S 71 KA 92/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 92/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen 1) – 5), die nicht erstattungsfähig sind.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Wechsels vom hausärztlichen in den fachärztlichen Versorgungsbereich.

Der Beigeladene zu 6) ist seit dem 1. Oktober 1986 als Praktischer Arzt im hausärztlichen Versorgungsbereich zugelassen. Er verfügt über die Zusatzbezeichnungen Psychotherapie und Psychoanalyse. Mit Datum vom 15. Juli 2009, bei der Klägerin am 20. Juli 2009 eingegangen, beantragte der Beigeladene zu 6) die Ausschreibung seines halben Vertragsarztsitzes. Diesen Antrag lehnte die Klägerin mit Bescheid vom 23. Juli 2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund der geringen Fallzahl keine vertragsärztliche Tätigkeit im nennenswerten Umfang vorliege und demzufolge auch kein anteiliger Vertragsarztsitz übertragen werden könne. Hiergegen legte der Beigeladene zu 6) Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2010 wies die Klägerin den vorgenannten Widerspruch zurück. Es sei keine ausreichende vertragsärztliche Tätigkeit gegeben, die eine Übertragung eines hälftigen Vertragsarztsitzes rechtfertige.

Die hiergegen eingelegte Klage ist vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 71 KA 201/10 anhängig.

Unter dem 24. Juni 2010 beantragte der Beigeladene zu 6) über seinen Verfahrensbevollmächtigten, ihn zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zuzulassen. Am 14. Juli 2010 fasste der Zulassungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten im Zulassungsbezirk Berlin den folgenden Beschluss:

Gemäß § 73 Absatz 1a Satz 5 SGB V wird dem Antrag auf Wechsel des Fachgebietes von der Fachgruppe der Hausärzte zur Fachgruppe der ärztlichen Psychotherapeuten zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zum 1. Oktober 2010 zugestimmt.

Hierbei ging der Ausschuss im Wesentlichen von dem folgenden Sachverhalt aus: In der Sitzung des Zulassungsausschusses am 14. Juli 2010 habe dieser festgestellt, dass der Beigeladene zu 6) über 90% psychotherapeutische Leistungen erbringe und in der Bedarfsplanung mit dem Faktor 1 in der Fachgruppe der ärztlichen Psychotherapeuten berücksichtigt werde, so dass einem Wechsel des Fachgebietes nichts im Wege stehe.

Gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14. Juli 2010, der Klägerin zugestellt am 19. August 2010, legte die Klägerin mit am 20. September 2010 (einem Montag) bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch ein. Für das Fachgebiet der Psychotherapeuten im Sinne von § 101 Abs. 4 Satz 1 SGB V habe der Landesausschuss Ärzte/Krankenkassen Zulassungsbeschränkungen angeordnet. Ein partieller Entsperrungsbeschluss habe auf der Grundlage von § 101 Abs. 4 Satz 5 SGB V für Ärztliche Psychotherapeuten nicht getroffen werden können, da der Versorgungsanteil über 25% der allgemeinen Verhältniszahl liege. Vor diesem Hintergrund habe der Zulassungsausschuss dem Antrag nicht stattgeben dürfen. Gemäß § 26 der Bedarfsplanungs-Richtlinie seien angeordnete Zulassungsbeschränkungen auch bei einem Wechsel des Zulassungsfachgebietes zu berücksichtigen.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte in seiner Sitzung vom 24. November 2010 durch am 12. Januar 2011 ausgefertigten Bescheid zurück. Er genehmigte dem Beigeladenen zu 6) zum 1. Dezember 2010 den Wechsel des Fachgebietes von Praktischer Arzt, hausärztliche Versorgung, zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Zur Begründung führte er aus, § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV enthalte selbst keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen die Genehmigung des Wechsels der Facharztbezeichnung, mit der die Zulassung erfolgt ist, zu erteilen sei. Auch bei Zulassungsbeschränkungen, wie sie für das Fachgebiet der Psychotherapeuten angeordnet seien, sei ein Wechsel der Facharztbezeichnung dann möglich, wenn er keine Auswirkungen auf die Bedarfsplanung habe, insbesondere also die Zahl der Ärzte, die zur Fachgruppe gehörten, nicht verändere. Der Wechsel der Facharztbezeichnung des Beigeladenen zu 6) von "Praktischer Arzt" zum "Facharzt für Psychotherapeutische Medizin" habe bedarfsplanerisch keine Auswirkungen und müsse daher auf der Grundlage von § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV genehmigt werden. Der Beigeladene zu 6) werde im Arztregister der ärztlichen Psychotherapeuten als Praktischer Arzt geführt, sei aber mit einem Anrechnungsfaktor von 1,0 der Messzahlfachgruppe der Psychotherapeuten zugeordnet, weil er zu mehr als 90% psychotherapeutisch tätig sei. Eine entsprechende Zuordnung ergebe sich aus § 11 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie. In Verbindung mit § 5 Abs. 6 Nr. 1 Satz 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie sei der Beigeladene zu 6) bereits "ausschließlich psychotherapeutisch tätiger Arzt", weshalb bedarfsplanerisch kein Gesichtspunkt erkennbar sei, der dagegen spreche, den Wechsel der Facharztbezeichnung zu genehmigen. Andere als bedarfsplanerische Gesichtspunkte hätten die Zulassungsgremien in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Auch § 26 Bedarfsplanungs-Richtlinie stehe dem Wechsel hier nicht entgegen, da der Beigeladene zu 6) gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie bereits zur Gruppe der Psychotherapeuten gehöre.

Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Februar 2011 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Die Entscheidung des Beklagten verstoße gegen § 26 Bedarfsplanungs-Richtlinie.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010, ausgefertigt am 12. Januar 2011, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.

Der Beigeladene zu 6) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin habe selbst mit Schreiben vom 11. Februar 2010 mitgeteilt, dass er – der Beigeladene zu 6) – der Gruppe der psychotherapeutischen Leistungserbringer zuzuordnen sei. Er gehöre gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 der Bedarfsplanungs-Richtlinie zu der Arztgruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte. Bei der Ermittlung des Versorgungsgrades sei er nach § 15 Abs. 2 der Bedarfsplanungs-Richtlinie nicht der Gruppe der Hausärzte, sondern der psychotherapeutischen Ärzte zuzuordnen. In seinem Falle sei daher ein Wechsel gemäß § 73 Abs. 1 a Satz 5 SGB V bedarfsplanungsneutral.

Die Beigeladenen 1) – 5) haben keine Anträge gestellt.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten sowie die Akten des Verfahrens S 71 KA 201/10 als Beiakten haben in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des übrigen Inhalts wird auf sie Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010, ausgefertigt am 12. Januar 2011, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat dem Beigeladenen zu 6) zu Recht zum 1. Dezember 2010 den Wechsel des Fachgebietes von Praktischer Arzt, hausärztliche Versorgung, zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin genehmigt.

Die Regelungen über die Zulassungsbeschränkungen und die ihr zugrundeliegende Bedarfsplanung ergeben sich aus §§ 99 ff des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit §§ 12 ff Ärzte-ZV und aus den aufgrund der § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, § 101 Abs. 1 und 2 SGB V zu erlassenden und bereits erlassenen Richtlinien über die Bedarfsplanung.

Die Zulassungsbeschränkungen sind auch bei dem Wechsel des Fachgebietes anwendbar. Dies lässt sich allerdings nicht unmittelbar den Regelungen des SGB V und der Ärzte-ZV entnehmen. Sie enthalten keine inhaltlichen Vorgaben für die Zulässigkeit von Fachgebietswechseln. Inhaltliche Bestimmungen, unter welchen Voraussetzungen diese Genehmigung zu erteilen oder zu versagen ist, ergeben sich indessen aus den Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte (BedarfsplRL). Nach § 26 BedarfsplR gelten die Bestimmungen in § 24 BedarfsplR über sogenannte Sonderbedarfs-Ausnahmen entsprechend, wenn ein zugelassener Vertragsarzt die Änderung des Fachgebiets, unter welchem er zugelassen ist, in ein anderes, für welches Zulassungsbeschränkungen angeordnet worden sind, beantragt hat. Diese Bezugnahme auf Ausnahmetatbestände lässt erkennen, dass die Geltung der Bedarfsplanung und der Zulassungsbeschränkungen bei einem Fachgebietswechsel als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die Anwendung der Zugangssperren im Falle eines Fachgebietswechsels wird auch vom Gesamtsystem der Bedarfsplanung her gefordert. Dieses wäre lückenhaft, wenn ein Arzt, der in einem bestimmten Fachgebiet zugelassen werden will, die Bedarfsplanung und die Zulassungsbeschränkungen, die gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 SGB V arztgruppenbezogen anzuordnen sind, umgehen könnte, indem er sich zunächst für ein anderes Fachgebiet qualifiziert sowie dort zulassen lässt und dann im Wege des Fachgebietswechsels in das eigentlich gewünschte gesperrte Fachgebiet hineingelangen könnte (BSG, Urteil vom 18. März 1998, Az. B 6 KA 78/96 R, Juris).

