L 4 KA 1/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 13/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 1/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 43/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 26. November 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung einer Zweigpraxis in Z. im Planungsbereich Q.kreis.

Der 1952 geborene Kläger ist seit 1999 als Psychologischer Psychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er beantragte am 18. Mai 2007 die Genehmigung zum Betreiben einer Zweigpraxis in Z. (Landkreis Q.). Im Antragsformular gab er vorgesehene Sprechzeiten der Zweigpraxis mittwochs von 8.00 Uhr bis 11.00 Uhr/ 14.00 bis 18.00 Uhr und freitags von 8.00 bis 11.00 Uhr/ 15.00 bis 18.00 Uhr an. Seinen Antrag begründete der Kläger damit, dass er vor zwei Jahren erneut geheiratet habe und Vater eines Kleinkindes sei, welches bei seiner Frau in Z. lebe und aufwachse. Die Eröffnung der Zweigpraxis diene der Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung in einem strukturschwachen Raum.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. September 2007 den Antrag ab. Eine Umfrage bei den umliegend niedergelassenen Psychotherapeuten habe ergeben, dass die Versorgung der Versicherten mit den von dem Kläger angebotenen Leistungen nicht verbessert werde.

Hiergegen legte der Kläger am 1. Oktober 2007 Widerspruch ein. Er trug vor, Z. als die flächenmäßig drittgrößte Stadt B-Land weise keinen einzigen Psychotherapeuten auf. Die psychotherapeutischen Leistungserbringer in den nächst gelegenen Orten ZN. und Y. seien mit dem öffentlichen Personennahverkehr nur umständlich zu erreichen. Ein Patient sei für eine einzige psychotherapeutische Sitzung 4 - 5 Stunden unterwegs. Das sei unzumutbar, da psychotherapeutische Sitzungen regelmäßig zeitgebunden und oft 2 mal pro Woche im Zeitraum von 1 Jahr und länger notwendig seien. Kollegen aus ZN. und Y. sprächen sich für die Zweigpraxis aus.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger besitze eine Genehmigung für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Im Umkreis von Z. seien genügend Ärzte und psychologische Psychotherapeuten vertreten, die ebenfalls im Besitz einer solchen Genehmigung seien. Sowohl der Q.kreis als auch der Landkreis ZN. seien mit psychologischen Psychotherapeuten und auch ärztlichen Psychotherapeuten überversorgt. Nicht alle ärztlichen Leistungen müssten an jedem Ort angeboten werden. Den Versicherten seien vielmehr Entfernungen von mehreren Kilometern bis zur nächsten Praxis in erreichbaren Nachbarorten in Y. oder ZN. zumutbar.

Hiergegen hat der Kläger am 11. Januar 2008 Klage zum SG Marburg erhoben und vorgetragen, im Q.kreis bestehe ein erreichbares Versorgungsangebot lediglich in Y ... Die Fahrzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrügen hier zwischen 29 Minuten und 1 Stunde 25 Minuten, wobei für Patienten aus den umliegenden Ortsteilen von Z. diese Zeiten noch erheblich länger seien. Selbst im günstigsten Fall ergebe sich damit für einen Patienten für die Inanspruchnahme einer 50minütigen Therapiesitzung ein zeitlicher Aufwand von über 2 ½ Stunden. Die Entfernung von Z. nach ZN. sei noch weiter. Zusätzlich müssten die Patienten in jedem Fall noch die erheblichen Fahrkosten selbst tragen. Das sei bei einer typischerweise über längere Zeiträume wöchentlich in Anspruch genommenen Behandlung unzumutbar. Seinen Präsenzpflichten in A-Stadt genüge er durch ein Sprechstundenangebot von 28 Stunden (montags, dienstags und donnerstags ganztägig, mittwochs bis 13.00 Uhr). Hingegen sei in Z. eine Tätigkeit lediglich an zwei Wochentagen mit insgesamt 10 Stunden beabsichtigt (mittwochs 15.00 bis 18.00 Uhr sowie freitags ganztägig). In Eilfällen sei A-Stadt innerhalb von rund einer Stunde zu erreichen. Notfälle könnten zudem von den mit ihm in Praxisgemeinschaft verbundenen Kolleginnen behandelt werden.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Entfernung von 15 km zwischen Z. und Y. sei problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Es verkehre nahezu stündlich ein Bus mit einer Fahrzeit von 20 Minuten. In Y. sitze ein Psychotherapeut mit freien Behandlungskapazitäten. Auch genüge der Kläger mit der Eröffnung der Zweigpraxis an seinem Vertragsarztsitz nicht mehr seiner Präsenzpflicht. Alle Tätigkeitsorte müssten innerhalb von 30 Minuten erreicht werden können. Der Kläger wolle sich nur noch an drei Tagen in P. aufhalten, das 131 km entfernt von Z. sei. Mit einer Fahrzeit von ca. 1 Stunde und 40 Minuten gewährleiste der Kläger nicht, weiterhin am Vertragsarztsitz erreichbar zu sein.

