L 4 KR 1395/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 4697/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1395/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. März 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt, ihr Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von EUR 1.700,00 zu erstatten.

Die 1951 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner. Sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung. Seit dem Tode ihres Ehemannes im Jahr 2006 lebt sie in ihrer Wohnung allein. Von der bei der Beklagten errichteten Pflegekasse erhält sie Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Ärztin Dr. P., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), schätzte in ihrem Gutachten vom 30. April 2009 den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege mit 70 Minuten und für die Hauswirtschaft mit 60 Minuten.

Die Klägerin erlitt nach ihren Angaben am 2. Juli 2009 bei einem Sturz in einem Bus des öffentlichen Nahverkehrs multiple Prellungen. Bei seiner Untersuchung am 3. Juli 2009 fand Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. deutliche Hämatome und Schmerzen im Bereich des rechten Ober- und Unterarms, Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, des rechten Oberschenkels, der rechten Hüfte und im Bereich des rechten Rippenbogens. Ferner diagnostizierte er eine Arachnoidalzyste. Wegen der Prellungen und der Arachnoidalzyste sei es zu einem massiven Schwindel gekommen (Atteste des Dr. B. vom 6. Juli und 11. September 2009). Dr. B. verordnete häusliche Krankenpflege am 9. Juli 2009 für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2009 und am 22. September 2009 für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2009, jeweils für das Herrichten der Medikamente und das Messen des Blutdrucks mit den Diagnosen Fibromyalgia rheumatica (M 79,09 G), koronare Herzkreislauferkrankung (I. 25.19 G), Hypertonus (I. 10.00 G), dilatative Kardiomyopathie (I. 42.0 G), Schmerzsyndrom (R 52.2 G) und hirnorganisches Psychosyndrom (F 06.9 G).

Mit Telefax vom 29. Oktober 2009 begehrte die Klägerin gegenüber der Beklagten sinngemäß, ihr Haushaltshilfe zu gewähren. Mit diesem Telefax reichte sie bei der Beklagten das genannte Attest des Dr. B. vom 11. September 2009 sowie die Bestätigung der Frau L. (ohne Datum) ein. Frau L. gab an, der Klägerin im Zeitraum vom 5. Juli bis 30. August 2009 täglich vier Stunden (8:00 Uhr bis 12:00 Uhr) im Haushalt geholfen zu haben (Begleitung bei Arztbesuchen, Einkaufen, Kochen, Waschen, Bügeln und Hilfe bei der Erledigung von Dokumenten), da die Klägerin wegen der bei dem Unfall in dem Bus erlittenen schweren Verletzungen nicht in der Lage gewesen sei, alleine ihre Angelegenheiten zu erledigen. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. T., MDK, sah in seiner Stellungnahme vom 4. November 2009 keine medizinischen Gründe für eine Haushaltshilfe. Gestützt hierauf lehnte es die Beklagte ab, Leistungen der Haushaltshilfe zu gewähren (Bescheid vom 5. November 2009). Die Pflege und die hauswirtschaftliche Versorgung würden bereits im Rahmen der Pflegeleistungen abgegolten. Ein erhöhter Pflegeaufwand über das übliche Maß hinaus sei aufgrund der angegebenen Diagnose nicht erkennbar.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Auf Veranlassung der Beklagten reichte die Klägerin die handschriftliche Bestätigung der Frau L. (ohne Datum), wonach sie (Frau L.) für Haushaltshilfe vom 2. Juli bis 30. August 2009 EUR 1.700,00 bekommen habe, weiter die genannten ärztlichen Atteste des Dr. B., das weitere ärztliche Attest des Dr. B. vom 16. Dezember 2009, die Klägerin habe vom 3. Juli bis 30. August 2009 für vier Stunden täglich Haushaltshilfe benötigt, zwei Quittungen des Dr. B. über jeweils EUR 6,00 für die Ausstellung von zwei Attesten sowie die Quittung vom 15. Oktober 2009, von Z. B. EUR 2.000,00 erhalten zu haben, ein. Die Beklagte fragte bei Ärzten nach, ob die Klägerin im Juli und August 2009 in Behandlung gewesen sei. Orthopäde Dr. Br. gab an, die Klägerin am 18. August 2009 wegen multipler Prellungen behandelt zu haben. Dr. A. teilte mit, die Klägerin einmalig im Juli 2009 wegen psychiatrischer Erkrankungen behandelt zu haben. Schließlich gab Herr K. vom Pflegedienst, der bei der Klägerin Behandlungspflege durchführt, auf Anfrage der Beklagten unter dem 27. April 2010 an, in der Zeit vom 5. Juli bis 30. August 2009 habe eine "Frau A." den Haushalt der Klägerin geführt. Die Klägerin sei in diesem Zeitraum angeschlagen gewesen, genau könne er sich aber nicht mehr erinnern. Derzeit werde der Haushalt von der Klägerin und ihrer Tochter geführt.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2010). Haushaltshilfe sei nicht "wegen" der konkreten häuslichen Krankenpflege notwendig gewesen. In der Verordnung von häuslicher Krankenhilfe vom 9. Juli 2009 seien Prellungen nicht erwähnt, so dass daraus zu schließen sei, dass wegen dieser Prellungen häusliche Krankenpflege nicht notwendig gewesen sei, was durch die Stellungnahme des MDK bestätigt werde. Aus der Verordnung ergebe sich auch nicht, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, den Haushalt zu führen, da lediglich Medikamente hergerichtet und der Blutdruck hätte gemessen werden müssen. Das nachträgliche Attest (vom 11. September 2009) führe zu keiner anderen Beurteilung. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Klägerin "wegen" Pflegebedürftigkeit nicht in der Lage gewesen sei, den Haushalt selbst ohne Unterstützung zu führen. Das Hinzutreten von Prellungen und einer (offenbar folgenlosen) Zyste ändere hieran nichts. Auch keine der in ihrer (der Beklagten) Satzung vorgesehenen Voraussetzungen für die Gewährung von Haushaltshilfe lägen vor. Im Haushalt der Klägerin lebe kein Kind. Die Klägerin sei auch nicht stationär im Krankenhaus behandelt worden und habe nicht an ambulanten oder stationären Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen oder Mutter-Kind-Maßnahmen teilgenommen.

