L 10 AL 91/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 23/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 91/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 29/10 BH
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Feststellung der vergleichsweise Erledigung eines Rechtsstreites
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Bayreuth vom 02.03.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Übergangsgeld für eine Maßnahme der Berufsfindung im Jahr 1999 und daran anschließend die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg)

Aus Anlass einer Mitteilung der AOK Bayern vom 03.06.2005 über die Mitglieds- und Versicherungszeiten für den Zeitraum 26.02.1998 bis 31.12.2000 hat der Kläger am 18.01.2007 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) vorgesprochen und beantragt, "aufgrund der Änderung vom 03.06.2005 für 1999 für die Berufsfindung Übergangsgeld und nach der Ausbildung Arbeitslosengeld bis heute zu bewilligen." Für die Zeit, in der Arbeitslosenhilfe bezogen worden sei, sei aufgrund der erfüllten Beitragszeiten Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die vom Kläger vorgebrachten Begehren bereits Gegenstand eines sozialgerichtlichen Rechtsstreites (S 1 AL 73/00) gewesen seien, der mit Vergleich vom 14.01.2003 vollumfänglich beigelegt worden sei. Dem Kläger sei mit Bescheid vom 04.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2000 die Zahlung von Übergangsgeld für die Teilnahme an einer Maßnahme der Arbeitserprobung/ Berufsfindung für den Zeitraum vom 31.05.1999 bis 09.07.1999 verweigert worden, weil bei Beginn der Maßnahme ein Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden habe. Im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass ein Anspruch auf Übergangsgeld nicht bestehe. Erst für die Zeit ab dem 10.07.1999 habe der Kläger Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt und diese auch tatsächlich bezogen. Diesen Sachverhalt habe der Kläger mit Abschluss des Vergleiches akzeptiert. Darüber hinaus rechtfertigten auch die vom Kläger nunmehr vorgelegten Unterlagen keine andere Beurteilung. Zudem verjährten Ansprüche auf Sozialleistungen innerhalb von vier Jahren.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 02.03.2009 die Klage als unzulässig abgewiesen, weil dem Rechtsstreit kein Verwaltungsverfahren vorausgegangen sei. Zudem liege in Bezug auf den Streitgegenstand ein Vergleich vor, der auch das Gericht binde.

Mit der zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, es liege ein Verwaltungsakt vor, wie sich aus der Niederschrift vom 14.01.2003 im Verfahren S 8 AL 481/98 ergebe.

Er beantragt
die Akten von der Gerichtsverhandlung, an der Dr. R. teilgenommen hat, beizuziehen,
Herrn M. vom Arbeitsamt C. als Zeugen dafür zu laden, dass er (Herr M.) damals im Gerichtsverfahren beantragt habe, er zahle erst, wenn die Firma K. gezahlt habe und das Austrittsdatum geändert habe,
Herrn M. darüber zu hören, dass er die Tachoscheiben von Herrn J. nicht beigelegt habe,
die Feststellung eines Prozessordnungsverstoßes des Senates im und wegen des vorherigen Verfahrens (L 10 AS 89/09), weil er keine Grundsicherung bekomme.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig.

Der Senat war trotz des Antrages des Klägers, einen "Prozessordnungsverstoß des Senates" während der der mündlichen Verhandlung vorausgegangenen mündlichen Verhandlung im Verfahren L 10 AL 89/09 festzustellen, an einer Entscheidung in der Sache nicht gehindert, denn es ist weder zu erkennen, welches Ziel der Kläger mit diesem Antrag verfolgt, noch ist eine Rechtsgrundlage im SGG oder der Zivilprozessordnung (ZPO) - soweit entsprechend anwendbar - zu erkennen, auf die der Kläger seinen Antrag stützen könnte. Der Antrag ist insbesondere nicht als Befangenheitsantrag zu werten, denn dem Kläger war aus den zeitlich unmittelbar vorangehenden Terminen in den Verfahren L 10 AL 81/09 und L 10 AL 90/09 die Möglichkeit bekannt, einen solchen zu stellen. Der Kläger hat jedoch in Kenntnis der prozessualen Möglichkeiten seinen Antrag ausdrücklich als "Prozessordnungsverstoß" und nicht als Befangenheitsantrag bezeichnet. Soweit der Kläger mit seinem Antrag rügen wollte, der Senat habe im Rechtsstreit L 10 AL 89/09 einen Verfahrensfehler begangen, ist dies allein in einem Rechtsmittelverfahren in Bezug auf die dortige Entscheidung geltend zu machen und hat keinen Einfluss auf das vorliegende Verfahren.

In der Sache ist die Berufung unbegründet, denn das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, soweit das eigentliche Klagebegehren des Klägers, zu dem er keinen sachdienlichen Antrag stellen wollte, dahingehend zu verstehen ist, die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten in Bezug auf das Übergangsgeld und die daran anschließende Arbeitslosenhilfebewilligung im Jahr 1999 zu überprüfen.

Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist das Vorliegen eines Verwaltungsaktes und die Behauptung des Klägers, durch die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes beschwert zu sein (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 54 Rn.8a, 20).

