L 4 R 1035/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 21 RJ 1535/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 R 1035/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Widerstreitende Gutachten auf orthopädischem, neurologisch-psychiatrischem und schmerztherapeutischem Fachgebiet.

Verweisung einer (ungelernten) Altenpflegehelferin auf den allgemei-nen Arbeitsmarkt.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1950 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie arbeitete vom 1. April 1966 bis zum 31. Dezember 1966 als Altenpflegehelferin, vom 21. Juni 1967 bis zum 29. Mai 1970 als Großküchenhilfe, vom 9. Oktober 1972 bis zum 23. September 1974 und vom 2. November 1981 bis zum 11. Februar 1983 als Reinigungskraft sowie vom 17. April 1989 bis zum 13. August 2002 wiederum als Altenpflegehelferin. Seither ist sie arbeitslos.

Mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 21. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2002 wurde der Klägerin wegen einer Hörbehinderung mit Ohrgeräuschen, einer Neigung zu depressiven Verstimmungen, einer chronischen Bronchitis sowie Skelettfunktionsstörungen mit Behinderungen im Schulterbereich und im rechten Handgelenk ein Grad der Behinderung von 30 zuerkannt.

Mit einem Gutachten vom 4. April 2002 stellte die Vertragsärztin des Arbeitsamtes Berlin West K bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: Wiederkehrende Rückenschmerzen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, Schultergelenksbeschwerden beidseitig mit Teilversteifung, Depression, Asthma bronchiale, Zustand nach Hörsturz beidseitig, Handgelenksbeschwerden rechts. Es bestehe weiterhin eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für körperlich leichte Arbeiten in allen Haltungsarten mit zwischenzeitlich mittelschweren Belastungen, jedoch ohne schweres Heben und Tragen, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten, ohne einseitige Belastungen der rechten Hand sowie ohne erheblichen Zeitdruck. Die Arbeit als Altenpflegehelferin könne die Klägerin nicht mehr ausüben.

Am 14. Mai 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung und gab zur Begründung einen Bandscheibenvorfall, eine schwere Arthrose in den Schultergelenken und eine Nervenwurzelentzündung an. Die Beklagte holte ein Gutachten der Fachärztin für Chirurgie Dipl.-Med. B vom 1. Juli 2003 ein. Aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 30. Juni 2003 diagnostizierte die Sachverständige chronische Halswirbelsäulenbeschwerden mit Ausstrahlung in den Kopf und beide Schulterblätter bei Bandscheibenvorfall HWK 6/7, belastungsabhängige Lendenwirbelbeschwerden, beiderseitige Schultergelenksbeschwerden, belastungsabhängige Schmerzen im rechten Handgelenk und belastungsabhängige Kniegelenksbeschwerden rechts. Die Klägerin könne seit der Antragstellung ihre letzte Beschäftigung als Altenpflegerin nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden täglich verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie jedoch weiterhin mehr als sechs Stunden täglich in allen Schichten einsatzfähig, sofern es sich um leichte körperliche Arbeiten im gelegentlichen Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen handle, wobei auch Einschränkungen für Überkopfarbeiten, Arbeiten im Knien oder Hocken oder auf Leitern und Gerüsten beachtet werden müssten. Mit Bescheid vom 11. Juli 2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Ihren am 28. Juli 2003 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin unter Vorlage eines MRT-Befundes zur Halswirbelsäule damit, dass dort eine Verschlechterung des Zustandes eingetreten sei und dass sie sich in psychologische Behandlung begeben wolle. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2003 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 9. September 2003 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Das Sozialgericht hat neben eingeholten Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte auch eine gutachterliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Berlin Nord vom 21. Januar 2004 zu den Gerichtsakten genommen. Danach lag bei der Klägerin ein fortgeschrittener Halswirbelsäulenschaden mit Bandscheibenvorwölbungen in mehreren Etagen und beginnendem Bandscheibenvorfall C5/6 bei knöcherner Enge des Wirbelkanals, ein chronisches Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei leichter Fehlstatik und leichten degenerativen Veränderungen, ein Schultergelenkverschleiß, Bronchialasthma und eine aus der Vorgeschichte bekannte depressive Störung vor. Die Klägerin sei nicht mehr als Altenpflegerin, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig einsatzfähig, allerdings ohne länger andauernde einseitige Körperhaltungen und Zwangshaltungen, ohne schweres Heben und Tragen, ohne häufiges Bücken und den Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft, ohne besondere Belastungen der Arme und Hände sowie ohne hohe Anforderungen an die psychische Belastbarkeit.

