Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 R 1063/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 26.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten. Der Streitwert wird auf 1.535,66 Euro festgesetzt. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von Rentenleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten.
Die Beklagte zahlte dem am 22.12.1933 geborenen Herrn H.F. (i.F.: Versicherter) Rente. Nach dessen Tod am XXXXX 2008 flossen die Rentenzahlungen i.H.v. jeweils 426,28 Euro für die Monate Oktober 2008 bis Januar 2009 weiter auf sein Konto. Zwischen den 30.09.2008 und dem 02.01.2009 wurde von dem Konto mittels vier Barverfügungen am Geldautomat (mit der Karte Nr. XXXXX) ein Betrag von insgesamt 1.515.- Euro abgehoben. Hinzu kamen zwei EC-Karten-Verfügungen i.H.v. insgesamt 27,64 Euro sowie eine PIN-Auszahlung i.H.v. 8.- Euro. Verfügungsberechtigt über das Konto war – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – die Klägerin.
Nach Anhörung der Klägerin verlangte die Beklagte mit Bescheid vom 26.06.2009 den Betrag von 1.535,66 Euro erstattet. Die Klägerin legte hiergegen am 10.09.2009 Widerspruch ein und führte zunächst aus, nachdem sie den Rückforderungsbetrag gelesen habe, sei sie so entsetzt gewesen, dass sie den Bescheid nicht zu Ende gelesen habe. Somit habe sie auch von ihrer Widerspruchsmöglichkeit und der damit verbundenen Frist keine Kenntnis gehabt. In der Sache führte sie aus, sie habe die entsprechenden Verfügungen nicht vorgenommen. Insbesondere sei sie auch nicht im Besitz der EC-Karte des Versicherten gewesen. Sie vermute, dass ihre Halbschwester, Frau H1.F. (ebenfalls eine Tochter des Versicherten), die auch zuletzt die "offizielle Pflege" des Versicherten besorgt habe, diese Abhebungen verfügt haben könnte. Sie habe deswegen Strafanzeige erstattet, allerdings sei ihre Halbschwester unbekannten Aufenthalts.
Die Beklagte wandte sich nun an die Ehefrau des Versicherten, die über ihre Verfahrensbevollmächtigte im Januar 2010 mitteilte, sie selbst habe sich im Zeitraum von Oktober 2008 bis Januar 2009 im Iran aufgehalten. Um die Angelegenheiten des Versicherten hätten sich dessen erwachsene Kinder gekümmert, insbesondere Frau H1.F., die nach dem Tod des Versicherten auch gegenüber dem Standesamt wissentlich die falsche Angabe gemacht habe, der Versicherte sei geschieden gewesen. Versuche der Beklagten, an Frau H1.F. heranzutreten, scheiterten daran, dass deren Anschrift nicht ermittelt werden konnte.
Mit Bescheid vom 01.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (wobei sie zuvor ausweislich eines internen Aktenvermerks zur Auffassung gelangt war, dass der angefochtene Bescheid wegen bereits bestehender Vertretung nicht unmittelbar gegenüber der Klägerin hätte bekannt gegeben werden dürfen). Sie führte aus, die Klägerin sei als Inhaberin einer Kontovollmacht auch hinsichtlich der Barabhebungen und der anderen Kontoverfügungen als Verfügende anzusehen. Auch wenn die Abhebungen – was im Übrigen nicht erwiesen sei – von der Halbschwester der Klägerin vorgenommen worden seien, ändere dies nichts daran, dass die Klägerin als Verfügende in Anspruch genommen werden könne.
Hiergegen richtet sich die am 04.10.2010 zunächst beim SG Itzehoe erhobene und an das erkennende Gericht verwiesene Klage.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sprungrevision zuzulassen.
Beide Beteiligte wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Das Gericht hat eine Auskunft des kontoführenden Kreditinstituts eingeholt, wonach die bei den Verfügungen verwandte Karte Nr. XXXXX auf den Versicherten ausgestellt war. Weitere Karten seien nicht ausgestellt worden. Kontovollmacht habe neben dem Versicherten einzig die Klägerin besessen. Bildaufzeichnungen über die Abhebevorgänge existierten nicht mehr.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
A.) Die Klage ist zulässig. Einer Entscheidung in der Sache steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Widerspruchsfrist nicht eingehalten hat. Die Beklagte hat jedenfalls (was ihr im zweipoligen Verhältnis offensteht) den Widerspruch nicht als verfristet behandelt, sondern über ihn in der Sache entschieden und somit den Weg zu einer vollumfänglichen Sachentscheidung durch das Gericht eröffnet.
