Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
38
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 38 AL 165/08
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es besteht auf Seiten des Versicherungsträgers eine Hinweis- und Beratungspflicht, wenn anlässlich einer
konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich
ist, die ein verständiger Versicherter sofort wahrnehmen würde.
Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.
Steht ein Versicherter kurz vor Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe, ist er über seine Gestaltungsrechte
im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung
zu beraten.
konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich
ist, die ein verständiger Versicherter sofort wahrnehmen würde.
Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.
Steht ein Versicherter kurz vor Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe, ist er über seine Gestaltungsrechte
im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung
zu beraten.
Der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.06.2008 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für insgesamt 540 Tage zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen, außergerichtlichen Kosten der Klägerin. &8195;
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin 450 Tage oder 540 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Die am geborene Klägerin war von 1990 bis April 2007 als Sachbearbeiterin beim in tätig. Am 25.04.2007 erhielt sie eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers zum 25.04.2007. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage. Auf ihren Antrag auf Arbeitslosengeld und ihre Arbeitslosmeldung vom 26.04.2007 hin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2007 Arbeitslosengeld ab 26.04.2007 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 EUR und einer Anspruchsdauer von 450 Tagen. Die Entscheidung erging vorläufig der Höhe, dem Beginn und der Dauer nach gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Bewilligung erfolgte vorläufig, da der Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden sollte. In der Sitzung vom 04.03.2008 schlossen die Beteiligten vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, der u.a. folgende Regelungen enthielt: - Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund der fristgemäßen Kündigung des Beklagten vom 25.04.2007 auf Veranlassung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb mit Ablauf des 31.12.2007. - Der Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 10.000,00 EUR brutto zu zahlen. - Der Beklagte verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis für die Zeit bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen und sich ergebende Nettobeträge unter Berücksichtigung etwaiger auf öffentliche Träger kraft Gesetz übergegangener und gepfändeter Ansprüche an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte machte daraufhin gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin 13.470,10 EUR im Wege des Anspruchsübergangs geltend. Mit Änderungsbescheid vom 29.05.2008 erkannte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 EUR zu. Die Anspruchsdauer betrug 450 Kalendertage.
Die Klägerin legte am 03.06.2008 gegen den Bescheid Widerspruch ein und trug vor, die Dauer ihres Anspruches auf Arbeitslosengeld müsse 18 Monate betragen. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Bei ihrer Arbeitslosmeldung zum 26.04.2007 habe die Klägerin das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Deshalb sei vorläufig eine Anspruchsdauer von 360 Tagen zu erkannt worden. Die ab 26.04.2007 erfolgte Bewilligung sei rechtmäßig gewesen. Die nachträgliche Zahlung von Arbeitsentgelt rechtfertige nicht die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes. Für die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld sei das Lebensalter der Klägerin maßgebend, das bei der Entstehung des Anspruches dem Grunde nach vorgelegen habe.
Die Klägerin hat am 04.07.2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, ihr stehe eine Anspruchsdauer von 540 Tagen zu. Ihr ehemaliger Arbeitgeber habe sich im arbeitsgerichtlichen Vergleich verpflichtet, das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen. Bei dieser Sachlage entstehe ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld zum 01.01.2008. Die Begründung der Beklagten überzeuge nicht. Denn diese führe dazu, dass ungerechtfertigt gekündigte Arbeitnehmer in bestimmten Fallkonstellationen keinen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen sollten, da sie im Falle des Obsiegens im arbeitsgerichtlichen Prozess sozialrechtlich schlechter gestellt wären als Arbeitnehmer, die einen Antrag auf Arbeitslosengeld erst zu einem späteren Zeitpunkt stellen würden.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 mit einer Anspruchsdauer von 540 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Zudem sind die die Klägerin betreffenden Beratungsvermerke zur Akte gereicht worden.
Die Verwaltungsakte der Beklagten, Kundennummer , haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere unter Beachtung der Frist- und Formvorschriften (§§ 87 Abs. 1 und 2, 90, 92 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erhoben worden und als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) statthaft.
