L 1 U 4905/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2872/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 4905/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung weiterer Unfallfolgen im linken Knie sowie ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente.

Der 1953 geborene Kläger, tätig als Servicetechniker, rutschte am 22. Februar 2008 bei Wartungsarbeiten von einer Leiter ab (3 Stufen) und verdrehte sich dabei das linke Knie. Er arbeitete weiter und bemerkte nach einiger Zeit eine Schwellung am Knie. Auch am Montag, 25. Februar 2008, arbeitete der Kläger und suchte erst am darauffolgenden Tag den Arzt auf. Der Durchgangsarzt teilte mit, es gebe keine Hinweise auf frische knöcherne Verletzungen. Es liege eine Innenmeniskopathie und ein Zustand nach Distorsion des linken Knies bei Ausschluss eines Kniebinnenschadens links vor. Weitere Abklärung durch MRT sei erforderlich (Durchgangsarztbericht Dres. D./S. vom 26. Februar 2008; Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 4. März 2008). Im Nachschaubericht vom 5. März 2008 teilte Dr. R., Chefarzt der Unfall- und Handchirurgie der St. V.-Kliniken K., mit, es bestehe ein Zustand nach Kniegelenksdistorsion links nach Sturz von Leiter am 22. Februar 2008. Das linke Knie sei reizlos gefunden worden, kein Erguss, die Seitenbänder seien stabil, die vordere Schublade positiv, das Meniskuszeichen negativ. Das MRT des linken Kreuzbandes vom 29. Februar 2008 habe eine vollständige Ruptur des vorderen Kreuzbandes gezeigt (so auch MRT-Bericht Dr. W. vom 29. Februar 2008). Weitere Diagnosen: Kein Meniskuseinriss, mukoide Degeneration im Hinterhorn des Innenmeniskus, leichtgradiger Kniegelenkserguss, Ansatztendinose im distalen Ansatz der Quadricepssehne und im proximalen Ansatz der Patellarsehne, bandförmige Signalanhebung im Verlauf der Patellarsehne im Sinne einer Tendinitis. Am 13. März 2008 erfolgte eine Arthroskopie mit Kreuzbandresektion und Innenmeniskusteilresektion bei Innenmeniskus-Hinterhorn-Lappenriss linkes Kniegelenk, zweit- bis drittgradiger Chondropathie mediale Femurcondyle, Plica mediopatellaris (Bericht vom 19. März 2008, Dr. R.; OP-Bericht vom 13. März 2008 samt histologischem Gutachten vom 19. März 2008). Am 16. April 2008 nahm der Kläger eine Belastungserprobung (4 Stunden/Tag) auf, die jedoch bereits am 17. April 2008 wieder abgebrochen werden musste wegen Schmerzen und Schwellungen im Knie bei deutlichem Kniegelenkserguss. Nach einer weiteren Belastungserprobung war der Kläger ab 5. Mai 2008 wieder vollschichtig leistungsfähig.

Die Beklagte zog u.a. das Vorerkrankungsverzeichnis von der Krankenkasse bei, in dem eine Arbeitsunfähigkeit vom 2. bis 6. Februar 2004 wegen sonstiger Meniskusschädigung aufgeführt ist. Auf Nachfrage teilte Dr. A.-D. unter dem 26. Mai 2008 mit, der Kläger habe sich am 31. Januar 2004 das linke Knie verdreht gehabt, dokumentiert worden sei ein Druckschmerz am äußeren Gelenkspalt des Knies sowie ein Streckschmerz. Die weitere Diagnostik sei vom Orthopäden erfolgt. Dr. D., Orthopäde, überließ der Beklagten daraufhin den Arztbrief vom 6. Februar 2004, in dem als Diagnose u.a. ein Patellarsyndrom links aufgeführt ist.

