Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 26/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 255/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage des Streitgegenstandes eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes
Zur Frage der Bewilligung von Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes
Zu den Voraussetzungen einer Antragsänderung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Zur Frage der Bewilligung von Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes
Zu den Voraussetzungen einer Antragsänderung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.03.2010 wird in Bezug auf den Antragsteller zu 1 als unzulässig verworfen.
II. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss dese Sozialgerichts Nürnberg vom 09.03.2010 in Bezug auf die Antragstellerin zu 2 aufgehoben. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes wird abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zu 1 die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der Antragstellerin zu 2 sind nicht zu erstatten.
IV. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und der Rechtsanwalt S., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin zu 2 (ASt zu 2) begehrt die Bewilligung von Sozialgeld als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller zu 1 (ASt zu 1) ist nigerianischer Staatsangehöriger und bezog bis 30.06.2007 Arbeitslosengeld II (Alg II). Am 01.04.2009 beantragte er erneut die Bewilligung von Leistungen, die die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheid vom 11.05.2009 (idF der Änderungsbescheide vom 15.06.2009 und 10.09.2009) bewilligte (Zeitraum 01.04.2009 bis 30.09.2009). Am 15.06.2009 teilte der ASt zu 1 der Ag mit, er habe am 12.06.2009 die ASt zu 2, eine kenianische Staatsangehörige, geheiratet. Seine Ehefrau arbeite und lebe noch in der Schweiz. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses dort werde sie nach Deutschland kommen.
Am 08.09.2009 beantragten die ASt zu 1 und 2 bei der Ag gemeinsam Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die ASt zu 2 lebe seit dem 11.09.2009 mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Nachdem die ASt eine Aufforderung, Unterlagen zeitnah vorzulegen, nicht vollständig erfüllten, verweigerte die Ag dem ASt zu 1 mit Bescheid vom 05.10.2009 die Bewilligung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung.
Auf erneuten Antrag der ASt vom 14.10.2009 bewilligte die Ag mit Bescheid vom 03.11.2009 (idF der Änderungsbescheide vom 19.11.2009 und 30.12.2009) dem ASt zu 1 und den mit ihm in "einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" - ohne diese näher zu bezeichnen - Leistungen für die Zeit vom 14.10.2009 bis 28.02.2010. Die Ag berücksichtigte in diesem Zusammenhang lediglich die hälftigen Kosten der Unterkunft sowie für den ASt zu 1 einen Regelsatz in Höhe von 323.- EUR. Gegen den Bescheid vom 30.12.2009 erhob der ASt zu 1 unter dem 11.01.2010 Widerspruch. Bereits am 23.12.2009 hatte der ASt zu 1 die Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 14.10.2009 beantragt und geltend gemacht, seine Ehefrau sei nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen.
Zudem haben die ASt am 11.01.2010 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der ASt zu 2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen. Ein Leistungsausschluss wegen fehlender Arbeitserlaubnis sei rechtswidrig: Es ließe sich allenfalls ein dreimonatiger Leistungsausschluss rechtfertigen, so dass ab dem 12.12.2009 Leistungen zustehen. Ein Aufenthaltstitel sei beantragt und die Fiktionswirkung des § 81 Aufenthaltsgesetzes (AufentG) führe zu einem Anspruch nach dem
SGB II. Der Antrag auf den Aufenthaltstitel sei auch nicht rechtsmissbräuchlich gestellt worden, und die fehlende Arbeitserlaubnis führe lediglich dazu, dass nicht Alg II sondern Sozialgeld iSd § 28 SGB II zu gewähren sei.