Mit Urteil vom 26. November 2008 hat das SG die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Eröffnung einer psychotherapeutischen Zweigpraxis in Z. zu genehmigen. Vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten seien nach § 24 Abs. 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) zulässig, wenn und soweit dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessere und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt werde. Vorliegend sei von einer Versorgungsverbesserung auszugehen. In Z. sei kein Psychotherapeut niedergelassen. Lediglich in Y. seien eine Psychotherapeutin und eine Ärztin für Psychotherapeutische Medizin tätig, wobei die Psychotherapeutin in Y. nach eigenen Angaben keine freien Kapazitäten habe. Für die Entfernung von ca. 15 km könne nicht allein auf die reinen Fahrzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Omnibus) von 20 bis 32 Minuten abgestellt werden, sondern die Wegezeiten von umliegenden Stadtteilen bzw. Gemeinden zu dieser Buslinie und zu den Bushaltestellen sowie insbesondere die Taktung der Abfahrtszeiten seien zu berücksichtigen. Es sei von einfachen Wegezeiten von bis zu zwei Stunden auszugehen, wobei Behandlungen in den späteren Nachmittagsstunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum noch realisierbar erschienen. Entscheidend komme hinzu, dass es sich um psychotherapeutische Behandlungen handele, die sich im Regelfall mit wöchentlichen Behandlungsstunden über Monate hinzögen und der Fahraufwand damit über einen längeren Zeitraum anfalle. In der Verkürzung solcher über einen längeren Zeitraum anfallenden Wegezeiten sei eine Verbesserung der Versorgung für die Bewohner der Stadt Z. mit über 10.000 Einwohnern zu sehen. Eine Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes liege nicht vor. Der Kläger erfülle mit den angegebenen Sprechzeiten die bundesmantelvertragliche Voraussetzung, wonach der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung stehen müsse. Auch die Residenzpflicht des § 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV, wonach der Vertragsarzt seine Wohnung so zu wählen habe, dass er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung stehe, werde nicht verletzt. Wegzeiten von 30 Minuten seien durch das BSG bisher nur als unschädliche Untergrenze formuliert worden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass Psychotherapeuten nur in seltenen Fällen an der Akutversorgung teilnähmen und in diesem Sinne Notfälle auszuschließen seien. Auch bei Behandlungen im Sinne einer Krisenintervention durch einen niedergelassenen Psychotherapeuten sei es nach Kenntnis der mit zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin besetzten Kammer erforderlich, dass der Patient die ambulante Behandlung durchstehen könne, also nicht in einem Maße erkrankt sei, dass stationäre Behandlung erforderlich sei. Akuter Behandlungsbedarf sei daher in psychotherapeutischen Behandlungen allenfalls in Stunden zu rechnen, also im Bereich von einem halben Tag bis einer Woche. Bei akuter Behandlungsbedürftigkeit sei daher vom Psychotherapeuten die Bereitschaft zu fordern, ggf. noch am selben Tag oder innerhalb einer Woche zusätzliche Therapieangebote für seine bereits in Behandlung befindlichen Patienten zu unterbreiten, soweit dies aus psychotherapeutischer Sicht erforderlich sei. Auf eine unmittelbare persönliche Erreichbarkeit in der Praxis komme es insofern nicht an, da es in Übereinstimmung mit fachlich-medizinischen Notwendigkeiten allgemeiner Übung entspreche, dass Psychotherapeuten nur außerhalb der Therapiestunde und telefonisch erreichbar seien. Hinzu komme, dass auch in großstädtischen Bereichen Fahrzeiten von über einer bis zu zwei Stunden nicht ungewöhnlich seien. Bei einer Fahrzeit von 90 bis 100 Minuten sehe die Kammer daher für Psychotherapeuten eine Residenzpflicht noch als gewährleistet an.