Einen Verwaltungsakt, der Gegenstand des Klageverfahrens sein konnte, hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers nicht erlassen. Soweit der Kläger geltend macht, aus der Niederschrift im Verfahren S 1 AL 481/98 ergebe sich das Vorliegen eines Verwaltungsaktes, verkennt der Kläger, dass die Beklagte mit den dort genannten Bescheiden vom 04.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2000 und vom 31.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2000 bestandskräftig über das Anliegen des Klägers entschieden hat, nachdem das in diesem Zusammenhang eingeleitete Klageverfahren (S 1/8 AL 73/00) vor dem SG mit Vergleich vom 14.01.2003 beendet worden ist.

Soweit nach der Bestandskraft, d.h. nach Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird, hat der Leistungsträger einen entsprechenden Antrag des Leistungsempfängers nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen und eine Entscheidung zu treffen, die einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Vorliegend hat der Kläger jedoch weder einen solchen Überprüfungsantrag bei der Beklagten gestellt, noch hat die Beklagte von Amts wegen einen Überprüfungsbescheid erlassen, so dass mangels eines anfechtbaren Verwaltungsaktes die Klage unzulässig war.

Soweit das Anliegen des Klägers dahingehend zu verstehen war, er begehre die Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens, deren Gegenstand die Widerspruchsbescheide vom 11.01.2000 und 20.01.2000 waren, wäre hierin die Anfechtung bzw. der Widerruf des gerichtlichen Vergleiches vom 14.01.2003 im Verfahren S 1/8 AL 73/00 zu sehen.

Das SG hat mit seinem Hinweis auf die Bindungswirkung des Vergleiches vom 14.01.2003 das Anliegen des Klägers, das Verfahren S 1/8 AL 73/00 fortzuführen, zwar ohne hinreichende Begründung, im Ergebnis jedoch zurecht abgewiesen. Allerdings hätte es den Antrag des Klägers als Antrag auf Fortführung des Verfahrens S 1/8 AL 73/00 werten müssen und im Urteil dann die Feststellung zu treffen gehabt, dass dieser Rechtsstreit durch den Vergleich vom 14.01.2003 beendet ist.

Der Vergleich vom 14.01.2003 verstößt nicht gegen § 101 Abs 1 SGG, denn die Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage verfügen. Es handelt sich um eine vergleichsweise Beendigung des Verfahrens. Das gegenseitige Nachgeben ist darin zu sehen, dass die Beklagte eine Nachberechnung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 10.07.1999 zugesichert hat, die zu einer Nachzahlung führen würde. Der Kläger hat demgegenüber durch die Erklärung, den Rechtsstreit im übrigen für erledigt zu erklären insbesondere den Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld fallen gelassen.

Der Prozessvergleich hat dabei eine Doppelnatur. Er ist einerseits materiell-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt, andererseits aber auch Prozesshandlung der Beteiligten, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit nach den Grundsätzen des Prozessrechtes richtet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 101 Rn 3 mwN zur Rechtsprechung).

Der Vergleich vom 14.01.2003 ist als Prozessvergleich in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Er ist in der mündlichen Verhandlung in Anwesendheit der Beteiligten des Rechtsstreites vor dem SG zur Niederschrift abgeschlossen worden (§ 101 Abs 1 SGG).

Aus der Niederschrift ergibt sich, dass der Vergleichswortlaut den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden ist. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§§ 122 SGG, 159, 160 ZPO). Die Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Der Kläger hat den Vergleich nach Vorlesen auch ausdrücklich zugestimmt, wie sich aus dem Protokoll ergibt (§ 122 SGG iVm § 165 Satz 1 ZPO). Eine Widerrufsmöglichkeit ist darin nicht vorgesehen.

Der Prozessvergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen der Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist; das Gleiche gilt, wenn nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§ 779 Abs 1 BGB; vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1991
- 2 RU 51/90 - veröffentlicht in juris).

Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleiches - etwa nach den Bestimmungen der §§ 116 ff BGB - oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs 1 BGB, liegen nicht vor. Dem Kläger ist die Rechtslage und dessen Einschätzung von der Vorsitzenden des SG in zutreffender Weise dargestellt worden. Der wirksam zustande gekommene Vergleich hat somit den gesamten Rechtsstreit beendet. Dies hat der Kläger im Rahmen des Vergleiches in Bezug auf den vom Vergleich erfassten Streitstoff auch deklaratorisch erklärt.

Somit ist das Verfahren S 1/8 AL 73/00 durch den Vergleich vom 14.01.2003 vollständig erledigt und beendet worden. Ausführungen zu einer Wiederaufnahmeklage (§ 179 SGG iVm §§ 578 ff ZPO) erübrigen sich. Gegen Prozessvergleiche ist eine Wiederaufnahmeklage grundsätzlich nicht zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2002 - B 7 AL 26/02 R - veröffentlicht in juris mwN).

Zuletzt musste auch den Beweisanträgen des Klägers unabhängig davon nicht gefolgt werden, dass der Senat die maßgeblichen Akten der Gerichtsverhandlungen bereits beigezogen hatte, "an der Dr. R. teilgenommen hat", wovon sich der Kläger im Rahmen seiner Akteneinsicht bereits selbst überzeugen konnte. Die Anhörung des Zeugen M. wäre erst in Betracht zu ziehen gewesen, wenn die formalen Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache vorgelegen hätten. Der Kläger hatte jedoch weder eine Überprüfung der maßgeblichen Verwaltungsentscheidungen beantragt noch war das ursprüngliche gerichtliche Ausgangsverfahren (S 1/8 AL 73/00) fortzuführen. Im Ergebnis ist die Berufung daher erfolglos.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nr.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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