Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 203/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 4.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2008 verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 4.1.2008 Arbeitslosengeld auch vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 zu leisten.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe streitig.
Die 1949 geborene Klägerin war katholisch und seit dem 1.9.1974 als Altenpflegerin im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. (zuletzt 20 Stunden in der Woche) beschäftigt.
Am 15.11.2007 trat die Klägerin aus der katholischen Kirche aus.
Nach einem persönlichen Gespräch am 20.11.2007 kündigte der Arbeitgeber die Klägerin mit Kündigungsschreiben vom 22.11.2007 außerordentlich und fristlos unter Hinweis dar-auf, dass der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. einen Mitarbeiter bei Austritt aus der katholischen Kirche gemäß der kirchlichen Grundordnung nicht mehr beschäftigen könne.
Die Klägerin erhielt das Kündigungsschreiben am 27.11.2007, am 28.11.2007 meldete sie sich bei der Beklagten arbeitslos.
Mit Bewilligungsbescheid vom 4.1.2008 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld mit Anspruchsbeginn 28.11.2007 für 540 Tage und einem täglichen Leistungsbetrag von 22,04 EUR (Leistungsentgelt 36,74 EUR) – wobei für den Zeitraum vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 der tägliche Leistungsbetrag mit "0,00 EUR" festgestellt wurde.
Mit Sperrzeitbescheid vom gleichen Tag (4.1.2008) stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit in der Zeit vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 und die Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs um ein Viertel, also 135 Tage fest. Der Widerspruch der Klägerin, eingegangen bei der Beklagten am 11.1.2008, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.1.2008 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 15.2.2008, eingegangen am 18.2.2008, hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München eingereicht und vorgetragen, sie sehe in der Abkehr von der katholischen Kirche einen wichtigen Grund für ihr Handeln. Sie hadere seit geraumer Zeit mit dem kirchlichen Glauben. Nachdem ihr in vielen Jahren die innere Rückkehr zur katholischen Kirche nicht gelungen sei, habe sie schließlich den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass dies zur Kündigung ihres Arbeitsvertrages führen würde. Aufgrund der Arbeitsmarktlage, ihres Alters und dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft sei sie nicht davon ausgegangen, Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu haben.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie an der Aufhebung der Anspruchsminderung über die Sperrzeit hinaus kein Interesse habe, da sie seit August 2009 Rente beziehe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 4.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2008 zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 4.1.2008 Arbeitslosengeld auch vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Klägerin sei es zuzumuten gewesen weiterhin bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber zu arbeiten und zu diesem Zweck den Kirchenaustritt zu unterlassen. Dies gelte besonders vor dem Hintergrund, dass sie schon viele Jahre mit dem Glauben an die katholische Kirche hadere und auch bislang – offenbar aus finanziellen Gründen – nicht den Austritt aus der Kirche erklärt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage gegen die Feststellung der Sperrzeit ist zulässig und begründet.
Der Sperrzeitbescheid vom 4.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2008 ist rechtswidrig.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nicht für die Dauer einer Sperrzeit.
Die Voraussetzungen des § 144 Absatz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) liegen nicht vor.
Tritt ein Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes aufgrund der inneren Abkehr von der Kirche aus der Kirche aus, stellt dies kein versicherungswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III dar.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch (auf Arbeitslosengeld) für die Dauer einer Sperrzeit wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und da-durch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
Nach Überzeugung der Kammer hat nicht ein Verhalten der Klägerin Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben, sondern in der Person der Klägerin liegende Gründe.
Im Ergebnis führte eine (fehlende) Eigenschaft der Klägerin – der Glaube an die katholische Kirche – zur Kündigung. Die katholische Kirche hat ein Interesse daran, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Einrichtungen an sie glauben.
In Artikel 4 der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (hier Grundordnung) sind die Loyalitätsobliegenheiten von katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festgehalten. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 der Grundordnung wird von ihnen erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Grundordnung haben sie kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.
Dementsprechend sieht die Kirche gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen insbesondere einen Kirchenaustritt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an. Gemäß Artikel 5 Absatz 5 der Grundordnung können Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden.
Die innere Abkehr von der Kirche kann nicht als versicherungswidriges Verhalten im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesehen werden.