Gegen das am 10. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Januar 2009 Berufung eingelegt.

Sie verweist erneut darauf, dass der betroffene Planungsbereich Q. mit Leistungserbringern der Fachgruppe des Klägers überversorgt und daher gesperrt sei. Die beabsichtigte Zweigpraxis führe in dieser Situation nicht zu einer Versorgungsverbesserung. Die Versorgung werde durch die drei Ärzte und einen psychologischen Psychotherapeuten mit einer Genehmigung für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in Y. sichergestellt. Zudem sei auch ein tiefenpsychologisch fundiert tätiger Internist in U. in 8 km Entfernung zu berücksichtigen. Das Urteil des SG sei aber insbesondere deshalb zu beanstanden, weil darin entgegen der Rechtsprechung des BSG angenommen worden sei, dass die zu erteilende Genehmigung der Residenzpflicht nicht entgegenstehe. Der Vertragsarzt verletze seine Residenzpflicht, wenn er nicht regelmäßig innerhalb von 30 Minuten seine Praxis erreichen könne. Bei dem Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis müssten daher alle Orte der vertragsärztlichen Tätigkeit so gewählt sein, dass sie binnen 30 Minuten zu erreichen seien. Das sei bei dem Kläger mit einer Entfernung zwischen A-Stadt und Z. von 131 km, was einer Fahrzeit von rund 100 Minuten entspreche, nicht der Fall. Eine Notfallversorgung durch den in Einzelpraxis tätigen Klägers sei damit nicht sichergestellt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 26. November 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Der Begriff der Versorgungsverbesserung sei nicht nach den Maßstäben der Bedarfsplanung zu bestimmen, sondern es genüge, wenn durch die Gründung der Zweigpraxis Wartezeiten verkürzt oder das Leistungsangebot besser erreichbar sei. Das sei hier durch die Verbesserung der Versorgungslage im ländlichen Raum mit eingeschränkten Verkehrsverbindungen der Fall. Nach dem Ergebnis der Umfrage der Beklagten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens habe keine in Y. tätige Person zum damaligen Zeitpunkt einen freien Behandlungsplatz gehabt. Der von der Beklagten nunmehr erwähnte tiefenpsychologisch tätige Arzt in U. habe bereits im Rahmen der Umfrage der Beklagten den Antrag des Klägers auf Genehmigung einer Zweigpraxis unterstützt. Entgegen der Behauptung der Beklagten gebe es keine ständige Rechtsprechung zur "Residenzpflicht", sondern das BSG habe lediglich festgestellt, dass eine Fahrzeit von 30 Minuten nicht zu beanstanden sei. Angesichts der seitens des Sozialgerichts aufgezeigten Besonderheiten der psychotherapeutischen Behandlung sei der Hinweis der Beklagten auf eine längere Fahrzeit eine rein formale, dem Einzelfall nicht gerecht werdende Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts kann nicht aufrechterhalten bleiben. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Genehmigung einer Zweigpraxis.

Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten sind zulässig, wenn und soweit
1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird.
Sofern die weiteren Orte im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung liegen, in der der Vertragsarzt Mitglied ist, hat er bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf vorherige Genehmigung durch seine Kassenärztliche Vereinigung (Satz 2).

Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Verbesserung der Versorgung der Versicherten" steht der KÄV ein Beurteilungsspielraum zu. Von einer Versorgungsverbesserung ist auszugehen, wenn das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter bestimmten Umständen aber auch in quantitativer - Hinsicht erweitert wird. Eine Verbesserung ist jedenfalls dann gegeben, wenn eine "Bedarfslücke" besteht, die zwar nicht unbedingt geschlossen werden muss, die aber nachhaltig eine durch Angebot oder Erreichbarkeit veränderte und im Sinne der vertragsärztlichen Versorgung verbesserte Versorgungssituation im Sinne einer "qualifizierten Versorgungsverbesserung" bedeutet (näher BSG, Urteil vom 9. Februar 2011, B 6 KA 49/09 R, juris Rndr. 12 ff. m. w. N.). Bei der insoweit erforderlichen Würdigung der maßgeblichen Gesichtspunkte ist die Beklagte auch aus Sicht des Senats beurteilungsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betrieb der geplanten Zweigpraxis die Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort (hier: Z.) nicht verbessert. Sie hat sich darauf beschränkt, auf das Versorgungsangebot von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten in einem Radius von 25 km um Z. hinzuweisen, die ein entsprechendes Leistungsangebot wie der Kläger hätten, weiter dass es in vier Praxen noch freie Kapazitäten gebe und Fahrzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln von 20 bis 50 Minuten nach Y. und ZN. zumutbar seien. Damit hat die Beklagte, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, den Begriff der Versorgungsverbesserung in einer dem Gesetz nicht entsprechenden Weise zu eng ausgelegt, weil sie die Besonderheiten der psychotherapeutischen Behandlung nicht beachtet. Wie das Sozialgericht herausgearbeitet hat, ist die Inanspruchnahme eines Psychotherapeuten in Y. oder ZN. für die Bewohner der Stadt Z. - insbesondere für solche, die aus einem der Ortsteile kommen - bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit teilweise langen Fahrzeiten verbunden. Selbst wenn die günstigste Verkehrsanbindung von Z. nach Y. genutzt werden kann, summiert sich der zeitliche Aufwand für eine psychotherapeutische Behandlung von 50 Minuten auf über 2 Stunden, da zusätzlich zu den reinen Busfahrzeiten noch An- und Abmarschwege sowie Wartezeiten eingerechnet werden müssen. Kann eine der günstigen Busverbindungen nicht genutzt werden, summiert sich der zeitliche Aufwand für die psychotherapeutische Behandlung schnell auf mehr als 3 Stunden, wobei, worauf das Sozialgericht zu Recht hinweist, insbesondere Behandlungen in den späteren Nachmittagsstunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln praktisch nicht mehr realisierbar erscheinen. Zwar sind Fahrzeiten zum nächst erreichbaren Arzt nicht in jedem Fall geeignet, die Eröffnung einer näher gelegenen Praxis bereits als Versorgungsverbesserung anzusehen, insbesondere wenn im verkehrstechnisch gut erschlossenen städtischen Raum ein breites Leistungsangebot an Ärzten aller Fachrichtungen zur Verfügung steht. Bei einer psychotherapeutischen Behandlung beschränkt sich der Aufwand der Versicherten aber nicht wie üblicherweise bei der Inanspruchnahme anderer Fachärzte auf einzelne Besuche im Jahr. Vielmehr finden insbesondere die genehmigungspflichtigen Psychotherapieleistungen über einen längeren, regelmäßig mehrere Monate oder sogar Jahre umfassenden Zeitraum im wöchentlichen Turnus statt. Auch aus der Sicht des Senats unterliegt es keinem Zweifel, dass unter diesem Aspekt eine psychotherapeutische Praxis in einer Stadt mit über 10.000 Einwohnern aus der Sicht der Patienten eine Versorgungsverbesserung darstellt.