Die Beratungsärztin Dr. K. führte auf Nachfrage der Sachbearbeitung der Beklagten unter dem 14. Juli 2008 aus, gegen eine frische Kreuzbandruptur spreche der nur minimale Kniegelenkserguss 7 Tage nach dem Trauma im MRT, auch bei der Erstuntersuchung sei kein Erguss festgestellt worden. Es habe sich im MRT auch kein bone bruise am latero-dorsalen Tibiaplateau als typischer Hinweis auf ein frisches Trauma am vorderen Kreuzband gezeigt. Auch habe die Histologie keine Hinweise auf ein frisches Trauma am Kreuzband oder am Meniskus ergeben, was aber 3 Wochen nach dem Trauma zu erwarten gewesen wäre. Auf Nachfrage teilte Dr. S., St. V.-Kliniken K., unter dem 29. Juli 2008 mit, man sei bisher von einer Verletzung des Kreuzbandes und des Innenmeniskus ausgegangen. Intraoperativ seien keine Zweifel an einer frischen Ruptur geäußert worden. Nach Rücksprache mit der Pathologie sei der Ausdruck "kein Hinweis auf eine frische Läsion" im Histologiebericht so zu verstehen, dass die Schäden mehr als 2 bis 3 Tage alt seien. Für die beurteilende Pathologin seien die Läsionen mit dem Trauma vom 22. Februar 2008 zu vereinbaren und eher nicht älter, da wenig fibroplastäre Proliferate vorgelegen hätten.

Der Kläger befand sich vom 2. bis 6. September 2008 zur stationären Behandlung in den St. V.-Kliniken K., wo eine vordere Kreuzbandersatzplastik eingesetzt wurde (Bericht vom 22. September 2008).

Der mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragte Dr. R. führte mit Dr. K. im Gutachten nach Aktenlage vom 12. November 2008 aus, der Unfall sei alleinige Ursache bzw. wesentliche Teilursache für die vordere Kreuzbandruptur links sowie den Innemeniskushinterhornradiärriss links. Unfallunabhängig habe eine Plica mediopatellaris sowie ein drittgradiger Knorpelschaden im Bereich der medialen Femurkondyle bestanden. Die MdE könne wegen der am 2. September 2008 erfolgten Operation noch nicht abschließend vorgeschlagen werden; erfahrungsgemäß liege sie nach Abschluss des Heilverfahrens im ersten Jahr bei 20 v.H.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2009 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 22. Februar 2008 als Arbeitsunfall an und als Unfallfolge eine folgenlos ausgeheilte Zerrung und Prellung des Kniegelenks. Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien der Riss des vorderen Kreuzbandes und des Innenmeniskushinterhorns, Zystenbildung am seitlichen Schienbeinkopf sowie Entzündung der Kniescheibensehne. Die Gewährung von Leistungen über den 12. März 2008 hinaus wurde abgelehnt.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009 zurück. Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen könne ein Zusammenhang des Risses des vorderen Kreuzbandes sowie des Innenmeniskushinterhorns mit dem Unfall vom 22. Februar 2008 nicht wahrscheinlich gemacht werden. Das MRT vom 28. Februar 2008 habe kein Knochenmarksödem als typischen Hinweis auf ein frisches Trauma gezeigt; junges Granulationsgewebe mit Kapillareinsprossungen, welches ebenfalls für einen ursächlichen Zusammenhang sprechen würde, sei im histologischen Bericht ebenfalls nicht beschrieben worden. Der Einschätzung von Dr. R. habe man sich nicht anschließen können. Weitere Ermittlungen seien nicht angezeigt.

Dagegen hat der Kläger am 2. Juli 2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, gestützt auf die Ausführungen des Dr. R ... Ein Knochenmarksödem sei nicht zwingend erforderlich, ebenso wenig junges Granulationsgewebe. Das Trauma 2004, an das sich der Kläger nicht einmal mehr erinnern könne, sei nicht geeignet gewesen, einen entsprechenden Schaden hervorzurufen. Jedenfalls aber habe es sich bei dem Unfall 2008 um eine richtunggebende Verschlimmerung eines eventuell vorbestehenden Schadens gehandelt. Nicht zuletzt könne der zeitliche Zusammenhang zwischen Trauma und Beschwerden nicht vernachlässigt werden.