Dem hat die Ag entgegengehalten, die ASt zu 2 habe keinen - auch für den Bezug von Sozialgeld erforderlichen - gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet. Dieser könne bei einem erstmaligen Zuzug aus dem Ausland nur angenommen werden, wenn der Aufenthalt nicht besuchsweise erfolge. Ein nicht vorhandener Aufenthaltstitel bzw. der Aufenthalt auf der Grundlage eines Besuchervisums stehe einem gewöhnlichen Aufenthalt entgegen. Das Vorliegen einer Fiktionsbescheinigung führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Es bestehe jedoch die Bereitschaft, dem ASt zu 1 die vollen Kosten der Unterkunft zu erbringen. In Abänderung des Bescheides vom 30.12.2009 hat die Ag dem Ast zu 1 mit Bescheid vom 08.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 die vollen Kosten der Unterkunft bewilligt. Mit weiterem Bescheid vom 08.02.2010 hat die Ag dem ASt zu 1 und den mit ihm in "einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" Leistungen für die Zeit vom 01.03.2010 bis 31.07.2010 bewilligt. Auch hier hat die Ag die vollen Kosten der Unterkunft berücksichtigt. Den Berechnungsblättern beider Bescheide ist zu entnehmen, die ASt zu 2 habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Das SG hat mit Beschluss vom 09.03.2010 die Ag verpflichtet, der ASt zu 2 für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.08.2010 monatliche Leistungen in Höhe von 250.- EUR zu gewähren. Im Übrigen werde der Antrag abgewiesen. Die Ag habe bislang lediglich Leistungen bis zum Ende des Bewilligungsabschnittes am 28.02.2010 bewilligt. Die Ag sei daher zu verpflichten gewesen, der ASt zu 2 für den bisherigen (bis Ende Februar 2010) und den neuen Bewilligungsabschnitt (bis Ende August 2010) Leistungen dem Grunde nach zu erbringen. Die ASt zu 2 habe Anspruch auf Sozialgeld. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes sei nicht von dessen Rechtmäßigkeit abhängig. Auch liege ein Leistungsausschluss iSd § 7
Abs 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II nicht vor. Die ASt zu 2 sei zwar zur Einreise nicht berechtigt gewesen, der ASt zu 1 verfüge jedoch seit Jahren über einen gesicherten Aufenthalt, und die ASt zu 2 habe mit der Geburt ihres Kindes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs 1 Nr. 3 AufenthG, so dass mit Bewilligung der Leistungen eine - wenn auch nur möglicherweise vorübergehende - Verletzung von Grundrechten zu verhindern sei. Um einer Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, sei der Leistungsanspruch auf 250,00 EUR monatlich zu beschränken.
Gegen diesen Beschluss hat die Ag Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Leistungen an die ASt zu 2 seien nicht zu erbringen. Ergänzend zu den erstinstanzlichen Ausführungen hat die Ag vorgebracht, der Leistungsabschnitt sei bis 28.02.2010 begrenzt gewesen. Über die Folgezeit ab dem 01.03.2010 habe sie - auf der Grundlage eines Fortzahlungsantrages - mit Bescheid vom 08.02.2010 entschieden. Dort seien allein dem ASt zu 1 Leistungen bewilligt worden. Widerspruch gegen diese Entscheidung sei nicht erhoben worden. Der Bescheid vom 22.03.2010 sei lediglich in Ausführung des gerichtlichen Beschlusses vom 09.03.2010 ergangen. Auch sei unklar, ob die ASt zu 2 als solche zu werten sei, nachdem sich allein der ASt zu 1 an das Gericht gewandt habe und unklar sei, ob eine ordnungsgemäße Vertretung durch den ASt zu 1 und den gemeinsamen Bevollmächtigten gegeben sei.
Die ASt zu 1 und 2 haben dem entgegengehalten, ein Fortzahlungsantrag sei gestellt worden und die Ag erbringe für die Zeit ab dem 01.04.2010 auf der Grundlage des Bescheides vom 22.03.2010 auch für die ASt zu 2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein Anspruch der ASt zu 2 sei auch gegeben, denn sie halte sich nicht nur vorübergehend sondern rechtlich abgesichert und dauerhaft in Deutschland auf. Spätestens mit der Geburt ihres Kindes sei ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil ihr Kind nach § 4 Abs 3 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) Deutscher werde. Zudem haben die ASt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde der Ag ist in Bezug auf den ASt zu 1 nicht statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und als unzulässig zu verwerfen. Ausgehend vom Vortrag der Ag, es sei in Zweifel zu ziehen, ob die ASt zu 2 als Antragstellerin zu werten sei, denn allein der ASt zu 1 habe das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz in die Wege geleitet, ist der Schluss zu ziehen, die Beschwerde der Ag richtet sich auch gegen den ASt zu 1 und die in diesem Zusammenhang ergangene Kostenentscheidung, auch wenn der Antrag der Ag im wesentlichen auf die Beseitigung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Sache abzielt.
Diese Beschwerde ist jedoch nicht statthaft, denn durch den Beschluss des SG, der ASt zu 2 Leistungen zu erbringen, ist die Ag in Bezug auf den ASt zu 1 nicht beschwert. Das SG hätte in diesem Zusammenhang dem ASt zu 1 zwar weder Prozesskostenhilfe bewilligen dürfen noch hätte es die Ag - am Ergebnis orientiert - mit außergerichtlichen Kosten belasten können, denn dem ASt zu 1 sind - soweit ersichtlich - Leistungen nach dem SGB II unter Beachtung der Sach- und Rechtslage in zutreffender Höhe bewilligt worden.
Ein Antrag des ASt zu 1 wäre daher - mit entsprechender Kostenfolge - vor dem SG mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzulehnen gewesen. Allein wegen der unzutreffenden Kostenentscheidung - ohne Anfechtung in der Hauptsache - ist jedoch eine Beschwerde nicht statthaft (vgl. Leitherer in Meyer- Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 172 Rn. 5)
Darüber hinaus ist die Beschwerde der Ag gegen den Beschluss des SG in Bezug auf die ASt zu 2 zulässig (§§ 172, 173 SGG) und begründet.
Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache sind insoweit Leistungsansprüche der ASt 2 nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2010 bis 28.02.2010, die mit Bescheid vom 30.12.2009 in der Fassung des Bescheides 08.02.2010 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 abgelehnt worden sind - im Rahmen dieser Bescheide sind dem ASt zu 1 jedoch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und an die ASt zu 1 und 2 Unterkunftskosten bewilligt worden -, so dass § 86 Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold- Tews , Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. , § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Vorliegend kann offen bleiben, ob die ASt zu 2 gegen den für den Zeitraum 01.01.2010 bis 28.02.2010 maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 25.03.2010 Klage erhoben hat. Soweit dies nicht geschehen ist, wäre ein Anordnungsanspruch aufgrund der Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bescheides vom 08.02.2010 ohnehin ausgeschlossen. Maßgeblich ist jedoch, dass es sich - auch ausgehend vom Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung am 09.03.2010 - lediglich um Ansprüche für bereits abgelaufene Bewilligungszeiträume handelt.
Es ist ständige Rechtsprechung des Senates, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Senates vom 12.01.2009 - L 11 B 785/08 AS ER - juris).
Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.
Beides ist vorliegend nicht gegeben. Die ASt zu 2 hat weder dargelegt, welche existenzielle Gefährdung durch eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigt werden müsste, noch ist ersichtlich, dass der Leistungsanspruch der ASt zu 2 im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 28.02.2010 offensichtlich bestehen würde. Vorliegend ist zwar die Argumentation der Ag zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) der ASt zu 2 - insbesondere unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung und Literatur sowie vor dem tatsächlichen Hintergrund - nicht ansatzweise nachvollziehbar. Soweit die Ag allein darauf abstellt, die ASt zu 2 sei auf der Grundlage eines Besuchervisums nach Deutschland eingereist, erscheint dies ungeeignet, die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes zweifelsfrei auszuschließen, denn es ist regelmäßig auf die tatsächlichen Gesamtumstände abzustellen, die einen absehbaren Zeitpunkt einer Ausreise nahe legen und der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes entgegenstehen. Dies ist im Falle der ASt zu 2 offenkundig nicht gegeben, denn sie hat sich u.a. zum Zwecke der Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft mit dem ASt zu 1 nach Deutschland begeben, und es gibt keine Anhaltspunkte, die ASt hätten in nächster Zeit die Absicht, ihren Aufenthalt ins Ausland zu verlagern. Gleichwohl wird im Rahmen eines möglichen Hauptsacheverfahrens die Frage von Ausschlusstatbeständen iSd § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu prüfen sein, so dass ein zweifelsfreier Leistungsanspruch der ASt zu 2 derzeit nicht zu belegen ist.
Soweit das SG der ASt zu 2 Leistungen für die Zeit ab dem 01.03.2010 zugesprochen hat, entbehrt dies einer rechtlichen Grundlage. Ausgangspunkt und somit Grundlage zur Definition des Streitgegenstandes eines Anordnungsverfahrens ist stets das Hauptsacheverfahren, über das das SG zu entscheiden hat oder im Falle der Anhängigkeit des Rechtsstreites zu entscheiden hätte. Dies war zum Zeitpunkt des Antragseinganges beim SG am 11.01.2010 nur der Bewilligungsabschnitt für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 28.02.2010, denn allein diesbezüglich hatten die ASt Widerspruch gegen den maßgeblichen Bescheid vom 30.12.2009 erhoben. Weitergehende Leistungszeiträume waren am 11.01.2010 nicht streitgegenständlich, denn die ASt hatten zu diesem Zeitpunkt - nach Lage der Akten - noch keinen Fortzahlungsantrag gestellt, und die Ag hat über den folgenden Bewilligungsabschnitt erst mit Bescheid vom 08.02.2010 entschieden. Dieser Bewilligungsabschnitt (01.03.2010 bis 31.07.2010) ist nicht Gegenstand des Antragsverfahrens geworden, denn insoweit hat die Ag mit dem Bescheid vom 08.02.2010 keine Änderung des im Streit stehenden Bescheides vom 30.12.2009 vorgenommen, sondern eine Entscheidung in Bezug auf einen neuen Leistungszeitraum ab 01.03.2010 getroffen, über die das SG allenfalls im Rahmen einer Antragsänderung (§ 99 Abs 1 SGG) hätte entscheiden können.