Andernfalls wäre es gesetzlich geboten die innere Abkehr von der Kirche zu unterlassen. Die Frage an wen bzw. was man glaubt ist kein steuerbares "Verhalten" im Sinne der Vorschrift. Verhalten ist willensgesteuert. Verhalten kann in einem Handeln oder Unterlassen bestehen. Die Frage des Glaubens ist weder willensgesteuert (wenn auch beeinflussbar) noch stellt sie ein Handeln oder Unterlassen dar.
Der offiziell erklärte Austritt aus der Kirche ist Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche. Der Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche nach außen – in Form des Kirchenaustritts – ist nicht als gesondert zu betrachtendes (versicherungswidriges) Verhalten im Sinne des SGB III zu bewerten, sondern stellt eine Einheit mit dem Glauben dar.
Andernfalls wäre es gesetzlich geboten trotz der inneren Abkehr von der Kirche dieser weiterhin offiziell anzugehören um einem kirchlichen Arbeitgeber zum Schutze der Versichertengemeinschaft den nicht vorhandenen Glauben an die Kirche zu signalisieren.
Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit ist § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dementsprechend verfassungskonform auszulegen und in der Folge die innere Abkehr von der Kirche und der erklärte Austritt aus der Kirche als Einheit zu betrachten. Nach Überzeugung der Kammer wäre es verfassungswidrig wenn es einem Arbeitnehmer auferlegt würde, seine innere Überzeugung in Bezug auf die Religion nicht (durch einen Kirchenaustritt) nach außen kundzutun. Er wäre gehalten einer Religionsgemeinschaft anzugehören an die er nicht glaubt (und diese zum Beispiel durch die Kirchensteuer auch finanziell zu unterstützen). Hier geht es nicht um ein Kundtun dieser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frage des Kirchenaustritts betrifft nicht nur den Beruf, sondern den Menschen als Ganzes.
Der Kirchenaustritt der Klägerin erfolgte aufgrund der inneren Abkehr von der katholischen Kirche. Die Kammer hat hieran keine Zweifel. Der Inhalt einer Glaubens- bzw. Gewissensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, daher kann der Klägerin hierfür keine überzogene Beweislast aufgebürdet werden. Auch die Tatsache, dass die Klägerin nach eigenen Angaben bereits viele Jahre mit dem Glauben an die Kirche hader-te und trotzdem (noch) nicht den Kirchenaustritt erklärte, steht dem nach Ansicht der Kammer nicht entgegen. Dies ist eine Entscheidung, die sich die Klägerin nicht leicht gemacht hat. Die Entscheidungsfindung in religiösen Fragen dauert so lang wie sie dauert. Es gibt hier keinen Zeitrahmen, nach dessen Ablauf das Entscheidungsrecht – also die Religionsfreiheit – verwirkt oder eingeschränkt sein könnte oder die Entscheidung an sich unglaubhaft wird.
Da ein versicherungswidriges Verhalten der Klägerin nicht vorliegt, ist es unerheblich, ob sie sich vor dem Kirchenaustritt um einen anderen Arbeitsplatz bemüht hat oder nicht.
Die Beklagte stellt (unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2006, AZ: L 1 AL 162/05, zitiert nach Juris) darauf ab, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, weiterhin beim Caritasverband als Altenpflegerin zu arbeiten bis sie sich erfolgreich um einen anderen Arbeitsplatz bemüht habe. Der Klägerin obliege die Pflicht im Gemeinschaftsinteresse die Solidargemeinschaft zu entlasten. Diese Pflicht wiege schwerer als ihr Interesse an einer folgenlosen Verwirklichung ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit auch im Berufsleben (LSG Rheinland-Pfalz a.a.O.).
Dem kann die Kammer nicht folgen. Die Klägerin hat nicht gekündigt, sie ist gekündigt worden. Schon daher kann es nicht entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war weiterhin an ihrem früheren Arbeitsplatz zu arbeiten – dies war ihr nach der Arbeitgeberkündigung nicht mehr möglich. Es kann allein entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war trotz innerer Abkehr von der Kirche weiterhin Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben. Bei der Frage des Kirchenaustritts geht es nicht um die Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit "auch im Berufsleben", sondern um die Frage der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Person, also um die negative Religionsfreiheit an sich.
Der Sperrzeitbescheid war daher aufzuheben und der Bewilligungsbescheid entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe streitig.
