L 11 SF 255/11 AB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 14 R 556/10
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 SF 255/11 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch der Antragstellerin auf Ablehnung von Richter am Sozialgericht X wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe:

Das Befangenheitsgesuch der Antragstellerin (AS) ist nicht begründet.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Für die Feststellung eines solchen Grundes kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Andererseits begründet die subjektive Überzeugung eines AS oder seine Besorgnis, der Richter sei befangen, allein nicht die Berechtigung der Ablehnung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Grund vorliegt, der den AS von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (std. Rspr., vgl. u.a. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 12.07.1986 - 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, 1 BvR 306/85, 1 BvR 497/85 -, vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - und vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 -; Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.1993 - 12 RK 45/92 -).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die AS beanstandet mit ihrem Gesuch im Wesentlichen, dass der abgelehnte Richter unmittelbar nach Eingang des auf ihren Antrag nach § 109 SGG von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N eingeholten Gutachtens unter dem 31.05.2011 eine weitere Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens nach §§ 103, 106 SGG von der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. N1 angeordnet hat. Die AS sieht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihr keine Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden sei; sie sieht sich benachteiligt, weil der Beklagten keine Gelegenheit gewährt worden sei, ein Anerkenntnis abzugeben; darüber hinaus würde durch die Anordnung einer erneuten Begutachtung in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen. Insbesondere aber sei der abgelehnte Richter nicht bereit, sein prozessuales Verhalten zu begründen.

Mit all ihrem Vorbringen macht die AS im Wesentlichen Verfahrens- bzw. Rechtsfehler geltend. Das Ablehnungsverfahren dient indes nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler oder gar von den Beteiligten im Einzelnen vertretenen Auffassungen. Allein die unterschiedliche Auffassung von Richter und betreffendem Verfahrensbeteiligten in materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Fragen stellt ohne besondere Anhaltspunkte keinen Anlass zu einer begründeten Besorgnis der Befangenheit dar. Die Rüge von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 64-76/94 pp - m.w.N.; Beschlüsse des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.04.2006 - L 10 AR 42/06 und L 10 AR 43/06 - und des Senats vom 25.11.2009 - L 11 AR 117/09 AB -, vom 20.01.2010 - L 11 AR 129/09 AB und L 11 AR 130/09 AB -, vom 17.05.2010 - L 11 SF 102/10 AB -, vom 19.07.2010 - L 11 SF 108/10 AB - und vom 30.03.2011 - L 11 SF 44/11 AB -).

Für eine derartige unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters oder für Willkür bestehen indes keine Anhaltspunkte; sie sind auch von der AS nicht dargetan.

Diese verkennt vielmehr ganz überwiegend die einem Richter im sozialgerichtlichen Verfahren obliegenden Rechte und Pflichten.

Für das von der AS in den Vordergrund gestellte Ansinnen, der abgelehnte Richter müsse ihr gegenüber sein prozessuales Verhalten begründen, existiert nicht einmal ansatzweise eine Rechtsgrundlage. Der Senat hat zwar wiederholt darauf hingewiesen (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 22.07.2011 - L 11 SF 210/11 AB -), dass einem Richter in § 106 Abs. 1 und 2 SGG im Einzelnen aufgeführte Aufklärungs- bzw. Hinweispflichten obliegen; eine Verpflichtung zur Erläuterung seines prozessualen Verhaltens ergibt sich daraus aber nicht.

Im Rahmen der ihm obliegenden Aufklärungspflicht ist der Richter indes zwingend gehalten, bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 106 Abs. 2 SGG). Dazu gehört u.a. die Anordnung der Begutachtung durch Sachverständige (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG). Dass es bei den zu treffenden Maßnahmen nicht auf die Auffassung eines der Beteiligten ankommt, ergibt sich bereits aus dem Gesetzestext (§ 106 Abs. 2 SGG), liegt aber auch auf der Hand. Denn den Rechtstreit entscheidet der Richter (in der Regel unter Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern); maßgebend dabei ist allein sein bzw. deren bestes Wissen und Gewissen, so dass es auch nur darauf ankommt, welche Umstände er (bzw. sie) für entscheidungserheblich und demzufolge auch für aufklärungsbedürftig erachtet (erachten).

Davon ausgehend ist das von der AS gerügte Verhalten des abgelehnten Richters nicht zu beanstanden. Mit der Beweisanordnung vom 31.05.2011 hat er den Beteiligten hinreichend deutlich gemacht, dass er das zuvor eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. N als Grundlage für die allein von ihm (ggf. unter Einschluss von ehrenamtlichen Richtern) zu treffende Entscheidung als nicht geeignet und deshalb eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich erachtet.

Ob zuvor noch ein Schriftwechsel der Beteiligten über das Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. N als tunlich anzusehen ist, bedarf keiner Erörterung, weil Gegenstand eines Befangenheitsverfahrens keineswegs die Frage ist, ob oder ggf. was ein Richter hätte "besser machen" können. Festzuhalten ist allein, dass es den Beteiligten, denen das Gutachten der Sachverständigen Dr. N zur eventuellen Stellungnahme übersandt worden ist, weiterhin unbenommen bleibt, ihre Auffassung zu dem Gutachten darzulegen und daraus ggf. Konsequenzen zu ziehen. Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann schon deshalb keine Rede sein. Darüber hinaus kann jedoch von keinem Beteiligten erwartet werden, dass ein Richter in irgendeiner Weise auf Beteiligte des Rechtsstreit hinwirkt, prozessbeendende Erklärungen - hier das von der AS angesprochene Anerkenntnis der Beklagten - abzugeben, wenn das damit verbundene Ergebnis nicht von der richterlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage gedeckt ist. Dies würde jede richterliche Tätigkeit konterkarieren.

Auch der Hinweis der AS, durch die Anordnung einer erneuten Begutachtung werde in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen, führt nicht weiter. Es erschließt sich zunächst nicht das Vorbringen, dass die Anordnung einer Begutachtung selber einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darstellen soll. Soweit die AS allerdings zum Ausdruck bringen will, dass die Durchführung einer Begutachtung einen solchen Eingriff darstellt, verkennt sie, dass die Entscheidung darüber, ob die Begutachtung auch tatsächlich durchgeführt wird, allein von ihrer Entscheidung abhängt. Der AS bleibt es unbenommen, sich der Begutachtung nicht zu stellen. Lehnt sie diese ab, liegt schon kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit vor. Im Ergebnis dasselbe gilt, wenn sie der Begutachtung zustimmt; denn dann liegt kein rechtswidriger Eingriff, der allenfalls von Relevanz sein könnte, vor.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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