B.) Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide kommt allein § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI i.V.m. Satz 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in Betracht, dessen Voraussetzungen allerdings nicht vorliegen.
I.) 1.) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, gelten gem. § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurück zu überweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann, § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI.
2.) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung nach § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen, § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI.
II.) Die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage sind nicht erfüllt. Die Klägerin ist weder als Empfängerin noch als Verfügende anzusehen.
1.) Als Empfängerin des Geldes zur Erstattung verpflichtet wäre die Klägerin dann, wenn nachgewiesen wäre, dass sie die genannten Abhebungen vom Konto des Versicherten getätigt hat. Dies hat die Beklagte indes weder behauptet noch sieht das Gericht hierfür irgendeinen Anhaltspunkt. Der alleinige Umstand, dass sie eine Kontovollmacht innehatte, liefert hierfür noch nicht einmal ein Indiz, denn die das Konto belastenden Verfügungen sind auf einem Weg vorgenommen worden, der jedem offenstand, der nur im Besitz der (auf den Versicherten ausgestellten) EC-Karte und der persönlichen Identifikationsnummer (PIN) war. Hinweise darauf, dass letztes auf die Klägerin zutraf, gibt es nicht.
2.) Die Klägerin ist auch nicht als Verfügende erstattungspflichtig.
a) Verfügender ist nach der Klammerdefinition in § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI, wer als Verfügungsberechtigter über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen hat. Bereits die Bezugnahme auf das über den entsprechenden Betrag vorgenommene bankübliche Zahlungsgeschäft zeigt, dass das Bestehen einer Verfügungsberechtigung als solcher ihren Inhaber noch nicht zum Verfügenden macht. Mit anderen Worten: Eine Erstattungspflicht allein kraft Verfügungsberechtigung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Hätte der Gesetzgeber sie gewollt, so hätte er sie – mittels einer erheblichen Straffung des Gesetzeswortlauts – anordnen können und in Anbetracht der weitreichenden Rechtsfolgen auch eigens anordnen müssen.
b) Vor diesem Hintergrund ist weithin anerkannt, dass jeder Verfügende (und auch jeder Empfänger) nur den Teil der Überzahlung zu erstatten hat, über den er tatsächlich verfügt hat (vgl. Polster, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherung, § 118 SGB VI, Rn. 28; Schmidt, in: Kreikebohm, SGB VI, § 118, Rn. 50: keine gesamtschuldnerähnliche Haftung aller Verfügungsberechtigter für alle Verfügungen). Somit sind Kontoabbuchungen durch Verfügungen, denen kein Verhalten des Verfügungsberechtigten (im Sinne einer rechtlichen Handlungsqualität) zugrundliegt, von diesem auch nicht zu erstatten.
c) Wenn das BSG im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Geldinstituts gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI entschieden hat, dass angesichts des Gesamtkonzepts von § 118 Abs. 3 und 4 SGB VI auch die zwangsläufig anonyme Abhebung am Geldautomaten – und zwar ungeachtet der materiellen Berechtigung dessen, der sie vornimmt – eine anderweitige Verfügung darstellt und sich somit mindernd auf den Rücküberweisungsanspruch auswirkt (BSG, Urteil vom 22.04.2008, B 5a/4 R 79/06 R, SozR 4-2600 § 118 Nr. 6), so muss dieser Gesichtspunkt auch auf das Verhältnis verschiedener Verfügungsberechtigter untereinander übertragen werden. Ebenso wie Geldinstitute ein schutzwürdiges Interesse daran haben, im Fall einer Rentenüberzahlung nicht auch solche Beträge rücküberweisen zu müssen, die sich nicht mehr auf Konto befinden, muss der Inhaber einer Kontovollmacht vor einer (im Ergebnis nur durch den Überzahlungsbetrag begrenzten) Inanspruchnahme durch den Rentenversicherungsträger geschützt sein. Andernfalls wären all diejenigen, denen aufgrund eines persönlichen Näheverhältnisses oder auch eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses Kontovollmacht eingeräumt wird, einem gerade in der Situation kurz nach dem Tod des Versicherten kaum einzuschätzenden Risiko ausgesetzt. Ihr Schutz darf jedoch nicht hinter dem zurückbleiben, den Dritte für sich beanspruchen können, die (wie etwa Vermieter, Versorgungsunternehmen oder auch Geldinstitute) in einer Geschäftsbeziehung zum Versicherten gestanden haben.