Die 1949 geborene Klägerin war katholisch und seit dem 1.9.1974 als Altenpflegerin im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. (zuletzt 20 Stunden in der Woche) beschäftigt.
Am 15.11.2007 trat die Klägerin aus der katholischen Kirche aus.
Nach einem persönlichen Gespräch am 20.11.2007 kündigte der Arbeitgeber die Klägerin mit Kündigungsschreiben vom 22.11.2007 außerordentlich und fristlos unter Hinweis dar-auf, dass der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. einen Mitarbeiter bei Austritt aus der katholischen Kirche gemäß der kirchlichen Grundordnung nicht mehr beschäftigen könne.
Die Klägerin erhielt das Kündigungsschreiben am 27.11.2007, am 28.11.2007 meldete sie sich bei der Beklagten arbeitslos.
Mit Bewilligungsbescheid vom 4.1.2008 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld mit Anspruchsbeginn 28.11.2007 für 540 Tage und einem täglichen Leistungsbetrag von 22,04 EUR (Leistungsentgelt 36,74 EUR) – wobei für den Zeitraum vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 der tägliche Leistungsbetrag mit "0,00 EUR" festgestellt wurde.
Mit Sperrzeitbescheid vom gleichen Tag (4.1.2008) stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit in der Zeit vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 und die Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs um ein Viertel, also 135 Tage fest. Der Widerspruch der Klägerin, eingegangen bei der Beklagten am 11.1.2008, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.1.2008 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 15.2.2008, eingegangen am 18.2.2008, hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München eingereicht und vorgetragen, sie sehe in der Abkehr von der katholischen Kirche einen wichtigen Grund für ihr Handeln. Sie hadere seit geraumer Zeit mit dem kirchlichen Glauben. Nachdem ihr in vielen Jahren die innere Rückkehr zur katholischen Kirche nicht gelungen sei, habe sie schließlich den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass dies zur Kündigung ihres Arbeitsvertrages führen würde. Aufgrund der Arbeitsmarktlage, ihres Alters und dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft sei sie nicht davon ausgegangen, Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu haben.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie an der Aufhebung der Anspruchsminderung über die Sperrzeit hinaus kein Interesse habe, da sie seit August 2009 Rente beziehe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 4.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2008 zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 4.1.2008 Arbeitslosengeld auch vom 28.11.2007 bis zum 19.2.2008 zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Klägerin sei es zuzumuten gewesen weiterhin bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber zu arbeiten und zu diesem Zweck den Kirchenaustritt zu unterlassen. Dies gelte besonders vor dem Hintergrund, dass sie schon viele Jahre mit dem Glauben an die katholische Kirche hadere und auch bislang – offenbar aus finanziellen Gründen – nicht den Austritt aus der Kirche erklärt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage gegen die Feststellung der Sperrzeit ist zulässig und begründet.
Der Sperrzeitbescheid vom 4.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.1.2008 ist rechtswidrig.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nicht für die Dauer einer Sperrzeit.
Die Voraussetzungen des § 144 Absatz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) liegen nicht vor.
Tritt ein Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes aufgrund der inneren Abkehr von der Kirche aus der Kirche aus, stellt dies kein versicherungswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III dar.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch (auf Arbeitslosengeld) für die Dauer einer Sperrzeit wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und da-durch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
Nach Überzeugung der Kammer hat nicht ein Verhalten der Klägerin Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben, sondern in der Person der Klägerin liegende Gründe.
Im Ergebnis führte eine (fehlende) Eigenschaft der Klägerin – der Glaube an die katholische Kirche – zur Kündigung. Die katholische Kirche hat ein Interesse daran, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Einrichtungen an sie glauben.
In Artikel 4 der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (hier Grundordnung) sind die Loyalitätsobliegenheiten von katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festgehalten. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 der Grundordnung wird von ihnen erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Grundordnung haben sie kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.
Dementsprechend sieht die Kirche gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen insbesondere einen Kirchenaustritt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an. Gemäß Artikel 5 Absatz 5 der Grundordnung können Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden.
Die innere Abkehr von der Kirche kann nicht als versicherungswidriges Verhalten im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesehen werden.