Die Klage ist auch begründet. Der Änderungsbescheid vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 127 Abs. 1 SGB III in der Fassung des Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I Seite 594, richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 1. nach der Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um ein Jahr erweiterten Rahmenfrist und 2. dem Lebensalter, dass der Arbeitslose bei der Entstehung des Anspruchs vollendet hat. Gemäß Absatz 2 der zitierten Vorschrift beträgt die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 30 Monaten und nach Vollendung des 55. Lebensjahres 15 Monate; nach Versicherungspflichtverhältnissen von mindestens 36 Monaten und nach Vollendung des 55. Lebensjahres erhöht sich die Anspruchsdauer auf 18 Monate.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit einer Anspruchsdauer von 18 Monaten. Denn die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie ihren Antrag auf Arbeitslosengeld erst zum 13.6.2007, d.h. nach Vollendung des 55. Lebensjahres, gestellt und sich zu diesem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines sozialen Rechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung verletzt hat. Zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur muss mit dem jeweiligen Gesetzeszweck im Einklang stehen (vgl. BSG, Urteil vom 1. April 2004, B 7 AL 52/03 R –zitiert nach Juris-).
Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind im vorliegenden Fall die in §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) genannten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger. Gemäß § 14 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist (§ 15 Abs. 2 SGB I). Eine umfassende Beratungspflicht besteht regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten. Ausnahmsweise besteht jedoch auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG vom 8.2.2007, Aktenzeichen B 7a AL 22/06 R mit weit. Nachweisen –zitiert nach Juris-) Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen. Eine derartige Verpflichtung zur "Spontanberatung" trifft den Versicherungsträger insbesondere im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses. Ein solches Sozialrechtsverhältnis entsteht bereits durch die Arbeitslosmeldung bzw. die Antragstellung bei der Beklagten und ist in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens zu beachten.
Von einer Verletzung der Pflicht der Beklagten zur Beratung der Klägerin über die Wahrnehmung von Gestaltungsrechten im Hinblick auf ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld ist im vorliegenden Fall auszugehen. Denn der Beklagten musste sich angesichts des bei der Arbeitslos- und Arbeitssuchendmeldung am 26.4.2007 vorgelegten Passes bzw. spätestens bei der Antragsabgabe am 14.5.2007 aufgrund der im Antrag angegebenen Rentenversicherungsnummer spontan und ohne ausdrückliches Beratungsverlangen aufdrängen, dass die Klägerin durch eine Verschiebung der Antragstellung auf den 13.6.2007 eine längere Bezugsdauer erreichen konnte. Das Geburtsdatum der Klägerin ergab sich auch aus der Arbeitsbescheinigung vom 27.4.2007. Aus dieser war zudem ersichtlich, dass die Klägerin seit 1990 ununterbrochen beschäftigt war und damit versicherungspflichtige Zeiten mit einer Dauer von mindestens 36 Monaten hatte. Wie aus den Beratungsvermerken der Beklagten ersichtlich ist, hat die Klägerin im Zeitraum vom 26.4.2007 bis 24.5.2007 mehrfach persönlich bei der Beklagten vorgesprochen.
Die Pflicht zur Beratung ergab sich bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin kurz vor Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe im Sinne des § 127 Abs. 2 SGB III stand. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass die Klägerin bei einem entsprechenden Hinweis die für sie wesentlich günstigere Gestaltungsmöglichkeit ihrer sozialen Rechte in Anspruch nehmen würde. Die Klägerin hatte bereits im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben, dass eine Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung in Vorbereitung war. Auch im Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sowie bei der persönlichen Vorsprache am 30.4.2007 teilte die Klägerin die Klagerhebung mit. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte unschwer erkennen können, dass eine Verschiebung des Antrags auf einen späteren Zeitpunkt für die Klägerin günstig und sinnvoll war. Die für die Klägerin günstige Gestaltungsmöglichkeit war offenkundig und löste eine Spontanberatungspflicht der Beklagten aus. Diese Pflicht konnte die Beklagte auch nicht mit der Ausgabe ihres "Merkblattes I für Arbeitslose" an die Klägerin erfüllen. Denn im Merkblatt wird auf die Möglichkeiten der Anspruchsverschiebung nicht mit ausreichender Klarheit hingewiesen.