Im Auftrag des Sozialgerichts hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G die Klägerin am 21. Mai 2004 untersucht und mit ihrem schriftlichen Gutachten vom 27. Mai 2004 eine Angststörung mit Angstäquivalenten (Schwindel) und Panikzuständen sowie phobischen Tendenzen, eine Dysthymie, eine somatoforme Schmerzstörung, ein Halswirbelsäulensyndrom mit Cervikobrachialgien, eine beidseitige Hörminderung mit Ohrgeräuschen, eine Sehschwäche links bei bekanntem Glaukom und eine beginnende Polyarthrose an den Händen diagnostiziert. Trotz ihrer Leiden könne die Klägerin noch täglich mindestens acht Stunden arbeiten. Zumutbar seien allerdings nur körperlich leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen unter Vermeidung extremer Witterungseinflüsse, überwiegend im Sitzen mit zeitweiligem Stehen und Gehen unter Ermöglichung eines häufigen Haltungswechsels, ohne dass ein bestimmter Wechsel der Haltungsarten erforderlich wäre. Zu vermeiden seien zudem einseitige körperliche Belastungen, Arbeiten unter Zeitdruck, in festgelegtem Arbeitsrhythmus, an laufenden Maschinen und mit häufigem Bücken, das Heben und Tragen von über fünf Kilogramm schweren Lasten, Nachtschichten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Arme sei gemindert, die Fingergeschicklichkeit und das Hörvermögen seien leicht gemindert. Deutlich gemindert sei die Sehfähigkeit. An die Umstellungsfähigkeit könnten keine höheren Anforderungen mehr gestellt werden. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstätte seien aber nicht zu berücksichtigen.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. E hat mit seinem vom Sozialgericht in Auftrag gegebenen Gutachten vom 7. August 2004 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 28. Juli 2004 auf seinem Fachgebiet rezidivierende Cephalgien, ein Halswirbelsäulensyndrom mit Schulter-Armschmerzen, Cervicobrachialgien beidseits auf dem Boden eines Bandscheibenvorfalls bei geringen degenerativen Wirbelveränderungen mit neurologischen Symptomen, Arthralgien beider Schultergelenke ohne Funktionseinschränkungen mit röntgenologisch festgestellter Verkalkung des Supraspinatusansatzes links, Arthralgien des rechten Handgelenkes und Heberdenarthrosen beidseits, ein Lendenwirbelsäulensyndrom mit rezidivierenden Lumboischialgien als pseudoradikuläres Schmerzsyndrom auf dem Boden eines Bandscheibenvorwölbung mit Übergang zu einem Bandscheibenvorfall bei nur initialen degenerativen Veränderungen, ein Bewegungsknacken an beiden Kniegelenken ohne funktionelle Auswirkungen, Belastungsbeschwerden beider Sprunggelenke im Sinne von Arthralgien und Zustand nach operativ behandeltem Außenknöchelbruch links, einen geringen Senkspreifuß Morbus Köhler II rechts, sowie ein Krampfaderleiden im Sinne von diskreten Besenreiservenen an beiden Beinen mit Zustand nach Krampfaderoperation beidseitig festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, täglich acht Sunden körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen unter Vermeidung von klimatischen Einflüssen im Wechsel aller Haltungsarten auszuführen, jedoch ohne einseitige körperliche Belastungen, ohne Zeitdruck, ohne Akkord- oder Fließbandarbeit, ohne festgelegten Arbeitsrhythmus, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen, ohne Heben und Tragen von mehr als fünf Kilogramm schweren Lasten, ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Arbeiten, die die Fingergeschicklichkeit oder den kraftvollen Einsatz beider Hände voraussetzen. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule sowie der oberen und unteren Extremitäten sei herabgesetzt. Die Klägerin sei weiterhin wegefähig.

Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht die Erstattung eines Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Rheumatologie Dr. G vom 9. März 2005 veranlasst. Der Sachverständige hat die Klägerin am 21. Februar 2005 und am 1. März 2005 untersucht und dabei auf seinem Fachgebiet eine starke Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule bei Bandscheibenprotrusion C5/C6 und Bandscheibenvorfall C6/C7 links mediolateral mit Nervenwurzelkompressionssyndrom C7 links, eine mittlere Funktionsbehinderung der Schultergelenke bei Impingementsyndrom infolge radiologisch nachgewiesener Verkalkung der Supraspinatussehne, eine mittelschwere Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule und der Beine bei rezidivierenden Lumboischialgien im Sinne eines pseudoradikulären Schmerzsyndroms bei Bandscheibenvorfall L5/S1, eine leichte Funktionsbehinderung der Sprunggelenke und Füße bei Zustand nach operativ versorgtem Außenknöchelbruch links und Zustand nach Morbus Köhler II rechts bei ausgeprägtem Senk-Spreizfuß diagnostiziert. Die weiterhin wegefähige Klägerin könne täglich höchstens vier Stunden körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne besonderen Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft in allen Haltungsarten, möglichst in deren freiem Wechsel ohne eine bestimmte Vorgabe von Wechselintervallen, ohne einseitige körperliche Belastungen, ohne Zeitdruck, ohne festgelegten Arbeitsrhythmus, ohne Wechsel- oder Nachtschichten, ohne Arbeit an laufenden Maschinen, ohne das Heben und Tragen von über fünf Kilogramm schweren Lasten, ohne dauerndes Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Belastungen der Wirbelsäule und der Arme, ohne mehr als kurzzeitige Belastungen der Füße verrichten. Die festgestellten Leiden wirkten sich auf das Hör- und Sehvermögen, das Reaktionsvermögen, die Lese- und Schreibgewandtheit, die Auffassungsgabe, die Lern- und Merkfähigkeit, das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit, die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, die Kontaktfähigkeit, die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit und Arbeiten mit Publikumsverkehr größtenteils erheblich einschränkend aus. Zu den Gutachten der Sachverständigen G und Dr. E ergäben sich hinsichtlich der Diagnosen und der Frage, inwieweit die festgestellten Gesundheitsschäden jeweils zu Leistungseinbußen führten, keine Abweichungen. Beide übersähen jedoch, dass sich die jeweils auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet bestehenden Leistungseinbußen gegenseitig verstärkten, so dass von einem deutlich verminderten quantitativen Leistungsvermögen auszugehen sei. Zudem sei dem Sachverständigen Dr. E auch zu widersprechen, soweit er der Schmerzstörung keinen eigenen Krankheitswert beimesse. Der Sachverständige Dr. E hat mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juni 2005 an seiner Einschätzung festgehalten, ebenso wiederum der Sachverständige Dr. G mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. November 2005.