Andernfalls wäre es gesetzlich geboten die innere Abkehr von der Kirche zu unterlassen. Die Frage an wen bzw. was man glaubt ist kein steuerbares "Verhalten" im Sinne der Vorschrift. Verhalten ist willensgesteuert. Verhalten kann in einem Handeln oder Unterlassen bestehen. Die Frage des Glaubens ist weder willensgesteuert (wenn auch beeinflussbar) noch stellt sie ein Handeln oder Unterlassen dar.
Der offiziell erklärte Austritt aus der Kirche ist Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche. Der Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche nach außen – in Form des Kirchenaustritts – ist nicht als gesondert zu betrachtendes (versicherungswidriges) Verhalten im Sinne des SGB III zu bewerten, sondern stellt eine Einheit mit dem Glauben dar.
Andernfalls wäre es gesetzlich geboten trotz der inneren Abkehr von der Kirche dieser weiterhin offiziell anzugehören um einem kirchlichen Arbeitgeber zum Schutze der Versichertengemeinschaft den nicht vorhandenen Glauben an die Kirche zu signalisieren.
Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit ist § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dementsprechend verfassungskonform auszulegen und in der Folge die innere Abkehr von der Kirche und der erklärte Austritt aus der Kirche als Einheit zu betrachten. Nach Überzeugung der Kammer wäre es verfassungswidrig wenn es einem Arbeitnehmer auferlegt würde, seine innere Überzeugung in Bezug auf die Religion nicht (durch einen Kirchenaustritt) nach außen kundzutun. Er wäre gehalten einer Religionsgemeinschaft anzugehören an die er nicht glaubt (und diese zum Beispiel durch die Kirchensteuer auch finanziell zu unterstützen). Hier geht es nicht um ein Kundtun dieser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frage des Kirchenaustritts betrifft nicht nur den Beruf, sondern den Menschen als Ganzes.
Der Kirchenaustritt der Klägerin erfolgte aufgrund der inneren Abkehr von der katholischen Kirche. Die Kammer hat hieran keine Zweifel. Der Inhalt einer Glaubens- bzw. Gewissensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, daher kann der Klägerin hierfür keine überzogene Beweislast aufgebürdet werden. Auch die Tatsache, dass die Klägerin nach eigenen Angaben bereits viele Jahre mit dem Glauben an die Kirche hader-te und trotzdem (noch) nicht den Kirchenaustritt erklärte, steht dem nach Ansicht der Kammer nicht entgegen. Dies ist eine Entscheidung, die sich die Klägerin nicht leicht gemacht hat. Die Entscheidungsfindung in religiösen Fragen dauert so lang wie sie dauert. Es gibt hier keinen Zeitrahmen, nach dessen Ablauf das Entscheidungsrecht – also die Religionsfreiheit – verwirkt oder eingeschränkt sein könnte oder die Entscheidung an sich unglaubhaft wird.
Da ein versicherungswidriges Verhalten der Klägerin nicht vorliegt, ist es unerheblich, ob sie sich vor dem Kirchenaustritt um einen anderen Arbeitsplatz bemüht hat oder nicht.
Die Beklagte stellt (unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2006, AZ: L 1 AL 162/05, zitiert nach Juris) darauf ab, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, weiterhin beim Caritasverband als Altenpflegerin zu arbeiten bis sie sich erfolgreich um einen anderen Arbeitsplatz bemüht habe. Der Klägerin obliege die Pflicht im Gemeinschaftsinteresse die Solidargemeinschaft zu entlasten. Diese Pflicht wiege schwerer als ihr Interesse an einer folgenlosen Verwirklichung ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit auch im Berufsleben (LSG Rheinland-Pfalz a.a.O.).
Dem kann die Kammer nicht folgen. Die Klägerin hat nicht gekündigt, sie ist gekündigt worden. Schon daher kann es nicht entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war weiterhin an ihrem früheren Arbeitsplatz zu arbeiten – dies war ihr nach der Arbeitgeberkündigung nicht mehr möglich. Es kann allein entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war trotz innerer Abkehr von der Kirche weiterhin Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben. Bei der Frage des Kirchenaustritts geht es nicht um die Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit "auch im Berufsleben", sondern um die Frage der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Person, also um die negative Religionsfreiheit an sich.
Der Sperrzeitbescheid war daher aufzuheben und der Bewilligungsbescheid entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
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