S 30 EG 159/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 EG 159/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 08.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.11.2008 wird aufgehoben.

II. Die Klägerin hat dem Beklagten keine Erstattung zu leisten. III. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rückforderung eines ohne Verwaltungsakt erbrachten Landeserziehungsgeldes.

Die Klägerin beantragte am 06.02.2008 beim Beklagten die Zahlung von Landeserziehungsgeld wegen Erziehung ihres 2007 geborenen Sohnes O. A ... Zuvor hatten beide Eltern im Umfang von insgesamt 14 Monaten Elterngeld bezogen. Der Nachweis der für einen Anspruch auf Landeserziehungsgeld vorausgesetzten ärztlichen Untersuchungen des Kindes sowie der zur Berechnung relevanten Einkünfte erforderte mehrere Rückfragen. Nach einem vorläufigen Ende der Sachverhaltsermittlung fertigte der Beklagte einen Bescheid mit dem Datum vom 11.04.2008, der für die Zeit von 08.03.2008 bis 17.03.2009 die Zahlung eines Elterngeldes von monatlich EUR 300,00 vorsah. Dieser Bescheid lief jedoch nicht aus; der Entwurf wurde in der Akte entsprechend gekennzeichnet und durchgestrichen. Am 23.04.2008 versuchte der Beklagte den Rückruf einer bereits getätigten Überweisung von EUR 600,00. Ein zeitnaher erläuternder Aktenvermerk ist nicht nachweisbar. Die Ermittlungen über Berufstätigkeit, Einkünfte und Unterhaltssituation der Klägerin und ihrer Familie bezogen auf das Jahr 2007 wurden im Mai und Juni 2008 fortgesetzt.

Mit Bescheid vom 10.07.2008 wurde die Zahlung von Landeserziehungsgeld mit der Begründung abgelehnt, dass sich nach Anrechnung von Erwerbseinkünften kein Zahlbetrag mehr ergebe.

Ein weiterer Bescheid vom 08.07.2008 stellte fest, es seien EUR 600,00 Elterngeld zu Unrecht an die Klägerin ausgezahlt worden, und forderte deren Erstattung als Leistung ohne Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X). Der Betrag sei aufgrund eines datentechnischen Versehens überwiesen worden. Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin vor, sie habe den erhaltenen Betrag für das ihr zustehende Elterngeld der Monate Januar und Februar 2008 gehalten. Sie stellte rhetorisch die Frage nach der Möglichkeit, das Geld zurückzuschicken. Sie habe kein gutes Leben mit drei kleinen Kindern. Man bekomme nur das Essen, sonst habe man kein Geld zur Erholung oder um etwas anders zu erleben.

Der Widerspruchsbescheid vom 10.11.2008 bestätigte den Ausgangsbescheid. Er beschäftigte sich lediglich mit dem Bescheid vom 10.07.2008 und enthielt demgemäß umfangreiche Ausführungen zur Einkommensabhängigkeit des Landeserziehungsgeldes. Zu der mit angegriffenem Bescheid vom 08.07.2008 geltend gemachten Rückforderung von Erziehungsgeld enthielt der Widerspruchsbescheid weder materielle noch verfahrensrechtliche Aussagen.

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin erneut gegen die Rückforderung. Sie habe alle Kontoauszüge geprüft und dieses Geld nicht erhalten. Daher könne sie es auch nicht erstatten.

Die Klägerin beantragt

die Aufhebung des Bescheides vom 08.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2008 mit der Folge, dass eine Rückforderung von Elterngeld in Höhe von EUR 600,00 nicht stattfinde.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Anfechtungsklage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig.

Sie ist auch offensichtlich begründet. Der Beklagte behauptet im angegriffenen Ausgangsbescheid, Elterngeld in Höhe von EUR 600,00 ohne Verwaltungsakt an die Klägerin gezahlt zu haben. Er hat zur Begründung auf § 50 Abs. 2 SGB X verwiesen, ohne jedoch im Bescheid oder Widerspruchsbescheid oder während des Klageverfahrens auch nur ansatzweise die Grundlagen zur Anwendung dieser Vorschrift zu benennen. Den Einwand der Klägerin, den strittigen Betrag nie erhalten zu haben, hat er nicht erwidert, und belässt es bei der bloßen Behauptung. Des Weiteren ignoriert er die Verweisung in § 50 Abs. 2 SGB X auf die Korrekturvorschriften §§ 45 und 48 SGB X. Wenn der Beklagte der Auffassung ist, ein materiell nicht zustehendes Landeserziehungsgeld (der angegriffene Bescheid spricht allerdings von Elterngeld) ohne Verwaltungsakt erbracht zu haben, muss er prüfen, unter welchen Voraussetzungen er einen hypothetischen Verwaltungsakt zurücknehmen könnte, der diese Leistung rechtswidrig bewilligt hätte. Hierbei hätte er nach § 45 Abs. 2 SGB X den Vertrauensschutz prüfen müssen. Die Klägerin trägt vor, sie habe auf einen durchgehenden Anspruch auf Bundeselterngeld und Landeserziehungsgeld vertraut. Wenn die Klägerin die Leistung erhalten hätte, wäre aufgrund der von ihr plausibel geschilderten familiären Bedarfslage der bei laufenden Sozialleistungen zum Lebensunterhalt ohnehin fast selbstverständliche Verbrauch anzunehmen. Ein dadurch gestärkter Vertrauensschutz wäre nur dann unbeachtlich, wenn die Klägerin Vertrauensausschlussgründe nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X gegen sich gelten lassen müsste. Sie hat jedoch wieder vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben im Sinne von Nr. 2 der Vorschrift gemacht noch ist ihr mitten in einem noch laufenden Briefwechsel über viele finanzielle Details die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung im Sinne von Nr. 3 der Vorschrift zu unterstellen. Wer Erziehungsgeld beantragt und wenig später von der angegangenen Behörde Zahlungen in der für diese Leistung typischen Höhe erhält, darf annehmen, dass die Behörde den Anspruch geprüft und bejaht hat. Wird die Leistung ohne Verwaltungsakt erbracht, kann durchaus ein Postversehen vermutet und die nachträgliche Zusendung des Bescheides noch erwartet werden.

Vorliegend wäre der hypothetische Verwaltungsakt ausschließlich für einen Vergangenheitszeitraum zurückzunehmen. Dies ist nach § 45 Abs. 4 S. 1 SGB X nur zulässig, wenn die genannten Vertrauensausschlussgründe vorliegen. Mit deren Verneinung entfällt die Rücknahme für die Vergangenheit absolut.

Wenn der Beklagte eine solche hätte vornehmen dürfen, hätte er abschließend im Rahmen einer Ermessensentscheidung die Bedarfssituation der klägerischen Familie und sein eigenes Verschulden an der Fehlauszahlung mit dem öffentlichen Interesse an der Rückforderung abwägen müssen. Ein weiteres verfahrensrechtliches Versäumnis besteht in der Unterlassung der Anhörung zur Rückforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gegen das Urteil wird die Berufung nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Entscheidung nicht von einer Rechtsprechung höherer Instanzen abweicht.
Rechtskraft
Aus
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