Angesichts des mit der späteren Antragstellung und Arbeitlosmeldung verbundenen Vorteils ist von einer Kausalität des festgestellten Pflichtverstoßes für den Schaden der Klägerin auszugehen. Nach dem insbesondere in der mündlichen Verhandlung getätigten Vortrag der Klägerin steht fest, dass sie die Alternative der Anspruchsverschiebung in der konkreten Antragssituation auch gewählt hätte. Denn durch Unterstützungsleistungen seitens ihrer Schwiegermutter und ihrer Tante hätte sie die kurze Zeitspanne bis zum 13.6.2007 überbrücken können.
Der zu Lasten der Klägerin eingetretene Nachteil kann durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Aus der Vorschrift des § 118 Abs. 2 SGB III ergibt sich, dass der Arbeitslose bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag über den Anspruch disponieren kann. Spätestens anlässlich der Antragsabgabe am 14.5.2007 hätte die Beklagte ihrer Beratungspflicht nachkommen müssen.
Auch die als Tatsachenerklärung am 26.4.2007 abgegebene Arbeitslosmeldung der Klägerin hindert die Möglichkeit der Verschiebung der Anspruchsentstehung im Wege des Herstellungsanspruchs nicht. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass eine fehlende Arbeitslosmeldung nicht im Wege des Herstellungsanspruchs ersetzt werden kann, selbst wenn der nicht erfolgten Arbeitslosmeldung ein Beratungs- oder sonstiger Verwaltungsfehler der Bundesagentur für Arbeit kausal zugrunde gelegen haben sollte. Denn bei der Arbeitslosmeldung handelt es sich um die Erklärung einer Tatsache, nämlich der Arbeitslosigkeit des Erklärenden. Im Rahmen des Herstellungsanspruchs lassen sich Tatsachen jedoch durch die Verwaltung nicht nachträglich herstellen. Hiervon zu trennen ist freilich die hier in Rede stehende Verschiebung der rechtlichen Wirkungen der Arbeitslosmeldung als Anspruchsvoraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld auf einen späteren Zeitpunkt. Der Zweck der Arbeitslosmeldung, ein Vermittlungsverfahren in Gang zu setzen, steht dem gerade nicht entgegen (vgl. insbesondere SG vom Aktenzeichen mit weiteren Nachweisen - zitiert nach Juris -).
Die Klägerin ist nach alledem so zu stellen, als habe sie sich mit Wirkung zum 13.6.2007 persönlich arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt.
Der Klage ist stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
gez. Richterin am Sozialgericht
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin 450 Tage oder 540 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Die am geborene Klägerin war von 1990 bis April 2007 als Sachbearbeiterin beim in tätig. Am 25.04.2007 erhielt sie eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers zum 25.04.2007. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage. Auf ihren Antrag auf Arbeitslosengeld und ihre Arbeitslosmeldung vom 26.04.2007 hin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2007 Arbeitslosengeld ab 26.04.2007 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 EUR und einer Anspruchsdauer von 450 Tagen. Die Entscheidung erging vorläufig der Höhe, dem Beginn und der Dauer nach gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Bewilligung erfolgte vorläufig, da der Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden sollte. In der Sitzung vom 04.03.2008 schlossen die Beteiligten vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, der u.a. folgende Regelungen enthielt: - Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund der fristgemäßen Kündigung des Beklagten vom 25.04.2007 auf Veranlassung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb mit Ablauf des 31.12.2007. - Der Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 10.000,00 EUR brutto zu zahlen. - Der Beklagte verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis für die Zeit bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen und sich ergebende Nettobeträge unter Berücksichtigung etwaiger auf öffentliche Träger kraft Gesetz übergegangener und gepfändeter Ansprüche an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte machte daraufhin gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin 13.470,10 EUR im Wege des Anspruchsübergangs geltend. Mit Änderungsbescheid vom 29.05.2008 erkannte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 EUR zu. Die Anspruchsdauer betrug 450 Kalendertage.