Im Auftrag des SG hat Dr. C., Orthopäde, das Gutachten vom 11. Dezember 2009 er-stattet. Darin führt er aus, dass trotz geeigneten Unfallhergangs die Ergebnisse der Kernspintomographie und der arthroskopischen sowie histologischen Untersuchung mehr gegen als für einen frischen Riss des vorderen linken Kreuzbandes sprechen würden. Der Hinterhornschaden des linken Innenmeniskus sei sowohl makro- als auch mikroskopisch als degenerativ einzuordnen und könne Folge der vom Kläger eingenommenen Arbeitshaltung sein (neben Tätigkeiten auf Leitern auch im Knien, vielfach im Fersensitz). Wann der Riss des vorderen Kreuzbandes entstanden sei, lasse sich nicht mehr klären. Der Unfall aus dem Jahr 2004 scheine jedenfalls keinen größeren Kniebinnenschaden verursacht zu haben. Die Annahme eines degenerativen Vorschadens werde auch durch den im Arthroskopiebericht vom 13. März 2008 beschriebenen "älteren III.-gradigen Knorpelschaden mit synovialem Knorpelüberzug" am medialen Femurcondylus gestützt, dessen Provenienz aus den Akten nicht ersichtlich sei. Auch liege keine richtunggebende Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens vor, da der Kläger vor dem Ereignis beschwerdefrei gewesen sei. Die Ursache der fortbestehenden Beschwerden des Klägers sei noch nicht geklärt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Prof. Dr. R. unter dem 15. Juni 2010 ein unfallchirurgisches Gutachten erstellt. Dieser teilte als Diagnosen eine muskulär kompensierte erstgradig vordere Instabilität im linken Kniegelenk, nach autologer Kreuzbandplastik vom 2. September 2008 bei stattgehabtem vorderen Kreuzbandriss, eine leichtgradige Beugeeinschränkung im linken Kniegelenk sowie einen asymptomatisch ausgeheilten Innenmeniskusriss mit stattgehabter Hinterhornteilresektion am 13. März 2008, eine stattgehabte, folgenlos ausgeheilte Entfernung einer schmerzhaften Schleimhautfalte im linken Kniegelenk nach Arthroskopie vom 16. März 2010, eine radiologisch leichtgradige medialbetonte Gonarthrose links mit arthoskopisch nachgewiesenem fortgeschrittenem drittgradigen Knorpelschaden am medialen Femorcondylus links nach Arthroskopie am 13. März 2008 sowie klinische Zeichen einer leichtgradigen beginnenden Coxarthrose am rechten Hüftgelenk bei leichtgradiger Einschränkung der Rotationsfähigkeit mit. Nach interdisziplinärer radiologisch unfallchirurgischer Besprechung sei man zu dem Ergebnis gelangt, dass in einem MRT, angefertigt eine Woche nach dem Unfall, bei einem Kniebinnentrauma eine Ergussbildung durch Blut oder durch Reizflüssigkeit absolut zu erwarten sei. Ein Erguss lasse sich aber nicht sehen. Daher sei eine Kreuzbandruptur, die nur eine Woche zurückliege, nahezu ausgeschlossen. Sicher seien vielmehr degenerative Verschleißerscheinungen insbesondere an den Menisken am Kniegelenk. Der Zeitpunkt der Rissbildung des Innenmeniskus sei durch das MRT nicht bestimmbar. Möglich sei, dass er eine Woche zuvor gerissen sei. Dem zuvor gingen jedoch degenerative Veränderungen, die nicht innerhalb einer Woche entstanden sein könnten. Es sei insgesamt sehr unwahrscheinlich, dass es nach einem Kniebinnentrauma mit Zerreißung des Innenmeniskus und des vorderen Kreuzbandes drei Wochen nach dem Ereignis zu einem Ausbleiben frischer Verletzungszeichen gekommen sei. Dem entspreche auch der histologische Befund. Soweit die Pathologen nachträglich gegenüber Dr. R. mitgeteilt hätten, als "frisch" würden nur Verletzungszeichen von 2-3 Tagen angenommen, vermöge das nicht zu überzeugen. Frische Verletzungen zeigten sich nicht schon nach dieser kurzen Zeit als alte oder degenerative Veränderungen. Die Befunde hinsichtlich des Kreuzbandes seien gut vereinbar mit einer Ruptur, die schon mehrere Jahre zurückliege. Diese könne, verbunden mit der entstehenden Instabilität, zu einer Degeneration des Innenmeniskus mit Rissbildung bei einem Bagatelltrauma führen, ebenso zu erheblichen Knorpelschäden, wie sie beim Kläger vorliegen würden. Es sei daher zwar möglich, dass der Innenmeniskus bei dem Verdrehtrauma am 22. Februar 2008 erfolgt sei. Ursache sei jedoch im Wesentlichen die Vorschädigung und degenerative Veränderung des Meniskus, die auf der schon länger zurückliegenden Instabilität beruhe. Die Gesundheitsstörungen wären daher auch ohne den Unfall vom 22. Februar 2008 symptomatisch geworden. Entgegen Dr. C., der eine Arbeitsunfähigkeit nur für 3 Wochen angenommen habe, gehe man von einer solchen von zwei Monaten aus, da die Arthroskopie diagnostisch erforderlich und dabei auch der Innenmeniskus entfernt worden sei. Dies sei noch dem Unfallgeschehen zuzuordnen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, im Wesentlichen gestützt auf die Gutachten des Dr. C. und des Prof. Dr. R., aber auch die beratungsärztlichen Stellungnahme der Dr. K., den Arztbericht der Dres. D./S./M. vom 26. Februar 2008, den MRT-Bericht des Radiologen Dr. W., den Operationsbericht des St. V.-Krankenhauses vom 13. März 2008 sowie das histologische Gutachten vom 19. März 2008. Nachweise für eine frische traumatische Verletzung des vorderen Kreuzbandes seien trotz eines grundsätzlich geeigneten Unfallhergangs nicht zu finden. Soweit Dr. R. ausgeführt habe, frische Verletzungszeichen seien nur 2 bis 3 Tage nach dem Unfall zu finden, werde dies mit den Dres. K., C. und Prof. R. nicht für überzeugend erachtet. Auch spreche das Verhalten des Klägers unmittelbar nach dem angeschuldigten Arbeitsunfall gegen einen unfallbedingten Riss des vorderen Kreuzbandes und des Innenmeniskus. Denn Prof. Dr. R. habe zutreffend darauf hingewiesen, dass dies normalerweise zu einer sofortigen Arbeitseinstellung führe. Der Kläger habe aber nach dem Unfall am Freitag noch 6 Stunden weiter gearbeitet, auch am Montag 25. Februar 2008 und erst am darauffolgenden Tag einen Arzt aufgesucht. Es sei daher mit den Sachverständigen davon auszugehen, dass der Riss des vorderen Kreuzbandes bereits vorbestehend gewesen sei und das Unfallereignis daher keine wesentliche Ursache darstelle, vielmehr eine rechtlich bedeutungslose Gelegenheitsursache. Dr. C. habe darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der Riss des Innenmeniskus makro- und mikroskopisch als degenerativ einzustufen sei, wofür der am 13. März 2008 objektivierte drittgradige Knorpelschaden am medialen Femurcondylus spreche. Dem habe auch Prof. Dr. R. zugestimmt. Da vor dem Ereignis keine Beschwerden oder Einschränkungen am linken Knie bestanden hätten, habe der Unfall auch nicht zu einer richtunggebenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens geführt. Die allein als Unfallfolge zu berücksichtigende Prellung und Zerrung des linken Kniegelenks sei folgenlos ausgeheilt. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei deshalb nicht verblieben. Anspruch auf Verletztenrente stehe dem Kläger daher nicht zu. Dem Hilfsantrag, Dr. R. ergänzend zu hören, habe die Kammer nicht stattgegeben. Sie erachte den Sachverhalt als vollständig aufgeklärt und messe dem allein nach Aktenlage erstellten Gutachten des Dr. R. keinen erhöhten Beweiswert zu. Insbesondere die Ausführungen zur Frage, wann von einem frischen Trauma auszugehen sei, seien durch Dr. C. und Prof. Dr. R. wohlbegründet und überzeugend widerlegt.

