L 9 R 4235/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 1791/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4235/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. August 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1970 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, hat keinen Beruf erlernt und war bis 18.12.2001 im Wesentlichen als Sägewerksarbeiter beschäftigt gewesen. Seitdem ist er arbeitslos. Vom 15.12.2003 bis 14.06.2004 durchlief er eine von der Agentur für Arbeit B. geförderte berufliche Fortbildung im Bereich Fertigungstechnik Metall. Seit 10.09.2007 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes über die ARGE Landkreis Sigmaringen.

Am 29.11.2007 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Unter Berücksichtigung des von der Beklagten eingeholten Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. L. vom 24.01.2008 lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 29.01.2008 ab. Der Sachverständige stellte eine geminderte körperliche Belastbarkeit bei koronarer Zweigefäßerkrankung und ausgeprägter Koronarspasmusneigung sowie rezidivierende Lumbalgien bei vorbeschriebenen degenerativen Wirbelsäulen- und Bandscheibenveränderungen, aktuell ohne Funktionsdefizit und/oder Wurzelreizsymptomatik fest. Er ging insoweit von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten ohne Zeitdruck, ohne länger anhaltende und regelhaft auftretende Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufiges Bücken sowie Steigen auf Treppen, Leitern und Gerüsten aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2008 wies die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch nach erneuter Anhörung von Dr. L. zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18.06.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch die schriftliche Vernehmung des Hausarztes Dr. M., des Radiologen Dr. K., des Urologen Dr. K., des Orthopäden Dr. H., des Internisten und Lungenfacharztes Dr. W., des Chirurgen Dr. S., des Chefarztes der Abteilung Innere Medizin Kliniken Landkreis S. PD Dr. S. und des Internisten und Kardiologen Dr. M. als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts der gemachten Aussagen wird auf Blatt 23, 32f., 34f., 36f., 41f., 48f., 68f. und 89f. der SG-Akten verwiesen.

Darüber hinaus hat es Beweis erhoben durch das Einholen des nervenärztlich-sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. H., S., vom 01.09.2009. Dieser hat neben der koronaren Zweigefäßerkrankung, welche mittels PTCA und Stent vorsorgt sei, sowie der Neigung zu Lumbalgien ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik eine undifferenzierte Somatisierungsstörung festgestellt. Ein psychischer Befund von Krankheitswert liege nicht vor. Er hat körperliche Schwerarbeiten, auch ständig mittelschwere Arbeiten, sowie Tätigkeiten verbunden mit ständigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, mit Zwangshaltungen, Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft und auch ständiges Treppen- und Leiternsteigen für nicht mehr zumutbar angesehen. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien dem Kläger hingegen noch vollschichtig möglich. Auf die Einwendungen des Klägers hiergegen hat Dr. H. unter dem 03.11.2009 nochmals ergänzend Stellung genommen. Den Antrag des Klägers, Dr. H. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat das SG mit Beschluss vom 12.03.2010 nach Anhörung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Das SG hat erneut den Kardiologen Dr. M. als sachverständigen Zeugen gehört (vgl. Aussage vom 19.03.2010, Bl. 162 der SG-Akte).

Der Kläger hat geltend gemacht, unter einer Asthmaerkrankung zu leiden und hierzu eine Teilnahmeerklärung zur strukturierten Asthmabehandlung vom 02.12.2009 vorgelegt. Außerdem verwies er auf den vorgelegten Befundbericht der Neurologin B.-L., wonach ein chronisches Cervikalsyndrom bei hypermobiler Halswirbelsäule und beginnender Osteochondrose C5/6, C6/7 bestehe.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.08.2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. L. sowie auf das nervenärztliche Gerichtsgutachten des Dr. H. gestützt. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne ständiges Heben und Tragen von Lasten, ohne mechanische Hilfsmittel, ohne Zwangshaltungen, ohne Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Zugluft, ohne Steigen auf Treppen, Leitern und Gerüsten, ohne häufiges Bücken und ohne Zeitdruck sechs Stunden täglich zu verrichten. In den schriftlichen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte seien keine Gesundheitsstörungen beschrieben worden, die ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten begründen könnten. Soweit der behandelnde Hausarzt in seiner Zeugenauskunft vom 15.07.2008 kein sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr angenommen habe, könne sich das Gericht dieser Beurteilung nicht anschließen. Dass die kardiologischen Beschwerden nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung führten, ergebe sich aus den Zeugenauskünften von PD Dr. S. und Dr. M ... Entgegen der Auffassung des Klägers sei seine kardiologische Erkrankung nicht so erheblich, dass sie eine Leistungseinschränkung in zeitlicher Hinsicht zur Folge habe. Dr. W. habe darüber hinaus in seiner sachverständigen Zeugenaussage bereits eine Lungenfunktionsstörung beschrieben und hieraus lediglich Einschränkungen in Bezug auf mittlere und schwere körperliche Belastungen, Tätigkeiten mit starken Temperaturschwankungen, Exposition gegenüber Nässe, Zugluft und erheblicher Staubbelastung sowie Tätigkeiten unter Zeitdruck abgeleitet. Eine zeitliche Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit folge hieraus nicht. Eine solche rechtfertige auch das beschriebene chronische Cervikalsyndrom bei hypermobiler Halswirbelsäule und beginnender Osteochondrose nicht. Den damit verbundenen Einschränkungen könne durch die bereits beschriebenen qualitativen Einschränkungen, insbesondere durch leichte Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen in ausreichendem Umfang begegnet werden.

