L 6 SF 84/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 84/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Drei-Monats-Frist des § 2 Abs.1 S. 1 JVEG für die Geltendmachung der Entschädigung (hier: Fahrtkosten) beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, dass die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen werden.

2. Die Übernahme von Fahrten zum Sachverständigen vor der gerichtlichen Bestellung oder für nicht angeordnete Termine kommt nicht in Betracht.
Die Entschädigung des Erinnerungsführers anlässlich der Untersuchung durch Dr. Ben Abendroth wird auf 0,00 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Der erwerbslose Erinnerungsführer begehrte im Hauptsacheverfahren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Unter dem 29. August 2008 beantragte sein Prozessbevollmächtigter die Einholung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei dem Internisten und Rheumatologen Dr. A., J. (damaliges Az.: L 6 RJ 542/04). Mit Beweisanordnung vom 6. November 2008 verfügte die damals zuständige Berichterstatterin des 6. Senats die Einholung aufgrund ambulanter Untersuchung des Erinnerungsführers. Unter dem 8. April 2009 erstattete der Sachverständige das Gutachten und gab als Untersuchungstermine 28. August 2008 und 20. Januar 2009 an. In einem "Nachtrag zum Gutachten" auf Blatt 43 wertete er "aufgrund verspäteter Vorlage" aktuelle Röntgenaufnahmen aus. Dem Gutachten war als Anlage die Auswertung von Röntgenunterlagen der Gemeinschaftspraxis für Radiologische Diagnostik A. vom 22. April 2009 (Aufnahmen vom 21. April 2009) beigefügt.

Nach Erledigung des Verfahrens durch Vergleich am 10. Februar 2010 (ohne Kostentragung der Beklagten) beschloss der inzwischen zuständige 2. Senat des Thüringer Landessozialgerichts auf Antrag vom 12. Februar 2010 am 9. März 2010 (Az.: L 2 RJ 542/04) die Übernahme der Kosten des Gutachtens von Dr. A. auf die Staatskasse. Der Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Erinnerungsführers am 23. März 2010 zugestellt. Unter dem 21. Juli 2010 bat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UKB) den Erinnerungsführer um Mitteilung einer Bankverbindung zur Erstattung der Kosten des Gutachtens "sowie die im Schreiben vom 17. Juni 2010 weiterhin geltend gemachten Auslagen". Ein solches Schreiben ist in den Akten nicht enthalten.

Am 1. September 2010 reichten die Prozessbevollmächtigen den Antrag des Erinnerungsführers auf Fahrtkostenerstattung für insgesamt 596 gefahrene Kilometer (4 x W. nach J., 1 x W. nach E.) sowie pauschal 70,00 Euro für sonstige Auslagen (Papier, Porto, Briefumschläge, Arztkosten) ohne Nachweise ein. Unter dem 30. November 2010 verfügte der UKB die Überweisung von 68,00 Euro und begründete die Kürzung damit, Dr. A. habe nur zwei Untersuchungen in J. bestätigt; nur diese seien zu erstatten (68 x 4 = 372 Kilometer x 0,25 Euro).

Am 14. Januar 2011 hat der Erinnerungsführer die richterliche Festsetzung beantragt und die Erstattung von Fahrtkosten für 744 Kilometern begehrt (5 x nach J., 1 x nach E.). Was Recht sei, müsse Recht bleiben. Der UKB mache es sich zu leicht, wenn er schreibe, dass die Kosten sich nicht nachvollziehen ließen. Er habe natürlich auch in seinem Rentenverfahren Auslagen infolge von Zuarbeiten gehabt. Da er keine Quittungen gesammelt habe, sei er auch mit einem Pauschalbetrag zufrieden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, weil der Beschluss vom 9. März 2010 keine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe.

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,

seine Entschädigung auf 256,00 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Entschädigung auf 0,00 Euro festzusetzen.

Er beruft sich auf Fristablauf des gestellten Antrags.

Der UKB hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 17. Januar 2011). Auf Anfrage hat der Sachverständige Dr. A. folgende Untersuchungstermine des Erinnerungsführers aufgeführt: 28. August 2008 klinische Untersuchung, 20. Januar 2009 funktionelle Untersuchung, 6. März 2009 Ultraschall, 3. April 2009 Pain detect und Röntgen, 10. April 2009 Abschlussbericht.

Der Senatsvorsitzende hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Antrag des Erinnerungsführers nicht innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Beschlusses vom 9. März 2010 gestellt wurde, und das Verfahren mit Beschluss vom 22. August 2011 dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.

II.

Auf die Erinnerung wird die Entschädigung auf 0,00 Euro festgesetzt.

Die Herabsenkung unter den Ansatz des UKB verstößt nicht gegen das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius"). Es gilt nicht bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 13. April 2005 - Az.: L 6 SF 2/05, 16. September 2002 - Az.: L 6 B 51/01 SF; Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, 25. Auflage 2011, § 4 Rdnr. 4.3), denn der Antrag auf richterliche Feststellung ist kein Rechtsbehelf.