Gegen den dem Klägerbevollmächtigten am 4. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser für den Kläger am 19. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung stützt er sich auf das Gutachten Dr. R. und führt ergänzend aus, auch ein frischer Kreuzbandriss hätte muskulär stabilisiert werden können, so dass der Umstand, dass der Kläger nicht sofort seine Arbeit niedergelegt habe, nicht gegen einen Unfallzusammenhang spreche. Es liege darüber hinaus ein geeigneter Unfallmechanismus vor, auch sei der Kläger vor dem Unfall im linken Knie beschwerdefrei gewesen. Letztlich habe auch intraoperativ kein Zweifel an einer frischen Ruptur bestanden. Das Gericht habe es unterlassen, Dr. R. nochmals zu befragen. Jedenfalls sei von einer richtunggebenden Verschlimmerung auszugehen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 2. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Risse des vorderen Kreuzbandes und des Innenmeniskus-Hinterhorns des linken Kniegelenks als weitere Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 22. Februar 2008 anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Das Gericht hat Dr. R./Dr. K. ergänzend befragt. In ihrer Stellungnahme vom 27. Januar 2011 haben sie ausgeführt, man halte an der Auffassung fest, dass der Riss des vorderen Kreuzbandes durch den Unfall vom 22. Februar 2008 verursacht worden sei. Unfallnah seien verletzungsspezifische Strukturveränderungen (Schwellung linkes Knie, Druckschmerz im medialen Gelenkspalt, Innenmeniskuszeichen positiv) festgestellt worden. Ein Bone bruise als Zeichen einer Knochenquetschung sei nicht obligat für die Annahme einer frischen Verletzung, denn in ca. 20% aller frischen Kreuzbandverletzungen fehlten solche Zeichen. Auch könne eine frische Verletzung des vorderen Kreuzbandes auch ohne deutlichen blutigen Gelenkerguss ablaufen. Da die Kreuzbänder vorne von Gelenkschleimhaut bedeckt seien, könne es zu einer Zusammenhangstrennung kommen, ohne dass der Synovialschlauch komplett reiße und deshalb ein ausgeprägtes Hämarthros ausbleibe. Auch die Pathologin habe nach Rückfrage eine frische Verletzung bejaht.