Gegen den am 13.08.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.09.2010 Berufung eingelegt.

Er hält an dem von ihm geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente fest. Zur Begründung führt er aus, das eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. H. sei unbrauchbar, weil er bereits fachlich nicht in der Lage gewesen sei, die kardiologischen Beschwerden des Klägers ausreichend zu würdigen. Darüber hinaus auch deshalb, weil er zu der für die Begutachtung erforderlichen Exploration keinen Dolmetscher zugelassen habe, obwohl der Kläger einen solchen mitgebracht habe. Der Befangenheitsantrag sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Zur richtigen Einschätzung des Krankheitsbildes sei eine erneute fachgerechte Sachverständigenbegutachtung unter Zuziehung eines Dolmetschers erforderlich. Diese habe durch einen fachlich geeigneten Sachverständigen zu erfolgen, der auch in der Lage sei, den kardiologischen Krankheitsbereich richtig einzuschätzen. Die erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Stellungnahmen seien unzureichend und begründeten nicht die Entscheidung des Gerichts. Insbesondere sei durch den Arztbericht vom 04.02.2010 eine schwere vasospastische Angina pectoris bei Endothelstörung aufgrund fortgesetzten Nikotinkonsums beschrieben. Insoweit bestünde eine eindeutige Verschlimmerung, die unberücksichtigt geblieben sei. Auch die Lungenfunktionsstörung begründe zwar für sich allein genommen keine zeitliche Einschränkung, im Zusammenhang mit der großen Anzahl sämtlicher körperlicher Beschwerden sei hiervon aber auszugehen.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. August 2010 sowie den Bescheid vom 29. Januar 2008 und den Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung entgegengetreten und verweist zur Begründung auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat.

Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die Rechtsgrundlagen für die begehrte Rente - die §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - zutreffend dargelegt und rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, weil der Kläger ihm zumutbare Tätigkeiten noch zumindest sechs Stunden täglich verrichten kann. Der Senat schließt sich dem unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend und im Hinblick auf die mit der Berufung vorgebrachten Einwendungen verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 14.02.2011, mit dem er den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat. Eine weitergehende Berufungsbegründung ist nicht mehr eingegangen. Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren und sind - worauf bereits in diesem Beschluss hingewiesen wurde - nicht erforderlich. Dort hat der Senat den Kläger im Hinblick auf die geltend gemachten kardiologischen Einschränkungen bereits darauf hingewiesen, dass mit den Äußerungen der behandelnden Kardiologen Dres. T., M., S. sowie mit den Berichten der Kliniken Landkreis Sigmaringen aussagekräftige Befunde vorliegen, die eine quantitative Leistungseinschränkung auf kardiologischem Fachgebiet für vollschichtig leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gerade nicht bestätigt haben. Dies gilt insbesondere und gerade für die sachverständige Zeugenaussage von Dr. M. vom 19.03.2010, der zwar ausgeführt hat, den Kläger seit Juni 2008 nicht mehr persönlich gesehen zu haben. Unter Bezugnahme auf die in der Gemeinschaftspraxis mit Dr. T. und Dr. S. erhobenen Befunde vom 21.01.2010 bzw. 01.02.2010 hat er aber keine wesentlichen Änderungen feststellen können. Ausdrücklich hat er in Kenntnis dieser Befunde hierzu angegeben, dass er den Kläger nach wie vor für in der Lage hält, leichtere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich verrichten zu können. So hat auch Dr. S. in dem vorgelegten Bericht vom 04.02.2010 darauf hingewiesen, dass die erhobenen Befunde noch keine Indikation zu einer Intervention gäben. Vielmehr müsse zunächst eine Therapie der Vasospasmen abgewartet und ein Einstellen des Nikotinkonsums erfolgen. Beabsichtigt war eine stressechokardiografische Verlaufskontrolle nach Ablauf von drei Monaten und erst dann eine Entscheidung bzgl. des weiteren Vorgehens. Dass sich insoweit eine Verschlimmerung ergeben hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Ein Vergleich der Befunde mit den bereits von Dr. M. in seiner ersten sachverständigen Zeugenaussage wiedergegebenen und auch von Dr. L. in seinem Gutachten beschriebenen legt dies auch nicht nahe. So hat bereits Dr. L. wie im Übrigen auch PD Dr. S. in seiner sachverständigen Zeugenaussage über eine ausgeprägte Vasospasmusneigung, eine Angina pectoris Symptomatik (Bericht PD Dr. S. vom 09.06.2008) und ein kardiovaskuläres Risikoprofil in Form eines persistierenden Nikotinabusus berichtet, ohne dass daraus eine quantitative Leistungsminderung gefolgert wurde.