Die Klage ist jedoch abzuweisen, weil im Fall der Genehmigung der Zweigpraxis die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes des Klägers beeinträchtigt wird (§ 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Ärzte-ZV).

Zu den Voraussetzungen einer "ordnungsgemäßen" Versorgung der Versicherten gehört, dass der Vertragsarzt die Anforderungen der sog. Residenzpflicht im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 1 Ärzte-ZV erfüllt. Hinsichtlich dieser gesetzlichen Voraussetzung steht der KÄV auch kein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Anders als bei einer Entscheidung über einen Sonderbedarfszulassung oder über die Versorgungsverbesserung durch die Genehmigung einer Zweigpraxis kommt es nicht auf die Bewertung der vertragsärztlichen Versorgung in einem regionalen Bereich sowie die Feststellung von quantitativen und/oder qualitativen Versorgungsdefiziten an, die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind, sondern es geht um die Beurteilung der Frage, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf die räumliche Nähe zwischen Wohnung und Praxis für die Versorgung seiner Versicherten hinreichend zur Verfügung steht. Wie weit in Kilometern beschrieben die Entfernung zwischen Wohnung und Praxis sein darf, bzw. in welcher Zeit der Arzt von der Wohnung aus seine Praxis zur Durchführung von Sprechstunden spätestens erreichen muss, hat keinen Bezug zur Versorgungssituation in einer bestimmten Region und auf einem bestimmten medizinischen Fachgebiet. Den Zulassungsgremien steht insoweit keine spezifische, von den Gerichten im Grundsatz hinzunehmende besondere Sachkunde und Konkretisierungskompetenz zu. Insoweit sind nämlich einerseits objektive Umstände zu ermitteln, wie die tatsächliche Entfernung in Kilometern und die für den Weg benötigte Zeit, und anderseits ist eine rechtsgebundene Abwägung zwischen den Belangen der Versicherten (gute Erreichbarkeit ihres Arztes) und dem Interesse des Arztes an einer möglichst geringen Einschränkung seiner Freiheit der Wohnungswahl vorzunehmen (BSG, Urteil vom 5. November 2003, B 6 KA 2/03 R, juris).