Eine solche Antragsänderung haben die ASt weder ausdrücklich beantragt noch hat das SG in der Begründung seines Beschlusses hierzu irgendwelche Ausführungen gemacht. Unabhängig davon, dass das Leistungsbegehren der ASt dahingehend ausgelegt werden könnte, auch eine Entscheidung in Bezug auf den neuen Leistungsabschnitt zu treffen, ist nicht ersichtlich, dass das SG über eine so geänderte Klage entschieden hätte. Dem SG lag weder der maßgebliche Bescheid vom 08.02.2010 vor, noch hat es überhaupt erkannt, dass es sich für die Zeit ab dem 01.03.2010 um einen anderen Antragsgegenstand handelt. Darüber hinaus hat das SG in der Konsequenz keine Ausführungen zur Sachdienlichkeit einer Antragsänderung gemacht, so dass im Ergebnis auch nicht von einer stillschweigenden Zulassung des geänderten Antrages auszugehen wäre. Der Senat könnte allenfalls - das Einverständnis der Beteiligten vorausgesetzt - über diesen Antrag erstinstanzlich entscheiden (vgl. zu den Voraussetzungen über das "Heraufholen von Prozessresten": Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 140 Rn. 2a), wobei die Sachdienlichkeit einer solchen Antragsänderung aus Sicht des Senates - beim derzeitigen Stand des Verfahrens - auch nicht zu erkennen ist. Der Rechtsstreit ließe sich nicht endgültig beilegen, denn in der Sache bestehen zwar Erfolgsaussichten, im Ergebnis wäre der Antrag jedoch abzuweisen, weil für die Zeit ab dem 01.03.2010 ein Leistungsanspruch der ASt zu 2 nach dem bestandskräftigen Bescheid vom 08.02.2010 in Bezug auf den Leistungszeitraum vom 01.03.2010 bis 31.07.2010 ausgeschlossen ist.
Mit diesem Bescheid hat die Ag Leistungen an den ASt zu 1 für den Zeitraum 01.03.2010 bis 31.07.2010 bewilligt und Leistungen an die ASt zu 2 vollständig abgelehnt. Letzteres ergibt sich - auch wenn die ASt zu 2 nicht ausdrücklich im Tenor der Entscheidung vom 08.02.2010 genannt ist - aus dem Berechnungsblatt zum Bescheid vom 08.02.2010. Hiernach sind keine Leistungen an die ASt zu 2 ausgewiesen. Der insoweit - mit Ablauf der Widerspruchsfrist - bestandkräftig gewordene, ablehnende Bescheid vom 08.02.2010 schließt zwischen den Beteiligten bindend (§ 77 SGG) einen Leistungsanspruch der ASt zu 2 für den Zeitraum 01.03.2010 bis 31.07.2010 aus, womit im laufenden Verfahren ein Anordnungsanspruch ohnehin nicht gegeben wäre. Zweifel an der Bestandskraft des Bescheides vom 08.02.2010 bestehen aus Sicht des Senates nicht, denn die Ag hat bereits mit dem Beschwerdeschriftsatz vom 06.04.2010 auf den fehlenden Widerspruch sowie den bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hingewiesen, und die ASt zu 2 hat hierzu nichts vorgetragen, das eine andere Beurteilung zuließe. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche ist die ASt zu 2 daher auf ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu verweisen, denn allein die Durchführung eines Anordnungsverfahrens entbindet nicht von der Obliegenheit, auch das diesbezügliche Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls mit Rechtsmitteln - zu betreiben, denn allein dieses ist Ausgangspunkt und Grundlage des Eilverfahrens.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Ag mit einer Änderung des Antrages einverstanden gewesen wäre (§ 99 Abs 2 SGG), was sich insbesondere daraus schließen lässt, dass sie dem SG die Entscheidung bezüglich des neuen Leistungszeitraumes ab dem 01.03.2010 nicht mitgeteilt hat, obgleich noch hinreichend Zeit zwischen dem Bescheid vom 08.02.2010 und dem Beschluss vom 09.03.2010 verblieben war.
Auch für den weitergehenden Zeitraum ab dem 01.08.2010 entbehrt die Entscheidung des SG einer rechtlichen Grundlage, denn in Bezug auf den Bewilligungsabschnitt für die Zeit ab dem 01.08.2010 gibt es bislang keine Anhaltspunkte, dass die ASt zu 2 einen Fortzahlungsantrag gestellt hätte. Ein solcher unterstellt führte jedoch auch zu keiner anderen Betrachtungsweise, denn auch insoweit handelt es sich um einen Antragsgegenstand, über den das SG allenfalls im Rahmen einer Antragsänderung entscheiden konnte, dies jedoch nicht geschehen ist (vgl. hierzu bereits oben) und der Senat die Sachdienlichkeit einer Antragsänderung auch nicht zu erkennen vermag, insbesondere weil der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und für eine abschließende Beurteilung des Anordnungsanspruches weitergehende Sachaufklärung zum derzeitigen Aufenthaltsstatus der ASt zu 2 erforderlich wäre, der sich mit der Geburt des Kindes der ASt zu 2 geändert haben dürfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Erfolg der Beteiligten im Beschwerdeverfahren.