Soweit der Kläger orthopädische Einschränkungen geltend macht, sind Befunde, die eine quantitative Leistungseinschränkung belegen könnten, weder substantiiert dargelegt worden, noch im Hinblick auf die vorliegenden Erhebungen des SG beim behandelnden Orthopäden oder den Feststellungen in den Gutachten des Dr. L. und des Dr. H. ersichtlich. Eine quantitative Leistungseinschränkung etwa durch eine gravierende Bewegungseinschränkung im Bereich des Rumpfes oder der Extremitäten oder die Notwendigkeit einer besonderen Schmerztherapie lassen sich den gesamten Unterlagen nicht entnehmen, sodass kein Zweifel an einer grundsätzlich erhaltenen vollschichtigen Leistungsfähigkeit besteht, wenn die im Gerichtsbescheid des SG genannten qualitativen Leistungseinschränkungen berücksichtigt werden. Gleiches gilt für eine Beeinträchtigung auf lungenfachärztlichem Fachgebiet, wie das SG in seinem Gerichtsbescheid unter Bezugnahme auf die von ihm durchgeführten Ermittlungen und insbesondere im Hinblick auf die sachverständige Zeugenaussage von Dr. Wäscher ausgeführt hat. Dass beim Kläger Befunde vorliegen, die diesbezüglich eine zeitliche Leistungsminderung rechtfertigen könnten, hat auch der Kläger nicht substantiiert vorgetragen.

Soweit der Kläger auf eine Gesamtschau der bei ihm bestehenden Einschränkungen verweist, ergibt sich hieraus nichts anderes. Denn entgegen seiner Auffassung liegen weder im Bereich einer Lungenfunktionsstörung noch im orthopädisch-neurologischen Bereich schwere Einschränkungen vor, die auch in der Gesamtschau eine quantitative Leistungsminderung begründen könnten. Dies wurde auch von keinem der bislang gehörten Ärzte in dieser Form bestätigt noch hat der Kläger selbst substantiiert dargelegt, woraus sich konkret eine solche zeitliche Leistungseinschränkung ergeben soll.

Die Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Dr. H. vermögen im Hinblick auf das erstrebte Ziel, der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Psychische Einschränkungen macht der Kläger selbst nicht geltend, wie sich dem Gutachten des Dr. L. entnehmen lässt und dadurch bestätigt wird, dass der Kläger gegen die Beauftragung von Dr. H. schon im Vorfeld Einwendungen erhoben hat, weil dieser als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie zu seinen Beschwerden, welche auf kardiologischem und orthopädischem Fachgebiet lägen, nicht ausreichend Stellung nehmen könne. Das Gutachten von Dr. H. hat letztlich weitgehend bestätigt, dass auf psychiatrischem Fachgebiet keine wesentlichen Beeinträchtigungen vorliegen, nachdem der Sachverständige außer der bereits dokumentierten Somatisierungsstörung keine weiteren Beeinträchtigungen festzustellen vermochte. Insoweit geht auch die gegen das Gutachten vorgebrachte Kritik ins Leere, da der Kläger nicht darzulegen vermochte, inwieweit diese Kritik eine andere Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung der bekannten qualitativen Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet hätte rechtfertigen können. Die Berufung war daher zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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