Die Klägerin erhob am 2. August 2010 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) und verfolgte ihr Begehren weiter.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf den Widerspruchsbescheid.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2011 ab. Das SG führte unter Verweis auf die Begründung des Widerspruchsbescheids aus, dass sowohl die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als auch die Voraussetzungen des § 14 der Satzung der Beklagten nicht gegeben seien sowie weiter, die Erstattung von Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe setze grundsätzlich einen Antrag des Versicherten bei der Krankenkasse auf Stellung einer Haushaltshilfe als Sachleistung voraus, da nur dann die Krankenkasse die Möglichkeit zur Prüfung habe, ob sie selbst eine Haushaltshilfe stellen könne. Die Klägerin habe ihren Antrag auf Gewährung einer Haushaltshilfe für die Zeit vom 5. Juli bis 30. August 2009 erst im Oktober 2009 gestellt. Die Beklagte hätte daher - unabhängig davon, dass die Klägerin tatsächlich auch keinen Anspruch auf eine Haushaltshilfe gehabt habe - auch nicht die Möglichkeit zur Stellung einer Haushaltshilfe gehabt.

Gegen den ihr am 4. März 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 4. April 2011 Berufung eingelegt. Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. März 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr EUR 1.700,00 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 ist überschritten. Denn die Klägerin begehrt sinngemäß, ihr einen Betrag in Höhe von EUR 1.700,00, den sie für eine Haushaltshilfe aufgewendet hat, zu erstatten. Dies ergibt sich aus der von der Klägerin der Beklagten im Widerspruchsverfahren vorgelegten handschriftlichen Bestätigung der Frau L. (ohne Datum), wonach sie (Frau L.) für Haushaltshilfe vom 2. Juli bis 30. August 2009 EUR 1.700,00 bekommen habe.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 5. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die sie für eine Haushaltshilfe aufgewendet hat. Es sind - wie das SG richtig entschieden hat - weder die Voraussetzungen des § 38 Abs. 4 Satz 1 SGB V noch die Voraussetzungen des § 14 der Satzung der Beklagten gegeben.