Prozesskostenhilfe ist den ASt zu bewilligen. Nachdem die Ag das Rechtsmittel eingelegt hat, sind die Erfolgsaussichten im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen, § 73a Absatz 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Absatz 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach der Erklärung vom 23.04.2010 über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfüllen die ASt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
II. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss dese Sozialgerichts Nürnberg vom 09.03.2010 in Bezug auf die Antragstellerin zu 2 aufgehoben. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes wird abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zu 1 die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der Antragstellerin zu 2 sind nicht zu erstatten.
IV. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und der Rechtsanwalt S., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin zu 2 (ASt zu 2) begehrt die Bewilligung von Sozialgeld als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller zu 1 (ASt zu 1) ist nigerianischer Staatsangehöriger und bezog bis 30.06.2007 Arbeitslosengeld II (Alg II). Am 01.04.2009 beantragte er erneut die Bewilligung von Leistungen, die die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheid vom 11.05.2009 (idF der Änderungsbescheide vom 15.06.2009 und 10.09.2009) bewilligte (Zeitraum 01.04.2009 bis 30.09.2009). Am 15.06.2009 teilte der ASt zu 1 der Ag mit, er habe am 12.06.2009 die ASt zu 2, eine kenianische Staatsangehörige, geheiratet. Seine Ehefrau arbeite und lebe noch in der Schweiz. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses dort werde sie nach Deutschland kommen.
Am 08.09.2009 beantragten die ASt zu 1 und 2 bei der Ag gemeinsam Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die ASt zu 2 lebe seit dem 11.09.2009 mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Nachdem die ASt eine Aufforderung, Unterlagen zeitnah vorzulegen, nicht vollständig erfüllten, verweigerte die Ag dem ASt zu 1 mit Bescheid vom 05.10.2009 die Bewilligung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung.
Auf erneuten Antrag der ASt vom 14.10.2009 bewilligte die Ag mit Bescheid vom 03.11.2009 (idF der Änderungsbescheide vom 19.11.2009 und 30.12.2009) dem ASt zu 1 und den mit ihm in "einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" - ohne diese näher zu bezeichnen - Leistungen für die Zeit vom 14.10.2009 bis 28.02.2010. Die Ag berücksichtigte in diesem Zusammenhang lediglich die hälftigen Kosten der Unterkunft sowie für den ASt zu 1 einen Regelsatz in Höhe von 323.- EUR. Gegen den Bescheid vom 30.12.2009 erhob der ASt zu 1 unter dem 11.01.2010 Widerspruch. Bereits am 23.12.2009 hatte der ASt zu 1 die Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 14.10.2009 beantragt und geltend gemacht, seine Ehefrau sei nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen.
Zudem haben die ASt am 11.01.2010 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der ASt zu 2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen. Ein Leistungsausschluss wegen fehlender Arbeitserlaubnis sei rechtswidrig: Es ließe sich allenfalls ein dreimonatiger Leistungsausschluss rechtfertigen, so dass ab dem 12.12.2009 Leistungen zustehen. Ein Aufenthaltstitel sei beantragt und die Fiktionswirkung des § 81 Aufenthaltsgesetzes (AufentG) führe zu einem Anspruch nach dem
SGB II. Der Antrag auf den Aufenthaltstitel sei auch nicht rechtsmissbräuchlich gestellt worden, und die fehlende Arbeitserlaubnis führe lediglich dazu, dass nicht Alg II sondern Sozialgeld iSd § 28 SGB II zu gewähren sei.
Dem hat die Ag entgegengehalten, die ASt zu 2 habe keinen - auch für den Bezug von Sozialgeld erforderlichen - gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet. Dieser könne bei einem erstmaligen Zuzug aus dem Ausland nur angenommen werden, wenn der Aufenthalt nicht besuchsweise erfolge. Ein nicht vorhandener Aufenthaltstitel bzw. der Aufenthalt auf der Grundlage eines Besuchervisums stehe einem gewöhnlichen Aufenthalt entgegen. Das Vorliegen einer Fiktionsbescheinigung führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Es bestehe jedoch die Bereitschaft, dem ASt zu 1 die vollen Kosten der Unterkunft zu erbringen. In Abänderung des Bescheides vom 30.12.2009 hat die Ag dem Ast zu 1 mit Bescheid vom 08.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 die vollen Kosten der Unterkunft bewilligt. Mit weiterem Bescheid vom 08.02.2010 hat die Ag dem ASt zu 1 und den mit ihm in "einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" Leistungen für die Zeit vom 01.03.2010 bis 31.07.2010 bewilligt. Auch hier hat die Ag die vollen Kosten der Unterkunft berücksichtigt. Den Berechnungsblättern beider Bescheide ist zu entnehmen, die ASt zu 2 habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Das SG hat mit Beschluss vom 09.03.2010 die Ag verpflichtet, der ASt zu 2 für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.08.2010 monatliche Leistungen in Höhe von 250.- EUR zu gewähren. Im Übrigen werde der Antrag abgewiesen. Die Ag habe bislang lediglich Leistungen bis zum Ende des Bewilligungsabschnittes am 28.02.2010 bewilligt. Die Ag sei daher zu verpflichten gewesen, der ASt zu 2 für den bisherigen (bis Ende Februar 2010) und den neuen Bewilligungsabschnitt (bis Ende August 2010) Leistungen dem Grunde nach zu erbringen. Die ASt zu 2 habe Anspruch auf Sozialgeld. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes sei nicht von dessen Rechtmäßigkeit abhängig. Auch liege ein Leistungsausschluss iSd § 7
Abs 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II nicht vor. Die ASt zu 2 sei zwar zur Einreise nicht berechtigt gewesen, der ASt zu 1 verfüge jedoch seit Jahren über einen gesicherten Aufenthalt, und die ASt zu 2 habe mit der Geburt ihres Kindes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs 1 Nr. 3 AufenthG, so dass mit Bewilligung der Leistungen eine - wenn auch nur möglicherweise vorübergehende - Verletzung von Grundrechten zu verhindern sei. Um einer Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, sei der Leistungsanspruch auf 250,00 EUR monatlich zu beschränken.
