L 10 AL 294/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 173/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 294/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Ruhen wegen Entlassungsentschädigung. Ein wichtiger Grund des Arbeitslosen für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist dabei ohne Belang.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth (Anm.: Berichtigt mit Beschluss vom 29.08.2011) vom 11.10.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 05.01.2004 bis 30.06.2004 hat, nachdem ihm eine Entlassungsentschädigung gewährt wurde.

Der 1950 geborene Kläger war seit 01.04.1971 bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG beschäftigt. Mit Aufhebungsvertrag vom 23.12.2003 wurde das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2003 beendet und eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und § 3 Nr 9 Einkommensteuergesetz (EStG) iHv 230.081 EUR brutto vereinbart. Nach Mitteilung des Arbeitgebers habe die Kündigungsfrist des Arbeitgebers sechs Monate zum Ende des Vierteljahres betragen.

Der Kläger meldete sich am 05.01.2004 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg.

Mit Bescheid vom 31.01.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dem Antrag für die Zeit vom 05.01.2004 bis 30.06.2004 nicht entsprochen werden könne. Im Hinblick auf die Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ruhe der Leistungsanspruch bis 30.06.2004. Das Arbeitsverhältnis sei ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Ab dem 01.07.2004 wurde dem Kläger Alg bewilligt.

Am 16.05.2007 ging bei der Beklagten ein Schreiben des Klägers ein, mit dem er die Überprüfung des Bescheides vom 31.01.2004 beantragte. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.06.2007 ab. Bei der damals getroffenen Entscheidung sei weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden.

Mit seinem dagegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, er habe seit Anfang 2003 erhebliche depressive Störungen, insbesondere wegen der damaligen beruflichen Situation. Deshalb habe er das Angebot zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch angenommen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2007 zurück. Bei Einhaltung der Kündigungsfrist hätte das Arbeitsverhältnis am 30.06.2004 geendet. Bei Ende des Arbeitsverhältnisses sei der Kläger 53 Jahre alt und 32 Jahre im Betrieb beschäftigt gewesen, weshalb die Entlassungsentschädigung nur zu 25 % zu berücksichtigen sei, mithin in Höhe von 57.520,25 EUR. Aus der Gegenüberstellung dieses Anteils mit dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt der letzten 12 Monate in Höhe von 167,08 EUR würde sich ein Zeitraum von 344 Tagen ergeben, mithin der Anspruch auf Alg bis 09.12.2004 ruhen. Da aber das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.06.2004 geendet hätte, ruhe der Anspruch nur vom 05.01.2004 bis 30.06.2004. Nach dem Willen des Gesetzgebers komme es nicht darauf an, aus welchen Gründen das Arbeitsverhältnis beendet worden sei.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (Anm.: Berichtigt mit Beschluss vom 29.08.2011) (SG) erhoben. Er habe diverse berufliche, familiäre und gesundheitliche Probleme ab dem Jahr 2002 gehabt. Sein Widerspruch vom 16.05.2007 gegen den damaligen Ruhensbescheid solle anerkannt werden. In einem Telefonat mit Herrn D. von der Beklagten habe er die Auskunft erhalten, dass der Widerspruch, hätte er das Datum des Ruhensbescheides vom 31.01.2004 auf einem anderweitigen Widerspruch vom 04.03.2004 mitvermerkt, ebenfalls positiv verbeschieden worden wäre.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Soweit das Schreiben des Klägers vom 16.05.2007 einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.01.2004 darstellen sollte, so wäre dieser verfristet gewesen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus. Eine Rücknahme des Ruhensbescheides sei nicht möglich. Für die Feststellung des Ruhens wegen einer Entlassungsentschädigung komme es anders als bei einer Sperrzeit nicht auf die Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers im Einzelfall an.

Der Kläger hat hiergegen beim Bayer. Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er habe diverse berufliche, familiäre und gesundheitliche Probleme gehabt. Wäre damals auf dem Widerspruch vom 04.03.2004 auch der Ruhensbescheid vom 31.01.2004 vermerkt worden, wäre dieser dann auch positiv verbeschieden worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth (Anm.: Berichtigt mit Beschluss vom 29.08.2011) vom 11.10.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 12.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 31.01.2004 aufzuheben und dem Kläger für die Zeit vom 05.01.2004 bis 30.06.2004 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 25.05.2011 wurde die Berufung auf den Berichterstatter übertragen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) des Klägers, über die gemäß § 153 Abs 5 SGG nach Übertragung durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden werde konnte, ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 12.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Kläger auf die Folgen des Ausbleibens gemäß § 111 Abs 1 Satz 2 SGG hingewiesen worden ist.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Überprüfungsbescheid vom 12.06.2007, der auf den Überprüfungsantrag des Klägers vom 16.05.2007 erging. Dass es sich dabei um einen Widerspruch gegen den zu überprüfenden Bescheid vom 31.01.2004, mit dem der Anspruch auf Alg bis 30.06.2004 abgelehnt worden ist, gehandelt haben sollte, ist nicht erkennbar. Der Kläger begehrt in seinem Schreiben eine Überprüfung des damaligen Bescheides, so dass die Beklagte hierin zurecht einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gesehen hat. Im Übrigen wäre - wie es das SG zutreffend ausgeführt hat - der Widerspruch unzulässig gewesen, da im Hinblick auf § 84 SGG verfristet, und es wäre schon wegen der Jahresfrist des § 67 Abs 3 SGG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht gekommen.