d) Hiermit ist jedoch noch nicht gesagt, dass Verfügender i.S.d. § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI nur sein kann, wer die Verfügung selbst im Sinne eines aktiven Tuns vornimmt oder veranlasst. Auch das Zulassen der Verfügung eines Dritten macht den Kontobevollmächtigten zum Verfügenden. Erforderlich ist allerdings insoweit, dass diesem Zulassen die Qualität eines Duldens oder Unterlassens im Rechtssinne zukommt (z.B. wenn der Inhaber einer Kontovollmacht es unterlässt, Einzugsermächtigungen zu widerrufen). Dies setzt jedoch voraus, dass der Kontobevollmächtigte tatsächlich Kontostand und Kontobewegungen kontrolliert und über seine diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten informiert ist. Es reicht (vorbehaltlich einer besonderen Verpflichtung oder Obliegenheit des Kontobevollmächtigten aus einem Rechtsverhältnis außerhalb der Beziehung zum Rentenversicherungsträger, wofür im vorliegenden Fall allerdings nichts ersichtlich ist) nicht schon aus, wenn der Inhaber einer Kontovollmacht sich nicht um das Konto kümmert, obwohl er es könnte und dürfte.
e) Unter Zugrundelegung all dessen ist die Klägerin auch nicht als Verfügende erstattungspflichtig. Für eine Vornahme der Bankgeschäfte, um deren wirtschaftliche Folgen es im vorliegenden Fall geht, gibt es nicht einmal ein Indiz. Auch eine Zulassung der Bankgeschäfte ist nicht ersichtlich, denn hierfür reicht es – wie dargelegt – nicht aus, dass die Klägerin befugt gewesen wäre, sich "um das Konto zu kümmern". Die Nichterweislichkeit von Tatsachen, die die Eigenschaft der Klägerin als Verfügende i.S.d. § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI begründen könnten, geht nach allgemeinen Regeln zulasten der Beklagten.
C.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Zulassung der Sprungrevision beruht auf § 161 Abs. 1 SGG.
&8195;
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von Rentenleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten.
Die Beklagte zahlte dem am 22.12.1933 geborenen Herrn H.F. (i.F.: Versicherter) Rente. Nach dessen Tod am XXXXX 2008 flossen die Rentenzahlungen i.H.v. jeweils 426,28 Euro für die Monate Oktober 2008 bis Januar 2009 weiter auf sein Konto. Zwischen den 30.09.2008 und dem 02.01.2009 wurde von dem Konto mittels vier Barverfügungen am Geldautomat (mit der Karte Nr. XXXXX) ein Betrag von insgesamt 1.515.- Euro abgehoben. Hinzu kamen zwei EC-Karten-Verfügungen i.H.v. insgesamt 27,64 Euro sowie eine PIN-Auszahlung i.H.v. 8.- Euro. Verfügungsberechtigt über das Konto war – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – die Klägerin.
Nach Anhörung der Klägerin verlangte die Beklagte mit Bescheid vom 26.06.2009 den Betrag von 1.535,66 Euro erstattet. Die Klägerin legte hiergegen am 10.09.2009 Widerspruch ein und führte zunächst aus, nachdem sie den Rückforderungsbetrag gelesen habe, sei sie so entsetzt gewesen, dass sie den Bescheid nicht zu Ende gelesen habe. Somit habe sie auch von ihrer Widerspruchsmöglichkeit und der damit verbundenen Frist keine Kenntnis gehabt. In der Sache führte sie aus, sie habe die entsprechenden Verfügungen nicht vorgenommen. Insbesondere sei sie auch nicht im Besitz der EC-Karte des Versicherten gewesen. Sie vermute, dass ihre Halbschwester, Frau H1.F. (ebenfalls eine Tochter des Versicherten), die auch zuletzt die "offizielle Pflege" des Versicherten besorgt habe, diese Abhebungen verfügt haben könnte. Sie habe deswegen Strafanzeige erstattet, allerdings sei ihre Halbschwester unbekannten Aufenthalts.
