. Mai 2009 (Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2009) nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch abgelehnt hat. Den Widerspruch des Klägers hat er mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 zurückgewiesen. Der Kläger hat darauf seine Klage auf eine Anfechtung der vorgenannten Bescheide geändert. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 19. Oktober 2010 hat der anwesende Kläger seine auf die vorbezeichneten Bescheide gerichtete Klage aufrechterhalten. Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 13. Mai 2009, weil dieser nicht zu beanstanden sei; da eine Eingliederungsvereinbarung am 6. Mai 2009 nicht zustande gekommen sei, sei der Beklagte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II befugt gewesen, die Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt festzusetzen. Die Eingliederungsvereinbarung habe auch einen zulässigen Inhalt gehabt, ferner sei die Maßnahme zur Eingliederung des Klägers in Arbeit geeignet gewesen. Das Urteil ist dem Kläger am 9. November 2010 zugestellt worden.

Mit einem auf den 6. Dezember 2010 datierten, am 10. Dezember 2010 (Freitag) beim SG eingegangenen Schreiben hat der Kläger unter Bezugnahme auf das Az. S 6 AS 1980/10 Berufung gegen das Urteil vom "8.11.2010" eingelegt. Er hat vorgebracht, die Rechtmäßigkeit der Inhalte eines Verwaltungsakts, der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzen solle, werde von ihm nicht bemängelt, wohl aber, dass ein "Geldwerteabzug" entgegen den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) stattgefunden habe.

Auf die Senatsverfügung vom 21. Dezember 2010, in welcher der Kläger auf die Zustellung des Urteils am 9. November 2010 sowie darüber aufgeklärt worden ist, dass die Berufung erst am 10. Dezember 2010 und damit nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist eingegangen sei, ferner nicht ersichtlich sei, dass er an der Einhaltung der Frist ohne sein Verschulden gehindert worden sei, hat der Kläger innerhalb der gesetzten Frist nicht geantwortet. Ebenso wenig hat er auf die Verfügung vom 3. Januar 2011 mit erneuter Fristsetzung reagiert, in welcher er auf die Unzulässigkeit der Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist hingewiesen worden ist. Nachdem auch ein gerichtliches Erinnerungsschreiben vom 18. Januar 2011 von Seiten des Klägers trotz Fristsetzung von ihm nicht erledigt worden ist, sind die Beteiligten mit richterlicher Verfügung vom 18. Februar 2011 - dem Kläger zugestellt am 22. Februar 2011 - auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss der Berufsrichter hingewiesen worden. Der Kläger hat sich daraufhin mit Schreiben vom 11. März 2011 lediglich nochmals zur Sache geäußert. Auf den Hinweis in der Verfügung vom 15. März 2011 (dem Kläger zugestellt am 17. März 2011), dass sich dem vorgenannten Schreiben Wiedereinsetzungsgründe nicht entnehmen ließen und deshalb nunmehr die Verwerfung der Berufung beabsichtigt sei, ist eine Antwort trotz neuerlicher Fristsetzung zum 31. März 2011 ausgeblieben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2010 zu verpflichten, den Bescheid vom 13. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2009 zurückzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung wird auf die (fotokopierte) Verwaltungsakte des Beklagten, die Klageakte des SG (S 6 AS 1980/10), die weiteren Akten des SG (S 6 AS 3862/09, S 6 AS 4393/09, S 6 AS 439/10 ER) und die Berufungsakte des Senats (L 7 AS 5727/10) verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen (Satz 2 a.a.O.). Der Senat hat hiervon - auch unter Berücksichtigung des Gebots des fairen und effektiven Rechtsschutzes (vgl. hierzu BSG SozR 4-1500 § 158 Nr. 2) - nach dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht; er hat hierbei in seine Erwägungen mit einbezogen, dass der Kläger bereits erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 19. Oktober 2010 die Gelegenheit gehabt hat, seinen Standpunkt darzulegen. Die Beteiligten haben im Rahmen des rechtlichen Gehörs Gelegenheit erhalten, sich zur Frage der Zulässigkeit der Berufung sowie der Möglichkeit der Verwerfung des Rechtsmittels durch Beschluss zu äußern.

Der Kläger hat mit seinem am 10. Dezember 2010 beim SG eingegangenen Berufungsschreiben vom 6. Dezember 2010 zwar die Formvorschriften des § 151 Abs. 1 und 2 SGG gewahrt. Er hat die Berufung indessen nicht rechtzeitig eingelegt.

Nach § 151 Absatz 1 SGG ist die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Urteile, die - wie hier - verkündet worden sind, sind zuzustellen (§ 135 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG); zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO - (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG). Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs. 3 a.a.O.). Vorliegend ist die Berufungsfrist versäumt, ohne dass Wiedereinsetzungsgründe gegeben sind.

Das Urteil des SG vom 19. Oktober 2010 war mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen (vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 7 SGG i.V.m. § 66 Abs. 1 SGG); dort war der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht einzulegen sei, die Berufungsfrist jedoch auch gewahrt sei, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG eingelegt werde. Die Ausfertigung des Urteils ist dem Kläger, nachdem dieser in der Wohnung nicht angetroffen werden konnte, ausweislich der - die inhaltlichen Anforderungen des § 182 ZPO beachtenden - Postzustellungsurkunde am 9. November 2010 (einem Dienstag) durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten wirksam zugestellt worden (vgl. § 180 Satz 1 i.V.m. § 178 Abs. 1 ZPO). Damit endete die Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs. 1 SGG) am Donnerstag, dem 9. Dezember 2010. Demgegenüber ist die Berufung des Klägers erst am 10. Dezember 2010 (Freitag) beim SG eingegangen.

Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 67 Rdnr. 3 (m.w.N.)). Derartige Gründe, welche den Kläger schuldlos an einer rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert haben, sind von diesem nicht vorgebracht und erst recht nicht glaubhaft gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Wegen Versäumung der Berufungsfrist ist dem Senat eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache verwehrt. Ohnehin hatte der Kläger seine Berufung im Wesentlichen (sowie unter unvollständiger Zitierung des Urteils des BSG vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 2 (vgl. dort Rdnr. 17)) mit der Sanktionsentscheidung des Beklagten begründet, die jedoch nicht Gegenstand des am 4. März 2010 im Klageverfahren S 6 AS 4393/09 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs war und über die das SG im angefochtenen Urteil gemäß dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2010 gestellten Antrag auch nicht entschieden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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