Vorliegend würde die von dem Kläger begehrte Zweigpraxisgenehmigung zu einer Verletzung der Verpflichtung führen, seine Wohnung so zu wählen, dass er für die ärztliche Versorgung der Versicherten am Vertragsarztsitz zur Verfügung steht. Zwar bietet der Kläger, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, am Praxissitz in A-Stadt eine ausreichende Zahl an Sprechstunden an. Die Erreichbarkeitspflicht bezieht sich jedoch nicht allein auf die Zeiten, für die der Vertragsarzt in seiner Praxis Sprechstunden anbietet, sondern besteht darüber hinaus auch für die sprechstundenfreien Zeiten, weil der Vertragsarzt bzw. Vertragspsychotherapeut auch in diesen Zeiten in Akut- und Notfällen seinen Patienten zur Verfügung stehen muss. Diese Anforderung erfüllt der Kläger an den für den Betrieb der Zweigpraxis in Z. in Aussicht genommenen Tagen (mittwochs und freitags) jedoch nicht, da er an diesen Tagen seine Wohnung in Z. hat, von wo aus er die Versorgung der Versicherten am Vertragsarztsitz in A-Stadt nicht mehr gewährleisten kann.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind keine schematischen Kilometer- bzw. Minutenangaben darüber möglich, in welcher Entfernung von der Praxis der Vertragsarzt seine Wohnung wählen darf. Für Arztgruppen, die nicht unmittelbar patientenbezogen tätig sind (wie Pathologen, Laborärzte), gelten insoweit andere Maßstäbe als z. B. für hausärztlich tätige Ärzte, die zusätzlich zur Abhaltung von Sprechstunden im Bedarfsfall auch Hausbesuche bei ihren Versicherten außerhalb der Zeiten durchführen müssen, in denen ein organisierter Notfalldienst eingerichtet ist. Eine gewisse Bedeutung kann insoweit schließlich auch dem Umstand zukommen, ob ein Arzt in einer Einzelpraxis oder in einer größeren Gemeinschaftspraxis tätig ist, soweit in einer solchen Gemeinschaftspraxis sichergestellt ist, dass zu den angekündigten Sprechstundenzeiten immer ein Arzt oder mehrere Ärzte in der Praxis den Patienten tatsächlich zur Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 5. November 2003, B 6 KA 2/03 R = SozR 4-5520 § 24 Nr. 1). Im konkreten Fall hat das BSG die Auffassung des Berufungsgerichts, ein psychotherapeutisch tätiger Arzt genüge den Anforderungen, die sich aus der sog. Residenzpflicht ergeben, wenn er von der Wohnung aus seine Praxis innerhalb von 30 Minuten erreichen könne, nicht beanstandet. Es hat in Anlehnung an die Rechtsprechung bei operativ tätigen Belegärzten, der unter normalen Umständen innerhalb von 30 Minuten die Klinik von ihrer Wohnung und ihrer Praxis aus erreichen können müssen, ausgeführt, noch strengere Anforderungen an die Zeitdauer für die Fahrt zwischen Wohnung und Praxis dürfen jedenfalls bei einem nur ambulant psychotherapeutisch tätigen Arzt, der überwiegend langfristig geplante Gesprächsleistungen gegenüber einer kleineren Zahl von Patienten erbringe und nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmesituationen notfallmäßig tätig werde, nicht gestellt werden. Im großstädtischen Raum fielen Fahrzeiten von 30 Minuten zwischen einzelnen Stadtteilen oder einem Stadtteil und dem Stadtzentrum regelmäßig an, ohne dass Versorgungsengpässe bekannt geworden seien, wenn Ärzte in anderen Stadtteilen als denen wohnten, in denen sie ihre Praxis betrieben. Im Hinblick hierauf spreche nichts dafür, dass eine Gefährdung der Versorgung der Versicherten zu besorgen sei, wenn der Arzt regelmäßig einen Fahrweg von ca. 30 Minuten zwischen Wohnung und Praxis zurückzulegen habe. Ob im Einzelfall auch längere Zeiträume unschädlich sein könnten, entziehe sich einer generellen Beurteilung (BSG a.a.O., juris Rdnr. 33).

Der Senat lässt es dahinstehen, was unter heute geltenden gesellschaftlichen Mobilitätsvorstellungen, die gewisse Pendelzeiten von und zur Arbeit als selbstverständlich ansehen, als noch akzeptable Entfernung zwischen Wohnort und Praxis angesehen werden kann. Eine generelle Pflicht, innerhalb einer halben Stunde in der Praxis zu sein, erscheint dem Senat jedenfalls bei solchen Ärzten, bei denen Akut- und Notfälle nur in Ausnahmefällen auftreten, nicht als angemessen. Eine Entfernung von 45 Minuten zwischen dem Praxissitz und dem "weiteren Ort" hat der Senat bei einem Zahnarzt daher nicht beanstandet (Beschluss vom 29. November 2007, L 4 KA 56/07 ER) und hierbei auch den Gesichtspunkt erwähnt, dass der Gesetzgeber mit der Zulassung von Zweigpraxen denknotwendig Wegezeiten zum Erreichen des Praxishauptsitzes in Kauf nimmt. Allerdings kann, worauf bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, aus der erleichterten Zulassung von Zweigpraxen durch § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV i.d.F. durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22. Dezember 2006 nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber damit von den bisherigen Vorgaben zur Erreichbarkeit des Vertragsarztes bzw. –psychotherapeuten abgerückt ist. Denn § 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV ist unverändert geblieben. Insoweit muss beim Betrieb einer vertragsärztlichen Tätigkeit an einem weiteren Ort die Erreichbarkeit auch am Vertragsarztsitz gewährleistet sein, weshalb die Orte der vertragsärztlichen Tätigkeit so gewählt sein müssen, dass alle Orte innerhalb kurzer Zeit erreicht werden können (vgl. Schallen, Kommentar zur Ärzte-ZV, § 24 Rdnr. 658).