Nach § 38 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Haushaltshilfe stellen kann oder Grund besteht, davon abzusehen. Dieser Kostenerstattungsanspruch setzt voraus, dass ein entsprechender Anspruch des Versicherten auf eine Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) bestanden hat. Einen solchen Anspruch auf Haushaltshilfe als Sach- oder Dienstleistung hatte die Klägerin in der Zeit vom 2. Juli 2009 (so in der handschriftlichen Bestätigung der Frau L., ohne Datum), vom 3. Juli 2009 (so im Attest des Dr. B. vom 11. September 2009) oder vom 5. Juli 2009 (so in der am 29. Oktober 2009 eingereichten Bestätigung der Frau L., ohne Datum) bis 30. August 2009 nicht.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Alternative 2 SGB V auch die Haushaltshilfe. Nach § 38 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte Haushaltshilfe, wenn ihnen wegen Krankenhausbehandlung oder wegen einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder § 41 SGB V die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist (Satz 1). Voraussetzung ist ferner, dass im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist (Satz 2). Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht gegeben, weil zum einen die Klägerin keine der genannten Leistungen in Anspruch nahm und zum anderen kein Kind in ihrem Haushalt lebt.

Nach § 38 Abs. 2 SGB V kann die Satzung (der Krankenkasse) bestimmen, dass die Krankenkasse in anderen als den in Absatz 1 genannten Fällen Haushaltshilfe erbringt, wenn Versicherten wegen Krankheit die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist (Satz 1). Sie kann dabei von Absatz 1 Satz 2 abweichen sowie Umfang und Dauer der Leistung bestimmen (Satz 2). Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte in ihrer Satzung Gebrauch gemacht. Nach § 14 III Satz 1 ihrer Satzung gewährt die Beklagte, wenn eine im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann, gemäß § 38 Abs. 2 SGB V Haushaltshilfe, 1. wenn und solange dem Versicherten wegen Krankheit die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und im Haushalt ein Kind lebt, dass das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist oder 2. wenn der Versicherte nach einer stationären Maßnahme im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB V einer ärztlich empfohlenen Schonung bedarf, für die Dauer der Schonung. Die Satzungsregelung knüpft an die gesetzliche Regelung an. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil zum einen im Haushalt der Klägerin kein Kind lebt und zum anderen die Klägerin vor dem 2., 3. oder 5. Juli 2009 nicht in einer der in § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten stationären Maßnahmen war.

Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten der Haushaltshilfe auch nicht auf § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V stützen, unabhängig davon, ob diese allgemeine Vorschrift neben der spezielleren Vorschrift des § 38 Abs. 4 Satz 1 SGB V über die Erstattung von Kosten der Haushaltshilfe überhaupt noch anwendbar ist. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistungen nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Auch dieser Anspruch setzt einen Anspruch auf Sach- oder Dienstleistungen voraus, der - wie dargelegt - nicht gegeben ist. Auch Anhaltspunkte für einen Notfall sind nicht ersichtlich. Die Klägerin ist erheblich pflegebedürftig und erhält deshalb Pflegegeld nach der Pflegestufe I von der bei der Beklagten errichteten Pflegekasse. Die Pflegebedürftigkeit erfasst auch grundsätzlich die hauswirtschaftlichen Leistungen, die die Klägerin unabhängig von dem behaupteten Unfallereignis am 2. Juli 2009 nur eingeschränkt erbringen konnte.

Unabhängig davon, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Haushaltshilfe nicht vorliegen, steht dem geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten der Haushaltshilfe schließlich auch entgegen, dass die Klägerin vor Inanspruchnahme der Haushaltshilfe die Gewährung von Haushaltshilfe bei der Beklagten nicht beantragt hat, was erforderlich ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011 - L 11 KR 1694/10 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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