Gegen diesen Beschluss hat die Ag Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Leistungen an die ASt zu 2 seien nicht zu erbringen. Ergänzend zu den erstinstanzlichen Ausführungen hat die Ag vorgebracht, der Leistungsabschnitt sei bis 28.02.2010 begrenzt gewesen. Über die Folgezeit ab dem 01.03.2010 habe sie - auf der Grundlage eines Fortzahlungsantrages - mit Bescheid vom 08.02.2010 entschieden. Dort seien allein dem ASt zu 1 Leistungen bewilligt worden. Widerspruch gegen diese Entscheidung sei nicht erhoben worden. Der Bescheid vom 22.03.2010 sei lediglich in Ausführung des gerichtlichen Beschlusses vom 09.03.2010 ergangen. Auch sei unklar, ob die ASt zu 2 als solche zu werten sei, nachdem sich allein der ASt zu 1 an das Gericht gewandt habe und unklar sei, ob eine ordnungsgemäße Vertretung durch den ASt zu 1 und den gemeinsamen Bevollmächtigten gegeben sei.
Die ASt zu 1 und 2 haben dem entgegengehalten, ein Fortzahlungsantrag sei gestellt worden und die Ag erbringe für die Zeit ab dem 01.04.2010 auf der Grundlage des Bescheides vom 22.03.2010 auch für die ASt zu 2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein Anspruch der ASt zu 2 sei auch gegeben, denn sie halte sich nicht nur vorübergehend sondern rechtlich abgesichert und dauerhaft in Deutschland auf. Spätestens mit der Geburt ihres Kindes sei ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil ihr Kind nach § 4 Abs 3 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) Deutscher werde. Zudem haben die ASt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde der Ag ist in Bezug auf den ASt zu 1 nicht statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und als unzulässig zu verwerfen. Ausgehend vom Vortrag der Ag, es sei in Zweifel zu ziehen, ob die ASt zu 2 als Antragstellerin zu werten sei, denn allein der ASt zu 1 habe das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz in die Wege geleitet, ist der Schluss zu ziehen, die Beschwerde der Ag richtet sich auch gegen den ASt zu 1 und die in diesem Zusammenhang ergangene Kostenentscheidung, auch wenn der Antrag der Ag im wesentlichen auf die Beseitigung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Sache abzielt.
Diese Beschwerde ist jedoch nicht statthaft, denn durch den Beschluss des SG, der ASt zu 2 Leistungen zu erbringen, ist die Ag in Bezug auf den ASt zu 1 nicht beschwert. Das SG hätte in diesem Zusammenhang dem ASt zu 1 zwar weder Prozesskostenhilfe bewilligen dürfen noch hätte es die Ag - am Ergebnis orientiert - mit außergerichtlichen Kosten belasten können, denn dem ASt zu 1 sind - soweit ersichtlich - Leistungen nach dem SGB II unter Beachtung der Sach- und Rechtslage in zutreffender Höhe bewilligt worden.
Ein Antrag des ASt zu 1 wäre daher - mit entsprechender Kostenfolge - vor dem SG mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzulehnen gewesen. Allein wegen der unzutreffenden Kostenentscheidung - ohne Anfechtung in der Hauptsache - ist jedoch eine Beschwerde nicht statthaft (vgl. Leitherer in Meyer- Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 172 Rn. 5)
Darüber hinaus ist die Beschwerde der Ag gegen den Beschluss des SG in Bezug auf die ASt zu 2 zulässig (§§ 172, 173 SGG) und begründet.
Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache sind insoweit Leistungsansprüche der ASt 2 nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2010 bis 28.02.2010, die mit Bescheid vom 30.12.2009 in der Fassung des Bescheides 08.02.2010 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 abgelehnt worden sind - im Rahmen dieser Bescheide sind dem ASt zu 1 jedoch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und an die ASt zu 1 und 2 Unterkunftskosten bewilligt worden -, so dass § 86 Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold- Tews , Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. , § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Vorliegend kann offen bleiben, ob die ASt zu 2 gegen den für den Zeitraum 01.01.2010 bis 28.02.2010 maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 25.03.2010 Klage erhoben hat. Soweit dies nicht geschehen ist, wäre ein Anordnungsanspruch aufgrund der Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bescheides vom 08.02.2010 ohnehin ausgeschlossen. Maßgeblich ist jedoch, dass es sich - auch ausgehend vom Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung am 09.03.2010 - lediglich um Ansprüche für bereits abgelaufene Bewilligungszeiträume handelt.
Es ist ständige Rechtsprechung des Senates, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Senates vom 12.01.2009 - L 11 B 785/08 AS ER - juris).
Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.
Beides ist vorliegend nicht gegeben. Die ASt zu 2 hat weder dargelegt, welche existenzielle Gefährdung durch eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigt werden müsste, noch ist ersichtlich, dass der Leistungsanspruch der ASt zu 2 im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 28.02.2010 offensichtlich bestehen würde. Vorliegend ist zwar die Argumentation der Ag zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) der ASt zu 2 - insbesondere unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung und Literatur sowie vor dem tatsächlichen Hintergrund - nicht ansatzweise nachvollziehbar. Soweit die Ag allein darauf abstellt, die ASt zu 2 sei auf der Grundlage eines Besuchervisums nach Deutschland eingereist, erscheint dies ungeeignet, die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes zweifelsfrei auszuschließen, denn es ist regelmäßig auf die tatsächlichen Gesamtumstände abzustellen, die einen absehbaren Zeitpunkt einer Ausreise nahe legen und der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes entgegenstehen. Dies ist im Falle der ASt zu 2 offenkundig nicht gegeben, denn sie hat sich u.a. zum Zwecke der Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft mit dem ASt zu 1 nach Deutschland begeben, und es gibt keine Anhaltspunkte, die ASt hätten in nächster Zeit die Absicht, ihren Aufenthalt ins Ausland zu verlagern. Gleichwohl wird im Rahmen eines möglichen Hauptsacheverfahrens die Frage von Ausschlusstatbeständen iSd § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu prüfen sein, so dass ein zweifelsfreier Leistungsanspruch der ASt zu 2 derzeit nicht zu belegen ist.
Soweit das SG der ASt zu 2 Leistungen für die Zeit ab dem 01.03.2010 zugesprochen hat, entbehrt dies einer rechtlichen Grundlage. Ausgangspunkt und somit Grundlage zur Definition des Streitgegenstandes eines Anordnungsverfahrens ist stets das Hauptsacheverfahren, über das das SG zu entscheiden hat oder im Falle der Anhängigkeit des Rechtsstreites zu entscheiden hätte. Dies war zum Zeitpunkt des Antragseinganges beim SG am 11.01.2010 nur der Bewilligungsabschnitt für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 28.02.2010, denn allein diesbezüglich hatten die ASt Widerspruch gegen den maßgeblichen Bescheid vom 30.12.2009 erhoben. Weitergehende Leistungszeiträume waren am 11.01.2010 nicht streitgegenständlich, denn die ASt hatten zu diesem Zeitpunkt - nach Lage der Akten - noch keinen Fortzahlungsantrag gestellt, und die Ag hat über den folgenden Bewilligungsabschnitt erst mit Bescheid vom 08.02.2010 entschieden. Dieser Bewilligungsabschnitt (01.03.2010 bis 31.07.2010) ist nicht Gegenstand des Antragsverfahrens geworden, denn insoweit hat die Ag mit dem Bescheid vom 08.02.2010 keine Änderung des im Streit stehenden Bescheides vom 30.12.2009 vorgenommen, sondern eine Entscheidung in Bezug auf einen neuen Leistungszeitraum ab 01.03.2010 getroffen, über die das SG allenfalls im Rahmen einer Antragsänderung (§ 99 Abs 1 SGG) hätte entscheiden können.