Der Senat hat des Weiteren ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. v. S. eingeholt. In seinem Gutachten vom 9. Juli 2011 hat er zusammenfassend ausgeführt, das keine Folgen des Unfalls vom 22. Februar 2008 mehr vorliegen. Die bestehenden Veränderungen seien durchweg unfallunabhängig und aufgrund degenerativer Vorschäden entstanden. Der Einschätzung von Dr. R. und Dr. K. werde nicht zugestimmt, denn ein akuter Kniebinnenschaden werde weder durch das Kernspintomogramm noch durch den Arthroskopiebefund belegt. Vielmehr werde die Auffassung von Dr. C. und Prof. Dr. R. umfassend geteilt und mit Prof. Dr. R. eine Arbeitsunfähigkeit von 2 Monaten nach dem Unfallereignis angenommen.

Abschließend hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, der Kläger habe vor kurzem auch eine Ruptur des rechten vorderen Kreuzbandes erlitten, die nicht mit Einblutungen einhergegangen sei. Möglicherweise sei der Kläger entsprechend konstitutionell veranlagt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat ohne Rechtsfehler keine weiteren Unfallfolgen anerkannt und die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Folge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid auf Seiten 8 bis 11 der Entscheidungsgründe zutreffend und ohne Rechtsfehler ausgeführt hat, sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden. Weitere Unfallfolgen als die anerkannte folgenlos ausgeheilte Zerrung und Prellung des Kniegelenks liegen nicht vor, so dass der Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat. Denn diese Unfallfolgen beeinträchtigen nicht in rentenrelevantem Umfang die Erwerbsfähigkeit des Klägers. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zur Begründung seiner Entscheidung deshalb auf die Ausführungen des SG und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG). Gegen einen durch das angeschuldigte Geschehen wesentlich verursachten Riss des Kreuzbands sprechen die fehlenden Begleitverletzungen, der Histologiebefund und vorbestehende deutliche degenerative Veränderungen. Gegen einen wesentlichen Zusammenhang des Risses des Meniskushinterhorns sprechen bereits ein dafür ungeeigneter Unfallhergang sowie der von Dr. C. beschriebene makro- und mikroskopische Befund.

Auch die weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren haben die Richtigkeit der Ausführungen des SG bestätigt. Der als Gutachter für das Landessozialgericht tätige Dr. v. S. hat die Einschätzung des Dr. C. und des Prof. Dr. R. im Verfahren vor dem SG bestätigt und ausgeführt, dass sich die festgestellte Kreuzbandruptur sehr viel wahrscheinlicher als durch ein akutes Trauma durch wiederholte Mikrotraumen im Rahmen des ausgeübten Fußballspielens oder möglicherweise der Distorsion im Jahr 2004 entwickelt habe. Möglicherweise habe auch das Abrutschen von der Leiter erst zu einer endgültigen Zusammenhangstrennung geführt, da der Kläger erst seitdem über ein Instabilitäts- und Unsicherheitsgefühl im linken Knie klage. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann der Senat für seine Beurteilung jedoch offen lassen, da dann dem Unfallereignis allenfalls die Qualität einer rechtlich unerheblichen Gelegenheitsursache zukäme, also davon auszugehen ist, dass der Riss auch ohne das Unfallereignis alsbald eingetreten wäre. Darauf hat auch bereits das SG hingewiesen.

