L 2 AS 162/11 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 3253/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 162/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Halle (SG) vom 8. Februar 2011.

Die am 1972 geborene Klägerin und ihre am 1997 geborene Tochter beziehen ab dem 20. November 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zeiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), nämlich Arbeitslosengeld II (Alg II) bzw. Sozialgeld. Mit dem Leistungsantrag legte die Klägerin einen "Untermietvertrag" vom 1. Oktober 2006 vor. Danach hatte sie für sich und ihre Tochter zwei Zimmer in einem von Herrn K. –T K ... bewohnten Haus in B ... L. angemietet. Das Bad konnte nach den vertraglichen Vereinbarungen mit Herrn K gemeinsam benutzt werden, sowie die "Vermieterküche" nach Absprache. Vereinbart war eine monatliche Miete von 270,00 EUR einschließlich pauschal 120,00 EUR für Nebenkosten. Als besondere Abrede war im Vertrag vermerkt: "Auf Nebenkostenabrechnungen und Erhöhung wird in den nächsten 5 Jahren verzichtet." Die Klägerin gab an, sie und Herr K ... lebten nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammen.

Der Beklagte veranlasste im August 2008 einen Besuch durch Mitarbeiter seines Außendienstes in den von der Klägerin und ihrer Tochter bewohnten Räumen. Nach dem "Prüfauftrag" sollte festgestellt werden, ob zwischen der Klägerin und Herrn K eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliege. Dabei sollte festgestellt werden, ob die Klägerin und ihre Tochter in der Wohnung abgeschlossene Räume bewohnten. Falls sich ergeben sollte, dass dies nicht der Fall sei, solle die Klägerin zur Vorlage von "sämtlichen Hauskosten" aufgefordert werden. In dem Aktenvermerk über den am 28. August 2008 erfolgten Hausbesuch wird festgehalten, es hätten nicht "alle Hauskosten" vorgelegt werden können. Mit einem Schreiben vom 1. September 2008 reichte die Klägerin beim Beklagten eine von Herrn K ... unterschriebene und mit dem Datum 1. September 2008 versehene "Nebenkostenabrechnung 2007" bei dem Beklagten ein. In dieser waren die im Jahre 2007 für das Haus angefallenen Kosten für Wasser, Abwasser, Strom, Müllentsorgung, Grundsteuer, Schornsteinfeger und Gebäudeversicherung sowie Heizung und Warmwasser aufgeführt und im hälftigen Verhältnis aufgeteilt worden. Nach der Aufstellung ergaben sich dabei für die Klägerin anteilig Kosten von 1.610,25 EUR von denen 1.440,00 EUR als gezahlt abgesetzt waren, so dass eine "Nachzahlung" von 170,25 EUR ausgewiesen wurde. In dem Schreiben führte die Klägerin aus: Sie beantrage eine Übernahme der entstandenen Mehrkosten. Laut Mietvertrag zahle sie für Nebenkosten pauschal monatlich 120,00 EUR. Seitens des Beklagten sei eine "genaue Nebenkostenabrechnung 2007" gefordert worden. Der Vermieter "erhebe" nun die errechnete Nachzahlung. Die Beklagte lehnte eine Übernahme mit Bescheid vom 30. Dezember 2008 mit der Begründung ab, die errechnete Nachzahlungsforderung sei nicht fällig. Im Mietvertrag sei eine pauschale Abgeltung der Nebenkosten vereinbart worden. Selbst wenn damit die Nebenkosten nicht abgedeckt seien, brauche keine Nachzahlung geleistet zu werden. Die erstellte Abrechnung begründe keinen tatsächlichen Aufwand für Unterkunft und Heizung. Hiergegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch.

Mit einem Schreiben vom 21. April 2009 stellte die anwaltlich vertretene Klägerin einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 30. Dezember 2008 mit der Begründung, der Beklagte habe die Erstellung der Nebenkostenabrechnung veranlasst. Dadurch sei es zu einer Änderung des Mietvertrages gekommen, so dass der Beklagte die Nachzahlungsbeträge zu übernehmen habe. Die Beklagte lehnte eine Abänderung seiner Ablehnung einer Kostenübernahme ab (Bescheid vom 14. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2009).