Darüber hinaus hat das Sozialgericht ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 29. März 2006 eingeholt, der die Klägerin am selben Tage untersucht hat und zu folgende Diagnosen gekommen ist: Angst und depressive Störung gemischt, Somatisierungsstörung mit der Symptomatik phobischer Schwankschwindel, Schmerzsymptome und Taubheitsgefühle, zervikozephales Syndrom mit Spannungskopfschmerz bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Bandscheibenvorfall C6/C7 und Lumbalsyndrom bei Bandscheibenvorfall L5/S1, Funktionsminderung der Schultergelenke bei Impingementsyndrom, Funktionsminderung der Sprunggelenke und der Füße, Hörminderung sowie Sehschwäche bei Glaukom. Der wegefähigen Klägerin seien noch täglich acht Stunden körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen unter Ausschluss von Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft im Wechsel der drei Haltungsarten oder überwiegend sitzend zumutbar, ohne dass die Möglichkeit zu einem spontanen Haltungswechsel vorausgesetzt werden müsse. Auszuschließen seien auch einseitige körperliche Belastungen, insbesondere der Wirbelsäule und der Arme, Akkord- und Fließbandtätigkeiten, Tätigkeiten an laufenden Maschinen, das Heben und Tragen von über sieben Kilogramm schweren Lasten, Nachtschichten, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten und besondere Belastungen der Wirbelsäule sowie der Arme und der Beine. Computerarbeiten könnten verrichtet werden, wenn ein Haltungswechsel möglich sei.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2006 abgewiesen und zur Begründung angegeben, die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig sei. Auch eine Berufsunfähigkeit sei zu verneinen, weil die Klägerin zwar nicht mehr zur Ausübung ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Altenpflegehelferin in der Lage sei, jedoch als Ungelernte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne. Die Klägerin hat gegen die ihr am 23. Juni 2006 zugestellte Entscheidung am 13. Juli 2006 Berufung eingelegt und zur Begründung angegeben, dass die bisherigen medizinischen Ermittlungen des Sozialgerichts nicht ihrem tatsächlichen Leidensbild entsprächen.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat den von ihr ausgesuchten Facharzt für Anästesiologie und Schmerztherapeuten Dr. H mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Nach erfolgter Untersuchung vom 15. Dezember 2006 hat der Sachverständige mit seinem schmerztherapeutischen Gutachten vom 17. Dezember 2006 auf seinem Fachgebiet ein chronisches Schmerzsyndrom des Chronifizierungsgrades III nach Gerbershagen bei chronischem Zervikalsyndrom mit Myogelosen im Schulter-Nacken-Bereich und Blockierungen der Halswirbelsäule, eine chronische Lumbalgie und eine anteilige Somatisierungsstörung festgestellt. Die Leistungsfähigkeit der weiterhin wegefähigen Klägerin sei wegen der Schmerzerkrankung seit dem Zeitpunkt der Antragstellung mit weniger als drei Stunden täglich zu veranschlagen. Die Sachverständigen Dr. B und Dr. H haben jeweils eine ergänzende Stellungnahme abgegeben und sind dabei von ihrer jeweiligen Leistungseinschätzung nicht abgerückt.

Mit Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Berlin vom 4. April 2007 ist der Klägerin im dortigen Verwaltungsverfahren aufgrund einer durchgeführten Untersuchung bescheinigt worden, dass ihre Leistungsfähigkeit wegen der ständigen Schmerzen im Rücken, in den Schultern, den Ellenbogen-, Hand- und Kniegelenken dauerhaft auf weniger als drei Stunden täglich gefallen sei.

Der Senat hat daraufhin die Erstattung eines Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 31. Oktober 2007 veranlasst. Aufgrund einer Untersuchung am 30. Oktober 2007 hat der Sachverständige chronische Cervicocephalgien mit geringen Bewegungseinschränkungen und beginnenden Abnutzungserscheinungen der unteren Halswirbelsäule, eine Neigung zu belastungsinduzierten Dorsolumbalgien mit geringen Abnutzungserscheinungen der Lendenwirbelsäule, eine Vorfußarthralgie rechts bei Zustand nach Morbus Köhler II, mitgeteilte Polyarthralgien ohne Nachweis objektiver Veränderungen und eine geringgradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks ohne funktionelle Auswirkungen diagnostiziert. Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ausführen, jedoch ohne Arbeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen, ohne durchgehendes Gehen oder Stehen, aber mit einem ausgewogenen Verteilmuster vom Sitzen zum Gehen zum Stehen, ohne einseitige körperliche Belastungen, ohne Arbeit mit Gewichten von mehr als zehn Kilogramm, ohne häufiges Hinhocken und Knien, ohne das Besteigen von Stiegen mit mehr als drei Stufen sowie ohne Zeitdruck. Die Klägerin könne auch viermal täglich einen Fußweg von mehr als 500 Metern in jeweils höchstens zwanzig Minuten bewältigen.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat den von ihr gewählten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens betraut. Auf der Grundlage einer am 23. Februar 2009 durchgeführten Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige mit seinem Gutachten vom 14. März 2009 auf seinem Fachgebiet die folgenden Diagnosen festgestellt, nämlich eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine spezifische (isolierte) Phobie, eine Nikotinabhängigkeit, ein zervico-zephales Syndrom mit Kopfschmerzen bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und einem Lumbalsyndrom. Die Klägerin, deren Wegefähigkeit nicht beeinträchtigt sei, könne ihre zuletzt ausgeübte Beschäftigung nur noch weniger als drei Stunden täglich verrichten. Auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich gesunken. Zumutbar seien körperlich leichte Arbeiten ohne den Einfluss von Hitze, Kälte, Staub oder Feuchtigkeit, mit selbstbestimmtem Wechsel der Haltungsarten, ohne einseitige körperliche Belastungen, ohne festgelegten Arbeitsrhythmus, ohne Zeitdruck, ohne das Heben und Tragen mittelschwerer oder schwerer Lasten, ohne Nachtschichten, ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, ohne besondere Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit und die Belastbarkeit der Wirbelsäule, der Arme, Hände und Beine, ohne Computerarbeiten sowie unter Berücksichtigung einer verminderten Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit und eines verminderten Publikumsverkehrs. Diese Einschränkungen lägen zumindest seit dem Zeitpunkt der Antragstellung vor.