Das SG hat zurecht entschieden, dass der Kläger auf der Grundlage des § 44 SGB X keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 31.01.2004 hat, denn die Beklagte hat das bei Erlass des Verwaltungsaktes geltende Recht richtig angewandt und der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Alg für die Zeit vor dem 01.07.2004. In der Zeit vom 05.01.2004 bis einschließlich 30.06.2004 ruht sein Anspruch auf Alg gemäß § 143a Abs 1 Satz 1 SGB III; eine Alg-Gewährung in dieser Zeit scheidet aus.

Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte, § 143a Abs 1 Satz 1 SGB III. Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus gegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tage der Vereinbarung über die Beendigung (§ 143a Abs 1 Satz 2 SGB III).

Die Ruhensvoraussetzungen lagen hier vor. Der Kläger hat mit seinem früheren Arbeitgeber am 23.12.2003 einen Aufhebungsvertrag geschlossen und das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 31.12.2003 beendet. Die ordentliche Kündigungsfrist für den Arbeitgeber wäre demgegenüber frühestens der 30.06.2004 gewesen, so dass diese nicht eingehalten worden ist. Im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2003 hat der Kläger insgesamt eine Abfindung in Höhe von 230.081 EUR brutto wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten. Damit wurde das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet und der Kläger hat im Hinblick auf die Beendigung eine Abfindungszahlung erhalten. Dies ergibt sich vorliegend sowohl aus der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers, wie auch aus dem Aufhebungsvertrag vom 23.12.2003. Wäre das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber nicht beendet worden, hätte der Kläger auch keine Abfindung erhalten.

Nach § 143a Abs 1 Satz 2 SGB III beginnt der Ruhenszeitraum mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, mithin dem 01.01.2004. Nach § 143a Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB III ruht der Alg-Anspruch nicht über den Tag hinaus, bis zu dem der Arbeitslose bei Weiterzahlung des während der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich verdienten Arbeitsentgelts einen Betrag in Höhe von 60 % der nach Abs 1 zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung als Arbeitentgelt verdient hätte. Da der Kläger vorliegend vom 01.04.1971 bis 31.12.2003, mithin 32 Jahre lang bei seinem Arbeitgeber beschäftigt und im Zeitpunkt der Kündigung 53 Jahre alt gewesen ist, reduziert sich die Anrechnung nach § 143a Abs 2 Satz 3 SGB III auf lediglich 25 % (§ 143a Abs 2 Satz 3 2.HS SGB III) des Abfindungsbetrages. Es ergibt sich eine Ruhenszeit von insgesamt 344 Kalendertagen (25 % von 230.081 EUR geteilt durch das kalendertägliche Entgelt von 167,08 EUR). Somit ruht der Anspruch des Klägers bis 30.06.2004, da nach § 143a Abs 1 Satz 1 SGB III der Anspruch längstens bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ruht.

Vorliegend spielt es keine Rolle, weshalb das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, da es in § 143a SGB III im Gegensatz zu § 144 Abs 1 SGB III unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat. § 143a SGB III ist keine Sanktion für ein Fehlverhalten des Arbeitslosen, sondern soll allein den Doppelbezug von Arbeitsentgelt und Arbeitslosengeld ausschließen (vgl BSG, Urteil vom 29.01.2001 - B 7 AL 62/99 R - SozR 3-4100 § 117 Nr 22; BayLSG, Urteil vom 24.05.2007 - L 10 AL 368/06 - juris). Hintergrund ist dabei, dass der Entlassungsentschädigung nicht alleine die Funktion zukommt, eine Entschädigung für den sozialen Besitzstand darzustellen, sondern auch zu einem gewissen Umfang (siehe § 143a Abs 2 SGB III) Arbeitsentgeltansprüche abzudecken (vgl BT-Drucks 8/857 S 9; Düe in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, § 143a Rn 4). Die Ruhensvorschriften des § 143a SGB III enthält die unwiderlegbare Vermutung, dass in den wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährten Abfindungen, Entschädigungen und ähnlichen Leistungen in pauschaliertem Umfange auch Arbeitsentgeltanteile enthalten sind, wenn auch nach Alter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers in unterschiedlichem Umfange (vgl BSG, Urteil vom 12.12.1984 - 7 RAr 87/83 - SozR 4100 § 117 Nr 2).

Während gesundheitliche Gründe oder eine unzumutbare Situation am Arbeitsplatz uU den Vorwurf eines Fehlverhaltens beseitigen können, sind sie jedoch kein Grund, den Arbeitslosen in den Genuss des gesetzlich grundsätzlich ausgeschlossenen Doppelbezugs von Arbeitsentgelt und Alg kommen zu lassen. Dass der Arbeitgeber berechtigt gewesen wäre, dem Kläger außerordentlich zu kündigen (mit der Folge des § 143a Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGB III) ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.

Letztlich kann der Kläger sich auch nicht auf eine angebliche telefonische Aussage eines Herrn D. von der Beklagten berufen, dass der Kläger mit seinem Begehren Erfolg gehabt hätte, wenn er den Bescheid vom 31.01.2004 schon in seinem anderweitigen Widerspruch vom 04.03.2004 mitvermerkt hätte. Unabhängig davon, dass nach den obigen Ausführungen eine solche unzutreffende Aussage kaum nachvollziehbar wäre und es keine Nachweise für eine solche Äußerung gibt, hätte es für eine Bindungswirkung einer solchen Zusage der Schriftform bedurft. Nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Eine solche liegt hier nicht vor.

Der Kläger hat somit bis einschließlich 30.06.2004 keinen Anspruch auf Alg. Die Berufung des Klägers ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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