Für den festgestellten Innenmeniskusriss ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. v. S. von einem inadäquaten Unfallhergang auszugehen, da eine traumatische Meniskusläsion eine Relativbewegung des Körpers bei festgestelltem Fuß voraussetzt. Dies hat der Kläger nicht geschildert.

Es ist deshalb in der Gesamtschau, übereinstimmtend beurteilt von Dr. v. S., Dr. C. und Prof. Dr. R., von einer chronischen Kreuzbandlockerung und Insuffizienz auszugehen, die im Übrigen Dr. v. S. nach den von ihm angefertigten Röntgenaufnahmen auch auf der rechten Seite, muskulär grenzkompensiert, festgestellt hat. Soweit der Klägerbevollmächtigte deshalb zuletzt vorgetragen hat, beim Kläger sei nunmehr auch rechts ein "wohl traumatischer" Kreuzbandriss ohne akute Begleitverletzung diagnostiziert worden, vermochte dies den Senat weder von einer Unfallkausalität links noch von der Notwendigkeit weiterer Beweiserhebungen zu überzeugen. Denn wie Dr. v. S. ausgeführt hat, war es auch auf der rechten Seite allenfalls eine Frage der Zeit, bis ein Kreuzbandriss aus degenerativer Ursache heraus auftrat. Wenn auch, wie der Klägerbevollmächtigte ausführt, rechts keine Begleitverletzungen gefunden worden sind, dann spricht dies – wenn auch nicht entscheidend, aber zusätzlich – für die nunmehr für die linke Seite getroffene Beurteilung.

Diese chronische Kreuzbandlockerung und Insuffizienz wurde gelegentlich des Unfalls vom 22. Februar 2008 akut, allerdings nicht dadurch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Diese hat, verbunden mit der entstehenden Instabilität, zu einer Degeneration des Innenmeniskus mit Rissbildung bei einem Bagatelltrauma geführt, ebenso zu erheblichen Knorpelschäden, wie sie beim Kläger vorliegen, worauf bereits Prof. Dr. R. hingewiesen hat.

Soweit Dr. R./Dr. K. auch in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Landessozialgericht bei ihrer Auffassung geblieben sind, es liege ein Unfallzusammenhang vor, haben sie sich darin nicht ausreichend mit den Ausführungen von Dr. C. und Prof. Dr. R. auseinander gesetzt, so dass der Senat darauf eine abweichende Beurteilung nicht stützen kann. Soweit sie darauf abstellen, dass in 20% aller Fälle frische Kreuzbandverletzungen auch ohne entsprechende Begleitverletzungen ablaufen würden und auch in ihrer Praxis vereinzelt entsprechende Fälle auftreten würden, lassen sie unbeachtet, dass der Kläger im linken Knie bereits im Unfallzeitpunkt unter einem erheblichen Knorpelschaden (drittgradiger Schaden am medialen Femorcondylus) gelitten hat, was durch eine vorbestehende Instabilität des Knies – bei bereits gerissenem Kreuzband – hervorgerufen sein kann. Sie haben nicht abgegrenzt, inwieweit die von ihnen beobachteten klinischen Fälle entsprechende Veränderungen aufgewiesen haben, soweit tatsächlich kein oder ein nur geringer Bone bruise festgestellt werden konnte. Entsprechendes gilt für die fehlenden Einblutungszeichen. Soweit sie darauf abstellen, entscheidend sei aber der histologische Bericht, verkennen sie, dass gerade in diesem Bericht vom Fehlen einer frischen Verletzung berichtet worden ist und die von der Pathologin im persönlichen Gespräch geäußerte Interpretation keine Grundlage in den physiologischen Vorgängen auf zellulärer und histologischer Ebene findet, worauf auch Prof. Dr. R. in seinem Gutachten hingewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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