Nach § 191 Halbs. 1 SGG werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Er erhält nach § 19 Abs. 1 Satz 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Ersatz für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Nach § 2 JVEG erlischt der Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat, geltend gemacht wird (Absatz 1 S. 1). War der Berechtigte ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist nach Absatz 1 gehindert, gewährt ihm das Gericht auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn er innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses den Anspruch beziffert und die Tatsachen glaubhaft macht, welche die Wiedereinsetzung begründen (Absatz 2 S. 1).

Hier hat der Erinnerungsführer seinen Anspruch nicht innerhalb dieser Drei-Monats-Frist geltend gemacht (a-b); Gründe für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor (c).

a) Die Frist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG ist hier einschlägig. Dem steht nicht entgegen, dass nach der herrschenden Ansicht der Antrag auf Übernahme der Gerichtskosten auf die Staatskasse nicht befristet ist, weil § 2 Abs. 1 JVEG die Stellung des Antrags auf Übernahme der Kosten nach § 109 SGG nicht erfasst (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 29. September 2005 - Az.: L 5 B 148/05 R mit zustimmender Anmerkung von F. Keller in jurisPR-SozR 20/2006 Nr. 6; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 109, Rdnr. 16; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, III Rdnr. 103; Reyels in jurisPR-SozR 16/2009 Anm. 5). Diesen Antrag ("Kosten für das Gutachten nach § 109 SGG") hatte der Erinnerungsführer bereits unter dem 8. Februar 2010 gestellt und der 2. Senat hatte über ihn am 9. März 2010 positiv entschieden. Die Übernahme der Fahrt- und sonstigen Kosten hatte der Erinnerungsführer erst am 1. September 2010 beantragt.

b) Die Frist hat der Erinnerungsführer nicht eingehalten. Sie begann mit der Zustellung des Beschlusses vom 9. März 2010, hier also am 23. März 2010. Bei einer Begutachtung nach § 106 SGG hätte sie zwar schon mit Beendigung der Zuziehung, d.h. mit der Entlassung durch den Sachverständigen begonnen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. April 2004 - Az.: L 6 B 55/03 SF und 19. Oktober 1999 - Az.: L 6 SF 89/99; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, Rdnr. 8). Diese Antragsmöglichkeit schied bei dem Gutachten nach § 109 SGG aber aus, denn damals war dem Erinnerungsführer die mögliche Übernahme der Kosten durch die Staatskasse nicht bekannt. Erst mit Zugang des entsprechenden Beschlusses hatte er Klarheit über seine Ansprüche. Dann kann die Frist auch erst dann beginnen.

Zwischen dem Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses vom 9. März 2010 und dem Eingang des Antrags (1. September 2010) lagen mehr als drei (hier: über fünf) Monate. Das von dem UKB erwähnte Schreiben vom 17. Juni 2010 ist in der Akte nicht enthalten. Sein Inhalt ist daher nicht feststellbar und die Geltendmachung des tatsächlichen Begehrens kann zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt werden.

c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Sie setzt voraus, dass der Anspruchsberechtigte schuldlos die Drei-Monats-Frist versäumt hat. Hier liegt aber ein schuldhaftes Verhalten vor. Der Senat teilt nicht die Ansicht des Erinnerungsführers, dass im Beschluss vom 9. März 2010 auf die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG hätte hingewiesen werden müssen. Dies ist im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung völlig unüblich und auch nicht erforderlich. Tatsächlich war der verspätete Antrag allein durch den Erinnerungsführer, der von einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war, verschuldet. Falls erforderlich hätte ihn dieser entsprechend belehren müssen.

d) Der Erinnerungsgegner kann den Fristablauf auch geltend machen. Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Verwendung eines fehlerhaften Vordrucks ein Vertrauenstatbestand für den Bürger gesetzt werden kann, der die Staatskasse hindert, sich auf den Fristablauf zu berufen (so LSG Berlin, Beschluss vom 23. August 1982 - Az.: L 16/11 Z - F 1/82 in Breithaupt 1983, 940 ff.). Hier wurde ein solches Formular aber nicht übersandt. Auch sonstige Anhaltspunkte für ein widersprüchliches Verhalten des Erinnerungsgegner (sog. "venire contra factum proprium") oder einen sonstigen Verstoß gegen Treu und Glauben sind nicht ersichtlich.

Nur zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass das JVEG im Rahmen der Erstattung von Kosten nach § 109 SGG keine Rechtsgrundlage für nicht im Zusammenhang mit der Begutachtung stehende Kosten (hier: pauschaler Auslageersatz für "Zuarbeiten" im Verfahren) enthält. Sie können allenfalls gegenüber der Beklagten bei einer (hier nicht vorhandenen) Kostentragungspflicht geltend gemacht werden. Ebenso wenig können Fahrten zum Sachverständigen vor der gerichtlichen Bestellung (selbst wenn sie bestätigt werden) oder für nicht erforderliche (z.B. für den nicht von der Gutachtensanordnung umfassten Abschlussbericht) und nicht angeordnete Termine (z.B. bei anderen Ärzten) erstattet werden.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 7 JVEG)

Die Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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