Die Klägerin legte am 03.06.2008 gegen den Bescheid Widerspruch ein und trug vor, die Dauer ihres Anspruches auf Arbeitslosengeld müsse 18 Monate betragen. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Bei ihrer Arbeitslosmeldung zum 26.04.2007 habe die Klägerin das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Deshalb sei vorläufig eine Anspruchsdauer von 360 Tagen zu erkannt worden. Die ab 26.04.2007 erfolgte Bewilligung sei rechtmäßig gewesen. Die nachträgliche Zahlung von Arbeitsentgelt rechtfertige nicht die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes. Für die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld sei das Lebensalter der Klägerin maßgebend, das bei der Entstehung des Anspruches dem Grunde nach vorgelegen habe.
Die Klägerin hat am 04.07.2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, ihr stehe eine Anspruchsdauer von 540 Tagen zu. Ihr ehemaliger Arbeitgeber habe sich im arbeitsgerichtlichen Vergleich verpflichtet, das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen. Bei dieser Sachlage entstehe ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld zum 01.01.2008. Die Begründung der Beklagten überzeuge nicht. Denn diese führe dazu, dass ungerechtfertigt gekündigte Arbeitnehmer in bestimmten Fallkonstellationen keinen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen sollten, da sie im Falle des Obsiegens im arbeitsgerichtlichen Prozess sozialrechtlich schlechter gestellt wären als Arbeitnehmer, die einen Antrag auf Arbeitslosengeld erst zu einem späteren Zeitpunkt stellen würden.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 mit einer Anspruchsdauer von 540 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Zudem sind die die Klägerin betreffenden Beratungsvermerke zur Akte gereicht worden.
Die Verwaltungsakte der Beklagten, Kundennummer , haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere unter Beachtung der Frist- und Formvorschriften (§§ 87 Abs. 1 und 2, 90, 92 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erhoben worden und als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) statthaft.
Die Klage ist auch begründet. Der Änderungsbescheid vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 127 Abs. 1 SGB III in der Fassung des Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I Seite 594, richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld 1. nach der Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um ein Jahr erweiterten Rahmenfrist und 2. dem Lebensalter, dass der Arbeitslose bei der Entstehung des Anspruchs vollendet hat. Gemäß Absatz 2 der zitierten Vorschrift beträgt die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 30 Monaten und nach Vollendung des 55. Lebensjahres 15 Monate; nach Versicherungspflichtverhältnissen von mindestens 36 Monaten und nach Vollendung des 55. Lebensjahres erhöht sich die Anspruchsdauer auf 18 Monate.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit einer Anspruchsdauer von 18 Monaten. Denn die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie ihren Antrag auf Arbeitslosengeld erst zum 13.6.2007, d.h. nach Vollendung des 55. Lebensjahres, gestellt und sich zu diesem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines sozialen Rechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung verletzt hat. Zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur muss mit dem jeweiligen Gesetzeszweck im Einklang stehen (vgl. BSG, Urteil vom 1. April 2004, B 7 AL 52/03 R –zitiert nach Juris-).
Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind im vorliegenden Fall die in §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) genannten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger. Gemäß § 14 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist (§ 15 Abs. 2 SGB I). Eine umfassende Beratungspflicht besteht regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten. Ausnahmsweise besteht jedoch auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG vom 8.2.2007, Aktenzeichen B 7a AL 22/06 R mit weit. Nachweisen –zitiert nach Juris-) Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen. Eine derartige Verpflichtung zur "Spontanberatung" trifft den Versicherungsträger insbesondere im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses. Ein solches Sozialrechtsverhältnis entsteht bereits durch die Arbeitslosmeldung bzw. die Antragstellung bei der Beklagten und ist in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens zu beachten.
Von einer Verletzung der Pflicht der Beklagten zur Beratung der Klägerin über die Wahrnehmung von Gestaltungsrechten im Hinblick auf ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld ist im vorliegenden Fall auszugehen. Denn der Beklagten musste sich angesichts des bei der Arbeitslos- und Arbeitssuchendmeldung am 26.4.2007 vorgelegten Passes bzw. spätestens bei der Antragsabgabe am 14.5.2007 aufgrund der im Antrag angegebenen Rentenversicherungsnummer spontan und ohne ausdrückliches Beratungsverlangen aufdrängen, dass die Klägerin durch eine Verschiebung der Antragstellung auf den 13.6.2007 eine längere Bezugsdauer erreichen konnte. Das Geburtsdatum der Klägerin ergab sich auch aus der Arbeitsbescheinigung vom 27.4.2007. Aus dieser war zudem ersichtlich, dass die Klägerin seit 1990 ununterbrochen beschäftigt war und damit versicherungspflichtige Zeiten mit einer Dauer von mindestens 36 Monaten hatte. Wie aus den Beratungsvermerken der Beklagten ersichtlich ist, hat die Klägerin im Zeitraum vom 26.4.2007 bis 24.5.2007 mehrfach persönlich bei der Beklagten vorgesprochen.