Auf die ablehnende Entgegnung der Beklagten hat der Sachverständige seine Einschätzung mit einer Stellungnahme vom 1. Oktober 2009 aufrechterhalten. Auf Veranlassung des Senats hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B hierzu eine weitere Stellungnahme vom 10. März 2010 abgegeben und ist ebenfalls nicht von seiner früheren Auffassung abgewichen. Daraufhin hat wiederum der Sachverständige Dr. W mit einer abschließenden Stellungnahme vom 21. Februar 2011 an seiner Einschätzung festgehalten.

Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Berlin Nord hat im dortigen Verwaltungsverfahren mit einem "Gutachten" vom 22. Februar 2011 empfohlen, bis zur Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit von einem Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich auszugehen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2003 zu verpflichten, ihr für die Zeit ab dem 1. Mai 2003 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2003 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Die Voraussetzungen der dafür als Anspruchsgrundlagen ausschließlich in Betracht kommenden §§ 43 Abs. 1 und Abs. 2, 240 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sind nicht erfüllt.

Nach § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch behinderte Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist dagegen nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage insoweit nicht zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin ist in diesem Sinne weder teilweise noch voll erwerbsgemindert, da sie unter Beachtung der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zumindest sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dieses Ergebnis beruht auf den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen G, Dr. E, Dr. B und Dr. W, denen sich der Senat nach eigener gründlicher Prüfung anschließt. Die Sachverständigen haben ihre Erkenntnisse jeweils auf der Grundlage einer eigenen Untersuchung und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen medizinischen Befunde gewonnen und ihre Ergebnisse daraus widerspruchsfrei und überzeugend hergeleitet. Die Einschätzung der genannten Sachverständigen deckt sich auch mit dem schon im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Fachärztin für Chirurgie Dipl.-Med. B vom 1. Juli 2003 sowie mit dem Gutachten der Vertragsärztin des Arbeitsamtes Berlin West K vom 4. April 2002 und der gutachterlichen Äußerung des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Berlin Nord vom 21. Januar 2004. Den hiervon abweichenden Bewertungen der von der Klägerin ausgewählten Sachverständigen Dr. G, Dr. H und Dr. W sowie des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Berlin vom 4. April 2007 folgt der Senat dagegen nicht. Das Gutachten des Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Berlin Nord vom 22. Februar 2011 bleibt außer Betracht, da dort lediglich die Empfehlung ausgesprochen worden ist, den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits abzuwarten. Festzuhalten ist bei der Würdigung der Gutachten zunächst, dass die genannten Gutachter von denselben Tatsachengrundlagen ausgegangen sind. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ist nicht eingetreten. Soweit die Sachverständigen Dr. G, Dr. H und Dr. W dem bei der Klägerin vorliegenden Schmerzgeschehen einen eigenen Krankheitswert beimessen, ist das im Ergebnis ohne Bedeutung, da es nicht auf die jeweilige Diagnose, sondern ausschließlich auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Klägerin ankommt. Soweit der Sachverständige Dr. G seine von den übrigen Orthopäden abweichende Leistungseinschätzung, wonach die quantitative Leistungsfähigkeit auf vier Stunden täglich gesunken sei, damit begründet hat, dass sich die jeweils auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet bestehenden Leistungseinbußen gegenseitig verstärkten, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Sachverständige einerseits mit der Einbeziehung psychiatrischer Leiden eine fachfremde Einschätzung vorgenommen hat und andererseits