Die Beklagte wandte sich nun an die Ehefrau des Versicherten, die über ihre Verfahrensbevollmächtigte im Januar 2010 mitteilte, sie selbst habe sich im Zeitraum von Oktober 2008 bis Januar 2009 im Iran aufgehalten. Um die Angelegenheiten des Versicherten hätten sich dessen erwachsene Kinder gekümmert, insbesondere Frau H1.F., die nach dem Tod des Versicherten auch gegenüber dem Standesamt wissentlich die falsche Angabe gemacht habe, der Versicherte sei geschieden gewesen. Versuche der Beklagten, an Frau H1.F. heranzutreten, scheiterten daran, dass deren Anschrift nicht ermittelt werden konnte.
Mit Bescheid vom 01.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (wobei sie zuvor ausweislich eines internen Aktenvermerks zur Auffassung gelangt war, dass der angefochtene Bescheid wegen bereits bestehender Vertretung nicht unmittelbar gegenüber der Klägerin hätte bekannt gegeben werden dürfen). Sie führte aus, die Klägerin sei als Inhaberin einer Kontovollmacht auch hinsichtlich der Barabhebungen und der anderen Kontoverfügungen als Verfügende anzusehen. Auch wenn die Abhebungen – was im Übrigen nicht erwiesen sei – von der Halbschwester der Klägerin vorgenommen worden seien, ändere dies nichts daran, dass die Klägerin als Verfügende in Anspruch genommen werden könne.
Hiergegen richtet sich die am 04.10.2010 zunächst beim SG Itzehoe erhobene und an das erkennende Gericht verwiesene Klage.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sprungrevision zuzulassen.
Beide Beteiligte wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Das Gericht hat eine Auskunft des kontoführenden Kreditinstituts eingeholt, wonach die bei den Verfügungen verwandte Karte Nr. XXXXX auf den Versicherten ausgestellt war. Weitere Karten seien nicht ausgestellt worden. Kontovollmacht habe neben dem Versicherten einzig die Klägerin besessen. Bildaufzeichnungen über die Abhebevorgänge existierten nicht mehr.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
A.) Die Klage ist zulässig. Einer Entscheidung in der Sache steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Widerspruchsfrist nicht eingehalten hat. Die Beklagte hat jedenfalls (was ihr im zweipoligen Verhältnis offensteht) den Widerspruch nicht als verfristet behandelt, sondern über ihn in der Sache entschieden und somit den Weg zu einer vollumfänglichen Sachentscheidung durch das Gericht eröffnet.
B.) Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide kommt allein § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI i.V.m. Satz 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in Betracht, dessen Voraussetzungen allerdings nicht vorliegen.
I.) 1.) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, gelten gem. § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurück zu überweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann, § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI.
2.) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung nach § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen, § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI.
II.) Die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage sind nicht erfüllt. Die Klägerin ist weder als Empfängerin noch als Verfügende anzusehen.
1.) Als Empfängerin des Geldes zur Erstattung verpflichtet wäre die Klägerin dann, wenn nachgewiesen wäre, dass sie die genannten Abhebungen vom Konto des Versicherten getätigt hat. Dies hat die Beklagte indes weder behauptet noch sieht das Gericht hierfür irgendeinen Anhaltspunkt. Der alleinige Umstand, dass sie eine Kontovollmacht innehatte, liefert hierfür noch nicht einmal ein Indiz, denn die das Konto belastenden Verfügungen sind auf einem Weg vorgenommen worden, der jedem offenstand, der nur im Besitz der (auf den Versicherten ausgestellten) EC-Karte und der persönlichen Identifikationsnummer (PIN) war. Hinweise darauf, dass letztes auf die Klägerin zutraf, gibt es nicht.
2.) Die Klägerin ist auch nicht als Verfügende erstattungspflichtig.
a) Verfügender ist nach der Klammerdefinition in § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI, wer als Verfügungsberechtigter über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen hat. Bereits die Bezugnahme auf das über den entsprechenden Betrag vorgenommene bankübliche Zahlungsgeschäft zeigt, dass das Bestehen einer Verfügungsberechtigung als solcher ihren Inhaber noch nicht zum Verfügenden macht. Mit anderen Worten: Eine Erstattungspflicht allein kraft Verfügungsberechtigung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Hätte der Gesetzgeber sie gewollt, so hätte er sie – mittels einer erheblichen Straffung des Gesetzeswortlauts – anordnen können und in Anbetracht der weitreichenden Rechtsfolgen auch eigens anordnen müssen.