Damit finden zwar Zulassungsbeschränkungen auch auf Fachgebietswechsel Anwendung, so dass die in § 26 BedarfsplRL für den Fachgebietswechsel statuierten Voraussetzungen zu beachten sind.

Dies setzt allerdings voraus, dass tatsächlich auch ein Fachgebietswechsel stattfindet. Nach Auffassung der Kammer ist § 26 BedarfsplRL dahingehend zu verstehen, dass seine Anwendung einen Wechsel von einer Arztgruppe in eine andere voraussetzt. Anderenfalls liegt gerade keine Änderung des Tätigkeitsgebiets vor.

Ein Wechsel von einer Arztgruppe in eine andere liegt bei dem Beigeladenen zu 6) nicht vor. In seinem Fall wurde nicht ein Wechsel des "Gebietes" im Sinne von § 26 Bedarfsplanungs-Richtlinie vorgenommen, sondern nur ein Wechsel der Bezeichnung innerhalb der Fachgruppe. Der Beigeladene zu 6) gehörte bereits zuvor zur Fachgruppe der Psychotherapeuten: Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 der Bedarfsplanungs-Richtlinie gehören zur Arztgruppe der Psychotherapeuten nach § 101 Abs. 4 Satz 1 SGB V, die überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte, die Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin, die Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die Psychologischen Psychotherapeuten sowie die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Der Beigeladene zu 6) wurde in der von der Klägerin geführten Liste der ärztlichen Psychotherapeuten (Stand: 1. Januar 2010) als Praktischer Arzt geführt, ist aber mit einem Anrechnungsfaktor von 1,0 der "Messzahlfachgruppe" der Psychotherapeuten zugeordnet, weil er zu mehr als 90% psychotherapeutisch tätig ist. Gemäß § 11 Absatz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie gilt § 5 Abs. 6 Nr. 1 für die erstmalige Bestimmung der Arztgruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen oder überwiegend psychotherapeutisch tätigen Ärzte entsprechend. Nach § 5 Abs. 6 Nr. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie gelten als ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte auch solche, deren psychotherapeutische Leistungen an ihren Gesamtleistungen den Anteil von 90 v. H. überschreiten. Damit war der Beigeladene zu 6) bereits "ausschließlich psychotherapeutischer Arzt", so dass Aspekte der Bedarfsplanung im Rahmen der Entscheidung der Zulassungsgremien nicht zu berücksichtigen waren. Wegen seiner bereits vorbestehenden Zuordnung zur Arztgruppe der Psychotherapeuten greift der bloße Wechsel der Bezeichnung innerhalb der Fachgruppe des Beigeladenen zu 6) auch nicht in die Zulassungsaussichten wartender Bewerber ein.

Im Übrigen sei noch darauf hingewiesen, dass die Klägerin ausweislich ihres an den Beigeladenen zu 6) gerichteten Schreibens vom 11. Februar 2010 selbst davon ausgegangen ist, dass er der Gruppe der ausschließlich psychotherapeutischen Ärzte zuzuordnen sei. In diesem Schreiben war dem Beigeladenen zu 6) mitgeteilt worden, dass seine Honorarfestsetzung für das Quartal I/2010 auf der Basis von Regelleistungsvolumina unter der irrigen Annahme erfolgt sei, er gehöre der Fachgruppe der Hausärzte an.

Nicht zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass dem Kläger durch Beschluss des Zulassungsausschusses vom 17. Oktober 1986 eine Zulassung zur Aufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit als Arzt erteilt wurde, also nicht als Hausarzt. Diese Zulassung steht also einem Wechsel von dem hausärztlichen in den fachärztlichen Versorgungsbereich nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen 1) – 5) kam – entgegen der für den Beigeladenen zu 6) bestehenden Kostenerstattungspflicht - nicht in Betracht, da diese keine Anträge gestellt haben und somit kein eigenes Prozessrisiko eingegangen sind.
Rechtskraft
Aus
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