Eine solche Antragsänderung haben die ASt weder ausdrücklich beantragt noch hat das SG in der Begründung seines Beschlusses hierzu irgendwelche Ausführungen gemacht. Unabhängig davon, dass das Leistungsbegehren der ASt dahingehend ausgelegt werden könnte, auch eine Entscheidung in Bezug auf den neuen Leistungsabschnitt zu treffen, ist nicht ersichtlich, dass das SG über eine so geänderte Klage entschieden hätte. Dem SG lag weder der maßgebliche Bescheid vom 08.02.2010 vor, noch hat es überhaupt erkannt, dass es sich für die Zeit ab dem 01.03.2010 um einen anderen Antragsgegenstand handelt. Darüber hinaus hat das SG in der Konsequenz keine Ausführungen zur Sachdienlichkeit einer Antragsänderung gemacht, so dass im Ergebnis auch nicht von einer stillschweigenden Zulassung des geänderten Antrages auszugehen wäre. Der Senat könnte allenfalls - das Einverständnis der Beteiligten vorausgesetzt - über diesen Antrag erstinstanzlich entscheiden (vgl. zu den Voraussetzungen über das "Heraufholen von Prozessresten": Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 140 Rn. 2a), wobei die Sachdienlichkeit einer solchen Antragsänderung aus Sicht des Senates - beim derzeitigen Stand des Verfahrens - auch nicht zu erkennen ist. Der Rechtsstreit ließe sich nicht endgültig beilegen, denn in der Sache bestehen zwar Erfolgsaussichten, im Ergebnis wäre der Antrag jedoch abzuweisen, weil für die Zeit ab dem 01.03.2010 ein Leistungsanspruch der ASt zu 2 nach dem bestandskräftigen Bescheid vom 08.02.2010 in Bezug auf den Leistungszeitraum vom 01.03.2010 bis 31.07.2010 ausgeschlossen ist.
Mit diesem Bescheid hat die Ag Leistungen an den ASt zu 1 für den Zeitraum 01.03.2010 bis 31.07.2010 bewilligt und Leistungen an die ASt zu 2 vollständig abgelehnt. Letzteres ergibt sich - auch wenn die ASt zu 2 nicht ausdrücklich im Tenor der Entscheidung vom 08.02.2010 genannt ist - aus dem Berechnungsblatt zum Bescheid vom 08.02.2010. Hiernach sind keine Leistungen an die ASt zu 2 ausgewiesen. Der insoweit - mit Ablauf der Widerspruchsfrist - bestandkräftig gewordene, ablehnende Bescheid vom 08.02.2010 schließt zwischen den Beteiligten bindend (§ 77 SGG) einen Leistungsanspruch der ASt zu 2 für den Zeitraum 01.03.2010 bis 31.07.2010 aus, womit im laufenden Verfahren ein Anordnungsanspruch ohnehin nicht gegeben wäre. Zweifel an der Bestandskraft des Bescheides vom 08.02.2010 bestehen aus Sicht des Senates nicht, denn die Ag hat bereits mit dem Beschwerdeschriftsatz vom 06.04.2010 auf den fehlenden Widerspruch sowie den bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hingewiesen, und die ASt zu 2 hat hierzu nichts vorgetragen, das eine andere Beurteilung zuließe. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche ist die ASt zu 2 daher auf ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu verweisen, denn allein die Durchführung eines Anordnungsverfahrens entbindet nicht von der Obliegenheit, auch das diesbezügliche Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls mit Rechtsmitteln - zu betreiben, denn allein dieses ist Ausgangspunkt und Grundlage des Eilverfahrens.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Ag mit einer Änderung des Antrages einverstanden gewesen wäre (§ 99 Abs 2 SGG), was sich insbesondere daraus schließen lässt, dass sie dem SG die Entscheidung bezüglich des neuen Leistungszeitraumes ab dem 01.03.2010 nicht mitgeteilt hat, obgleich noch hinreichend Zeit zwischen dem Bescheid vom 08.02.2010 und dem Beschluss vom 09.03.2010 verblieben war.
Auch für den weitergehenden Zeitraum ab dem 01.08.2010 entbehrt die Entscheidung des SG einer rechtlichen Grundlage, denn in Bezug auf den Bewilligungsabschnitt für die Zeit ab dem 01.08.2010 gibt es bislang keine Anhaltspunkte, dass die ASt zu 2 einen Fortzahlungsantrag gestellt hätte. Ein solcher unterstellt führte jedoch auch zu keiner anderen Betrachtungsweise, denn auch insoweit handelt es sich um einen Antragsgegenstand, über den das SG allenfalls im Rahmen einer Antragsänderung entscheiden konnte, dies jedoch nicht geschehen ist (vgl. hierzu bereits oben) und der Senat die Sachdienlichkeit einer Antragsänderung auch nicht zu erkennen vermag, insbesondere weil der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und für eine abschließende Beurteilung des Anordnungsanspruches weitergehende Sachaufklärung zum derzeitigen Aufenthaltsstatus der ASt zu 2 erforderlich wäre, der sich mit der Geburt des Kindes der ASt zu 2 geändert haben dürfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Erfolg der Beteiligten im Beschwerdeverfahren.
Prozesskostenhilfe ist den ASt zu bewilligen. Nachdem die Ag das Rechtsmittel eingelegt hat, sind die Erfolgsaussichten im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen, § 73a Absatz 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Absatz 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach der Erklärung vom 23.04.2010 über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfüllen die ASt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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