Im vorliegenden Fall ist angesichts einer Entfernung von 131 km zwischen Z. und A Stadt, was unter normalen Umständen einer Fahrzeit von 90 bis 100 Minuten entspricht, die Beratungs- und Behandlungstätigkeit des Klägers in seiner Praxis in A Stadt nicht mehr ausreichend gewährleistet. Die Residenzpflicht des Vertragsarztes soll sicherstellen, dass der behandelnde Arzt oder Psychotherapeut nicht nur zu den angegebenen Sprechzeiten, sondern auch außerhalb dieser für die Behandlung der Versicherten in Akutfällen zur Verfügung steht. Das ist bei dem Kläger an den Tagen, an denen er sich in Z. aufhält, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht gewährleistet. Denn es ist davon auszugehen, dass Patienten, die sich mit akutem Behandlungsbedarf an die Praxis des Klägers in A-Stadt wenden, mittwochs und freitags nicht persönlich behandelt werden. Der Kläger müsste hierzu seine Termine in Z. für diesen Tag absagen, sich in sein Auto setzen und nach P. fahren, um nach Beendigung der Behandlung wieder die Heimreise anzutreten. Dies dürfte praktisch kaum zu realisieren sein und legt nahe, dass die Patienten, wenn sie auf einem persönlichen Gespräch bestehen, in einer solchen Situation an andere Behandler verwiesen werden.

Solche Fälle eines unabweisbaren persönlichen Gesprächsbedarfs dürften allerdings, wovon der fachkundig mit einem Arzt und einem psychologischen Psychotherapeuten besetzte Senat ausgeht, bei psychotherapeutischen Behandlungen die Ausnahme sein. In den allermeisten Fällen wird es ausreichen, wenn der Kläger für seine Patienten aus A-Stadt in Z. telefonisch erreichbar ist und sie auf diesem Weg behandeln kann. Denkbar sind jedoch auch Fälle, in denen eine telefonische Beratung nicht genügt, weil z. B. auf diesem Weg nicht feststellbar ist, ob bei dem Patienten Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Bei Patienten mit seelischen Krankheiten erscheint es jedoch geboten, dass der vertraute Therapeut mit Kenntnis der Krankengeschichte in einer akuten Krisensituation erreichbar ist und in angemessener Zeit auch für ein persönliches Gespräch und ggf. Anregung weitergehender Maßnahmen wie einer freiwilligen stationären Behandlung zur Verfügung steht (so zutreffend SG Dortmund, Urteil vom 7. März 2003, S 26 KA 15/02, GesR 2003, 178). Zudem entstehen, wenn in einer solchen Situation der Patient an einer anderen Arzt oder Psychotherapeuten verwiesen wird, der ggf. zunächst ausführlich die Vorgeschichte des Patienten erheben muss, zusätzliche Kosten. Der Senat sieht daher im Ergebnis keinen ausreichenden Grund, Psychotherapeuten hinsichtlich der Erreichbarkeitsanforderungen gegenüber organmedizinisch tätigen Ärzten deutlich geringeren Anforderungen zu unterwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Nach der Rechtsprechung des Senats, die in Übereinstimmung mit dem Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit steht, ist für Genehmigungen von Zweigpraxen vom dreifachen Regelstreitwert auszugehen (Beschluss vom 26.Januar 2009 - L 4 KA 15/09 B -).

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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