Die Klägerin hat am 10. Juli 2009 Klage beim SG mit dem Begehren erhoben, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2009 zu verurteilen, ihr weitere 170,25 EUR für die Kosten von Unterkunft und Heizung zu zahlen. Sie hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2011 eine von ihr und Herr K ... unter dem Datum vom 29. August 2008 unterzeichnete Vereinbarung vorgelegt, wonach in dem Mietverhältnis für die von der Klägerin und ihrer Tochter bewohnten Räume "auf Verlangen der Mieterin" abweichend von der im Mietvertrag vereinbarten pauschalen Abrechnung "eine anteilige Nebenkostenabrechnung" vereinbart wird. Die Klägerin hat erklärt, sie habe den Betrag von 170,25 EUR in bar an den Vermieter gezahlt; es gebe hierfür eine Quittung, die sie aber nicht mitgebracht habe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 8. Februar 2011 als unbegründet abgewiesen und in den Gründen ausgeführt: Nach dem Mietvertrag zwischen der Klägerin und dem Vermieter seien die Nebenkosten für das Jahr 2007 durch die vereinbarte monatliche Pauschale abgegolten worden. Der von der Klägerin vorgelegten Vereinbarung vom 29. August 2008 könne keine Rückwirkung entnommen werden. Es bestünden auch ernste Zweifel an der formellen Wirksamkeit der für das Jahr 2007 vorgelegten Nebenkostenabrechnung, denn es werde nicht auf Belege Bezug genommen. Die Kammer sei auch nicht überzeugt, dass die Klägerin den Nachzahlungsbetrag tatsächlich - wie von ihr angegeben - an den Vermieter gezahlt habe. Es bestehe keine Verpflichtung des Beklagten aus § 22 SGB II, den sich aus der vorgelegten Nebenkostenabrechnung ergebenden Betrag zu übernehmen. Soweit die Klägerin meine, der Beklagte habe die Zahlung von 170,25 EUR an den Vermieter verursacht, ändere dies nichts daran, dass ein Anspruch auf Übernahme nach § 22 SGB II nicht bestehe. Für einen anderen Anspruch gegen den Beklagten sei ggf. der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 22. März 2011 zugestellten Urteil hat die Klägerin am 26. April 2011 (den Dienstag nach den Osterfeiertagen) Beschwerde erhoben und vorgetragen: Für die vom SG im Urteil angesprochene, bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machende Amtshaftung sei kein Raum. Der Beklagte habe als zuständiger Leistungsträger mit den von ihm zu erbringenden Leistungen den Bedarf zu decken. Die Frage habe auch grundsätzliche Bedeutung. Es komme oft vor, dass durch das Vorgehen der SGB II-Leistungsträger ein höherer Bedarf verursacht werde. Dies könne nicht dazu führen, die Leistungsberechtigten auf die Amtshaftung zu verweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Februar 2011 zuzulassen.

Der Beklagte hat auf die ihm freigestellte Stellungnahme verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Berufung gegen das Urteil vom 8. Februar 2011 nicht zugelassen.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht erreicht, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es geht um einen geltend gemachten Anspruch in Höhe von 170,25 EUR.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftigkeit ist dagegen nicht gegeben, wenn sich die entscheidende Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt.

Solche ungeklärten Rechtsfragen wirft der Rechtsstreit nicht auf. Die von der Klägerin sinngemäß angesprochene Rechtsfrage, ob grundsätzlich Leistungsberechtigte nach dem SGB II dann keine Leistungsanspruch nach diesem Gesetz haben und auf Amtshaftungsansprüche gegen den Leistungsträger zu verweisen sind, wenn dieser durch sein Verhalten das Entstehen der geltend gemachten Aufwendungen verursacht habe, spielt für den konkreten Rechtstreit keine Rolle. Das SG hat einen entsprechenden Rechtssatz nicht aufgestellt und auch nicht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Das SG hat in den Urteilsgründen bezogen auf den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme nachberechneter Nebenkosten ausgeführt, es bestehe keine Anspruch nach § 22 SGB II. Diese Feststellung ist tragend für die Entscheidung des SG. Das SG hat nicht ausgeführt, es lägen infolge der Nebenkostenabrechnung Unterkunftskosten im Sinne des § 22 SGB II vor, die aber vom Träger aus Rechtsgründen nicht zu berücksichtigen seien; es hat vielmehr schon das Entstehen eines grundsicherungsrechtlich relevanten Anspruchs dem Gunde nach verneint. Der am Ende der Entscheidungsgründe zu findende Hinweis auf einen ggf. von der Klägerin vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machenden Anspruch ist für die Entscheidung des Gerichts nicht tragen. Es fehlen auch Ausführungen dazu, welcher Anspruch gemeint ist.