Die Pflicht zur Beratung ergab sich bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin kurz vor Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe im Sinne des § 127 Abs. 2 SGB III stand. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass die Klägerin bei einem entsprechenden Hinweis die für sie wesentlich günstigere Gestaltungsmöglichkeit ihrer sozialen Rechte in Anspruch nehmen würde. Die Klägerin hatte bereits im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben, dass eine Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung in Vorbereitung war. Auch im Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sowie bei der persönlichen Vorsprache am 30.4.2007 teilte die Klägerin die Klagerhebung mit. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte unschwer erkennen können, dass eine Verschiebung des Antrags auf einen späteren Zeitpunkt für die Klägerin günstig und sinnvoll war. Die für die Klägerin günstige Gestaltungsmöglichkeit war offenkundig und löste eine Spontanberatungspflicht der Beklagten aus. Diese Pflicht konnte die Beklagte auch nicht mit der Ausgabe ihres "Merkblattes I für Arbeitslose" an die Klägerin erfüllen. Denn im Merkblatt wird auf die Möglichkeiten der Anspruchsverschiebung nicht mit ausreichender Klarheit hingewiesen.
Angesichts des mit der späteren Antragstellung und Arbeitlosmeldung verbundenen Vorteils ist von einer Kausalität des festgestellten Pflichtverstoßes für den Schaden der Klägerin auszugehen. Nach dem insbesondere in der mündlichen Verhandlung getätigten Vortrag der Klägerin steht fest, dass sie die Alternative der Anspruchsverschiebung in der konkreten Antragssituation auch gewählt hätte. Denn durch Unterstützungsleistungen seitens ihrer Schwiegermutter und ihrer Tante hätte sie die kurze Zeitspanne bis zum 13.6.2007 überbrücken können.
Der zu Lasten der Klägerin eingetretene Nachteil kann durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Aus der Vorschrift des § 118 Abs. 2 SGB III ergibt sich, dass der Arbeitslose bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag über den Anspruch disponieren kann. Spätestens anlässlich der Antragsabgabe am 14.5.2007 hätte die Beklagte ihrer Beratungspflicht nachkommen müssen.
Auch die als Tatsachenerklärung am 26.4.2007 abgegebene Arbeitslosmeldung der Klägerin hindert die Möglichkeit der Verschiebung der Anspruchsentstehung im Wege des Herstellungsanspruchs nicht. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass eine fehlende Arbeitslosmeldung nicht im Wege des Herstellungsanspruchs ersetzt werden kann, selbst wenn der nicht erfolgten Arbeitslosmeldung ein Beratungs- oder sonstiger Verwaltungsfehler der Bundesagentur für Arbeit kausal zugrunde gelegen haben sollte. Denn bei der Arbeitslosmeldung handelt es sich um die Erklärung einer Tatsache, nämlich der Arbeitslosigkeit des Erklärenden. Im Rahmen des Herstellungsanspruchs lassen sich Tatsachen jedoch durch die Verwaltung nicht nachträglich herstellen. Hiervon zu trennen ist freilich die hier in Rede stehende Verschiebung der rechtlichen Wirkungen der Arbeitslosmeldung als Anspruchsvoraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld auf einen späteren Zeitpunkt. Der Zweck der Arbeitslosmeldung, ein Vermittlungsverfahren in Gang zu setzen, steht dem gerade nicht entgegen (vgl. insbesondere SG vom Aktenzeichen mit weiteren Nachweisen - zitiert nach Juris -).
Die Klägerin ist nach alledem so zu stellen, als habe sie sich mit Wirkung zum 13.6.2007 persönlich arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt.
Der Klage ist stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
gez. Richterin am Sozialgericht
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