die Beschränkung auf vier Stunden nicht nachvollziehbar begründet worden ist, sondern sich lediglich in einer Behauptung erschöpft. Ebensowenig nachvollziehbar ist das Gutachten des schmerztherapeutischen Sachverständigen Dr. H Dieser schließt aus seiner Befragung der Klägerin und aus den von ihr – lediglich lückenhaft – ausgefüllten Schmerzfragebögen und Schmerztagebüchern, also ausschließlich aus den Angaben der Klägerin, jedoch ohne Bezugnahme auf objektive Gesichtspunkte, dass alle ihre Lebensbereiche dauerhaft von dem geschilderten Schmerzgeschehen betroffen seien. Ohne nähere Begründung hat er dann die Leistungsfähigkeit mit weniger als drei Stunden täglich angesetzt. Gegen diese Einschätzung spricht insbesondere, dass sich die Klägerin – wie der Sachverständige selbst mitgeteilt hat – wegen ihrer erheblichen Passivität gegenüber ihren Leiden bisher keiner konsequenten Schmerzbehandlung unterzogen hat. Soweit der Sachverständige hierzu meint, die Klägerin sei nicht in der Lage, diese Fehlhaltung mit einer zumutbaren Willensanstrengung zu überwinden, hat er diese fachfremde Einschätzung lediglich pauschal mit der Persönlichkeit und dem Leidensdruck der Klägerin begründet. Dieser Gedankengang erschließt sich dem Senat jedoch nicht, zumal ein bestehender Leidensdruck eher zu einem stärkeren Behandlungswillen führen müsste. Die Leistungseinschätzung des Sachverständigen Dr. W unterliegt im Ergebnis denselben Bedenken. Wie er konkret auf sein Ergebnis einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich gekommen ist, hat der Sachverständige nicht begründet. Die aus seiner Sicht vorherrschende Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung hat er maßgeblich auf die fehlende Fähigkeit der Klägerin zur Bewältigung intrapsychischer Konflikte zurückgeführt, die sich deshalb durch andauernde Schmerzen auf körperlicher Ebene ausdrücken. Der Sachverständige hat keine überzeugenden Angaben dazu gemacht, welche konkreten intrapsychischen Konflikte bei der Klägerin in dem zu beurteilenden Zeitraum bis heute zu verzeichnen gewesen sind. Nach seinem Gutachten hat sie die Beklagte "als größten Belastungsfaktor" angegeben, weil sie nicht zu diversen Ärzten laufen wolle, sondern ihre Ruhe brauche. Soweit der Sachverständige die fehlende konsequente Behandlung der Klägerin mit der vorliegenden Persönlichkeitsstruktur begründet hat, ist auch das nicht nachvollziehbar. Die Klägerin soll nicht nur eine lediglich gering bis mittelgradig ausgeprägte Fähigkeit zur Differenzierung innerer Prozesse, sondern auch eine eingeschränkte Vorstellungskraft hinsichtlich der Verbindung zwischen inneren Konflikten und der als schmerzhaft erlebten körperlichen Wahrnehmung haben. Hiergegen spricht jedoch bereits, dass die Klägerin im Jahre 2004 eine Psychotherapie mit einer Besserung ihres Gesundheitszustands abgeschlossen hat. Auch dem Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Berlin vom 4. April 2007 fehlt eine nachvollziehbare Begründung, wenn es lediglich auf ständige Schmerzen der Klägerin abstellt. Die Frage nach den genauen Ursachen, dem Umfang und den Behandlungsmöglichkeiten der Schmerzen ist weder gestellt noch beantwortet worden.

Für eine volle Erwerbsminderung unter dem Gesichtspunkt der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus § 240 Abs. 1 SGB VI. Danach haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch solche Versicherte einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI solche Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin ist in diesem Sinne nicht berufsunfähig. Da ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Altenpflegehelferin lediglich eine Ausbildung von einem Jahr voraussetzt (vgl. zum Beispiel § 3 Abs. 1 Satz 1 des Brandenburgischen Altenpflegehilfegesetzes vom 27. Mai 2009 [GVBl. S. 154]), genießt die Klägerin, die demnach höchstens als eine Angelernte des unteren Bereiches anzusehen ist, keinen Berufsschutz, sondern kann sozial zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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