Die für den Rechtsstreit entscheidende Frage, ob die von der Klägerin vorgelegte "Nebenkostenabrechnung" für das Jahr 2007 einen Leistungsanspruch gegen den Beklagten nach § 22 SGB II zu begründen vermag, bedarf keiner Klärung. Dass Nebenkostenabrechnungen für zurückliegende Zeiträume einen grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf in dem Zeitraum begründen können, in dem die Nachforderung fällig wird, wird allgemein anerkannt und entsprach der feststehenden Rechtsprechung schon unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes, woran sich nun für das Grundsicherungsrecht nach dem SGB II nichts geändert hat (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage, § 22 Rdn. 19 mit weiteren Nachweisen). Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist auch geklärt worden, dass eine Forderung des Vermieters, deren Berechtigung zivilrechtlich zweifelhaft ist, einen anspruchsbegründenden Bedarf des Mieters nach § 22 SGB II auslösen kann. Es ist in solchen Fällen ausreichend, dass der Leistungsberechtigte einer ernsthaften fälligen Mietzinsforderung ausgesetzt und auf diese hin auch tatsächlich zahlt. Dabei hat das BSG eine Ausnahme für die Fälle als "erwägenswert" angesehen, in denen dem Leistungsberechtigten die Unwirksamkeit der Forderung bekannt ist oder bekannt sein müsste (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 8/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 24). Nach alledem wirft das von der Klägerin geführte Verfahren keine Rechtsfragen auf, die noch einer Klärung bedürfen.

Es besteht auch keine Divergenz der Entscheidung des SG zu einer Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Spruchkörper. Divergenz liegt vor, wenn die tragfähigen abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, nicht übereinstimmen (vgl. BSG, Beschluss v. 25. September 2002 – B 7 AL 142/02 BSozR 3-1500 § 160a Nr. 34). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalles bezogener rechtlicher Aussage. Dabei muss es im Ansatz um dieselbe Rechtsfrage gehen, zu der das abweichende Gericht eine die Entscheidung tragende andere Rechtsansicht entwickelt hat. Das angefochtene Urteil muss auf dieser Abweichung beruhen. Ein Beruhen auf einer Abweichung ist zum Beispiel dann zu verneinen, wenn das angefochtene Urteil auf mehrere Begründungen gestützt ist, die Abweichung sich aber nur auf eine Begründung bezieht (BSG, Beschluss vom 25. Juni 2007 – B 3 KR 28/06 B – zitiert nach juris; BSG, Beschluss vom 24. September 1980 – 11 BLw 4/80SozR 1500 § 160a Nr. 38).

Nach den oben genannten Kriterien liegt insbesondere keine Abweichung der Entscheidung des SG von der oben zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. September 2009 – B 4 AS 8/09 R vor. Das SG hat ausgeführt, die Kammer sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin den sich aus der Nebenkostenabrechnung ergebenden Betrag überhaupt gezahlt habe. Im Ergebnis ist das SG davon ausgegangen, mit der von der Klägerin vorgelegten "Nebenkostenabrechnung 2007" werde überhaupt keine ernsthafte Forderung aus dem Mietverhältnis geltend gemacht. Es läge eine auf Bitten der Klägerin für den Zweck der Vorlage beim Beklagten erstellte Abrechnung vor, ohne dass der Vermieter daraus ernsthaft eine Forderung gegen die Klägerin ableiten wollte. Dabei konnte sich das SG auch darauf stützen, dass der von der Klägerin vorgelegen "Nebenkostenabrechnung" keine fälligkeitsbegründende Zahlungsaufforderung zu entnehmen war.

Ob überhaupt eine ernsthafte Forderung des Vermieters an die Leistungsberechtigte vorlag und sich diese daraufhin wirklich zur Leistungserbringung verpflichtet sah oder aber die Nebenkostenabrechnung ohne Annahme einer eigenen Leistungsverpflichtung nur nutzen wollte, um Leistungen des Beklagten auszulösen, ist eine auf den Einzelfall bezogene Tatfrage, deren Beantwortung keine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zu begründen vermag.

Auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor, weil kein Verfahrensmangel geltend gemacht worden ist.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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