b) Vor diesem Hintergrund ist weithin anerkannt, dass jeder Verfügende (und auch jeder Empfänger) nur den Teil der Überzahlung zu erstatten hat, über den er tatsächlich verfügt hat (vgl. Polster, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherung, § 118 SGB VI, Rn. 28; Schmidt, in: Kreikebohm, SGB VI, § 118, Rn. 50: keine gesamtschuldnerähnliche Haftung aller Verfügungsberechtigter für alle Verfügungen). Somit sind Kontoabbuchungen durch Verfügungen, denen kein Verhalten des Verfügungsberechtigten (im Sinne einer rechtlichen Handlungsqualität) zugrundliegt, von diesem auch nicht zu erstatten.
c) Wenn das BSG im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Geldinstituts gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI entschieden hat, dass angesichts des Gesamtkonzepts von § 118 Abs. 3 und 4 SGB VI auch die zwangsläufig anonyme Abhebung am Geldautomaten – und zwar ungeachtet der materiellen Berechtigung dessen, der sie vornimmt – eine anderweitige Verfügung darstellt und sich somit mindernd auf den Rücküberweisungsanspruch auswirkt (BSG, Urteil vom 22.04.2008, B 5a/4 R 79/06 R, SozR 4-2600 § 118 Nr. 6), so muss dieser Gesichtspunkt auch auf das Verhältnis verschiedener Verfügungsberechtigter untereinander übertragen werden. Ebenso wie Geldinstitute ein schutzwürdiges Interesse daran haben, im Fall einer Rentenüberzahlung nicht auch solche Beträge rücküberweisen zu müssen, die sich nicht mehr auf Konto befinden, muss der Inhaber einer Kontovollmacht vor einer (im Ergebnis nur durch den Überzahlungsbetrag begrenzten) Inanspruchnahme durch den Rentenversicherungsträger geschützt sein. Andernfalls wären all diejenigen, denen aufgrund eines persönlichen Näheverhältnisses oder auch eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses Kontovollmacht eingeräumt wird, einem gerade in der Situation kurz nach dem Tod des Versicherten kaum einzuschätzenden Risiko ausgesetzt. Ihr Schutz darf jedoch nicht hinter dem zurückbleiben, den Dritte für sich beanspruchen können, die (wie etwa Vermieter, Versorgungsunternehmen oder auch Geldinstitute) in einer Geschäftsbeziehung zum Versicherten gestanden haben.
d) Hiermit ist jedoch noch nicht gesagt, dass Verfügender i.S.d. § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI nur sein kann, wer die Verfügung selbst im Sinne eines aktiven Tuns vornimmt oder veranlasst. Auch das Zulassen der Verfügung eines Dritten macht den Kontobevollmächtigten zum Verfügenden. Erforderlich ist allerdings insoweit, dass diesem Zulassen die Qualität eines Duldens oder Unterlassens im Rechtssinne zukommt (z.B. wenn der Inhaber einer Kontovollmacht es unterlässt, Einzugsermächtigungen zu widerrufen). Dies setzt jedoch voraus, dass der Kontobevollmächtigte tatsächlich Kontostand und Kontobewegungen kontrolliert und über seine diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten informiert ist. Es reicht (vorbehaltlich einer besonderen Verpflichtung oder Obliegenheit des Kontobevollmächtigten aus einem Rechtsverhältnis außerhalb der Beziehung zum Rentenversicherungsträger, wofür im vorliegenden Fall allerdings nichts ersichtlich ist) nicht schon aus, wenn der Inhaber einer Kontovollmacht sich nicht um das Konto kümmert, obwohl er es könnte und dürfte.
e) Unter Zugrundelegung all dessen ist die Klägerin auch nicht als Verfügende erstattungspflichtig. Für eine Vornahme der Bankgeschäfte, um deren wirtschaftliche Folgen es im vorliegenden Fall geht, gibt es nicht einmal ein Indiz. Auch eine Zulassung der Bankgeschäfte ist nicht ersichtlich, denn hierfür reicht es – wie dargelegt – nicht aus, dass die Klägerin befugt gewesen wäre, sich "um das Konto zu kümmern". Die Nichterweislichkeit von Tatsachen, die die Eigenschaft der Klägerin als Verfügende i.S.d. § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI begründen könnten, geht nach allgemeinen Regeln zulasten der Beklagten.
C.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Zulassung der Sprungrevision beruht auf § 161 Abs. 1 SGG.
&8195;
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